Grundlegende Aspekte einer SchöpfungsspiritualitätKopf, Herz und Hand

Eine christliche Schöpfungsspiritualität nährt sich fundamental aus den Prinzipien einer Schöpfungstheologie, so wie sie vor allem auch in der Heiligen Schrift zugrunde gelegt ist. Sie fragt dabei nach der Gestaltung des Glaubenslebens in einer Schöpfung, die dem Menschen geschenkt ist, gleichzeitig aber auch von ihm bedroht wird.

Es schließt auch das liebevolle Bewusstsein ein, nicht von den anderen Geschöpfen getrennt zu sein, sondern mit den anderen Wesen des Universums eine wertvolle allumfassende Gemeinschaft zu bilden. Der Glaubende betrachtet die Welt nicht von außen, sondern von innen her und erkennt die Bande, durch die der himmlische Vater uns mit allen Wesen verbunden hat.“ (LS 220)

Ernstfall der christlichen Spiritualität

Diese Worte von Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato si’ sind wegweisend für die folgenden fünf grundlegenden Aspekte einer Schöpfungsspiritualität. Sprechen wir von einer Schöpfungsspiritualität und versuchen einige grundlegende Aspekte darzulegen, so geht es immer um gelebte und gestaltete Beziehung. Diese ist Kern und Grund christlicher Spiritualität, insbesondere auch einer Schöpfungsspiritualität. Der Mensch ist nicht getrennt von seiner Umwelt und den anderen Geschöpfen, sondern liebevoll mit ihnen verbunden, weil Gott alles miteinander verbunden hat. Daraus resultieren Solidarität, Verantwortung und Liebe. Von daher ist eine gelebte Schöpfungsspiritualität sogar Kern einer gelebten Spiritualität, die sich nicht heraushält, die sich einmischt und ihre Verwirklichung nicht nur im Kirchenraum oder in der persönlich gelebten Frömmigkeit sucht, sondern Stellung bezieht und für das Leben und die Würde aller Geschöpfe eintritt, wo diese bedroht sind. Denn mit allem, was ist und lebt, steht der Mensch in Beziehung, in, wie der hl. Franziskus von Assisi es formulieren würde, verwandtschaftlicher Beziehung. Gilt das Bittgebet als Testfall des Glaubens, so ist die Schöpfungsspiritualität der Testfall christlicher Spiritualität, mehr noch: der Ernstfall. An ihr zeigt sich, wes Geistes Kind der Christ ist. Hier zeigt sich auch die Kultur der Barmherzigkeit: eine Kultur des Teilens und des Gebens, die ihr Wesen gerade dann offenbart, wenn Menschen im Innersten berührt werden von den Ungerechtigkeiten und den Leiden von Mensch und Natur. Eine innere Berührung, die von einer Betroffenheit über die Analyse der Situation hin zur Tat und zum Engagement führt, analog der Erzählung vom barmherzigen Samariter: also vom Kopf über das Herz zur Hand.

In Beziehung leben

In Laudato si’ stellt der Papst sehr deutlich die Gefährdung der Lebensgrundlagen, die weltweite Armut und die soziale Ungerechtigkeit als die zentralen Herausforderungen der Moderne heraus. Noch ist es Zeit zum Handeln, noch ist es nicht zu spät. Er macht deutlich, dass es heute nicht eine Finanzkrise, daneben eine ökologische und womöglich noch weitere andere Krisen gibt. Vielmehr sieht er weltweit eine große sozioökonomische Krise, die zugleich auch eine anthropologische und vor allem auch eine spirituelle Krise darstellt. Der Umgang mit der Schöpfung und die Frage nach der weltweiten Armut, der finanzielle Crash und die große Sehnsucht vieler Menschen heute nach Spiritualität gehören zusammen betrachtet und bedingen einander durchaus. Gerade eine Schöpfungsspiritualität in der Praxis muss mit einer gelebten Verbindung und Beziehung dieser verschiedenen Dimensionen menschlichen Lebens umgehen und Wege finden, wie diese zu leben sind. Eine gelebte Schöpfungsspiritualität kämpft nicht nur für das Leben und die Würde der Schöpfung, sie kämpft auch gegen eine schleichende Gottvergessenheit, die eben dazu führt, dass der Mensch sich als (Be-)Herrscher der Welt fühlt und entsprechend, leider allzu oft unheilvoll, agiert. „Wir können nicht eine Spiritualität vertreten, die Gott als den Allmächtigen und den Schöpfer vergisst. Auf diese Weise würden wir schließlich andere Mächte der Welt anbeten oder uns an die Stelle des Herrn setzen und uns sogar anmaßen, die von ihm geschaffene Wirklichkeit unbegrenzt mit Füßen zu treten. Die beste Art, den Menschen auf seinen Platz zu verweisen und seinem Anspruch, ein absoluter Herrscher über die Erde zu sein, ein Ende zu setzen, besteht darin, ihm wieder die Figur eines Vaters vor Augen zu stellen, der Schöpfer und einziger Eigentümer der Welt ist.“ (LS 75)

