Als Schwächling auf die Welt gekommen?Beim Gefühl kennt Simon Strauss keine Kompromisse

Ein junger Mann wird bald dreißig. Aus Angst davor, das Leben zu verpassen, aus Angst vor einer Zukunft mit Festanstellung und Rentenversicherung lässt er sich von einem Bekannten dazu überreden, in sieben Nächten je eine der sieben Todsünden zu begehen. Dieses Arrangement gibt der Geschichte, die Simon Strauss in der Ich-Form erzählt, ihr Gerüst. Freilich werden all jene Leser enttäuscht, die auf eine Geschichte voller Exzesse gehofft hatten. Die Todsünden des Protagonisten sind allenfalls ein ganz klein bisschen sündig: Völlerei erschöpft sich im Verzehr von Fleisch im Sternerestaurant, Faulheit ereignet sich auf dem Sofa des eigenen Wohnzimmers. Neid entwickelt der Erzähler auf die vor ihm Geborenen, die noch in richtigen Bibliotheken statt Servicestationen mit Büchern lernen und arbeiten durften. Erkennbar geht es dem Autor nicht um den wirklichen Sprung ins pralle Leben, sondern die Erkundung innerer Umstände, seelischer Zustände, ebenso individueller wie allgemein menschlicher Befindlichkeiten an der Schwelle zum endgültigen Erwachsensein. Hier paart sich Angst vor der eigenen vorhersehbar öden Zukunft mit dem Gefühl, dass es früheren Generationen besser gegangen ist in Sachen Freiheit und Abenteuer.

Damit ist auch schon das Wesen des Buches beschrieben: In seiner Innerlichkeit ist es ein sehr altmodisch-deutsches, ein romantisches Buch geworden, das freilich politischer ist, als es zunächst zu sein scheint. Bemerkenswert sind die Motive, die es dominieren und die gleich zu Beginn umfassend und mit Pathos entfaltet werden: «Ich bin schon als Schwächling auf die Welt gekommen, und meine Privilegien haben mich weiter geschwächt.» «Ich bin gefangen in einer Blase aus Glück.» «Der einzige Kampf, der jetzt noch lohnt, ist der ums Gefühl. Die einzige Sehnsucht, die trägt, ist die nach dem schlagenden Herzen.» – so groß wird hier formuliert. Und es wird ein bemerkenswerter Gegensatz eröffnet: «In den staubigen Archiven der Vernunft haben wir zu oft vergeblich nach Antworten gesucht auf Fragen, die nur auf offenem Deck, unter freiem Himmel gelöst werden können.»

Man kann dieses Buch als Buch aller beinahe Dreißigjährigen lesen, eine Art Coming-of-Age-Geschichte mit hohem Identifikationspotential. Wer kennte das nicht: die Angst vor der Unfreiheit, der lebenslänglichen Routine, dem Gefangensein in Erwartungen und Ansprüchen anderer, die Sehnsucht nach einer persönlichen Freiheit, die am Ende doch reine Utopie bleiben muss. Man kann also dieses Buch lesen, um nicht alleine zu sein mit seinen Sehnsüchten. Und wenn man zu den Lesern gehört, deren Lebenszeitfenster sich bereits wieder schließt, dann kann man es doch immerhin mit melancholischer Anteilnahme lesen.

Man kann das Buch aber auch als das Buch einer ganz bestimmten Generation verstehen, der Generation der um 1990 Geborenen. Florian Illies ( Jahrgang 1971), der Autor der «Generation Golf» hat diesem Verständnis erheblich Vorschub geleistet, indem er er Strauss’ Büchlein in der ZEIT rezensierte und – als Autor eines Generationsbuchbestsellers – erklärte, «warum ‹Sieben Nächte› das Buch der nächsten Generation werden kann». Wenn man es so liest, was sagt es uns dann?

Wenn die Gedanken des Autors repräsentativ für seine Generation sind, dann scheint etwas ins Denken dieser Generation hineinzuspielen, das nicht nur romantisch, individuell, sympathisch ist. «Kompromisse schwächen den Händedruck» ist zum Beispiel ein Satz, der aufhorchen lässt. In den «Sieben Nächten» gibt es nämlich auch die Verachtung für die Nüchternheit der Vernunft, die vermeintliche Fadheit des Kompromisses, die gelegentliche Lächerlichkeit der politischen Korrektheit. Man mag sich nicht ausmalen, was passiert, wenn ein solches Denken politisch wirksam wird. Und das wird es ja bereits. Es gibt ja schon das deutsche Feuilleton, das der Kanzlerin die Arbeit an der Kompromissfindung als fehlenden großen Entwurf, den Verzicht auf das pathetische Wort und ihr Nicht-auf-den-Tisch-Hauen-Wollen als Schwäche auslegt. Macht sich da das große Gefühl der Langeweile wieder breit, das es vor dem Ersten Weltkrieg schon einmal gab, die Sehnsucht danach, dass nicht nur im privaten Leben, sondern auch da draußen in der Welt endlich mal wieder was passiert? Wäre dem so, dann ginge es in dem kleinen Buch von Simon Strauss um viel mehr als bloß um die sieben Todsünden.

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Simon Strauss

Sieben Nächte

Blumenbar: Berlin 2017, 144 S., € 16,00.