Leben in der Schöpfung

Wann immer er morgens aufwache, so verriet mir ein befreundeter amerikanischer Bischof, gehe er zum Fenster, öffne die Fensterläden und rufe: „O God, you did it again!“ Es ist wohl das kürzeste mir bekannte Morgengebet, am besten noch musikalisch unterlegt mit Louis Armstrongs „What a wonderful world!“ Ja, Gott hat es wieder getan, jeden Morgen neu; „er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Mt 5,45).
Das ist natürlich keine Creatio ex nihilo, keine allmorgendliche Schöpfung aus dem Nichts (wie das in kindlicher Phantasie noch möglich wäre; denn sie brauchen nur die Augen schließen, dann existiert die äußere Welt nicht mehr), aber es ist der je neue Akt, sich bewusst hineinzustellen in die von Gott geschaffene Welt: anerkennend, dass es seine ist, und dass wir mitgestalten dürfen, diese Welt zu behüten und zu bebauen, getreu dem ersten Schöpfungsbericht (vgl. Gen 1). Und sie zu bewahren, wie man heute wohl hinzufügen muss eingedenk der zerstörerischen Kräfte einer (scheinbar) zivilisierten Welt, die mit den Ressourcen dieser Erde Raubbau treibt – auf Kosten derer auf der Schattenseite des Lebens wie der nachfolgenden Generationen. Sich jeden Morgen neu bewusst in die von Gott geschaffene Welt hineinstellen: da ist dann auch das „Stöhnen der Schwester Erde“ zu vernehmen, in dem zugleich das „Stöhnen der Verlassenen der Welt“ aufklingt, wie Papst Franziskus schreibt. „Niemals haben wir unser gemeinsames Haus so schlecht behandelt und verletzt wie in den letzten beiden Jahrhunderten. Doch wir sind berufen, die Werkzeuge Gottes des Vaters zu sein, damit unser Planet das sei, was Er sich erträumte, als Er ihn erschuf, und seinem Plan des Friedens, der Schönheit und der Fülle entspreche.“ (LS 53).
„O God, do it again!“, so möchte man ausrufen: „Erneuere Deine und unsere Welt! – Und fange bei mir an!“ Schließlich kommt es vor allem darauf an, mit welchen Augen wir in die Welt bzw. auf unsere Welt blicken: interessegeleitet im Sinne einer individualistisch- utilitaristischen (man könnte auch sagen: egoistisch-profitgierigen) Maxime: „rausholen, was drin ist“ und „nach uns die Sintflut!“ – oder im Bewusstsein der gottgegebenen und (heute mehr denn je) globalen Verantwortung für das Ganze, das Weltgemeinwohl. Denn das ist ja durchaus kein neuer Gedanke, dass „die Erde und alles, was darin ist, Eigentum Gottes“ ist. So habe Gott etwa „Luft, Sonne, Wasser, Erde, Himmel, Licht, Sterne … gleichmäßig wie unter Brüder verteilt und … zu einem Gemeingut gemacht“, nachzulesen bei den Kirchenvätern, hier Johannes Chrysostomos (✝ 407). Das klingt nach Sozialromantik, erst recht, wenn man an die durch die Menschheitsgeschichte hindurch je neu erfolgte „Vermessung der Welt“ denkt, an Schürfrechte und Gebietsansprüche, an die Patentierung von Leben etc. Doch „in einer Gesellschaft auf dem Weg zur Globalisierung“, so Papst Benedikt in seiner Sozialenzyklika Caritas in Veritate, „müssen das Gemeinwohl und der Einsatz dafür unweigerlich die Dimensionen der gesamten Menschheitsfamilie, also der Gemeinschaft der Völker und der Nationen annehmen“ (CIV, 7). Das setzt allen eigennützigen, gleich ob privaten, kommerziellen oder staatlichen Ansprüchen Grenzen, insofern sie nur gerechtfertigt werden können, wenn sie mit dem Grundsatz der universalen Bestimmung der Erdengüter, der Schöpfung als Gemeineigentum der gesamten Menschheit, vereinbar sind. „Ohne die regulative Leitidee eines Weltgemeinwohls „können nämlich Interessensgegensätze ethisch nicht gerechtfertigt und daher auch nicht fair verhandelt werden.“ (Ottmar Edenhofer, Potsdam- Institut für Klimafolgenforschung).
So ist der prosaisch-gefühlvolle Blick am Beginn jedes neuen Tages, sofern wir unsere Augen nicht wie kleine Kinder vor der durchaus ambivalenten Schöpfungswirklichkeit verschließen, mit einer göttlich inspirierten Vision verbunden – und mit einem kolossalen Arbeitsauftrag: die Herausforderung der Gemeinwohlorientierung global zu verstehen und nach Kräften unseren Schöpfungsauftrag im Horizont unserer globalen Verantwortung als Menschheitsfamilie wahrzunehmen: global denken, lokal handeln – wohl wissend, dass Gott uns zur Mitsorge und Mitarbeit in seiner Schöpfung gerufen hat. Den größeren Teil muss Er schon selbst tun – und wird es auch. Wir können und sollen ihn darum bitten: „Sende aus deinen Geist, und alles wird neu geschaffen, und du wirst das Angesicht der Erde erneuern“ (nach Ps 104,31), aber dann auch selbst mit Hand anlegen: „O God, let’s do it again!“

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