Blaise PascalDie Wette auf Gott

Der Philosoph Blaise Pascal (1623-1662) hat in seinen „Pensées“ ein berühmtes Gedankenspiel inszeniert: die Wette auf Gott. Nachfolgend eine kritische Auseinandersetzung pro und contra Pascal, der auch aktuell wirkmächtig bleibt.

Der Philosoph Blaise Pascal (1623-1662) hat in seinen „Pensées“ ein berühmtes Gedankenspiel inszeniert: die Wette auf Gott. Nachfolgend eine kritische Auseinandersetzung pro und contra Pascal, der auch aktuell wirkmächtig bleibt.

Gott: „Glaubt nicht an mich!“ - oder Pascals Wette

Von Jan Opielka

Zu den faszinierendsten Gedanken des Menschen gehören jene, die wir in ihrer originalen Ausformulierung ihrer Autoren gar nicht kennen müssen, doch gemäß denen wir leben. Die Kunst dieses Denkens liegt darin, das Bestehende, die Wirklichkeit so zuzuspitzen, dass sie, ohne neu zu sein, als eigenständige Gedanken oder Thesen originell wirken. Zu solch Gedachtem gehört auch die berühmte „Wette“ des Mathematikers und Philosophen Blaise Pascal (1623-1662). „Wir sind also unfähig zu erkennen, was Gott ist und ob er ist“, schrieb er in den „Pensées“ - „Gedanken“ -, fragmentarischen Aufzeichnungen, die nach seinem Tod von Freunden veröffentlicht wurden. „Indessen es ist gewiss, dass Gott ist oder dass er nicht ist. Aber nach welcher Seite werden wir uns neigen? … Nach der Vernunft könnt ihr weder das eine noch das andre behaupten; nach der Vernunft könnt ihr keins von beiden leugnen … Es muss gewettet werden, das ist nicht freiwillig, ihr seid einmal im Spiel, und nicht wetten, dass Gott ist, heißt wetten, dass er nicht ist … Wette denn, dass er ist, ohne dich lange zu besinnen … Aber eure Seligkeit? Wir wollen Gewinn und Verlust abwägen, wenn wir uns entscheiden, dass Gott ist. Wenn du gewinnst, gewinnst du alles, wenn du verlierst, verlierst du nichts … Es gibt ein ewiges glückliches Leben zu gewinnen.“

Millionen von Gläubigen, beileibe nicht nur Christen, leben und glauben gemäß der Pascal’schen Wette. Und folgen damit einem falschen Versprechen. Wobei aber irrte Pascal bei seiner scheinbar so plausiblen Annahme?

Gott = ewiges Leben?

Der französische Philosoph argumentierte, dass Gott für den Menschen nicht und niemals erkennbar sei. Dennoch müsse er auf oder gegen seine Existenz wetten. Bereits dieser Zwang ist fragwürdig: Woher wusste Pascal, dass wir wetten müssen? Im nächsten Schritt ging er jedoch entscheidend weiter und widersprach fundamental seiner eigenen und richtigen Grundannahme von der Unerkennbarkeit Gottes. Denn er schrieb Gott indirekt bestimmte Eigenschaften und Handlungen zu, die aber zu einem möglichen Wesen Gottes gehören, von dem der Philosoph zu Recht sagt, dass wir ob seiner eben nichts wissen können. Wenn wir Gott aber nicht erkennen, können wir auch nicht sagen, ob ein existierender Gott, wie Pascal behauptete, den Glauben an ihn mit „ewigem Leben“ belohnt und die Ungläubigen mit Verdammnis straft - oder treffender gesagt: ob es Gott überhaupt auf den Glauben an ihn ankommen möge.

Wir können auch nicht erkennen, ob wir, selbst wenn Gott existierte, vom ewigen Leben ausgehen sollten. Das können wir lediglich hoffen. Aber hier eine mathematische Gleichung „Gott existiert = ewiges Leben bei Glauben an ihn“ zu setzen, bedeutete, aus der Sicht eines allwissenden Gottes zu sprechen.

Blaise Pascals widersprüchliches Denken ist in ein starres Denkmuster eingehegt, das einen künstlichen Gegensatz zwischen dem Nichtglauben an Gott auf der einen und dem Glauben an ihn auf der anderen Seite aufbaut. Damit blieb Pascal ganz auf der fundamentalen Linie des von ihm verehrten Christentums, das seinerseits den Gegensatz von Himmel und Hölle zum Fundament hat; wobei vielen Gläubigen klar scheint, wem welcher Teil zufallen solle.

Der moralische Atheist

Pascal nahm in seiner Wette den Libertin (Freigeist) als den verallgemeinerbaren Vertreter aller Nichtgläubigen an. Also jenen, der ausschließlich auf den persönlichen Genuss ausgerichtet ist, ein nur Nehmender, ein Hedonist. Einem solchen stellte der Philosoph den „redlichen, demütigen, dankbaren, wohltätigen, aufrichtigen und wahren Freund“ gegenüber, einen Christen. All diese Eigenschaften in einem Menschen mag man auch heute noch als erstrebenswert, integer, gar als gut erachten. Fragwürdig aber ist, sie zwangsläufig an den Glauben, an den christlichen zumal, zu binden - so als wäre es nicht möglich, all dies auch zu sein, ohne an Gott zu glauben. Oder etwas anderes zu glauben.

