Biblische BilderwändeEin Blick auf Emil Wachter

Der Karlsruher Künstler Emil Wachter (1921-2012) gestaltete Gotteshäuser, Kirchenfenster, Glockenverzierungen, aber auch zahlreiche Ölgemälde, Aquarelle und vieles mehr. Hans Maier, bayerischer Kultusminister a.D. und langjähriger Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, stellt den badischen Künstler vor. [In der PDF-Datei dieses Artikels, die Sie im Abo-Bereich herunterladen können, sehen Sie auch vier hochauflösende Abbildungen zu Emil Wachters Kunst]

Das hört ja gar nicht auf, das geht ja immer noch weiter!“ – so rief Herbert Schade SJ, einer der frühen Interpreten Emil Wachters, überrascht aus, als er in den 1970er-Jahren in Karlsruhe das schon damals überreiche Werk des Malers und Bildhauers in Atelier und Wohnung in Augenschein nahm. „Das hört ja gar nicht auf“ – dieser Eindruck drängt sich auch dem heutigen Betrachter auf, wenn er das an vielen Orten, in Kirchen, Museen, Galerien, sogar in Parlamenten verstreute Lebenswerk des vor knapp zehn Jahren (12. Januar 2012) Verstorbenen betrachtet. Wo findet man das heute noch, einen Kosmos von Bildern, der fast alles umfasst, was jahrhundertelang zum Kanon der Maler gehörte: historische Ereignisse und menschliche Gesichter, biblische und profane Themen, Geschichte und Politik, himmlische und irdische Liebe, Natur und Landschaft, Diesseitiges und Jenseitiges, und alles in enger Verbindung miteinander?

Emil Wachter war ein künstlerischer Universalist. Schon im Technisch-Handgreiflichen verfügte dieser Maler und Bildhauer über viele Fertigkeiten, die über das Normale, Gewohnte hinausgingen. Er zeichnete mit Feder, Lithokreide, Tuschpinsel, Kugelschreiber. Er gebrauchte die Radiernadel, malte in Öl, formte Aquarelle und Pastelle – das taten andere auch. Aber er gestaltete auch ganze Wände in Maurertechnik, meißelte Reliefs heraus, entwarf große Betonskulpturen. die in einem komplizierten Prozess mit Messer und Glühdraht aus dem Negativ des Styropors herausgeholt wurden – nicht zu reden von den Glasfenstern, Fresken, Wandteppichen in vielen Kirchen, Beispielen einer monumentalen, weite Räume füllenden Kunst.

Will man Wachters Werk kennenlernen, will man einen Begriff von seiner Fülle und Breite gewinnen, so muss man wandern, in Deutschland, aber auch außerhalb: hin zu Kirchen, aber auch zu profanen Gebäuden, zu Straßen, Plätzen und Brücken. Da stehen die öffentlichen Arbeiten Wachters. Sie fallen auf, sind unübersehbar, zumal in einer Zeit, die sich mit dem Monumentalen schwertut. Aber auch in ganz privaten, persönlichen, kleinen Bildern steckt der ganze Wachter – so in den oft nur zentimetergroßen Tuschen und Aquarellen seiner letzten Jahrzehnte, die wie lyrische Abkürzungen und Verdichtungen seiner Kunst wirken. Großzügige Fläche und kleinteilige Form stehen im Werk Emil Wachters unmittelbar nebeneinander. Es ist, bemerkte Ehrenfried Kluckert, „als ob er, von der kleinen Form angezogen, über diese vor der weiten Fläche sinnieren wollte... Kleine Form und weite Fläche, Statik und Dynamik... Abstraktion und Konkretion sind ästhetische Prinzipien in seinem
Werk.“1

