Ein Projekt im Bereich InklusionDas Evangelium in Leichter Sprache

Biblische Texte sind nicht immer einfach zu verstehen. Das ist kein Geheimnis. Schon die ganz „normalen“ Gottesdienstbesucher haben damit oft ihre Probleme. Um wieviel mehr dann Menschen mit Lernbehinderung oder solche, die (noch) nicht so gut Deutsch sprechen. Für diese Menschen gibt es jetzt das „Evangelium in Leichter Sprache“.

Fazit

Das Projekt „Evangelium in Leichter Sprache“ des Katholischen Bibelwerks Stuttgart und des Caritas-Pirckheimer- Hauses Nürnberg stellt für jeden Sonn- und Feiertag das Evangelium in Leichter Sprache zur Verfügung. Leichte Sprache soll den barrierefreien Zugang zur Bibel für Menschen ermöglichen, die lernbehindert sind oder die (noch) nicht so gut Deutsch sprechen. Die Texte sind online verfügbar unter www.evangelium-in-leichter-sprache.de

Seit zwei Jahren schon gibt es das Projekt „Evangelium in Leichter Sprache“ – eine Kooperation des Katholischen Bibelwerks Stuttgart und der Nürnberger Akademie Caritas-Pirckheimer- Haus. Der katholischen Leseordnung folgend übertragt ein Team aus ganz Deutschland Woche für Woche das Evangelium des jeweiligen Sonntags in Leichte Sprache. Wichtig dabei: Bei der Erstellung sind Menschen mit Lernschwierigkeiten aktiv beteiligt. Steht der Text, wird er durch einen kurzen Kommentar ergänzt, der Hinweise zur sprachlichen Übertragung und zur katechetischen Arbeit mit den Texten bietet. Schließlich wird alles zusammen mit dem Text der Einheitsübersetzung auf der Webseite www.evangelium-in-leichter-sprache.de veröffentlicht. Dort finden sich inzwischen auch zu jedem Evangelientext ein Bild, ein Audio-File zum Anhören und ein Video in Gebärdensprache. Bei der Erarbeitung der Homepage, die am 5. November 2015 ins Netz ging, war größtmögliche Barrierefreiheit das vorrangige Ziel.

Wie Leichte Sprache „funktioniert“

Oberstes Ziel der Leichten Sprache ist Textverständlichkeit. Dafür wurden konkrete Übertragungsregeln entwickelt, die sich als hilfreich erwiesen haben:

  • Es werden kurze Satze verwendet.
  • Jeder Satz enthält nur eine Aussage.
  • Es werden Aktivsätze eingesetzt.
  • Ein verständlicher Satz besteht aus den Gliedern: Subjekt + Prädikat + Objekt.
  • Der Konjunktiv wird vermieden.
  • Der Genitiv wird in den meisten Fällen durch den Dativ ersetzt.
  • Verneinungen werden wenn möglich vermieden und durch positive Formulierungen ersetzt.
  • Abstrakte Begriffe werden vermieden; wo sie notwendig sind, werden sie durch anschauliche Beispiele oder Vergleiche erklärt.
  • Mehrdeutige oder irreführende bildliche Sprache und Redewendungen werden vermieden.
  • Wenn Fremdwörter oder Fachwörter vorkommen, werden sie erklärt.
  • Bei langen Zusammensetzungen wird durch Bindestriche deutlich gemacht, aus welchen Wörtern die Zusammensetzungen bestehen.
  • Abkürzungen werden beim ersten Vorkommen durch die ausgeschriebene Form erklärt.
  • Es wird keine Kindersprache verwendet.
  • Bilder oder Filme helfen, einen Text besser zu verstehen.
  • Wörter werden nicht in durchgehenden Großbuchstaben geschrieben. Kursive Schrift wird nicht verwendet.
  • Texte werden übersichtlich gestaltet. Wenn es auch Leichte Sprache heißt – so ist sie keineswegs leicht zu sprechen oder zu schreiben.

Bibel übertragen?