Denn die eigentliche Wette, die womöglich in der Tat ein jeder eingehen muss, ist nicht die Wette auf oder gegen einen Gott im Himmel. Sondern die „Wette“ auf den Menschen auf Erden. „Aus dem Gebot des Schutzes der Benachteiligten erwächst die Sensibilität für die Erleben anderer Menschen, und es ist gerade der andere Mensch, vor allem der Schwache und Benachteiligte, der in der Geistigkeit der Linken als Sacrum (Heiliges; d. Red.) erlebt wird“, schrieb einst Jacek Kuron, polnischer Intellektueller und bedeutender Oppositioneller der Zeit bis 1989. Könnten also auch überzeugte Linke und zugleich Atheisten, wie Kuron, zu den Glaubenden gezählt werden? Und ein existierender Gott gar Wohlgefallen an ihnen finden?

Ja, sagte etwa Immanuel Kant (1724-1804). Denn es komme „alles auf die Annehmung oder Verlassung des alleinigen Prinzips an, Gott entweder nur durch moralische Gesinnung, sofern sie sich in Handlungen, als ihrer Erscheinung, als lebendig darstellt, oder durch frommes Spielwerk und Nichtstuerei wohlgefällig zu werden“, schreibt er in seinem Werk „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“. Kant kritisierte den „religiösen Aberglauben“ und postulierte, dass „alles, was, außer dem guten Lebenswandel, der Mensch noch tun zu können vermeint, um Gott wohlgefällig zu werden, bloßer Religionswahn und Afterdienst Gottes (ein falscher Dienst; d. Red.)“ sei. Und anstatt an eine Erlösung im Himmelreich zu glauben, könne ein dem moralischen Gesetz verpflichteter Mensch höchstens hoffen, dass er in einem jenseitigen Leben, sollte es eines geben, „unter anderen Umständen nach eben demselben Prinzip darauf fortfahren und sich dem unerreichbaren Ziele der Vollkommenheit nähern werde“.

Das sah Blaise Pascal anders. Wenn sich etwa ein Mensch in seinem Leben der Rettung und Verbesserung des Lebens anderer Menschen verschreibt und dabei einen „guten Lebenswandel“ und einen „guten Willen“ offenbart, dabei aber gänzlich ungläubig ist, Gottes-Ideen und die Religionen gar verabscheut, so landet er laut Pascal dennoch in der Hölle, sollte Gott existieren. „Für die Heiden gibt es keinen Erlöser, denn sie erwarten ihn ja nicht einmal“, schrieb er.

Nicht nur ist eine solche Annahme - dass wir nur erhalten, was wir auch erwarten - bereits für das diesseitige Leben höchst fragwürdig. Vielmehr wäre auch ein derart beschaffener Gott im wahrsten Sinne des Wortes un-sinnig, wenn man etwa einen fundamentalen Sinn und Ziel des Seins und des Seienden in der Liebe zu entdecken glaubt, wie es nicht zuletzt, sondern zualleroberst auch das Christentum tut. Der Liebe Menschen gegenüber.

Eigennutz oder Liebe?

In Pascals Alternativspiel ist aber nicht Liebe die wichtigste Antriebsfeder, sondern der wohlkalkulierte Eigennutz. Doch vielleicht ist eines der wenigen identifizierbaren Wesensmerkmale des Geheimnisses der Liebe, dass sie eben nicht eigennützig ist. Oder zumindest, dass der Eigennutzen, den wir aus ihr zu schöpfen hoffen, kleiner sein darf oder gar sein soll als das, was wir für sie und in ihrem Namen von uns geben. In Pascals Wette ist dies aber nicht der Fall: Wir sollen bestimmte Dinge glauben und auf andere verzichten, um dafür ins Himmelreich zu gelangen, das einen unendlich größeren Wert haben soll als unser irdischer Einsatz dafür. Eine gute Investition also - aber Liebe? Laut dem Philosophen Slavoj Žižek ist Liebe genau das Gegenteil. Er interpretiert ihre biblische Darlegung als Agape durch Paulus aus Tarsus „als die das Selbst unterdrückende Pflicht, die Mitmenschen zu lieben und sich zu kümmern, als harte Arbeit, als etwas, das durch das energische Bemühen, die eigenen spontanen pathologischen Neigungen zu bekämpfen und ihnen Zügel anzulegen, erreicht werden muss“.

Diese Auslegung liegt sehr nahe an den Worten Jesu, auf die sich schließlich auch Blaise Pascal berief und die ihrerseits andeuten, dass es auch Gott auf die Wette auf den Menschen ankommen möge. „Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getränkt … Wahrlich ich sage euch: Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,34-40).