Schöpfungsspiritualität – vom angemessenen Umgang mit der Wirklichkeit

Eine Schöpfungsspiritualität hat es mit der Welt zu tun, wie sie ist, sein sollte und könnte. Sie geht von der Tradition, von den Realitäten aus und lenkt ihren Blick in die Zukunft. Insofern ist eine Schöpfungsspiritualität vor allem zunächst eine Schule der Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, die ihren Blick auf den angemessenen Umgang mit der Wirklichkeit lenkt. Die Schöpfung ist eine von Gott geschaffene Wirklichkeit. Aufgrund der christlichen Tradition, vor allem der in der Bibel sehr positiven Perspektive auf Schöpfung und Welt, und des Umgangs des Menschen mit Welt und Schöpfung, ist eine sehr wichtige erste Perspektive, um den angemessenen Umgang mit der Wirklichkeit zu sehen, eine Analyse der Welt, wie sie ist. Schöpfungsspiritualität macht Ernst mit einer umfassenden Analyse der Verflechtungen von Armut, Ausbeutung der Natur und dem Missbrauch der Welt durch den Menschen. Das gilt auf der systemischen Ebene genauso wie auf der persönlichen, sprich für den Lebensstil jedes Einzelnen. Ein von der Schöpfungsspiritualität geprägter Lebensstil zeichnet sich elementar durch den Respekt gegenüber allem aus, was ist, denn alles hat von Gott eine ihm und ihr eigene Würde zugesprochen bekommen. Aus dieser Grundhaltung des Respekts erwachsen dann Tugenden wie Bescheidenheit und Demut, Dankbarkeit, Behutsamkeit, Verzicht, aber auch Freude, Lust am Leben und Solidarität. Gerade in der Beziehung zur Welt zeigt sich, ob es sich um ein bloßes Lippenbekenntnis, oder ob es um ein verantwortetes und wissend- aufmerksames Leben in und mit der Schöpfung Gottes, die uns als Geschenk anvertraut worden ist, handelt. Der Theologe Rosenberg spricht von der politischen Dimension als konstitutivem Bestandteil einer Schöpfungsspiritualität.

Die Inkarnation in Jesus Christus als prägende theologische Grundlage

Christlicher Glaube speist sich aus dem Glauben an die Menschwerdung Gottes. Er ist den Weg des Menschen gegangen bis zum Tod am Kreuz, das nicht das Ende des Lebens, sondern den Grund und die Perspektive der christlichen Hoffnung ausmacht. In der Menschwerdung Gottes umarmt Gott alle Materie, das Fleischliche und die Welt in all ihrer Natürlichkeit und Gegenständlichkeit. Im Gegensatz zu vielen Einflüssen, vor allem auch neoplatonischer Kreise, bejaht das Christentum das Materielle, weil es in der Menschwerdung Christi bejaht und geliebt wird.
Insofern umarmt auch der Christ, der sich auf die Nachfolge Christi macht, die Welt und Geschöpflichkeit von Herzen und aus Liebe. In seiner Enzyklika weist Papst Franziskus immer wieder auf seinen Namenspatron aus Assisi hin. Für Franziskus war das Evangelium die Grundlage seiner radikalen Entscheidung, sein Leben zu ändern. Er wollte Jesus Christus, dem menschgewordenen Sohn, nachfolgen: in Armut, als Minderer Bruder und abhängig allein von Gott, in einem Leben mit den Armen, mit den Menschen und als Verkünder der Liebe Gottes. Die Menschwerdung ist der Weg, dem anderen und der Schöpfung zu begegnen. Es ist die Kontemplation der Welt, wie sie ist, in all ihrer Schönheit, aber auch mit all ihren Wunden und in ihrer Gebrechlichkeit. Der menschgewordene Gott wird Realität für Franziskus in der Schwachheit und Verwundbarkeit der Menschheit und der Schöpfung, so wie er als kleines Kind zur Welt kam und am Kreuz gestorben ist. Durch die Menschwerdung wird die Welt geheiligt, und in der Inkarnation umarmt Gottes Sohn die gesamte materielle Welt. Franziskus hatte von daher einen sehr positiven Blick auf die Welt und Schöpfung, alles trug für ihn die Spuren Gottes, des Schöpfers. Die Schöpfung war für ihn das Sakrament Gottes. Papst Franziskus greift das auf, indem er betont, dass die Liturgie und Feier der Sakramente, insbesondere auch der Eucharistie, die Schöpfung in ihrer Leiblichkeit und Gegenständlichkeit heiligt.

