UN, Kinderschutz und die Kirche

Ende Januar und Anfang Mai 2014 wurden zwei UN-Kommissionen in Genf sogenannte "periodische Berichte" zu UN-Konventionen durch Delegationen des Heiligen Stuhls unterbreitet - zunächst zur Kinderschutzkonvention, sodann zur Antifolterkonvention. Beide Male war das Medienecho riesig, beide Male stand der Vorwurf des gravierenden Fehlverhaltens der Kirchenleitung im Umgang mit Tätern und Opfern von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen im Mittelpunkt des Interesses.

Zwar werden in der Stellungnahme der UN-Kommission zum Kinderschutz einige positive Schritte gewürdigt, doch wird dem Hl. Stuhl insgesamt ein schlechtes Zeugnis ausgestellt: Missbrauchsfälle seien auf höchster Ebene vertuscht, Täter lediglich versetzt und zivile Behörden nicht in formiert worden. Diese Kritik ist vielfach belegbar und gerecht fertigt. Hinzu kommt, dass die kirchenrechtliche Aufarbeitung oft viel zulange dauert und weder für Opfer noch für Beschuldigte transparent genug ist. Allerdings stieß auch die UN-Erklärung auf Widerspruch. Sie werde zu "gerührtem Quark" (Klaus Mertes SJ), wo sie die Fehler in der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch mit einer Verurteilung der katholischen Sexualmoral und insbesondere der kirchlichen Positionen zu Homosexualität, Verhütung und Abtreibung verbinde. Unter den Vorwürfen der Kommission mögen teils sachfremde Motive liegen. Davon sollte man sich nicht beirren lassen, sondern entschieden und solide auf einen besseren Opferschutz und eine funktionierende Präventionsarbeit weltweit hinarbeiten. Das ist mühsam genug.

Wenn man sich die globale Dimension der katholischen Kirche mit ihren Institutionen vor Augen hält, ergibt sich ein sehr gemischtes Bild davon, welche Einstellung zur Missbrauchsaufklärung und zu Präventionsmaßnahmen gegen sexuellen Missbrauch von Minderjährigen vorherrscht. Die katholische Kirche hat etwa 1,2 Milliarden Mitglieder in ca. 190 Ländern. Es gibt mehr als 200000 Schulen in katholischer Trägerschaft, und diese existieren in den unterschiedlichsten rechtlichen, kulturellen und finanziellen Kontexten. Gleiches gilt für die etwa 1350 katholischen Universitäten so wie hunderttausende Kindergärten, Kinderheime, Behindertenwerkstätten, Sozialstationen, Krankenhäuser, Hospize und vieles mehr.

In einigen Ländern - z. B. USA, Australien, Irland, Deutschland, Österreich - hat die Kirche als Reaktion auf die dort öffentlich gewordenen Skandale flächendeckend Leitlinien zum Umgang mit Opfern und Tätern sowie professionelle und regelmäßige Präventionsmaßnahmen eingeführt. In anderen Ländern, derzeit besonders in Teilen Osteuropas und Westafrikas, sieht die dortige Kirchenleitung die Auseinandersetzung mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger als "Problem des Westens" an und streitet ab, dass es solchen Missbrauch im eigenen Land gab und gibt. Dabei haben die Päpste Benedikt XVI. und Franziskus klar die Linie Victims first ausgegeben: Opfer anhören, ihnen glauben, sie schützen, ihnen helfen.

In den letzten Jahren wurden die Rechtsnormen (doppelt so lange Verjährungsfrist, Besitz oder Konsum von Kinderpornografie als Straftatbestand) für die Verfolgung von Straftätern in der Kirche deutlich verschärft. Zudem wurde unmissverständlich klar gestellt, dass das Straf- und Zivilrecht des jeweiligen Staates einzuhalten sind. Die Glaubenskongregation hat von den 112 Bischofskonferenzen (Ähnliches gilt für die Ordensgemeinschaften) eingefordert, Leitlinien inklusive der Erläuterung von Präventionsstrategien zu verfassen. Zwei Jahren ach Ablauf der Einsendefrist (Juni 2012) haben eine Handvoll Bischofskonferenzen - alle im französischsprachigen Westafrika gelegen - immer noch keine Leitlinien eingesandt.

Aus Letzterem wie auch aus dem meist passiven Widerstand, der dem Thema "sexueller Missbrauch" in vielen Ortskirchen entgegenschlägt, lässt sich ersehen, dass die katholische Kirche - entgegen der geläufigen Außenwahrnehmung und Eigendarstellung - mindestens in diesem Bereich keine strukturierte Weisungshierarchie hat und dass selbst verständliche Kontrollmechanismen nicht installiert sind. Es gibt etwa keine eindeutige Definition und kein wirklich funktionierendes Sanktionsverfahren zur kirchenrechtlichen Mitverantwortung eines Ortsbischofs. Besonders in den USA wird dies jedoch unter dem Stichwort bishop accountability leidenschaftlich eingefordert. Welche Konsequenzen hat ein Bischof zu fürchten, wenn er den Missbrauch Minderjähriger durch einen Priester seiner Diözese zu vertuschen sucht und die Gesetze der Kirche und seines Landes nicht einhält?

Derartig mangelhafte rechtliche Stringenz und die dahinter stehende Angst um Ansehen und Macht bergen die Gefahr einer inner kirchlichen Doppelbotschaft: Einerseits wird in offiziellen Stellungnahmen neben der Aufklärung von geschehenem Missbrauch die Notwendigkeit von Präventiosmaßnahmen hervorgehoben; andererseits wird das Nicht-Einhalten der angemahnten Mindeststandards nicht geahndet. Ganz zu schweigen davon, welche immensen länderspezifischen Divergenzen es im Problembewusstsein und auch in den Rechtssystemen gibt und wie unterschiedlich Sexualität in der jeweiligen Kultur bewertet und ausgedrückt wird.

Einschlägige Studien (Jay John Reports 2004, 2011) aus den USA belegen: Dort, wo die Kirche konsequente Schritte in Richtung Aufklärung von sexuellem Missbrauch an Minderjährigen durch Priester und für eine nachhaltige Präventionsarbeit unternommen hat, hat sich die Zahl der Missbrauchsfälle deutlich und bleibend verringert. Die jüngst erfolgte Schaffung einer "Päpstlichen Kommission zum Schutz von Minderjährigen" (Pro tutela minorum) macht deutlich, wie sehr Papst Franziskus das Wohl und die Unversehrtheit von Kindern und Jugendlichen am Herzen liegen. Er hat damit auf höchster weltkirchlicher Ebene die strukturelle und materielle Bedingung dafür geschaffen, dass der Kinderschutz in der gesamten katholischen Kirche konsequent und wirkungsvoll vorangetrieben werden kann.

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