Dabei sollten nicht nur Christen und andere Gottesgläubige wohl bedenken, ob wir uns bei der Wahl unseres Handelns von der Aussicht auf das zu erbende Reich leiten lassen sollten. Denn „man kann christlich leben etsi Deus non daretur (auch wenn es Gott nicht gäbe), und womöglich lebt man nur mit einem solchen Bewusstsein christlich“, schrieb Jacek Kuron. Nur wenn unsere Überzeugungen und Handlungen anderen gegenüber der Überprüfung des etsi Deus non daretur standhalten, können wir von ihrer Bedingungslosigkeit sprechen. Und damit von weit gefasster Liebe zu Menschen, die zwar hoffen darf, aber eben keine Bedingungen stellt. Eine Einstellung im Sinne von: „Ich werde lieben, wenn…“, erscheint daher nicht nur intuitiv als Widerspruch. Sie ist es auch aus der Perspektive der Vernunft.

Denn die selbst auferlegte Pflicht zur Liebe zeigt sich nicht in Gefühl, Interesse und Genuss, sondern in ethischen Grundsätzen, die den genannten Neigungen allzu häufig entgegenstehen. Diese Pflicht ist als Grundpfeiler eines auf die Menschen ausgerichteten Lebens und Glaubens sowohl für das Individuum als auch für eine Gesellschaft auch ohne Gott als Bedingung denkbar und realisierbar.

Wir können auch nicht ethisch unmittelbar Gott gegenüber handeln. Für solch ein Handeln, auch dies legte Immanuel Kant eindrücklich dar, brauchen wir unabdingbar den anderen Menschen. Und nur ihn. Einzig in Bezug auf den anderen zeigt sich dieses Handeln und schöpft einen Weltbezug, gar die Welt auf Erden an sich, so es denn verwirklicht wird. Und wenn wir darauf wetten und danach handeln, können wir - und mit „wir“ ist tatsächlich auch die Vielheit der Menschen gemeint - eigentlich kaum verlieren. Auch wenn es Gott und ein jenseitiges Leben nicht gibt.

Himmel oder Erde?

Das Entscheidende, so könnte man nicht nur auf Grundlage der Stelle aus dem Matthäusevangelium oder aufgrund von Kants Religionsideen meinen, ist daher nicht, ob wir in unserem Leben den Glauben und das Vertrauen auf Gott haben, sondern, was und wie viel wir in und von unserem Leben geben. Und zwar nicht Gott geben, denn er dürfte, wenn er denn ist, alles haben, was er braucht. Dass wir uns überhaupt um ihn kümmern müssten - im Sinne von „an seine Existenz glauben“ und ihm unsere Ehrerbietung etwa in Form religiösen Kultes entgegenbringen -, ist womöglich einer der verhängnisvollsten Irrtümer in der langen Geschichte der Religionen. Unser Glauben an ihn könnte durchaus gar das Letzte sein, was er, wenn er denn ist, wollen kann. Denn unseren Gottesglauben brauchen wir, wenn wir ihn denn brauchen, vor allem für uns selbst.

In der Tat könnte ein existierender Gott viele der Blüten, die ein auf der Pascal’schen Berechnung gründender Glaube trieb und treibt, leider zu einem großen Teil auch in den wichtigsten Weltreligionen, mehr als bedenklich finden. Zumindest, wenn Güte, Gerechtigkeit, Gleichheit nicht nur als Stabreim mit Gott harmonisch klingen. Denn mit dem „richtigen Glauben an den richtigen Gott“ als Rückversicherung im Gepäck reisten bereits die Kreuzritter nach Jerusalem, um Ungläubige abzuschlachten. Inquisitoren quälten Ketzer zu Tode, die gewagt hatten, zu denken und zu zweifeln. Und heute massakrieren extremistische Muslime im Glauben an ihren Gott Anders- und Ungläubige und erwarten dafür auch noch eine besondere Anerkennung des Herrn im Himmel. Sie glauben felsenfest, der bloße Glaube an dessen Allmacht gereiche ihnen zum „großen Preis“ und rechtfertige oder erfordere gar Untaten an Menschen, die diesen Glauben nicht teilen. Natürlich sind dies Extrembeispiele. Doch ihren Ursprung haben sie mit den Überzeugungen leider allzu vieler friedfertiger und moderater Gläubigen gemein. Es ist dies jene vielleicht fundamentalste, gänzlich menschliche „Erbsünde“: einen vermeintlichen Gott im Himmel über den Menschen auf Erden zu stellen.

Die Ursachen für einen à la Pascal gen Himmel, nicht Richtung Erde, ausgerichteten Glauben, auch einen friedfertigen, beschrieb indirekt der Denker Ludwig Feuerbach (1804-1872) in seiner sogenannten Projektionstheorie. Dabei, so Feuerbach, schreibe der Mensch Gott bestimmte Eigenschaften zu, die er sich für sich selbst wünsche - also Vollkommenheit, Unendlichkeit, Heiligkeit. Er schreibt Gott aber auch, so ist zu ergänzen, eine große Dosis nur allzu menschlicher Eitelkeit und Geltungssucht zu: Wenn er denn schon ein so unfassbar großes Werk wie Welt und Mensch geschaffen habe, so die scheinbar selbstverständliche Annahme, erwarte er dafür auch direkte Dankbarkeit, Glaube und Ehrerbietung und bestrafe folgerichtig die Weigerung, ihm diese entgegenzubringen.

