Impulse für PfarrgemeindenNachhaltigkeit wagen

Die Enzyklika Laudato si’ ist ein Meilenstein. Erstmals setzt sich ein Papst umfassend mit den ökologischen Herausforderungen der Gegenwart auseinander. Diese sieht Franziskus allerdings nicht nur auf der Ebene der Bewahrung der Schöpfung. Vielmehr lenkt er den Blick auf den Zusammenhang von Ökologie und sozialen Fragen, von Umweltschutz und dem Kampf gegen Armut und Unterdrückung. Damit öffnen sich für Glaubende und Gemeinden vor Ort in ihrem Engagement für die Umwelt und den Menschen neue Perspektiven.

Laudato si᾽ ist das erste Nachhaltigkeitsschreiben eines Papstes. Es setzt sich ausdrücklich mit den Themen Umwelt, Klimawandel und Ressourcenverbrauch auseinander und stellt sich der ökologischen Herausforderung der Gegenwart. Aber Laudato si᾽ will mehr. Aus Sorge um den Oikos, das „gemeinsame Haus“ (LS 2) aller Geschöpfe, nimmt der Papst das Ganze des Lebens in den Blick. So geht Franziskus weit über die traditionelle Mahnung zur Achtung der Schöpfung hinaus. Der Papst ist zutiefst überzeugt, dass in der Welt „alles miteinander verbunden ist“ (LS 16): Umweltverschmutzung (LS 20–22) und mangelnde Lebensqualität (LS 43–47), Verlust der biologischen Vielfalt (LS 32–42) und soziale Ungerechtigkeit (LS 48–52) sind untrennbar aufeinander bezogen. So kann Franziskus in seinem Rundschreiben betonen: der „Schrei der Natur“ (LS 117) und die „Gerechtigkeit gegenüber den Armen“ (LS 10) stehen in enger Verbindung. Laudato si᾽ wagt deshalb den Spagat. Ausgehend von der Rede einer „ganzheitlichen Ökologie“ (LS 137) will es die Basis für einen gerechten Umgang mit der Umwelt wie dem Menschen legen. Laudato si᾽ muss vor diesem Hintergrund als eine ökologisch unterfütterte Sozialenzyklika gelesen werden. Ihr Tenor: Ein ökologisch nachhaltiges Leben ist nur zu haben, wenn es zugleich ein Leben ist, das allen zugutekommt. Auch und gerade den Armen, für die „Bio“ oder „Öko“ erst einmal nur purer Luxus bedeuten.

Das Konzept Ganzheitlichkeit

Deshalb stellt die Botschaft von dem einen, gemeinsamen Lebenshaus, das ganze menschliche Leben und Handeln auf den Prüfstand – sowohl den Umgang mit der Natur, mit dem Lebendigen und dem Unbelebten, wie auch die gängige Vorstellung von wirtschaftlichem Wachstum und Fortschritt. Etwas plakativ formuliert: Das gegenwärtige Wirtschaften, vor allem der westlichen Welt, ist in den Augen des Papstes ein ausbeuterisches Wirtschaften und steht dementsprechend per se gegen Mensch wie Natur. Es beachtet zu wenig die Bedürfnisse der Schöpfung wie auch der Menschen, die nur wenig oder gar nicht an den Erträgen der Wirtschaft beteiligt sind. Papst Franziskus macht deutlich: Einerseits schädigt ein nicht nachhaltiges, ausbeuterisches Wirtschaften die Natur, wie es auch andererseits die meisten Menschen der Erde sozial wie wirtschaftlich an den Rand drängt.
Laudato si᾽ ist deshalb auch ein zorniges Schreiben. Der Papst kritisiert ungeschminkt gierige Unternehmen und die freien Kräfte des Marktes, die „jetzige Wirtschaft“ (LS 109) und das „aktuelle globale System“ (LS 56). Konkret benennt Franziskus die Grundlagen dieses mensch- wie naturzerstörenden Systems: überzogene Gewinnorientierung, unkontrollierbare Technisierung, zerstörerisches Wachstum (LS 195).
Als eine zentrale Wurzel der ökologischen Krise betrachtet der Papst die „große anthropozentrische Maßlosigkeit“ (LS 116) der Moderne. Dagegen stellt Papst Franziskus fest: „Wenn sich der Mensch für unabhängig von der Wirklichkeit erklärt und als absoluter Herrscher auftritt, bricht seine Existenzgrundlage selbst zusammen“ (LS 117). Und er fährt fort: „Es wird keine neue Beziehung zur Natur geben ohne einen neuen Menschen. Es gibt keine Ökologie ohne eine angemessene Anthropologie“ (LS 118).
Wenn wir gleichzeitig die Armut bekämpfen und die Umwelt bewahren wollen, müssen wir uns Franziskus zufolge neu mit der Umwelt, den Armen und auch zukünftigen Generationen in Beziehung setzen. In Beziehung setzen und bleiben ist der Kern einer „ganzheitlichen Ökologie“ (LS 137) als der zentralen Leitidee der Enzyklika.

