Theologie des EndkampfsZum Werk von Stephen King

Ausgerechnet ein Autor von Horror-Literatur verbindet Ethik mit Theologie. Klaus Mertes SJ interpretiert Stephen Kings „Needful Things“ als komplexen Kampf zwischen Gut und Böse: gekennzeichnet von Schuld und Sühne, Versuchung und Buße, Habgier und Kindersinn. Klaus Mertes ist Redakteur dieser Zeitschrift.

Als meistproduzierender und vielleicht auch meistgelesener Autor von Horror-Literatur darf seit Jahren Stephen King gelten: Über sechzig Romane, mehr als einhundert Kurzgeschichten, mehrere Novellen und einige Drehbücher gehören zu seinem Œuvre, soweit es bisher veröffentlicht wurde. Kings Freude an gelegentlichen geschmacklichen Entgleisungen mindert nicht die Meisterschaft seiner Stories. Niemand, der etwa seinen Klassiker „It“ gelesen hat, kann sich dem Schrecken des Bösen entziehen, dem Schrecken der unberechenbaren, aus dem Dunkel zuschlagenden, empathiefreien Gewalt: Sieben Kinder, die sich gegen eine Gruppe gewalttätiger Jungen zur Wehr setzen, nehmen den Kampf gegen ein Monster „Es” auf, das häufig in der Gestalt eines Clowns erscheint und Kinder tötet. Erwachsen geworden nehmen die Kinder erneut den Kampf gegen dieses Monster auf. Wer sich je mit Peer-Gewalt auseinandergesetzt hat, kann in diesem Roman viel darüber lernen, wie auch Mobbing-Gewalt ein Leben lang bei den Betroffenen nachwirkt. Überlebende von Peer-Gewalt in der Jugend stellen sich in der Aufarbeitung ihrer traumatisierenden Erlebnisse aus der Kindheit als Erwachsene ein zweites Mal dem Kampf mit dem mächtigen Gegner, um ihn zu bestehen. So finden sie Frieden.

Wer mit dem Schrecken von Gewalt zu tun hat, lebt mit der Warum-Frage. Schon die Psalmen bezeugen vielfach: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Ps 22,1). Die Warum-Frage ist mehr als nur eine Frage nach den Ursachen der Gewalt. Sie drückt ein Leiden daran aus, dass die Frage nicht beantwortet wird. Die „Ursache“ der Gewalt, so könnte man sagen, ist das Böse. Aber damit wird eine Antwort auf die Warum-Frage nur verschoben. Denn warum gibt es das Böse, und warum trifft es ausgerechnet mich? Im Kampf gegen das Böse hilft Ursachenforschung nicht weiter. Der Kampf ist nicht vermeidbar, und zwar Kampf in einer Situation, in der die Ursachen der Gewalt, die sich gegen mich oder gegen „uns“ richtet, nicht erkennbar sind. Zugleich zwingt die Ursachelosigkeit des Bösen die Frage danach auf, wie ihm denn zu begegnen sei. Solange man Ursachen kennt, kann man über sie ihre Wirkungen beeinflussen. Wenn aber das Böse selbst ursachelos agiert, dann helfen alle strategischen, technischen und therapeutischen Mittel nicht mehr. Es geht um einen Kampf zwischen Leben und Tod.

So tritt in Kings Literatur der Ernst und die Dramatik des Ethischen auf den Plan. Das Böse kann eben durch nichts anderes als durch das Gute besiegt werden (vgl. Röm 12,21). Der Kampf beginnt mit der Unterscheidung der Geister, um sich nicht hineinziehen zu lassen in die Komplizenschaft mit dem Bösen. Denn es ist dem bösen Geist bekanntlich „eigen, Scheingründe, Spitzfindigkeiten und ständige Trugschlüsse“ anzuwenden (Ignatius von Loyola: Geistliche Übungen Nr. 329), um Komplizen zu gewinnen (vgl. dazu auch die ignatianische „Besinnung über die zwei Banner“, ebd. Nr.137 ff.). Nur wer nicht Komplize des Bösen wird, kann das Gute dagegen in Stellung bringen, welches das Böse überwindet.