„Meine Eltern waren arm“, schreibt Emil Wachter über seine Jugend. „Mein Vater war ein kleiner, fast besitzloser Landwirt, meine Kindheit von Not und härtester Arbeit nicht verschont. Aber ich kann sagen, trotzdem war sie glücklich. Das Dorf – unmittelbar am Oberrhein, mit der Kette der Schwarzwaldberge im Südosten – bildete einen Rahmen, der zumindest an der Stromseite offen war zur Welt: Die Schiffe, die auf dem Rhein vorbeifuhren, trugen holländische, belgische, französische, schweizerische und deutsche Flaggen und abenteuerliche Namen. Der kleine Ort bot also Erwartungen und Geheimnisse, deren Geschmack mir bis heute nicht vergangen ist.“2

In den Stürmen des 20. Jahrhunderts war das Geburtsdatum wichtig. Ein paar Jahre vor oder zurück, und man war Soldat oder Luftwaffenhelfer – oder man entging der Front, dem Krieg, der Gefangenschaft. Emil Wachter, Jahrgang 1921, ist dem Krieg nicht entgangen. Im Jahr 1939, unmittelbar nach dem Abitur, wurde er zum Arbeitsdienst verpflichtet und im September in die Wehrmacht übernommen. Eine Pionierausbildung am Westwall in der Eifel schloss sich an. Dann erkrankte Wachter an Typhus. Nach der Entlassung aus dem Lazarett begann er 1940 ein Studium der Theologie und Philosophie in Freiburg. 1941 wurde er erneut eingezogen und leistete Militärdienst in Russland. Nach Kriegsverwundung und längerem Lazarettaufenthalt wurde er 1942 zu einer Ersatzeinheit in Frankreich verlegt. Hier, im burgundischen Langres, begann er mit der Ölmalerei.

Kein Maler-Priester, ein Maler-Theologe

Nach Kriegsgefangenschaft in Frankreich, Belgien und Westfalen nahm er 1946 sein Theologiestudium wieder auf. Er schloss es 1948 ab. Doch er wurde nicht Priester. Seit 1947 studierte er an Kunstakademien, zuerst in München, später in Karlsruhe – dort in der Zeichenklasse von Karl Hubbuch, in der Bildhauerklasse von Carl Trummer und seit 1951 in der Malereiklasse von Erich Heckel. Heckel holte ihn später, 1958, an die Kunstakademie, wo er bis 1963 künstlerischer Lehrer für Malerei war. 1963 entschloss er sich zu einer Existenz als freier Maler – das Wagnis dauerte bis zu seinem Lebensende an. 1956 heiratete er Pia Ruf (ich durfte bei der Trauung die Orgel spielen). Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor: Felix, Angela, Dorothee und Simone; alle hat er als Vater betreut und als Maler im Bild verewigt.

Emil Wachter ist kein Maler-Priester geworden – wie es sie ja in jüngerer Zeit nicht selten gibt; die bekanntesten deutschen Beispiele sind Herbert Falken (geb. 1932) und Sieger Köder (1925-2015). Aber ein Maler-Theologe ist er geblieben. Ein Leben lang war für ihn die Kirche die „Mutter der Bilder“. Biblische Gestalten erfüllen sein Werk. Mehrere Male hat er David gemalt und in Stein gefasst. Es gibt ja – so hat er oft gesagt – nichts Historisches, ja nichts Menschliches, das nicht schon in der Bibel vorkäme. Der Bogen seiner biblischen Bilder reicht vom Schrecklichen bis zum Tröstenden, vom Enttäuschenden und Ernüchternden bis zum Befreienden und Erlösenden. So bilden Theologie und Kunst in Wachters Maler-Existenz ein Stimmgefüge – nachdrücklich ineinander verwoben wie Dux und Comes, Leitthema und Begleitthema in einer Fuge.

