Katechese bildet KircheKein Kinderkram

Katechese ist Kinderkram. Sie zielt angesichts von Erstkommunion und Firmung vor allem auf Kinder und Jugendliche. Schon für über das Allernotwendigste hinausreichende Taufgespräche bleibt kaum Zeit. Auch für die pastorale Entwicklung der Kirche ist das fatal.

Erst kürzlich hat Bernd Lutz noch einmal darauf aufmerksam gemacht: „Solange sich die Katechese … primär auf Kinder und Jugendliche und deren Familienumfeld beschränkt, wird mit Kindern und Jugendlichen eingeübt, was die Erwachsenengemeinde nicht lebt. Deutlicher kann man nicht zum Ausdruck bringen, dass das, was in der Katechese vermittelt wird, spätestens für ein Leben als Erwachsener irrelevant ist.“ Sollen aber Erwachsene in den Blick genommen werden, herrscht nicht selten Ratlosigkeit. Wo lassen sich katechetische Anlässe unabhängig von Kinder- und Jugendbiographien finden? Menschen ansprechen? Dass die Katechese Erwachsener die eigentliche Form der Katechese ist, wie dies nicht zuletzt kirchliche Dokumente immer wieder betonen, wird durch die Praxis Lügen gestraft. Katechese ist Kinderkram – und das ist ein Problem.

Ein heimliches Curriculum

Kinderkram – das ist damit nämlich so etwas wie ein hidden curriculum, ein heimlicher Lehrplan der Katechese. Heimliche Lehrpläne sind vor allem aus der Schule bekannt. Dort bezeichnet der Begriff des heimlichen Lehrplans ein Ensemble an Verhaltensweisen, Erwartungshaltungen und sozialen Konventionen, die den Schulalltag regeln und bestimmen. Dieser heimliche Lehrplan ist oft viel wirkmächtiger als das offizielle Curriculum. Wie man sich als Schülerin, als Schüler verhalten muss, um im Schulalltag zu überleben, lernen Kinder relativ rasch – und verlernen es als Erwachsene kaum.
Bleibt Katechese Kinderkram, verhindern die damit verbundenen Erwartungshaltungen und Relevanzvermutungen ein religiöses Lernen, das von Erwachsenen als sinnvoll und sinnstiftend erfahren wird. Die Frage nach der Erwachsenenkatechese ist deshalb eine Frage nach der Katechese insgesamt. Sie muss vielerorts völlig neu entdeckt werden.

Glauben weitergeben – top down?

Zu allem Überfluss erinnert Katechese immer noch oft und viel zu sehr – an Schule. Und das nicht nur in Form von Arbeitsblättern und anderen Lernarrangements, bei denen nur zu offenkundig eine schulische Didaktik Pate stand. Sondern auch in Form von Lehrintentionen und -erwartungen, die in der Schule längst überwunden sind. Hier sind Formen selbst organisierten, von Lehrerinnen und Lehrern vor allem moderierten Lernens längst üblich.
Dagegen finden sich immer noch Erwartungen an die Katechese, die von top down formatierbaren Lernsettings, von einem einlinigen Lehr- Lern-Prozess ausgehen. Und das auf allen Ebenen: Ein gutes Beispiel für ein solches Verständnis von Katechese ist etwa der Brief vom 14. April 2012, den Benedikt XVI. den deutschen Bischöfen schrieb. Darin mahnte er Katechesen an, durch die „die Bischöfe ihren Priestern wie durch sie ihren Gläubigen konkret verständlich machen müßten, worum es geht“ – gemeint ist die Neuübersetzung des „pro multis“ bei den Wandlungsworten der Eucharistiefeier. Und im Hintergrund steht nur zu deutlich das Konzept einer top down zu organisierenden Informationsweitergabe. Ähnliches lässt sich für manche Bestrebungen zu einem Ehekatechumenat feststellen, die primär das katholische Eheverständnis vermitteln wollen – Teilnahmepflicht um den Preis der kirchlichen Trauung. Und noch immer gibt es Kinderkatechesen, die der Einfachheit halber gleich in schulischen oder schulartigen Klassenräumen durchgeführt werden: mit Tafel und Lehrerpult als Lehrautorität imaginierenden Helfern. Oder aber – auch das ist leider immer noch vielerorts möglich – erhalten ehrenamtliche Katechetinnen und Katecheten Musterkatechesen, die der Reihe nach abgespult werden sollen – (Kinder-)Antworten inklusive. Eine ernsthafte oder wenigstens lebendige Auseinandersetzung findet nicht statt. Sie scheitert an den Fähigkeiten der oberflächlich instruierten, pädagogisch und theologisch zuweilen völlig überforderten Erwachsenen.
Dass die Trennung von Religionsunterricht und Katechese, hierzulande seit mehr als vierzig Jahren etabliert, eine methodische und didaktische, aber auch eine räumliche Befreiung der Katechese ermöglicht: leider viel zu oft Fehlanzeige! Man mag beinahe von fast zwei vertanen Generationen sprechen. Denn immer noch wird Katechese viel zu oft und viel zu sehr als Glaubensweitergabe oder Glaubensvermittlung begriffen, in deren Zentrum Inhalte, nicht Menschen stehen. Dieses Vermittlungsdenken ist stark und verführerisch: Es stabilisiert nämlich die Rolle der Vermittelnden ebenso wie die der Sache. Den Adressatinnen und Adressaten bleibt dagegen kaum Raum. Unter der Hand gerät die Katechese zur autoritativen Instruktion und zum Vehikel des Klerikalismus. Kein Platz hingegen bleibt für die Vagheiten, die Verunsicherungen und die Deutungsnot, die das Einlassen auf die Sache des Glaubens heute mitbringt.