Der Elektriker der menschlichen Seele

Wie schlau und plump zugleich der böse Geist agiert, das hat Stephen King in keinem seiner Romane so faszinierend klug beschrieben wie in seinem Klassiker „Needful Things“ (dt. In einer kleinen Stadt; Seitenzahlen im Folgenden aus München: Heyne 1991). Der Roman schließt den sogenannten Castle-Rock-Zyklus von insgesamt vier Romanen ab, deren Handlung in der gleichnamigen Kleinstadt spielt. Hinter der Fassade kleinbürgerlicher Idylle lauern Abgründe, die in dem letzten Roman zur Zerstörung von Castle Rock führen. „Needfull Things“ inszeniert ein Welttheater des Kampfes der „Geister“ um die Seelen der Menschen, einen Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Vernunft und Betrug, Verantwortung und Hass, Kindersinn und Satans List.

Mr. Leland Gaunt, ein „Elektriker der menschlichen Seele“, verkauft in einer kleinen Stadt „needful things“, nützliche Sachen. Er besitzt in seinem Laden die passenden Dinge, mit denen er die jeweils tiefsten Wünsche seiner Kunden befriedigen kann. Als Preis fordert er einen lächerlich geringen Geldbetrag sowie die Bereitschaft, einen „kleinen Streich“ an irgendeinem der Bewohner von Castle Rock auszuführen. Die Streiche treffen die Opfer an ihrer jeweils schwachen Stelle: bei ihrer Angst, ihrer Eifersucht, ihrem Stolz oder ihrem Misstrauen. Sie lösen, nachdem sie von Mr. Gaunts Kunden ausgeführt werden, Verdächtigungen, Vergeltungsakte und schließlich Mord und Totschlag unter den Bewohnern von Castle Rock aus. Das Prinzip, mit dem der Elektriker arbeitet, ist ebenso einfach wie effektiv. „In einer kleinen Stadt wie Castle Rock waren alle Sicherungskästen säuberlich nebeneinander aufgereiht. Man brauchte nur die Kästen zu öffnen und Querverbindungen herzustellen … Zu gegebener Zeit testete man einen dieser großartigen Verdrahtungsjobs … und dann ging man in Deckung und schickte hin und wieder einen Stromstoß durch die Leitungen, damit es nicht zu langweilig wurde. Damit die Drähte heiß blieben“ (362). Der teuflische Plan gelingt. Die Stadt versinkt im Feuer.

Mr. Gaunt arbeitet nach dem Prinzip Satans, des Versuchers. Er gewährt Wunscherfüllung um den Preis der Unterwerfung (vgl. Lk 4,7). Doch so platt sagt Mr. Gaunt es am Anfang natürlich nicht. „Die Stimme des Teufels hört sich lieblich an“ (716). In der Reihenfolge des Handels mit Mr. Gaunt bedeutet das: Erstens bietet er die Erfüllung von Wünschen. Zweitens verlangt er für seine beglückende Ware nur einen niedrigen Preis und nur einen kleinen Streich: „Jeder zahlte nach seinen Möglichkeiten, und nie nach seinen Bedürfnissen, weil es alles Dinge waren, nach denen sie ein Bedürfnis hatten, und er war hierhergekommen, um ihre Leere zu füllen und ihre Wünsche zu stillen“ (614). Drittens besteht Mr. Gaunt darauf, dass es sich trotzdem um ein echtes Geschäft handelt, so dass es dem Stolz der Käufer erspart bleibt, danken zu müssen.

Die Haken am Geschäft werden erst nach dem Abschluss etwas deutlicher: Mr. Gaunt mag das Wörtchen „aber“ nicht (285), er „weiß es immer am besten“ (286); man muss sich ihm anvertrauen, nicht viel nachfragen, und im Falle eines Zweifels stumm bleiben. Und schließlich ist der Preis erst ganz bezahlt, wenn Mr. Gaunt sagt, dass er bezahlt ist. Das Geschäft kann also eskalieren. Je mehr die Leute für ihre Ware opfern – für die seltene Baseballkarte, für die Erotikbrille, für den Holzsplitter an der Arche Noah, für den Vorhersager der Siege beim Pferdewettrennen, für das Buntglas – umso mehr hängen sie an ihrer Ware: „Der Preis, hätte Mr. Gaunt ihr erklären können, steigert den Wert, jedenfalls in den Augen des Käufers“ (596). Erst im Moment des Todes erblicken sie, dass sie betrogen wurden, und dass nicht einmal die Ware das ist, was sie von ihr dachten.