Man müsste an dieser Stelle weiter ausgreifen, müsste die Reisen Emil Wachters von Griechenland bis Norwegen, von Ägypten bis Amerika, von Chartres bis an den Bodensee schildern und würdigen, die in seinem Leben und seiner Kunst so wichtig waren (ich nenne nur das schöne Stichwort „Aquarellferien“); man müsste seine vielen Freunde nennen, an der Spitze den Religionsphilosophen Bernhard Welte und den jüdischen Mathematiker Friedrich Weinreb; man müsste seine künstlerische Entwicklung nachzeichnen, die von der Berührung mit den Spätzeugen des Expressionismus in Karlsruhe bis zu eigenen, sich vertiefenden Erfahrungen und zum Erwerb eines persönlichen unverwechselbaren Stils geht – doch ich vertraue und verweise hier einfach auf die Wachter-Literatur, auf Herbert Schade, Bernhard Rupprecht, Nadya Badr. Auch die zahlreichen Auszeichnungen, die er erhielt, will ich hier nicht aufzählen. An Aufträgen hat es ihm glücklicherweise nicht gefehlt – und er fühlte sich auch nie durch sie eingeengt, fühlte sich vielmehr nach eigener Aussage bei Aufträgen so frei, wie wenn er im Atelier arbeitete.3 Wie sich denn auch bei Emil Wachter die bei Künstlern häufige Geringschätzung, ja Verachtung des öffentlichen Lebens, der Wirtschaft und Politik nirgends findet. Wachter ging mit Politikern und Wirtschaftsleuten – übrigens auch mit Kirchenleuten – ebenso freundlich und gelassen um wie mit allen anderen Menschen. Die Gesichtszüge Herbert Wehners, Kurt Georg Kiesingers, Willy Brandts, Helmut Kohls, Helmut Schmidts hat er in Meisterzeichnungen festgehalten – treffsicher, manchmal enthüllend, aber nie denunziatorisch; und für das Stuttgarter Haus der Abgeordneten hat er „Landtagsbilder“ geschaffen – überzeugt davon, dass heute „das Chaos nicht von den Repräsentanten des Staates (droht), sondern vom Menschen, der für jede Willkür eine vom Staat garantierte und finanzierte Freifahrt beantsprucht“.4

Ein Stück Schöpfung

So lassen wir getrost die Werke Emil Wachters im öffentlichen und privaten Raum für sich sprechen. Sie haben im Lauf der Zeit viele Liebhaber gewonnen – allein die Autobahnkirche beim Rasthof Baden-Baden wurde nach dem Freiburger Münster die meistbesuchte Kirche in Baden. Die Abstimmung mit den Füßen hat Wachters Kunst längst gewonnen. Die Kunstkritik, für die dieser Unerschütterliche ein bleibender Vorwurf ist, weil er keinem Trend, keiner Mode folgte, wird eines Tages gewiss nachkommen – ich hoffe es.

„Ihr Werk hat mich immer besonders berührt und angesprochen“, schrieb Reinhold Würth, einer der frühen und beständigen Sammler, 2001 zum 80. Geburtstag an Emil Wachter. „Ihre Bilder, Ihre Werke bauen auf, lösen geradezu von Erdenschwere und sind damit für den Betrachter ein Stück Schöpfung, ein Stück Fröhlichkeit des Lebens...“5

Fröhlichkeit des Lebens – Emil Wachter wäre gewiss der letzte, der die harten Widersprüche dieser Welt beschönigen oder wegwischen möchte. Kain und Abel sind in seinem Werk so gegenwärtig wie Nebukadnezar und Herodes – und die Tyrannen des 20. Jahrhunderts treten in seinen Glasfenstern und Betonbildwerken leibhaftig an den Betrachter heran. Aber er weiß auch, dass dem Bösen in der Welt die letzte Herrschaft nicht gegönnt ist. Als Künstler kann er den Satz des Mephistopheles „Drum besser wär’s, wenn nichts entstünde“ nicht nachsprechen. Schon eher spräche ihm Goethes Diktum aus der Seele: „Am Sein erhalte dich beglückt.“ Was wäre ein schöpferischer Geist ohne einen Hauch von Affirmation, von Einverständnis mit der Welt? Schließlich gibt es auf dieser Erde trotz allem – ich zitiere Wachter – immer noch viel „zu entwerfen, zu bildhauern und zu malen, zu dichten, zu komponieren – und zu feiern.“6

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