Dabei kann Feuerbachs vielzitierter Satz: „Der Mensch soll für den Menschen zum Gott werden“, den er in atheistischer Überzeugung verfasste, als durchaus vereinbar mit einem womöglich doch existierenden, aber von Eitelkeit und Geltungssucht gänzlich befreiten Gott angenommen werden: „Glaubt nicht an mich“, wollte dieser Gott, „sondern an die Menschen.“ Und dies nicht im Sinne einer götzenhaften Verehrung einzelner charismatischer oder diabolischer Individuen, sondern als Glaube an den Menschen als Richtschnur und Zweck zugleich, als Gleichen unter Gleichen, an dessen Wohl wir unser Handeln ausrichten.

Dies ist ein persönlicher Glaube. Denn der Autor dieses Textes, das mag als Erläuterung zum Verständnis beitragen, schreibt nicht aus der Perspektive eines Atheisten, der seine Seele und die aller seiner Mit-Ungläubigen zu beruhigen sucht, sondern aus der Perspektive eines, wie man heute sagt, tief gottesgläubigen, wenn auch nicht mehr religiösen Menschen. Das fatal Unvernünftigste aber, das man als an Gott Glaubender gegenüber Nichtglaubenden tun kann, ist, diese direkt zu einem Glauben an Gott im Himmel mit der dann scheinbar logischen Folge des ewigen Lebens bewegen zu wollen. Wir können andere höchstens zum Denken über Gott, womöglich auch zur individuellen Suche nach ihm ermuntern wollen. Sie aber zum Glauben zu bewegen, einschließlich der Aussicht auf ewiges Leben, beinhaltet ein fundamentales Versprechen.

Versprechen aber muss man geben und halten können oder dies zumindest mit allen Mitteln versuchen, wie etwa die Philosophin Hannah Arendt (1906-1975) schrieb. Gehaltene Versprechen sind das „Heilmittel gegen die Unabsehbarkeit“, sie sind für ein Zusammenleben der Menschen so unabdingbar wie das Verzeihen als das „Heilmittel gegen die Unwiderruflichkeit“. Beide Fähigkeiten sind, so Arendt, zutiefst menschlich, und beide „können sich überhaupt nur unter der Anwesenheit von anderen, die mit-sind und mit-handeln, betätigen“.

Wäre Marx in der Hölle?

Blaise Pascal brachte in seinem indirekten Erlösungsversprechen einen Dritten ins Spiel: Gott. Das aber kann er nicht tun - es sei denn, er selbst wäre Gott. Daher ist sein Versprechen der Ewigkeit bei einer Existenz Gottes ein falsches Versprechen. Denn er kann nicht für Gott versprechen, sondern nur für sich.

Pascal versprach aber nicht nur „das Blaue vom Himmel“, im Auftrag von Gott. Er drohte in seinem Namen auch mit der brennenden Röte des Fegefeuers. Und hielt seinen Wetteinsatz auf sein falsches Versprechen überaus niedrig. „Der nämliche Mann, der so dreist ist zu sagen: Wer an diese oder jene Geschichtslehre als eine teure Wahrheit nicht glaubt, der ist verdammt, der müsste doch auch sagen können: Wenn das, was ich euch hier erzähle, nicht wahr ist, so will ich verdammt sein!“, schrieb Kant. Hätte Pascal diesen Einsatz gewagt? Das wissen wir nicht.

Wir wissen, dass nach seiner Vorstellung etwa ein Karl Marx (1818-1883) in der roten Hölle schmoren dürfte. Gemäß Kants Hoffnung aber könnte der wichtigste Theo­retiker des Kommunismus sein umtriebiges Wirken im Jenseits fortsetzen - denn dass er sich in Leben und Werk von einem guten Willen hatte leiten lassen, vor allem in Bezug auf die „Anderen, die Schwachen und Benachteiligten“, in durch Elend und Ausbeutung gebeutelten Gesellschaften, das stellen selbst Marx’ schärfste Kritiker kaum in Abrede. Daher auch erscheint die folgende, jenseitige Option wesentlich plausibler: dass nämlich der Autor des „Kapitals“, in philosophischer Ausein­andersetzung auch mit seinem Kollegen Blaise Pascal, wo und wie auch immer, an den sozialen Strukturen des überzeitlichen Überbaus forscht. Und Pascal davon zu überzeugen sucht, dass es für ihn, Marx, auch in der Rückbetrachtung besser war, auf Erden nicht an Gott zu glauben, weil dies ein ihn behinderndes Opium gewesen wäre.

Eine andere Option ist: Von den beiden Gelehrten ist nicht mehr übrig als Asche und Staub sowie dasjenige ihres Denkens und Lebens, das wir auch heute noch intensiv diskutieren und das untilgbar in das unendlich verzweigte Weltgewebe eingeflochten ist, (un)merklich in es hineinwirkend. Auch dies ist nicht die schlechteste Aussicht auf ein „Leben“ nach dem Tod, wenn es denn so sein sollte. Ohne eine in die Irre führende Wette vorab.