Katechese und die Sache des Glaubens

Was aber ist die Sache des Glaubens? Kann man den, kann man das Glauben überhaupt lernen? Dass man die Frage auf mehrere Weise stellen muss, zeigt bereits etwas von der Schwierigkeit dieser Sache. Dabei ist die katholische Antwort meist und vielleicht zu selbstgewiss ein ganz undifferenziertes: „Ja“ – wenn auch unter pneumatologischem Vorbehalt. Wenn, weil und wo der Geist wirkt, ist Glaube lernbar. Das gilt namentlich – in der seit dem hl. Augustinus geläufigen Unterscheidung – für die fides quae, die Glaubensinhalte. Sie zu kennen sei wichtig, um zu wissen, worauf man sich überhaupt einlasse.
Und doch ist das nur die halbe Wahrheit. Ohne eine den Inhalten ihren spezifischen Sinn gebende Praxis, ohne die fides qua, ohne individuelle und gemeinschaftliche Glaubensvollzüge bleiben die Inhalte oft unverständliches, bestenfalls intellektuell herausforderndes Glasperlenspiel. Der Glaube und sein Lernen braucht das Glauben, braucht die Praxis des Glaubens.
Und die ist eine wesentlich kirchliche, gemeinschaftliche Praxis. Die Sache des Glaubens geht nicht ohne die Kirche, das Lernen des Glaubens ist immer ein Lernen der Kirche. Das gilt für die Kirche als Ganze wie in ihren Teilen, den (Pfarr-)Gemeinden und Gruppen. Vermittlungsdenken verbietet sich da von selbst, geht es doch darum, als Kirche und in der Kirche die Botschaft und Bedeutung des Evangeliums immer wieder neu verstehen zu lernen, ihre Bedeutung zu entfalten und zu leben.
Dass das nottut, ist eigentlich offenkundig und muss doch in Erinnerung gerufen werden. Viel zu selten wird bis heute das Lernen der Kirche als zentrales Merkmal der Katechese begriffen und noch viel seltener in die Tat umgesetzt. Dabei hatte Paul VI. in der richtungweisenden Enzyklika Evangelii nuntiandi bereits 1975 betont, dass die Kirche als Ganze beginnen müss, „sich selbst zu evangelisieren“ (EN 15). Die Sache des Glaubens macht 7 die Katechese zum Lernen in der und der Kirche.

Kirchliches Lernen

Katechetisches Lernen ist kirchliches Lernen. Sein Profil lässt sich deshalb von den Grundfunktionen der Kirche, im Zeugnis, im Dienst am Nächsten, in der Feier der Gegenwart Gottes und in der Gemeinschaft zu leben, her bestimmen. Diese vier Handlungsdimensionen helfen, die Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums wahrzunehmen, zu verstehen und zu deuten. Sie unterstützen alle Lernenden, mehr in Beziehung zu Jesus Christus zu gelangen, Mitmenschen Jesu Christi zu werden. Und sie gestalten Kirche als Sakrament für das Heil aller Menschen.
Kirchlichkeit bildet das Profil und den Lernraum der Katechese: von schulischem Lernen deutlich unterschieden und alles andere als Kinderkram. Denn gerade der ekklesiale Lernraum ist nicht einfach schon da, sondern muss für den und im Lernprozess hergestellt und gestaltet werden. In ihm soll ja schon erfahrbar sein, was Begegnung und Nachfolge Jesu bedeuten. Deshalb ist die Frage des Lernraums weniger eine nach Gebäuden und Orten als eine nach den Menschen. Aus der inklusiven Pädagogik weiß man: Haltungen, Handlungen und Strukturen eröffnen Lernräume. Durch sie können Erfahrungen in der Nachfolge Jesu ermöglicht, Gesprächsanlässe und Deutungen eröffnet werden. Und nichts anderes ist Katechese. Katechetinnen und Katecheten sind Möglichmacher eines gemeinsamen Lernprozesses – und bleiben darin selbst Lernende!
Solche Katechese bildet Kirche. Sie schafft Erfahrungsräume, in denen das Evangelium heute Gestalt gewinnt, weil Menschen ihrer Taufberufung Raum geben können.