Umkehr

Ein weiteres Element einer christlichen Schöpfungsspiritualität, und hier treffen sich der Papst und sein Namenspatron wiederum in einzigartiger Weise, ist die grundsätzliche Umkehr. Papst Franziskus fordert eine grundsätzliche ökologische Umkehr, die aus der Begegnung mit Jesus Christus erwächst und die die Beziehungen zur Welt zur Blüte bringen soll. „Wir erinnern an das Vorbild des heiligen Franziskus von Assisi, um eine gesunde Beziehung zur Schöpfung als eine Dimension der vollständigen Umkehr des Menschen vorzuschlagen. Das schließt auch ein, die eigenen Fehler, Sünden, Laster oder Nachlässigkeiten einzugestehen und sie von Herzen zu bereuen, sich von innen her zu ändern.“ (LS 218) Eine Umkehr, die auch geprägt ist von einer Versöhnung mit der Schöpfung. Für den Heiligen aus Assisi ist Umkehr ein Schlüsselbegriff seines Lebens. Sein gesamtes Leben war ein kontinuierlicher Umkehrprozess. Fundamental ist sicherlich die Begegnung mit einem Leprosen, als Franziskus selbst noch nicht genau wusste, was er wollte und sich fragte, was der Sinn seines Lebens sein könnte. Nicht, wie in der damaligen Kultur gefordert, macht er einen großen Bogen um diesen Kranken und meidet jedwede Begegnung mit ihm, vielmehr steigt er vom Pferd, geht auf den Leprosen zu, umarmt und küsst ihn. Er umarmt den verwundeten und offiziell für tot erklärten Menschen, gibt ihm seine Würde zurück, indem er ihm auf Augenhöhe begegnet, mehr noch, indem er ihn als eine geliebte Person ernst nimmt. In dieser Begegnung umarmt er das Hässliche und Verletzte, das Gebrochene und Schwache der Welt, gleichzeitig aber auch die Schönheit und einzigartige Würde, die in allem, was lebt, zugrunde gelegt ist. Kurze Zeit später ändert er sein Leben radikal. Er wurde zu einem Liebhaber des Lebens in all seinen Facetten. Sein Leben veränderte sich durch diese Begegnung, wie es sich auch für den Leprosen änderte. In dieser Begegnung zeigt sich, dass gelebte Liebe die Kraft zur Veränderung und Transformation hat. Genau das meint auch gelebte Schöpfungsspiritualität und die ökologische Umkehr, zu der Papst Franziskus auffordert.

Eine Vision haben

Schließlich geht eine Schöpfungsspiritualität von einer Vision aus, der Vision nämlich, dass die Welt für alle ein gerechter und guter Ort sein kann, an welchem alle friedlich und in Harmonie miteinander leben, biblisch gesprochen: „Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten. Kuh und Bärin freunden sich an, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter, das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange. Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie das Meer mit Wasser gefüllt ist.“ (Jes 11, 6–9) Die Schöpfung ist verwundet und seufzt, sie leidet und wird missbraucht und ausgebeutet, doch das ist nicht das letzte Wort. Die Welt kann anders sein. Darin spricht sich auch der Glaube einer creatio continua aus: Gott geht mit und greift ein, nicht zuletzt auch durch Menschen, die, wie der heilige Franziskus, eine liebende Solidarität mit allem Leben und der Schöpfung beispielhaft vorleben und damit allem Geschaffenen die je eigene Würde wiederzugeben vermögen. „Schöpfung besagt mit den Worten des evangelischen Theologen Ton Veerkamp, dass es ‚immer und überall eine Alternative zu allen herrschenden Verhältnissen gibt‘. Schöpfung drückt damit die Hoffnung aus, dass die Welt, die wir alltäglich erleben, auch anders, ganz anders sein könnte: gerechter, menschlicher und lebensfreundlicher. Schöpfung baut darauf, dass unsere Erde tatsächlich als gemeinsamer Wohnort für alle Menschen gestaltet werden kann. (...) Schöpfung ist als Utopie damit gegenwartskritisch.“ (Andreas Benk, Schöpfung – eine Vision von Gerechtigkeit. Was niemals war, doch möglich ist, Ostfildern 2016, 243f.) Aus dieser gegenwartskritischen Perspektive und dem Glauben an eine bessere und gerechtere Welt in Gott erwächst eine schöpfungsspirituelle Gelassenheit, eine eschatologische Gelassenheit in aller Bedrängnis, ein durchdachtes verantwortliches und geduldiges Handeln in liebender Solidarität.
Am Ende stellen sich drei wesentliche Fragen für den Leser und die Leserin:

  • Gründen meine Lebenshaltung und mein Lebensstil auf dem Respekt und der Liebe gegenüber allem, was von Gott geschaffen ist?
  • Wo muss ich umkehren und mit der Botschaft von der Menschwerdung Gottes in meinem Alltag in den gelebten Beziehungen zum Geschaffenen aufmerksamer werden?
  • Lebe ich aus einer Hoffnung heraus, die mir Mut und Kraft gibt, gegenwartskritisch zu sein? Wie äußert sich das?
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