Jan Opielka, freier Journalist und Publizist für deutsche und polnische Medien, Polen-Korrespondent der „Berliner Zeitung“ und der „Frankfurter Rundschau“; Autor mehrerer Fachbücher, lebt bei Gliwice/Gleiwitz.

Gott: „Glaubt an mich!“ - oder Pascals Erkenntnis

Von Werner Trutwin

Das Beste an den Überlegungen zu Blaise Pascal (1623-1662) ist der erste Satz, in dem sich der Autor kritisch mit dessen Gedankenspiel einer Wette auf Gott auseinandersetzt: Er spricht darin von „faszinierenden Gedanken“, von Sätzen, „gemäß denen wir leben“, von der „Kunst dieses Denkens“ und von „originellen Thesen“. Damit liefert er eine Beschreibung zu Pascal, die treffend ist, der er aber selbst in den folgenden Ausführungen widerspricht.

Zwar bezieht er sich in erster Linie auf Pascals „Wette“, doch nimmt er öfter auch das Gesamtwerk in den Blick. Er spricht von „falschem Versprechen“, vom „Irrtum Pascals“, von einem „Zwang, den Pascal ausübt“, von „widersprüchlichem Denken“, von „starrem Denkmuster“ … Blaise Pascal werden manche logische Schnitzer und unzulängliche Begründungen unterstellt.

Kritik der Kritik

Nun wäre es nicht richtig, Pascal in rein verteidigender, apologetischer Haltung von allen Fehlern und Irrtümern freizusprechen. In der Philosophie war es seit ihren Anfängen Prinzip, dass sich spätere Philosophen mit ihren Vorgängern kritisch auseinandersetzten. Das war schon in der Antike bei Aristoteles der Fall, der seinen Lehrer Platon in wichtigen Punkten ablehnte und stattdessen - aber auch auf ihm aufbauend?- neue Gedanken entwickelte. Nichts anderes macht Georg Wilhelm Friedrich Hegel mit Immanuel Kant und Karl Marx mit Hegel. Aus der Distanz, aus einem neuen Kontext und auch aufgrund eines Perspektivenwechsels ergeben sich leicht andere Einsichten. Wäre die Philosophiegeschichte anders verlaufen, gäbe es keinen Fortschritt.

Aber niemand wird behaupten, dass heute Platon, Kant oder Hegel trotz der an ihnen geübten Kritik alle Bedeutung verloren hätten. So war es auch schon früh bei Blaise Pascal. Auch er fand in seiner Zeit und erst recht nach seinem Tod Anerkennung und Ablehnung. Positiv hielt man die „Pensées“ („Gedanken“), in denen „die Wette“ enthalten ist, für eines der wichtigsten religiösen Dokumente seit Anselm von Canterburys (1033-1109) ontologischem Gottesbeweis. Selbst Kant konnte dem Gedanken der Wette einiges abgewinnen. Negativ hielten Kritiker „die Wette“ für skandalös, kindisch und missraten.

Der Verfasser des Beitrags „Gott: ‚Glaubt nicht an mich!‘“ wiederholt manche der früher schon häufig geäußerten Kritikpunkte. Vor allem aber schreibt er angesichts eines anderen Kontextes und einer anderen Perspektive, als Pascal sie einnahm: Es ist nicht die Sicht „eines Atheisten, der seine Seele und die aller seiner Mitungläubigen zu beruhigen sucht“. Sondern er nimmt die Perspektive „eines, wie man heute sagt, tief gottesgläubigen, wenn auch nicht mehr religiösen Menschen“ ein. Das ist sein gutes Recht. Jedoch kann man Pascal auch aus dessen eigener Sicht und aus der eines gläubigen Christen lesen und interpretieren, ohne darauf zu verzichten, ihn in manchen Punkten auch zu kritisieren.

Aus einer seit Pascal weiterentwickelten Ethik und Theologie wird man manche ethische Meinungen Pascals, etwa dass Nichtchristen nicht ethisch handeln können, oder die theologische Lehre, dass Nichtchristen „in die Hölle kommen“, nicht mehr teilen. Das waren einmal allgemein akzeptierte Glaubenswahrheiten, von denen abzuweichen Pascal damals keinen Anlass sah. Neuere Ethiker und Theologen und vor allem auch das Zweite Vatikanische Konzil sind zu anderen Einsichten gekommen, so dass die alten Lehrmeinungen heute nur noch von historischem Interesse sind. Auch die enge Verflechtung von Gottes- und Unsterblichkeitsglauben war damals weithin selbstverständlich. Sie hat noch in Kants Ideenlehre ihren Niederschlag gefunden. Wenn man ihn wie Jan Opielka Pascal für diese Thesen kritisiert, ist das in Ordnung. Aber wenn man so tut, als habe Blaise Pascal diese Lehrmeinungen auch den heutigen Christen vererbt, liegt man falsch.

