Mit zehn Thesen für einen missionarischen Aufbruch der Kirche ging Johannes Hartl, Theologe und Gründer des Augsburger Gebetshaus, im Frühjahr 2018 an die Öffentlichkeit. Das "Mission Manifest“ (Herder, 2018) hat seitdem zahlreiche Unterstützer gefunden – aber auch ebenso viele Kritiker, darunter die Freiburger Theologen Ursula Nothelle-Wildfeuer und Magnus Striet, die nun im Herbst 2018 mit "Einfach nur Jesus?" eine Kritik in Buchform (Herder, 2018) zu dem Manifest veröffentlicht haben.
Die Initiatoren des "Mission Manifest" schreiben, die Kirche werde in den kommenden Jahren eine immer geringere Rolle in der Gesellschaft spielen. "Das ist weniger schade um die Kirche als schlimm für die Menschen, die Gott verlieren oder Jesus nie kennenlernen werden." Die Autoren sind Katholiken aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie leiden unter der Erosion des Glaubens und wollen sich damit nicht abfinden. Sie sind überzeugt, dass ihre Heimatländer zu Missionsländern geworden sind. Dabei berufen sie sich auf das Apostolische Schreiben "Evangelii Gaudium" von Papst Franziskus.
Die Orientierung am Evangelium steht im "Mission Manifest" konsequent im Mittelpunkt. Nur wer Jesus nachfolge, könne auch andere überzeugen. Mission sei der Kernauftrag eines jedes Christen. Die Kirche ist dieser Sichtweise nach weniger Institution oder Kulturform als eine "Gemeinschaft mit Jesus in der Mitte". Maximilian Oettingen, Leiter der charismatischen Loretto-Gemeinschaft in Österreich, schreibt dazu im "Mission Manifest": "Manchmal habe ich den Eindruck, dass es sogar Theologen gibt, die … diesen Urvorgang des christlichen Glaubens noch nicht realisiert haben: dass alles damit anfängt, dass man das Ruder seines Lebens an Jesus abgibt."
Dieser direkte, persönliche Zugang ist sicherlich ungewohnt und gerade die betont einfache, fast schwärmerische Mentalität der Jesusnachfolge stört Theologen wie Nothelle-Wildfeuer. "Einfach nur mal eben Jesus wird kaum funktionieren. Komplexe Lebenswelten und komplexe theologische Probleme sind nicht einfach mal eben so durch Missionsprogramme zu bearbeiten", schreiben Nothelle-Wildfeuer und Striet im Vorwort zu ihrem kritischen Sammelband "Einfach nur Jesus?".
Das "Mission Manifest" ist eine „mehr oder weniger theologiefreie Zone“, so Striet. Das schlichte Weltbild, aber auch die wissenschaftliche Schlichtheit können "nur in einer narzisstischen Selbstbestätigungslogik enden. Bleibt der Erfolg aus, bleiben die Menschen übrig, die sich in den Bann religiöser Szenen haben ziehen lassen, die sich selbst charismierend über die Komplexität moderner Gesellschaften und des Lebens hinweggetäuscht haben."
Im Manifest geben die Autorinnen und Autoren tiefe Einblicke in ihre religiöse Biografie. "Dennoch braucht eine glaubwürdige Botschaft mehr als moralisch integre und persönlich aufrichtige Verkünder", erklärt der Kölner Theologe Hans-Joachim Höhn. Es müsste den Missionaren zuerst daran gelegen sein, verstehbar zu machen, was sie glauben, die Überzeugungskraft der Argumente spiele im "Mission Manifest" jedoch kaum eine Rolle. "Wer nur den Glauben von Menschen wecken will, nicht aber ihren Verstand, verhindert, dass sie verstehen, was sie glauben." Dazu reichen Bibel und Katechismus – laut den Initiatoren die einzig entscheidenden Bücher - eben nicht aus, so Höhn.
Zudem beklagen die Initiatoren zwar, dass die Menschen der Kirche den Rücken kehren, aber die Frage, warum sie das tun, werde nicht gestellt. Es gibt ausführliche Beschreibungen von liturgischen Formen, die sich besonders dafür eignen, das Evangelium einem interessierten Publikum zu verkünden. Es gibt aber kaum Vorschläge, wie das Evangelium in die Alltagswelt übersetzt werden kann. Die Aufmerksamkeit des Manifests für die Menschen, denen das Evangelium verkündet werden soll, ist insgesamt gering, kritisiert Höhn.
In einem Interview warf Nothelle-Wildfeuer den Initiatoren des Manifests vor, Missionierung zu eng zu fassen. "Es geht vorrangig um Lobpreis, um Fasten, um Gebet, um Bekehrung und um eine Hinwendung zu Gott in einem ganz engen abgekapselten Sinne… Gebetskreise finden nur in coolen Locations statt, statt im Pfarrsaal. Jeder, der Christ werden will, braucht dazu ein einmaliges Glaubens- und Bekehrungserlebnis, Taufe allein genügt offenkundig nicht. Damit wird ein Elitechristentum aufgemacht, und es werden die ausgeschlossen, die noch auf der Suche sind und zweifeln."
Hartl wehrte sich gegen die Kritik. "Wir brauchen keine weitere Lagerbildung in der Kirche, sondern eine Fokussierung auf das Kernanliegen: dass Menschen in und außerhalb der Kirche die rettende Botschaft Jesu hören." Die Bedeutung der Diakonie habe er nicht in Abrede stellen wollen. "Wer sich dafür einsetzt, dass die Kirche wieder aktiv auf Menschen zugeht, die dem Glauben fernstehen, will dadurch nicht den sozial-karitativen Aspekt des Glaubens abwerten. Doch dieser Aspekt kirchlichen Lebens ist in Deutschland bestens etabliert." Ganz anders sehe es dagegen mit der Evangelisation aus. In diesem Bereich gebe es Gruppen, die Wachstum und Aufbruch erlebten und die ohne zu polarisieren sagten: "Wir wollen einen missionarischen Aufbruch!"