LeserdebatteAbschied vom „Arbeiter im Weinberg“

Der Tod Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. bewegt die Gläubigen. Eine Auswahl Ihrer ganz persönlichen Erinnerungen, Gedanken und Nachrufe.

Ich habe Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. vor allem in seinen Jesus-Büchern kennengelernt, die mich in meiner Glaubensentwicklung geprägt haben. Für mich sprach aus den Büchern eine Spiritualität, die sich an Jesus als dem Christus orientiert und von ihm aus versuchte, die Welt zu deuten. In der Hinsicht nahm ich ihn in der Tat als bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn wahr, wie er sich nach seiner Wahl selbst bezeichnete. Ein Papst, dem ein Amt zufiel, das er nicht wollte – hier musste es zu Widersprüchen, Ambivalenzen und vielleicht auch Eitelkeiten kommen.

Benedikts Rücktritt 2013 scheint nicht zu seiner triumphalistischen Theologie zu passen. Die Tragweite dessen war ihm sicherlich bewusst. Auch dass er damit Glanz vom Papsttum genommen hat. Ich frage mich: Ist an diesem Punkt sein theologisches Konzept gescheitert oder sein Selbstverständnis als „einfacher Arbeiter“ aufgegangen? Ich weiß es nicht. Für mich bleibt am Ende ein faszinierender Theologe, der, ob er es wollte oder nicht, konservativ in seinen Überzeugungen, aber irgendwie auch modern in seinem Amtsverständnis war.

Niklas Sobotka, Köln

Die Nachrufe im CIG unterscheiden sich wohltuend von den vielen Lobeshymnen, was für ein herausragender Theologe und Glaubenslehrer der Ratzinger-Papst gewesen sei. Es stimmt ja schon, dass er ein glänzender Denker und Formulierer war, ein Ästhet der Sprache. Aber ein großer Glaubenslehrer? Man muss das Ergebnis dieser Glaubenslehre bedenken, die real existierende Misere der römischen Kirche, an der so viele leiden. Oliver Wintzek hat die Theologie Ratzingers sehr ruhig und sehr sachlich, ohne Polemik, aber gründlich analysiert. Und sein Urteil ist sehr konsequent: „Eine solche vor der Wirklichkeit beschützte Theologie ist nicht nur aus der Zeit, sondern gewissermaßen auch aus der Welt gefallen.“ Wie wahr und wie fatal.

Leopold Glaser, Breisach

Eine Würdigung der Persönlichkeit Joseph Ratzingers/Benedikts XVI., seines Lebens und seiner Rolle in wichtigen historischen Prozessen in der katholischen Kirche ist fraglos angebracht. Nicht angebracht erscheint mir das vorbehaltlose Zitieren der behaupteten letzten Worte „Jesus, ich liebe dich“. Erzbischof Schick hatte nach seinem letzten Besuch bei Joseph Ratzinger im November bereits berichtet, dass dieser nicht mehr in der Lage sei, zu sprechen. Möglicherweise dient dieses Zitat also der Legendenbildung und unterstützt gewisse konservative Kreise, die für den Verstorbenen santo subito fordern. Ein weiteres Verlagern der Diskussion auf Nebenschauplätze, um sich nicht der Realität stellen und der Arbeit an den wirklichen Problemen der katholischen Kirche widmen zu müssen.

Barbara Steffan, Frankfurt

Ich habe den jungen Theologieprofessor Ratzinger Anfang der 60er Jahre an der Uni Bonn gehört. Damals berichtete er begeistert vom Zweiten Vaticanum und hatte unsere Sympathie. Hans Küng holte ihn dann Mitte der 60er Jahre nach Tübingen in der Annahme, er fände einen Mitstreiter für kirchliche Reformgedanken. Küng war für uns Studenten und Studentinnen der unbestrittene Star im Fach Dogmatik. Wie er vom Konzil berichtete, empfanden wir als mutig und zukunftsweisend. Neben ihm hatte es Ratzinger nicht leicht. Wir setzten ihm zu, indem wir ihm in Seminaren vorwarfen, sehr einseitig Stellen aus dem Neuen Testament für sein dogmatisches Gebäude heranzuziehen. Wir wiesen ihn öfter auf andere Aussagen in der Bibel hin, die er auch berücksichtigen müsse. Dann reagierte Ratzinger erstaunlich hilflos. Er konnte nicht mit uns argumentieren, sondern beklagte sich nur, dass er in Bonn als zu fortschrittlich gegolten habe und nun in Tübingen als zu konservativ. Wie er dann so dastand, offensichtlich überfordert, tat er mir direkt leid.

Dr. Dietlind Langner, Weilburg

Es ist eindeutig, dass mit dem Tod Joseph Ratzingers etwas zu Ende gegangen ist. Doch worin wird das Neue, die Alternative bestehen? Ist eine Form von Theologie denkbar, die sich zu neuen Ufern aufmacht? (Leser Klaus Beurle)

Ich schlage heute noch immer wieder die Einführung in das Christentum von Joseph Ratzinger auf und lese darin nach. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Zeit unmittelbar nach dem Konzil. Einfach schade, dass Ratzinger sich nicht mit Hans Küng versöhnen konnte. Das wäre barmherzig gewesen, ganz wie der Philosoph André Compte-Sponville die Barmherzigkeit rein weltlich und nüchtern definiert, ohne theologische Überhöhung. Und eine solche Versöhnung wäre für uns alle ein großes und glaubwürdiges Vorbild gewesen. Leider eine verpasste Gelegenheit.