Unbequeme Botschaften

Die Kernbotschaft der Enzyklika ist unbequem. Gerade für die Menschen, Unternehmen und Regierungen der westlichen Welt. Denn der Papst kritisiert das „abgeschottete Bewusstsein und die Selbstbezogenheit“ (LS 208) von Menschen als eigentliches Übel aller ökologischen wie sozialen Probleme. Die Rede von einer „ökologischen Schuld“ (LS 51) unterstreicht das. Sie entsteht auch durch den ungebremsten, unfairen und rücksichtslosen Zugriff des Nordens auf die Rohstoffe des Südens. Demgegenüber fordert der Papst eine „nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen“ (LS 191). Das ist gleichbedeutend mit einer Absage an den bisherigen Lebensstil gerade der reichen Industrienationen und des wohlhabenden Teils der Menschheit. An die Stelle gnadenloser Ausbeutung und Schädigung der Umwelt, an die Stelle einer globalen „Wegwerfkultur“ (LS 20), muss ein neuer menschen- und schöpfungsfreundlicher Lebensstil treten. Der Papst spricht hier von der „ökologischen Umkehr“ (LS 216), die Teil einer umfassenden ökologischen Erziehung und Spiritualität ist. Sie baut auf das „Bewusstsein des gemeinsamen Ursprungs, einer wechselseitigen Zugehörigkeit und einer von allen geteilten Zukunft.“ (LS 202)

Soziale und individuelle Praxis

Wie sieht diese ökologische Umkehr, diese neue ökosoziale Beziehung aus? Sie realisiert sich auf zwei Ebenen: Der gesellschaftlichen und der individuellen Ebene.
Laudato si᾽ ist ein Frontalangriff auf die westlichen Gesellschaften. Denn es ist, so der Papst, unmöglich „das gegenwärtige Konsumniveau der am meisten entwickelten Länder und der reichsten Gesellschaftsschichten aufrechtzuerhalten“ (LS 27). Das heißt: In sozialer Hinsicht muss sich Gesellschaft wandeln, muss zu einer „ökologischen Kultur“ (LS 111) finden. Die Kritik des Papstes an mangelhaften Fortschritten im Bereich des Klimaschutzes (LS 169) und an der „Internationalisierung von Umweltkosten“ (LS 170) oder den Handel mit Emissionszertifikaten (LS 171) macht deutlich, dass der Papst hier Institutionen, Staaten, Regierungen und Unternehmen in die Pflicht nimmt. Er mahnt eine Orientierung am Prinzip des Gemeinwohls an (LS 156).
Der Papst nimmt in Laudato si᾽ aber auch das konkrete Handeln jedes Menschen in den Blick. Er fordert zu „einer tiefgreifenden inneren Umkehr“ (LS 217), einer „persönlichen Verwandlung“ (LS 211) auf. Gerade der „Konsum-Mechanismus“ muss überwunden werden, denn durch diesen „versinken die Menschen […] in einem Strudel von unnötigen Anschaffungen und Ausgaben“ (LS 203). Stattdessen schlägt der Papst eine ökologische Spiritualität vor. Diese wird, so hofft der Papst, zu einem anderen „Verständnis von Lebensqualität“ führen und einen „prophetischen und kontemplativen Lebensstil“ (LS 222) hervorbringen. Ein solcher Lebensstil beinhaltet nicht nur einen sorgsameren Umgang mit der Natur, sondern entspricht auch einer „universalen Geschwisterlichkeit“ (LS 228) aller Menschen.