Mit diesem Schema kann der Autor nun ein ganzes Panorama von menschlichen Wünschen und ihrer Perversion durch das Böse aufziehen lassen. Das Böse arbeitet verdeckt, zieht das scheinbar harmlose Begehren, die kleinen Hässlichkeiten und die verdeckten Sünden der Stadtbewohner als Anknüpfungspunkt an sich. Wenn sich die Käufer einmal auf den Handel eingelassen haben, verstricken sie sich immer mehr in die Mittäterschaft mit dem teuflischen Plan. Genauso wie ihr Herr und Meister halten sie sich bedeckt, gestehen ihren Streich nicht, wenn seine verheerenden sozialen Folgen in der Stadt sichtbar werden, genießen ihre Ware in immer größer werdender Einsamkeit. Schließlich taucht Mr. Gaunt die Stadt und ihre sich gegenseitig schlachtenden Bewohner in apokalyptische Dunkelheit ein. Die beiden von Mr. Gaunt ebenfalls gekauften und betrogenen Gehilfen sprengen sie in die Luft.

Lagerkampf

Gibt es eine Macht, die diesem Bösen widerstehen kann? Theoretisch gibt es zwei Wege. Der eine Weg wäre der Verzicht auf Wünsche, Erlösung vom Bösen durch Mäßigung und schließlich die Abschaffung des Begehrens überhaupt. Diesen Weg wählt Stephen King nicht. Er präsentiert als Gegenfigur zu Mr. Gaunt keinen Asketen, der sich durch die Unterdrückung oder Abschaffung seines Begehrens den Angriffen des Bösen gegenüber immun macht. Vielmehr bleibt keine der Figuren im Roman vom Bösen unberührt. Kein Bewohner von Castle Rock kann dem Angebot Mr. Gaunts aus eigener Kraft widerstehen. Jede Person, die mit ihm zu tun hat, fällt. Alle sündigen (vgl. Röm 3,23): Verbrecher und Sheriff, Katholiken und Baptisten, Homo- und Heterosexuelle, Eltern und Kinder, Liebende und Hassende, Reiche und Arme, Säufer und Asketen, Atheisten und Bigotte.

Der andere Weg, dem Bösen zu widerstehen, ist der moralische Weg. Für den Autor ist das Problem des Bösen nicht ein Problem der Wünsche an sich, sondern ein Problem der Entscheidung des moralischen Subjektes. Dem Bösen kann durch eine moralische Entscheidung widerstanden werden. Doch versteht King dies wiederum nicht in dem Sinne, dass es im Kampf gegen das Böse darum geht, dass das Individuum sich seine eigene moralische Unversehrtheit erhält. Vielmehr entsteht durch einzelne moralische Entscheidungen – klein und unscheinbar im Vergleich mit den riesigen Ausmaßen der Zerstörung von Castle Rock durch das Böse – ein Handlungszusammenhang mit anderen Personen, ein Gewebe, das Mr. Gaunt schließlich doch einen Strich durch die Rechnung macht. Der kleine Junge Brian erkennt mit Entsetzen, wozu er sich um einer Baseballkarte willen hat hinreißen lassen und warnt trotz seiner Angst vor Mr. Gaunt seinen jüngeren Bruder Sean vor dem „Giftladen“. Danach begeht er Suizid. Sean berichtet im Krankenhaus Sheriff Padborn von den letzten Worten Brians und lenkt so dessen Aufmerksamkeit auf den Laden von Mr. Gaunt. Deputy Norris Ridgewick bereut seinen Streich und ringt sich statt zum Suizid zur Sühne durch. Polly Charmers entledigt sich ihres schmerzstillenden Amuletts in einem dramatischen inneren Kampf. Sie besiegt ihren Stolz und nimmt die körperlichen Schmerzen wieder auf sich. Sie hat erkannt, dass das Amulett die Schmerzen nicht wegnimmt, sondern nur verlagert: „Es verlagert den Sitz deiner Arthritis – statt deiner Hände befällt die Krankheit das Herz“ (703). Auch der Verstand ist eigentlich auf der Seite der moralischen Entscheidung. Es ist bloß so, dass Mr. Gaunt ihn „schlau“ (vgl. Gen 3,1), mit Tricks und Scheinargumenten vernebelt hat. Polly begreift aber, das Mr. Gaunt bei seinen Streichen immer über das Ziel hinausschießt: „Er ist so voll von Überheblichkeit, dass es ein Wunder ist, dass er nicht explodiert“ (746). Seine Arroganz zeigt sich darin, dass er versteckte Fehler in seine Botschaften einbaut, die man bei klarem Verstand erkennen und durchschauen könnte – um sich daran zu weiden, dass er seinen Opfern erfolgreich eben diesen Verstand vernebelt hat. Doch genau damit stellt er sich selbst eine Falle. Wer bei klarem Verstand ist, kann den versteckten Fehler erkennen.