Die folgenden Ausführungen wollen auf die Grenzen der Darstellung im Beitrag von Jan Opielka hinweisen, indem sie zum einen Pascals „Wette“ genauer in den Blick nehmen und dadurch die Bedeutung dieses Textes relativieren. Zum anderen weiten sie den Blick auf den ganzen Pascal aus und stellen so „die Wette“ in einen größeren Zusammenhang. Dabei wird sich zeigen, dass Blaise Pascal ein differenzierter und origineller Denker und Christ war, der das moderne Denken in vielerlei Hinsicht stärker beeinflusst hat, als es bei Jan Opielka erscheint. Zum Schluss wird allerdings auch angedeutet, dass Pascals Denk- und Glaubensweg für uns heute nicht mehr in jeder Hinsicht ein Modell sein kann, weil wir in einer stark veränderten Welt und Zeit leben.

Pascals „Wette“-Fragment

Pascals „Wette“ findet sich in den „Pensées“. In diesem Hauptwerk denkt der Philosoph in einzigartigen geistreichen Formulierungen (Aphorismen) über die Religion und andere Themen nach. Das Werk wurde nie vollendet, blieb also Fragment. In der Zählung des Philosophen Ewald Wasmuth (1890-1963) hat die „Wette“ die Nummer 233. Die Originalüberschrift Pascals lautet Infini rien („Das Unendliche und das Nichts“). Diese Überschrift verweist schon auf die nicht mehr überbietbare Spannweite dieses gedanklichen Versuchs, der an beiden Enden unweigerlich an die Grenzen des rationalen Verständnisses führen muss. „Alle Dinge entwachsen dem Nichts und ragen bis ins Unendliche. Wer kann diese erschreckenden Schritte mitgehen?“

Wann „die Wette“ entstand, ist nicht mehr bekannt. Möglicherweise gab es mehrere Phasen, in denen sich Blaise Pascal mit dem Text abmühte. Der Theologe Albert Raffelt weist in seiner Arbeit „Fragmente zu einem Fragment - Die Wette Pascals“ (Freiburg 2001) darauf hin, dass der relativ lange Text in jeder gedruckten Fassung den Eindruck eines zusammenhängenden Ganzen macht, während der handschriftliche Textentwurf mit seinen vielen Hinzufügungen und Streichungen zeigt, dass es sich um einen Entwurf handelt, der keinen erkennbaren inneren Zusammenhang aufweist und noch kaum druckfertig war. Das Fragment war wohl von Pascal nicht zur Veröffentlichung freigegeben. Dass der Text trotzdem eine große Wirkungsgeschichte hatte, sei nicht bestritten, ist aber Pascal nicht anzulasten. Seine Interpretation sollte im Kontext des Gesamtwerks erfolgen.

Vernunft des Herzens

Blaise Pascal selber wusste sehr wohl, dass unser begrenzter Verstand einen Gottesbeweis nicht führen kann - eine bemerkenswerte Einsicht in einer Zeit, in welcher der Rationalismus das herrschende philosophische Denkmuster in Frankreich war, das für die ganze Philosophie rationale Beweise forderte. Sein berühmter Zeitgenosse René Descartes (1596-1650), den man oft den „Vater der modernen Philosophie“ nennt, hatte mit dem Zweifel als Anfang aller Philosophie begonnen, aber dann zum Aufbau einer einsichtigen Philosophie auch einen Gottesbeweis entwickelt. Andere rationale Gottesvorstellungen, die allerdings höchst unterschiedlich sind, wurden in diesem Zeitraum von Baruch Spinoza, Nicolas Malebranche, Gottfried Wilhelm Leibniz oder Christian Wolff beschrieben. Pascal sah sich in dieser Situation, in der überall Beweise entwickelt und gefordert wurden, zu einer Begründung für seine Gedanken über Gott veranlasst, die für ihn anders aussehen mussten als ein rationaler Gottesbeweis. Da passte die Konstruktion einer Wette gut in sein Konzept und ermöglichte ihm weiter die Teilnahme am philosophischen Diskurs.

Es sieht - stark vereinfacht - so aus: „Wägen wir Gewinn und Verlust für den Fall, dass Gott ist, gegenseitig ab. Wenn wir in der Wette die Existenz Gottes bejahen, gewinnen wir alles, falls Gott existiert, verlieren aber nichts, wenn er nicht existiert. Der Einsatz für Gott erscheint deshalb nicht zu hoch, weil es eine Ewigkeit an Glück und Seligkeit zu gewinnen gibt.“ Diese Wette führt entsprechend seinen Voraussetzungen nicht zu einer neuen philosophischen Einsicht. Ob sie zu einem neuen Handeln führt, wie Pascal möglicherweise glaubte, sei dahingestellt.