Katechese meint alle – und fängt bei mir an

Und das ist kein Kinderkram, sondern eine durch und durch erwachsene Aufgabe! Es ist sogar zunächst eine Aufgabe und Herausforderung für Amtsträger und Hauptamtliche in Pastoralteams, für Katechetinnen und Katecheten, für Menschen also, denen in der Kirche und damit auch für die Katechese eine besondere Aufgabe übertragen worden ist. Katechese beginnt nicht bei den Anderen, sondern bei mir selbst.
Katechese ist die Gestalt einer lernenden, sich selbst evangelisierenden Kirche. Eine ernste Angelegenheit: Sie leitet einen Prozess der Neuorientierung, des Umdenkens, der Metanoia an. Eine Form des Miteinanders: des Hörens, des Gesprächs, des Erfahrens und Deutens. Eine Praxis: in ihr entsteht und entwickelt sich Kirche. Top down funktioniert Katechese nur in einer Hinsicht: Dass nämlich die ersten Adressaten der Katechese nicht vermeintlich „Fernstehende“, sondern diejenigen in der Verantwortung sind. Gerade Verantwortliche in der Gemeindeleitung sollten lernen, sich selbst als Lernende des Glaubens zu erleben, die nach neuen Wegen, ihn heute zur Sprache zu bringen und ihm Gestalt zu geben, suchen. Sie müssen den Glauben lernen (wollen), seine Veränderungsimpulse wahrnehmen (wollen), eingefahrene Pfade verlassen (wollen).

Erfahrungen ermöglichen und Sprache finden

Das hat Folgen für die Gestalt katechetischen Lernens. Es geht um Erfahrungen mehr als um Informationen. Es geht um Suchbewegungen, bei denen Ziele, und um Fragen, bei denen die Antworten noch nicht feststehen: Wie kann das Evangelium heute – und morgen – gelebt werden? Wie ist die Begegnung mit Jesus heute – und morgen – möglich, und was bedeutet sie für jeden Einzelnen? Wie kann von dieser Begegnung so gesprochen werden, dass die Rede von Jesus relevant und bedeutsam bleibt? Und was muss getan werden, um Menschen, Kultur und Gesellschaft zu heiligen?
Wege und Hilfestellungen, in das oft lange vernachlässigte Gespräch zu finden, gibt es: Etwa in Gestalt der „Fragen-Box zum Glauben-Lernen für alle“, herausgegeben von der Hauptabteilung Seelsorge im Bistum Münster, oder in Form der vom Diözesanrat der Katholiken im Bistum Hildesheim herausgegebenen Arbeitshilfe „Inklusion. Räume ohne Barrieren“, die eine ausgezeichnete Vorlage der Evangelischen Kirche im Rheinland (https://www.ekir.de/ pti/Downloads/Da-kann-ja-jederkommen. pdf) für katholische Pfarrgemeinden adaptiert. Allen genannten Arbeitshilfen ist gemeinsam: Ihre ersten Adressaten sind die Menschen in Verantwortung. Und sie helfen, aus dem Sprachmodus pastoraler Planung und alltäglicher Kommunikation in den Modus existentiellen, ehrlichen Engagements zu finden und die alltägliche Sprachnot des Glaubens allmählich zu überwinden.
In solcher Katechese läge die Erfahrung von Selbstwirksamkeit beschlossen. Sie verändert Menschen, Kirche und Gesellschaft auf das Reich Gottes hin, das alle einlädt. In Zeiten kirchlicher und gesellschaftlicher Veränderungen ist das dringender denn je: Katechese lädt ein, selbst zu gestalten und nicht gestaltet zu werden. Aber die Aufgabe ist anspruchsvoll. Denn sie verlangt den Abschied von überkommenen, bevormundenden Kinderkram-Katechesen. Sie verlangt die Fähigkeit, sich verunsichern zu lassen und mit Ambiguitäten umzugehen. Sie verlangt – und ermöglicht – Freiheit in kirchlicher Gemeinschaft. Genau deshalb ist sie erwachsene Katechese.

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