Martin Oberholzer-Riss (auf cig.de)

Trotz sicher besten Willens: Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. kam bei vielen Menschen emotional einfach nicht an. Dafür war er wohl zu „entweltlicht“, seine Schriften meist zu lebensfern, rückwärtsgewandt und pessimistisch. Man kann nicht im 20. Jahrhundert so reden wie in früheren Jahrhunderten, sagte Karl Rahner einmal treffend. Die von ihm in Deutschland durchgesetzten Berufungen seiner Schüler auf Bischofssitze erwiesen sich oft als nicht segensreich. Ratzinger war (was ja nicht schlecht ist) ein typischer Gelehrter, aber kein Hirte. Wäre er auch in seinem eigenen Interesse nicht besser an der Uni geblieben?

Gunther Britz, Saarwellingen

Joseph Ratzingers Wahl zum Papst habe ich seinerzeit ehrlich gesagt mit Erschrecken zur Kenntnis genommen, mich danach aber bemüht, ihm einen „Vorschuss an Sympathie“ zu geben. Trotzdem bin ich nie warm geworden mit ihm. Jede Form von Gewissheit und Triumphalismus in Glaubensdingen ist mir suspekt. Es ist tragisch, dass hohe Intelligenz anscheinend nicht davor schützt, die Relativität aller Wahrheitsansprüche zu erkennen. Für mich war das Theologie im Elfenbeinturm, aber nicht für konkrete Menschen vor Ort. Zu genau denen aber ist Jesus gegangen... Ich habe den Eindruck, dass sich rund um Benedikts Pontifikat die Gräben in der Kirche deutlich vertieft haben. Die Durststrecke für die Reformer dauert nun schon sehr lange – zu lange, denn sogar ich als eine Person „aus der Mitte der Gemeinde“ überlege zeitweise, ob das meine Kirche bleiben kann.

Bettina Freitag, Köln

Der Mensch, Theologe und Würdenträger Joseph Ratzinger möge in Frieden ruhen. Seine vielfach gerühmte Theologie bleibt – und bleibt damit auch im Diskurs. Ihr Kern besteht in der These, der Glaube, der sich auf jene ewige, göttliche Wahrheit gründet, die in der Bibel und in der Tradition der katholischen Sukzession enthalten ist, sei vernünftig. Damit wird nicht nur ein statisches Weltbild behauptet, dem sich alle geschichtlichen, theologischen und politischen Entwicklungen unterzuordnen haben. Es wird auch behauptet, diese ewige Wahrheit sei zweifelsfrei erkennbar. Diese Theologie steht auf kunstvoll gearbeiteten, aber brüchigen Stützen. Ist Gott in Jesus Mensch geworden, um seine römischen Statthalter der Wahrheit zu installieren? Oder um den Armen, Unterdrückten, Sündern, Andersdenkenden seine Liebe zu zeigen und sie zum ewigen Gastmahl einzuladen?

Christian Haubner-Reifenberg, Steine

Bei aller zu würdigenden Lebensleistung von Joseph Ratzinger bleiben auch für mich nach seinem Tod viele Fragen offen. Auch er hat die Reform der katholischen Kirche nicht vorangetrieben, sondern eher wieder mittelalterliche Züge ans Tageslicht gezerrt. Kirchengesetz und Dogmen waren stets wichtiger als alle Not und Hilfeschreie aus der Welt. Vertan wurde die Chance auf eine Annäherung an die evangelischen Kirchen und genauso eine nachhaltige Verständigung mit Juden und Muslimen und kolonisierten Urvölkern Lateinamerikas. Zehntausende Priester haben seit dem Konzil ihr Amt aufgegeben. Der Nachwuchs an Priestern, aber auch an Ordensleuten, Schwestern und Laienbrüdern hat abgenommen. Resignation und Frustration breiteten sich im Klerus und gerade unter den aktivsten Kirchenmitgliedern aus. Benedikts Rücktritt vor zehn Jahren war so gesehen ein Segen. Leider hat er es versäumt, aus dem Vatikan auszuziehen, sondern ist in ein ehemaliges Klostergebäude eingezogen, um seinem Nachfolger über die Schulter schauen zu können.

Heinrich Lutz, Weil der Stadt

Es ist eindeutig, dass mit dem Tod Joseph Ratzingers etwas zu Ende gegangen ist. Doch worin wird das Neue, die Alternative bestehen? Ist eine Form von Theologie denkbar, die nicht „zum Ideenhimmel des ewig Gültigen“ aufblickt, sondern sich der Faktizität der Gegenwart stellt und sich zu neuen Ufern aufmacht?

Klaus Beurle, Würzburg


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