Blaise Pascals Weg zu Gott führt aber nicht über eine Wette mit unklarem Ausgang zu Gott. Es reicht ihm nicht, wenn man bei Gewinn der Wette „Glück“ und beim Verlieren nur „Pech“ gehabt hat. Er kennt einen anderen Weg als die Wette. Die Vernunft kann es nicht sein, weil deren Möglichkeiten begrenzt sind. Ihr Ort sind die Mathematik und die Naturwissenschaften. Der Mensch hat aber noch eine andere Möglichkeit, grundlegende Einsichten zu gewinnen. Es ist das Herz. In einem der berühmtesten Sätze der „Pensées“ sagt er: „Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt.“ Etwas ausführlicher heißt es dort: „Das Herz hat seine Ordnung, der Geist (die Vernunft; d. Red.) hat die seine. Die besteht in Grundsätzen und Beweisen. - Das Herz hat eine andere. Man beweist nicht, dass man uns lieben solle, durch geordnete Darlegung der Ursachen der Liebe. Das würde lächerlich sein. - Jesus Christus, Paulus folgen der Ordnung der Gottesliebe, nicht der des Geistes; sie wollen nicht unterrichten, sondern entzünden.“

Das wahre Christentum besteht für Pascal in der Anwendung und Unterwerfung der Vernunft. „Nichts ist der Vernunft so angemessen wie dieses Nichtanerkennen der Vernunft.“ Hier steht der Ordre logique gegen den Ordre de cœur. Je tiefer man in den Ordre de cœur, der eine Ordnung der Liebe ist, eindringt, umso tiefer ist die hier gewonnene Erkenntnis. Diese Form der Liebe ist das eigentliche Zentrum der Pascal’schen Gedanken und nicht der „kalkulierte Eigennutz“, den Jan Opielka bei der Wette unterstellt.

Neuerdings hat sich der Bochumer Fundamentaltheologe Markus Knapp gründlich mit diesem Thema befasst. In seinem interessanten Buch „Herz und Vernunft?- Wissenschaft und Religion. Blaise Pascal und die Moderne“ (Paderborn 2014) untersucht er die Logik des Herzens, die für Pascal etwas anderes ist als pure Irrationalität. Sie hat ihre „Gründe“, die für ihren Bereich ebenso überzeugend sind wie die Argumente der Vernunft. In seiner Einleitung schreibt Knapp: „Es ging ihm (Pascal; d.?Red.) darum, auf die Grenzen der Vernunft aufmerksam zu machen. Die Vernunft kann sich keine Allzuständigkeit anmaßen, und wo sie das nicht beachtet, da wird sie selber zu einer Gefahr für den Menschen und seine Lebenswelt.“

Die neuzeitliche Philosophie hat einen überdehnten Vernunftbegriff längst abgerüstet und ist mit Pascal von der Fallibilität (Irrtumsmöglichkeit) der Vernunft überzeugt. Pascal hat auf seine Weise bereits früh auf eine neuzeitliche Einsicht eingewirkt.

Menschsein in Widersprüchen

Bei Blaise Pascal lassen sich drei Schwerpunkte seines Lebens feststellen:

(1) Pascal gehörte nicht zu denen, die sich auf Gemüt, Gefühl oder Herz berufen, weil die Klarheit des Denkens nicht ihre Stärke ist. Vielmehr besaß er eine geniale Begabung für die Mathematik. Schon als Kind entdeckte er selbstständig ohne Unterricht die ersten 32 Lehrsätze des Euklid. Mit neunzehn Jahren entwickelte er eine Rechenmaschine, die in der Steuerpraxis seines Vaters gute Dienste tat. Der späteren Wahrscheinlichkeitsrechnung gab er wichtige Impulse. Eine seiner wichtigen Schriften heißt „Vom Geist der Geometrie“. In Paris erhielt er das erste Patent für ein neuartiges Droschkenunternehmen, mit dem die Bürger ihre alltäglichen Wege leichter bewältigen konnten, eine Art „öffentlicher Nahverkehr“.

(2) Pascal hat vor allem in den „Pensées“ viele Sätze über den Menschen hinterlassen, die eine tiefe Menschenkenntnis zeigen und die das Denken späterer Zeiten, so bei Søren Kierkegaard, in der Existenzphilosophie oder in der Psychoanalyse, angeregt haben und weiterhin anregen. Er ist auch auf diesem Gebiet keineswegs überholt oder unzeitgemäß. Realistisch sind beispielsweise Pascals Aussagen: „Widersprüche: Von Natur ist der Mensch gläubig, ungläubig; furchtsam, tollkühn.“ „Beschreibung des Menschen: Abhängigkeit, Wunsch nach Unabhängigkeit, Bedürfnisse.“ „Seinslage des Menschen: Unbeständigkeit, Langeweile, Unruhe.“ „Die Menschen beschäftigen sich damit, einem Ball oder Hasen herzujagen.“ „Als ich dies des Nähern bedacht und den Grund all unserer Leiden erkannt hatte, wollte ich Gründe dafür finden. Ich fand, dass es einen überaus wirkungsvollen gibt; er liegt in dem natürlichen Unglück unserer schwachen, sterblichen und so elenden Seinslage, dass uns nichts zu trösten vermag, sobald wir nur genauer darüber nachdenken. Hier ist die Trostlosigkeit das Ergebnis unseres Nachdenkens.“ Nichts anderes hat auch der Philosoph Jürgen Habermas über die Philosophie gesagt: „prinzipiell trostlos“.