Am Ende des Romans strafft sich das Gewebe des Guten zum Endkampf gegen Mr. Gaunt. Polly Charmers entreißt ihren Geliebten, den Sheriff Alan Padborn, den Klauen Satans: „Alan, es ist nicht nur dein Leben, begreifst du es nicht? Er bringt dich dazu, dass du deine eigene Krankheit zurückkaufst und doppelt dafür bezahlst“ (745). Alans tiefster Wunsch ist nämlich herauszufinden, wie genau die Umstände waren, unter denen seine Frau und sein Sohn umkamen. Seine „Krankheit“ ist, dass er diesen Wunsch allen anderen Dingen vorordnet. Polly weckt hingegen in Alan wieder Verantwortungsgefühl und Vernunft. „Vernunft war eine merkwürdige Sache. Man spürte es nicht, wenn sie einen verließ. Man konnte sie nur ganz begreifen, wenn sie zurückkehrte wie ein seltener Wildvogel, der in einem lebte und sang, nicht auf Befehl, sondern aus freien Stücken.“ (751)

Sheriff Padborn tritt schließlich zum Exorzismus an. Die Waffe in seiner Hand ist die Trickdose seines verstorbenen Sohnes – „ein billiger Trick, eine mit verblichenem grünen Krepp-Papier umwickelte meterlange Feder, jene Art von Trick, die nur ein Junge wie Todd wirklich lieben und nur ein Geschöpf wie Gaunt wirklich würdigen konnte“ (754). Der Kindersinn also, der sich an so etwas Einfachem entzücken kann wie einem Dosentrick, ist die Kraft, der Satan nicht widerstehen kann. Sheriff Padborn setzt alles, was er selbst an Kindersinn und Liebe zu seinem Sohn hat, im Kampf gegen Mr. Gaunt ein und macht ihm so den entscheidenden Strich durch die Rechnung: Zwar ist Castle Rock zerstört, doch der Sheriff entreißt Mr. Gaunt den Lederkoffer und die darin wimmernden Seelen. Satan muss, um seinen eigentlichen Erfolg betrogen, den Ort verlassen. Unterdessen rettet der von hinten anfahrende Deputy Norrick Ridgewick die Freundin Alans aus den Händen des letzten Gehilfen von Mr. Gaunt.