Konkretionen nachhaltigen Handelns

Von Umwelt reden ist das eine. Konkrete Maßnahmen zu ergreifen das andere. Dafür liefert die Enzyklika Laudato si᾽ eine Fülle von Anregungen. Schon der Aufbau des Textes lädt zum Handeln ein. Denn das päpstliche Schreiben orientiert sich am Dreischritt der Christlichen Soziallehre: Sehen (LS 17–61), Urteilen (LS 62–162) und Handeln (LS 163–246). Für die konkrete Praxis orientiert sich der Papst dabei an der zentralen Frage: „Welche Art von Welt wollen wir denen überlassen, die nach uns kommen, den Kindern, die gerade aufwachsen?“ (LS 160) Kurz: Es geht um die Frage der Nachhaltigkeit, um ein langfristig orientiertes Handeln, um ein Handeln, das die Rechte aller berücksichtigt und Verantwortung für Mensch wie Natur wahrnimmt. Auch wenn der Papst hier vor allem Regierungen und große Organisationen in den Blick nimmt (LS 163–201), so ergeben sich auch für die konkrete Pfarrgemeinde vor Ort vielfältige Handlungsmöglichkeiten. Im Folgenden sollen einige Ideen dazu ausbuchstabiert werden.
Ein zentrales Thema der Enzyklika Laudato si᾽ ist der Klimawandel und seine Auswirkungen auf Natur und Mensch. Deshalb fordert Papst Franziskus einen neuen Umgang mit globalen Gemeinschaftsgütern (LS 23, 174).

  • Eine umweltgerechte, ökologische Zukunft kann in einer Pfarrei an ihrem Umgang mit Gebäuden und dem anfallenden Ressourcenverbrauch sichtbar werden. Möglich wäre es zudem, ein Umweltmanagementsystem (nach EMAS) einzuführen. Erfahrungen zeigen, dass mit finanziell geringem Aufwand der CO2-Verbauch radikal gesenkt werden kann. Veranstaltungen können zudem klimaneutral umgesetzt werden. Das heißt beispielweise: Den CO2-Verbauch beim Pfarrfest berechnen, minimieren und als Ausgleich Bäume in der Gemeinde pflanzen.
  • Gerade beim Einkauf für Feste und Feiern lässt sich umweltbewusst agieren. Das fängt dabei an, auf Einweggeschirr zu verzichten, geht über den regionalen Einkauf für das Pfarrfest und kann darin münden, dass der Pfarrsaal nur unter Auflagen an Festgesellschaften vermietet wird: So könnten Mieter verpflichtet werden, nur Transfair- Kaffee auszuschenken.
  • Auch die Organisation von Reisen, Pilgerfahrten oder Ausflügen mit den Kommunionkindern kann Anlass sein, umweltverträglich zu handeln. Zug statt Privat-PKW heißt das Motto. Die Teilnahme an der Aktion Autofasten, Bikein- Gottesdienste oder auch die Bildung von Fahrgemeinschaften zum Gottesdienstbesuch könnten echte Akzente auch in der Gesellschaft setzen.
  • Eine oft unbeachtete zentrale Ressource ist das Trinkwasser. Der Zugang zu sicherem Trinkwasser ist aber, so der Papst „ein grundlegendes, fundamentales und allgemeines Menschenrecht“ (LS 30). Durch Gewinnung und Nutzung von Regenwasser für Gebäude, durch eine neue Sensibilisierung für den Wert des Wassers können Gemeinden umweltschonend handeln und Zeichen der Solidarität mit allen Menschen setzen.
  • Mit seiner radikalen Konsumkritik stößt Laudato si᾽ auch eine gründliche Überprüfung kirchlichen Wirtschaftens an. Denn wenn der Papst die Änderung des Lebensstils fordert, denkt er nicht nur an eine private Spiritualität. Er sieht vielmehr die Möglichkeit, einen „heilsamen Druck“ (LS 206) auf diejenigen auszuüben, die politische, wirtschaftliche oder soziale Macht besitzen.
  • Wie das geht? Pfarreien können ihre Möglichkeit als Verbraucher wahrnehmen, können Produkte boykottieren, nachhaltige und fair gehandelte Waren bevorzugen.
  • Über neue Formen einer ‚ökologischen Askese‘ können Pfarrgemeinden nachdenken, können überlegen, was an Waren und Ressourcen konsumiert wird und wo auf Wiederverwertung und Recycling (LS 22) gesetzt werden kann. Zu denken ist hier an Projekte, wie die Firmlinge, die in einem Reparatur- Café alte Fahrräder auf Vordermann bringen, oder den Ingenieur, der im Pfarrheim für Flüchtlinge ausrangierte Computer wieder zum Laufen bringt.