Pascal hat aber auch davor gewarnt, nur das Elend des Menschen zu beschreiben. Viele seiner Aphorismen decken zugleich seine Größe und sein Elend auf. Er ist im Elend groß und in seiner Größe elend. „Gefährlich ist es, wenn man den Menschen zu sehr darauf hinweist, dass er den Tieren gleicht, ohne ihm zugleich seine Größe vor Augen zu führen. Noch gefährlicher ist es, wenn man ihm seine Größe ohne seine Niedrigkeiten vor Augen führt. Am gefährlichsten ist es, ihn in Unkenntnis über beides zu lassen. Aber sehr nützlich ist es, ihm das Eine und das Andere darzustellen. Weder darf der Mensch glauben, er gleiche den Tieren noch gleiche er den Engeln, noch darf er in Unkenntnis über dieses und jenes sein, sondern er muss dieses und jenes wissen.“

Der Mensch nimmt also nach Pascal in der Schöpfung eine Sonderstellung ein. Er ist weder nur ein Produkt der Evolution, ein arrivierter Affe, wie heute gelegentlich zu hören ist, noch ein spirituelles Wesen, dessen Leiblichkeit unbedeutend oder lästig wäre, wie manche rationalistischen oder idealistischen Philosophien annahmen. „Der Mensch ist weder Engel noch Tier, und das Unglück will, dass, wer den Engel will, das Tier macht.“ „All diese Widersprüche, die mich am weitesten von einer Religion zu entfernen schienen, haben mich am raschesten zur wahren geführt.“

(3) Nach Pascals Tod fand man in seinem Rock ein von ihm selbst geschriebenes Pergament, und darin eingewickelt ein Papier - ein Dokument jenes geheimnisvollen Erlebnisses, das seine Existenz am meisten betroffen hat. Man nennt es das „Mémorial“, weil es ihn an jene geheimnisvolle Nacht erinnert hat, die bei ihm eine völlige Umkehr, eine Art von „Bekehrung“ bewirkt hat. Der Text beginnt so: „‚Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs‘, nicht der Philosophen und Gelehrten. Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede. Gott Jesu Christi.“ Hier hat Pascal jene unumstößliche Gewissheit für sein Leben gefunden, die ihm alle Wissenschaften zusammen nicht geben konnten, da er genau erkannte, dass sie von Axiomen (unbewiesenen Grundlagen) und Bedingungen abhängen, also endliche Größen sind, die unendlich weit von dem entfernt sind, der allein groß ist. Gottes Unendlichkeit gehört für ihn einer anderen Ordnung an als alle Dinge und Gedanken sonst. Weder die mathematische Unendlichkeit noch die - wie er damals meinte?- Unendlichkeit des Raumes ist für ihn vergleichbar mit der Unendlichkeit Gottes.

Darum ist für Blaise Pascal die Erfahrung Gottes das Größte, was dem Menschen überhaupt widerfahren kann. Er war fest davon überzeugt, dass ihm diese Gnade in der Nacht vom 23. November 1654 geschenkt wurde. Darum wollte er die Erinnerung an diese Erfahrung stets bei sich tragen.

Rückblick und Ausblick

Wir erleben in Pascal einen Denker, der viele Schwierigkeiten in der Erkenntnis Gottes kannte. Trotzdem fand er einen Weg, der ihn zur Gewissheit des Glaubens führte. Die Vernunft des Herzens und nicht eine Wette führte ihn und schaffte ihm die Möglichkeit, Gottes Gegenwart lebendig zu erfahren. Dieser Weg ist auch heute beeindruckend. Aber er ist wohl nicht mehr für alle Christen gangbar, weil unsere heutigen Fragen an und zu Gott noch einmal anders sind. Unser Welt- und Menschenbild, unsere täglichen Erfahrungen mit dem Leid und das Wissen um die Unzulänglichkeit unserer heutigen Sprache, die für Transzendenz verschlossene Lebenswelt, unsere Kenntnis der anderen Religionen und die Gedanken der Aufklärung führen neben anderen Gründen dazu, dass sich viele Menschen vom Christentum abwenden, andere religiöse Formen suchen oder sich nicht mehr für Religion interessieren. Das ist anders als noch zu Pascals Zeiten. Wer dennoch den einzigartigen Wert des Christentums erkennt, wer sieht, wie es die Natur und Kultur verzaubern kann und ihnen eine Leuchtkraft gibt, wer dessen Barmherzigkeit und Nächstenliebe erlebt hat, wird dem Christentum auch heute gern Glauben schenken, auch wenn der Glaube oftmals mit vielen Zweifeln vermischt ist. Wie das konkret aussehen könnte - dazu könnte uns ein heutiger Blaise Pascal wohl Anregungen geben.

Werner Trutwin, Dr. theol. h.c., Oberstudiendirektor, hat Schulbücher für den Religionsunterricht und Werke über das Christentum und die Weltreligionen verfasst, Bonn.

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