Die Bibel ist nun aber nicht einfach ein ganz „normaler Text“, sie ist ein Buch über Gott und Menschen, ein religiöses Buch. Religiosen Texten ist aber auch etwas eigen, das den meisten anderen Texten fehlt. Sie reden von etwas, wovon man eigentlich nicht reden kann, wofür es eigentlich gar keine angemessene Sprache gibt. So lange es um Menschliches geht, kann ich ganz „normal“ reden. Wenn es aber um Gott geht, funktioniert das nicht. Es muss eine andere Sprache gefunden werden. Eine Sprache, die dem Göttlichen Raum gibt.
Autorinnen und Autoren religiöser Texte behelfen sich dann mit verschiedenen Stilmitteln. Sie verwenden Sprachbilder, Vergleiche, Poesie, Lieder oder Hymnen … Genau solche Texte leben aber davon, dass sie vieles offen lassen. Dass sie es vermeiden, eindeutig und einengend zu sein. Damit die Lesenden diese offenen Texte mit ihren eigenen Lebenserfahrungen füllen können. Damit sie angesprochen werden können.
Leichte Sprache aber darf genau das nicht sein: uneindeutig, offen, anstrengend, fordernd für die Lesenden …
Und trotzdem: auch Jesus steht in dieser Tradition. Um seine Botschaft vom bereits angebrochenen Reich Gottes für alle verständlich zu machen, wählte Jesus eine „zielgruppenorientierte“ Sprache. Er nahm gezielt Gleichnisse und Bilder aus der Alltagswelt seiner Zuhörerinnen und Zuhörer auf, um so Gottes Wort zu veranschaulichen und verständlich zu machen. Nichts anderes unternimmt die Übertragung in Leichte Sprache.

Herausforderungen und Grenzen

Die Bibel ist für Christen „Wort Gottes“. Sie mochten sie verstehen und sind darauf angewiesen, dass schwierig Verständliches entsprechend erklärt wird. Trotzdem bleiben wichtige Begriffe und Aussagen wie z. B. Menschensohn, Messias, Versöhnung, Erlösung u. a. in Bibelübersetzungen stehen, auch wenn sie schwer verständlich sind.
Wer die Sprache der Bibel vom Horen und Lesen her gewohnt ist, kann manches stehen lassen, was er oder sie nicht sofort versteht. Menschen mit Lernschwierigkeiten dagegen geben sich mit abstrakten Begriffen nicht zufrieden. Sie fordern bei der Übersetzung zu einer anschaulichen und konkreten Sprache heraus. Dadurch wird der Inhalt erfassbar, begreifbar.
Das bedeutet, dass manche Begriffe in Leichter Sprache „exformiert“ werden müssen. Im Text selber Unausgesprochenes, aber Mitgedachtes muss direkt ausgedruckt werden, damit der Text von Menschen mit Lernschwierigkeiten verstanden werden kann. Begriffe, die ich nicht einfach weglassen kann, muss ich erklären.
Den Begriff „Junger“ gibt es in der Alltagssprache nicht. Und er umfasst ein großes Spektrum von Bedeutungen: Schuler, Nachfolger, Freunde …
Und wenn ich dann noch weiß, dass in der Gefolgschaft Jesu auch Frauen waren, kommt zusätzlich der Genderaspekt ins Spiel.
Wir haben z. B. meistens übertragen: „Freundinnen und Freunde Jesu“, wo vorher einfach „Junger“ stand. Aber nicht immer. Nicht immer ist derselbe Aspekt wichtig!
Oder: Ein richtiges Fremdwort: Prophet. Das Wort – auch wenn es griechisch ist – ist uns wichtig. Also müssen wir es exformieren:
„Ein Prophet ist ein Mensch, der in seinem Herzen auf Gott hört.“
Das allein genügt aber nicht. Und wir fügen hinzu:
„Ein Prophet sagt laut, was er von Gott hört.“
Das bedeutet aber: Ich muss weg vom Original-Wortlaut. Um der Verständlichkeit willen. Wo vorher ein Wort stand, stehen jetzt drei Satze. Die Texte werden langer!
Ein Beispiel, wo ein Text kurzer und einfacher wird: Viele „Menschensohn“-Stellen. Statt: „der Menschensohn ist gekommen“ kann ich meist einfach sagen: „ich bin gekommen“. Aber eben nicht immer. Beim „Menschensohn, der zum Gericht kommt“, funktioniert das nicht. Dann muss ich mir überlegen, wie wichtig der Begriff hier wirklich ist. Und für wen. Womöglich ist er es ja auch nur für uns Theologen?