Christus versus Anti-Christ

King nimmt die Warengesellschaft kritisch in den Blick: „Jede Wahl hat ihre Folgen. Man konnte in Amerika alles bekommen, was man wollte, vorausgesetzt, man war bereit, dafür zu zahlen. Wenn man nicht zahlen konnte oder sich zu zahlen weigerte, blieben alle Wünsche unerfüllt“ (483). Das ökonomische Prinzip beansprucht als universales Prinzip der Gesellschaft kategorische Geltung; „Slopey zögerte eine ganze Weile, bevor er wieder sprach. Als er es tat, war seine Stimme leise und scheu: Könnten Sie nicht – ich meine, verschenken Sie niemals etwas, Mr. Gaunt? Lelland Gaunts Gesicht wurde tieftraurig: Oh Slopey! Wie oft habe ich schon daran gedacht, und wie sehnsüchtig! Da ist ein tiefer, unbenutzter Brunnen der Wohltätigkeit in meinem Herzen. Aber … Aber … Aber es lässt sich einfach nicht mit dem Geschäftemachen vereinbaren, beendet Mr. Gaunt seinen Satz“ (486). Die Warengesellschaft kennt Geschenke nicht. Die jesajanische Vision ist ihr ein Gräuel: „Auf ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser! Auch wer kein Geld hat, soll kommen. Kauft Getreide und esst, kommt und kauft ohne Geld, kauft Wein und Milch ohne Bezahlung!“ (Jes 55,1).

Erst im gegenseitigen Gratis entsteht zwischen Menschen das, was das Leben lebenswert macht: Liebe, Freundschaft, Fest. Gaunt weiß das. Es macht ihm Angst, und er nutzt es zugleich, indem er sein hartes Warenprinzip mit dem Gestus der Fürsorglichkeit tarnt. Er ist der Anti-Christ, der Anti-Hirt: „Wenn die Gesichter der Kunden ein Bedürfnis hatten, dann waren es immer die gleichen, die Gesichter von Schafen, die ihren Hirten verloren haben“ (614). Die Macht des Anti-Christen ist zwar begrenzt („Er hat nur Gewalt über die Bedürfnisse, nicht über den Willen“ – 630), aber er kann den Willen entscheidend schwächen, indem er die ihm ergebenen Bedürfnisse im Menschen gegen den Menschen selbst in Stellung bringt, zum Zweck seiner Selbstzerstörung: Mord und Suizid. Schließlich zwingt er die wimmernden, widerwilligen Seelen in seinen Lederkoffer, wo sie zwar nicht sein wollen, aber doch bleiben müssen – Symbol für die Hölle. Rettung gibt es dann nicht mehr, es sei denn, dass sich ihm eine noch größere Macht entgegenstellt.

Diese Macht ist allerdings nicht verfügbar. Sie geht nicht auf das Bedürfnis nach Rettung in der Not ein. Im Gegenteil, das Warenprinzip lässt sich ja theoretisch dadurch steigern, dass man für die Rettung aus dieser höchsten Not auch einen höchsten Preis anbietet, bis hin zur Opferung des eigenen Kostbarsten, des eigenen Sohnes (vgl. 2 Kön 3,27) oder der eigenen Tochter (vgl. Ri 11,39). Die gute Macht lässt sich jedoch prinzipiell nicht über das Warenprinzip steuern. Sonst wäre sie nur eine Variante des satanischen Prinzips. Im Endkampf zwischen Gut und Böse leuchtet sie hingegen blitzartig und siegreich auf, ohne herbeigebetet worden zu sein. Der Kindersinn des Vertrauens eilt dem verworrenen Verstand zu Hilfe, so dass er das lügnerische Selbst-Aufplustern Satans durchschaut. Wie David mit seiner kleinen Steinschleuder, so tritt der Sheriff, nachdem er seinen eigenen tiefsten Wunsch an die zweite Stelle hinter seine Verantwortung für die gefangenen Seelen gestellt hat, dem mächtig aufgeblasenen Satan mit einem Taschenspieltrick entgegen, verweigert ihm die Referenz und macht ihn so lächerlich. Die Seelen sind gerettet, das große Lachen kann beginnen. Ein Osterlachen.