Die Achtung der Natur steht in Laudato si’ gleichberechtigt neben der Frage nach dem Umgang mit denen, die in erster Linie unter Konsumwut und Ressourcenwucher leiden: die Armen und alle Menschen, die unter Ungleichheit stöhnen. Papst Franziskus spricht von der „Achtsamkeit gegenüber der Schwäche der Armen“ (LS 214). Sie ergibt sich aus dem „Glauben an Christus, der arm geworden und den Armen und Ausgeschlossenen immer nahe ist“ (Evangelii gaudium 186). Armut und Ungleichheit sind sicher in erster Linie globale Probleme, die Staaten und Regierungen herausfordern. Aber auch hier ergeben sich Handlungsmöglichkeiten vor Ort.

  • Pfarreien können bei der Vergabe von Arbeiten auch auf die Arbeitsbedingungen derer achten, die beschäftigt werden: Sind es Leiharbeiter, werden sie regulär bezahlt, stimmen Sicherheit und Arbeitsschutz auf kirchlichen Baustellen?
  • Zu fragen ist auch, wie die Pfarrei insgesamt mit ihren Beschäftigten umgeht: Mit den Putzfrauen, den Teilzeitkräften im Kindergarten, dem Küster? Mit all denen, die für wenig Geld ganze Arbeit leisten, aber aufgrund ihrer geringen oder geringbezahlten Beschäftigung spätestens im Rentenalter große Probleme bekommen.
  • Pfarrgemeinden können darüber hinaus ganz grundsätzlich überprüfen, inwiefern sie nur um sich und ihre Belange kreisen, die Not anderer aber höchstens durch das Ableisten von Spenden in den Blick nehmen. Papst Franziskus spricht von der Grundhaltung des Sich-selbst-Überschreitens als „Wurzel aller Achtsamkeit gegenüber den anderen und der Umwelt“ (LS 208).
  • Schließlich ist zu beachten: Armut zeigt sich in vielen Formen. Arm können auch Einsame, Verzweifelte, seelisch Geplagte sein. Auch sie gehören zum Gesamt der Schöpfung. Besuchsdienst, Zeit für Gespräche auf der Straße, Aufmerksamkeit für die Not auch derer, die alles haben, das kann auch zum Markenzeichen einer Pfarrei werden.

Laudato si᾽ predigt allerdings keinen blinden Aktionismus. Sich ganzheitlich für das Leben einzusetzen, kann auch heißen, dass in einer Gemeinde ganz bewusst Zeiten der Muße und des Festes ihren Platz haben. Denn nur das Innehalten erlaubt es überhaupt, „die Rechte der anderen zu erkennen“ (LS 237).

Kreativität als Gebot der Stunde

Die Enzyklika Laudato si᾽ lebt von der Hoffnung, „dass sich die Dinge ändern können“ (LS 13) Deshalb ist bei all dem, was Franziskus konkret benennt, ein Motiv zentral: die Einladung zu einem „neuen Dialog über die Art und Weise, wie wir die Zukunft unseres Planeten gestalten“ (LS 14).
Zum Dialog eingeladen sind Regierende und Unternehmen, aber auch jeder Mensch, jeder Glaubende und damit auch jede Pfarrgemeinde. Wie konkret die Zukunft des Planeten bei der Kirche vor Ort aussieht, das kann sich nur in diesem Dialog entfalten, der Kreativität freisetzt und konkretes Handeln finden lässt. Dazu ermutigt Laudato si’ in aller Eindringlichkeit. 

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