Textveränderungen

Begriffserklärungen stellen nicht die einzigen Eingriffe in den Text dar. Manchmal kann es auch nötig sein, interpretierende Satze einzuflechten. Z. B. als Hinführung zum Text, der allzu unvermittelt beginnt. Oder als Klärung eines Tatbestandes, der manchen Menschen in bestimmten Regionen nicht bekannt ist.
So verstehen z. B. Menschen, die nie mit Weinbau in Berührung gekommen sind, das Weinstockgleichnis aus dem Johannesevangelium nicht. Wir müssen erklären, was das ist: das Beschneiden der Trauben. Ähnliches gilt für Aussaat und Ernte in Jesu Saatgleichnissen …
Manchmal funktionieren auch die alten Bilder und Vergleiche nicht. Und ich muss neue für heute finden. Da kommen wir dann bereits zur sprachschöpferischen Leistung einer solchen Übertragung.
Wie gesagt: Texte werden durch die Übertragung meist langer. Manchmal kann es aber auch wichtig sein, etwas wegzulassen. Das betrifft vor allem unseren Kontext der Sonntagsevangelien.
Die Perikopenordnung, die vorschreibt, welche Texte am Sonntag im Gottesdienst gelesen werden, bietet Texte in sehr unterschiedlichem Umfang. Oft enthält ein solcher Text einfach zu viele Themen auf einmal. Dann muss ich mich entscheiden. Das kann heißen, dass wir Lang- und Kurzfassungen anbieten. Oder vorschlagen, sich zwischen zwei Kurztexten zu entscheiden – um der Menschen und der Verständlichkeit willen.
Oder es kann wichtig sein, einen Text umzubauen, Textteile umzustellen, um der Logik willen. Auch so etwas kann Barrierefreiheit bedeuten.
All dies bedeutet, dass unter Umstanden der Originalwortlaut des Bibeltextes nicht erhalten bleiben kann. Einen Bibeltext in Leichter Sprache zu erstellen, ist deshalb ein spannender und zugleich verantwortungsvoller Prozess. Die ständige Herausforderung lautet: Wie können die klaren Prinzipien der Leichten Sprache auf den biblischen Text so angewendet werden, dass seine theologische (Kern-) Aussage und religiöse Tiefe dennoch erhalten bleibt? Wo findet die Verständlichkeit ihre Grenze bzw. ab wann wird ein Text verfälscht?

Ist das noch der Bibeltext?

Es ist klar, dass solche massiven Eingriffe in den Bibeltext Fragen hervorrufen. Kann ich da noch von „Übersetzung“ reden?
Im Zusammenhang mit Leichter Sprache habe ich bisher den Begriff „Übersetzung“ tunlichst vermieden. Es ist eine Übertragung, die wir machen.
Es gibt auch andere Wege zur Leichten Sprache:
Das Projekt „Offene Bibel“ z. B.: ein Internetprojekt, das einen lizenzfreien Bibeltext im Internet anstrebt (www.offene-bibel.de). Sie machen – neben vielen anderen – auch eine Übersetzung in Leichte Sprache. Dort wird Vers für Vers übersetzt. Aus den Urtexten. Solche Texte in Leichter Sprache sehen anders aus als die unseren.
Wir orientieren uns bei unserer Übertragung viel starker an unserer Zielgruppe. Diese Menschen sind der Grund, weshalb wir überhaupt diese Arbeit machen.
Sie sollen das Evangelium nicht nur hören, sondern auch verstehen können: Menschen mit Lernschwierigkeiten, Menschen, die noch nicht so gut Deutsch können … Sie sollen trotz aller Schwierigkeiten, die von der Textauswahl herkommt, von der Perikopenordnung, von der Textabgrenzung, vom schwer verständlichen liturgischen Umfeld, das Wort Gottes hören und verstehen können.
Das ist uns so wichtig, dass wir für verschiedene Anlasse dieselben Texte auch einmal verschieden übertragen: Derselbe Text in der Weihnachtszeit muss anders erklingen als in den Kar- und Ostertagen. Das kann durch verschiedene Schwerpunktsetzungen geschehen, aber auch durch Textvariation. Der Kontext ist also jeweils die Verkündigung. Das ist etwas Missionarisches!

Unser Risiko

Wir wissen, dass wir mit unserer Arbeit, mit dem Projekt „Evangelium in Leichter Sprache“, ein gewisses Risiko eingehen und uns von vielen Seiten angreifbar machen:
Da ist nicht nur die exegetische und theologische Kritik, die uns vorwerfen konnte, ein „Evangelium light“ zu produzieren. Da sind auch die Kulturliebhaber, die ihren schönen Bibeltext verhunzt sehen. Oder die Deutschlehrer, die diese unendlichen Wortwiederholungen am liebsten jedes Mal mit dem Rotstift anzeichnen wurden.
Trotzdem mochten wir diesen Weg gehen, uns ganz und gar auf die Menschen einzulassen und ihnen eine Teilhabe nicht nur am öffentlichen, sondern auch am kirchlichen Leben zu ermöglichen. Theologische Richtigkeiten und ästhetische Gesichtspunkte müssen da notfalls hinten anstehen – damit die Botschaft bei den Menschen ankommt.

Kein neues Evangelium!

Natürlich wollen die Übertragungen in Leichte Sprache nicht die gängigen Bibelübersetzungen ersetzen. Auch schwere Sprache ist wichtig und hat ihre Berechtigung. Aber auch Leichte Sprache ist in vielen Zusammenhängen notwendig, wenn wir den Auftrag Jesu ernst nehmen wollen, das Evangelium allen Menschen zu verkünden: auch Menschen mit Lernschwierigkeiten! Deshalb – und dies bestätigen die vielen, durchweg positiven Reaktionen – gibt es keine Alternative zur Bibel in Leichter Sprache!

 

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