King verbindet Ethik mit Religion, besser: mit Theologie. Die Kritik des Warenprinzips gehört in die DNA der biblischen Schöpfungstheologie. Die Schöpfung ist auf den Sabbat hin geordnet (vgl. Gen 1,1-2,4a), auf den Tag hin, an dem Gott von der Arbeit „ruht“, und mit ihm seine Schöpfung. Das Arbeitsverbot am Sabbat ist bloß die negative, die „bestreitende“ Rückseite der gemeinsamen, in der liturgischen Feier zum Ausdruck kommenden Zeichenhandlung des Volkes. Es transzendiert darin den Funktionalismus als Prinzip der Gottesbeziehung und bekennt sich zu dem einen Gott, der nicht über Funktionen, über Zuständigkeiten, über den Warenverkehr von Opfer und Dienstleistung handhabbar gemacht werden kann, und auch nicht gemacht werden darf – bis hin zum unterscheidend biblischen Verbot des Menschenopfers. Schon der Name, den die Stimme im Dornbusch offenbart (vgl. Ex 3), ist eine Bestreitung jenes Typus von „Name“, über den Zuständigkeit benannt, entsprechende Leistungen angefragt und im Fall der Fälle sogar beansprucht werden können. Während es in einer polytheistisch geordneten Götterwelt möglich ist, die Gottheit je nach Leistung zu wechseln, geht es in der Begegnung mit Gott um die Anerkennung des Gebers aller Gaben vor allen Gaben, und damit eben auch um (gegenseitige) Treue. Und schließlich kann man sagen: Erst wenn Gott vorgängig zu Gaben als Geber anerkannt wird, können die Gaben auch als Gabe und nicht nur als Ware entgegengenommen werden. Damit ist wiederum die Ware gewürdigt. Sie ist nicht allein Ware, sondern „Frucht der Erde und menschlicher Arbeit“. Die transfunktionalistische Bestreitung des Warenprinzips enthält also ein kreatives Paradox: Der Gottheit die Eindeutigkeit zu nehmen, die ihr durch eine nach dem Warenverkehr geordnete Beziehungsstruktur übergestülpt wird, befreit die Kommunikation zwischen Schöpfer und Geschöpf zur Begegnung von schaffender und geschaffener Freiheit, auf Augenhöhe, trotz bleibender Asymmetrie zwischen Schöpfer und Geschöpf.

Wie kann eine Welt, die mit dem Diktat des Warenprinzips unter die Herrschaft der Sünde gefallen ist, wieder befreit, neu aufgerichtet werden? Das ist die in der Theologie soteriologisch genannte Frage nach der Erlösung der Welt von der Sünde. Die Frage kann pelagianisch nach dem Modell der Selbsterlösung beantwortet werden. Dann ist Gott nicht nötig. King bleibt aber auch hier theologisch offen, sozusagen strikt augustinisch. Er hält erzählerisch an der Differenz zwischen dem Ethischen und dem Religiösen fest. Das kommt am deutlichsten im Motiv der unsichtbaren Handlungs- und Beziehungsgewebe zum Ausdruck, die während des Romanes geknüpft werden. Einerseits knüpft Mr. Gaunt ein Netz von kleinen und großen Streichen zusammen, die Einzelne einander antun, mit dem Ziel, die Stadt als Ganze zu zerstören und die Seelen in seinen Koffer einzusperren. Keiner seiner Dienerinnen und Diener, die er am Angelhaken ihrer Wünsche durch die Manege zieht, kennt den ganzen Plan des Meisters. Alle leisten nur ihren jeweils eigenen kleinen Dienst, den kleinen Gefallen. Aber am Ende kulminiert das Ganze im Untergang der Stadt. Umgekehrt webt aber die Macht des Guten aus den einzelnen ethischen Entscheidungen der Personen ein Gegengewebe, von dem ebenfalls kein einziger der Beteiligten weiß, wohin es als Ganzes führt. Selbstlose Entscheidungen Einzelner dienen so einem unerkannten Plan. Dies schützt wiederum die Selbstlosigkeit der Entscheidungen und damit ihren ethischen Charakter. So wird die in Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse ein unsichtbarer Agent eingewoben, der über die einzelnen Protagonisten hinausgeht und eine theologische Gegengröße zum Anti-Christ repräsentiert. Nicht Menschen siegen, sondern Gott siegt über das Böse, allerdings nicht ohne Beteiligung von Menschen.

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