Danke für diesen guten Morgen - Liedpredigt zu EG 334

Danke für diesen guten Morgen - Liedpredigt zu EG 334
© Dorothea Layer-Stahl

„Danke für diesen guten Morgen.“ So beginnt dieses bekannte Lied, das uns in 6 Strophen einlädt zum Danken durch verschiedenste Zeiten und Lebensbereiche hindurch.
Der Kirchenmusiker Martin Gotthard Schneider hat es 1961 für den Wettbewerb der Evangelischen Akademie Tutzing komponiert. Kirchenmusik sollte mehr Menschen ansprechen, sollte Kriterien aus dem Jazz und der Unterhaltungsmusik aufnehmen. Schneider gewann mit seiner Komposition den 1. Preis. Dass der Song innerhalb der ev. Kirche durchaus umstritten war und ein heftiger öffentlicher Streit darüber entbrannte, machte ihn umso populärer. 1963 stand er sogar für eineinhalb Monate ganz vorne in den deutschen Singlecharts. Ein wirklicher Kirchenschlager also.

Gleich 19 mal in seinen 6 Strophen lädt er Menschen zum Danken ein. Kann da nicht jede und jeder aus voller Kehle mitsingen? Nun ist es Schlagern ja zu eigen, dass sie mitreißen und man bisweilen den Text aus dem Blick verliert. Man kann dieses Lied einfach so mitschmettern und es dabei belassen, dass Danken eine zentrale Ausdruckform ist, die man niemals vergessen sollte. Aber halt! Wirklich leicht fällt das Danken doch nur denjenigen, die auch allen Grund dafür haben. Deren Leben gerade rund läuft, die Freunde haben und Arbeit, die gesund sind und sich einen schönen Urlaub leisten können. Und was ist mit denen, die gerade in einer tiefen Krise stecken? Denen so gar nicht nach Danken zumute ist?
Das Lied führt eng. Alles scheint so leicht: Sag doch einfach mal Danke, kann doch nicht so schwer sein. Und doch gibt es sie, die Zeiten, in denen nicht Dank, sondern Klage, Trauer, Wut und Verzweiflung Raum brauchen. Die uralten Worte der Psalmen machen diesen Raum auf wunderbare Weise sichtbar, indem sie die ganze menschliche Gefühlspalette in den Blick nehmen. Da wird geklagt und geweint und verflucht, da wird mit der Welt und mit Gott gehadert. Mit Recht kann man sich da fragen: ist ein reines Danklied heute noch angebracht? Muss nicht – wie auch damals schon – auch die Klage ihren Raum finden?

Lassen sie uns auf diesem Hintergrund auf das Lied schauen, denn zu viele Menschen gibt es, für die Sorgen und Nöte im Vordergrund stehen. Da macht es keinen Unterschied, ob diese real oder gefühlt sind. Da ist einfach nur Angst davor, was der Tag bringen mag. Schaffe ich alle meine heutigen Aufgaben? Kann ich mich den verletzenden Worten des Chefs entziehen? Macht die zu pflegende Mutter heute mit? Ist die Diagnose des Arztes positiv? Und so viel mehr. Da fällt das Aufstehen schwer. Schon bevor der Tag überhaupt begonnen hat ist da diese Angst und Verzweiflung. Lieber die Decke über den Kopf ziehen.
Wie wäre es da, all den Sorgen zum Trotz den Tag mit einem Dank zu beginnen? Sozusagen prophylaktisch. Nicht irgendwohin in’s Universum, sondern ganz gezielt hin zu der Kraft, der wir in guten Zeiten vertrauen. Vielleicht ist es nur ein zaghafter Dank. Dafür, dass ich überhaupt da bin und leben darf. Ein warmes Bett habe, ein Frühstück, das auf mich wartet. Und in der Gewissheit, dass da jemand ist, der meine Sorgen kennt und mir tragen hilft.

Danke für diesen guten Morgen, danke für jeden neuen Tag. Danke, dass ich all meine Sorgen auf dich werfen mag.

Wenn ich den Tag so beginnen lasse, dann kann ich ein kleines Stück loslassen. Dann fällt es leichter, die Beine über die Bettkante zu schwingen, mit dem Dankeslied in‘s Bad, vielleicht ist sogar noch ein Morgenkaffee in aller Ruhe drin. Und dann stürze ich mich in den Alltag mit all seinen Herausforderungen. Ich weiß, dass vieles leichter zu bewältigen ist, wenn ich nicht alleine dastehe, wenn ich Verbündete habe. Gott kann so ein Verbündeter sein, aber doch auch die Menschen, die mich unterstützen, trösten, mir Mut machen. Gibt es sie für mich? Wer fällt mir da ein? Oder sehe ich nur die „Feinde“, die mir den Tag erschweren?

Danke für alle guten Freunde, danke, o Herr, für jedermann. Danke, wenn auch dem größten Feinde ich verzeihen kann.

Dem größten Feinde verzeihen. Dieser Satz geht singend leicht über die Lippen und ist doch die schwierigste Aufgabe überhaupt. Noch nicht einmal beim „kleinen“ Feind will es so recht gelingen, denn jede Verletzung tut weh und ist wie eine offene Wunde. Sie kann heilen, aber je nach Tiefe hinterlässt sie auch tiefe und sichtbare Narben. Bewundernswert diejenigen, denen es gelingt wirklich zu verzeihen.
Die Frau, die ihren Vater pflegt, der sie als Kind und Jugendliche sexuell missbraucht hat.
Der Mann, der den Kontakt sucht mit derjenigen, die für seinen Unfall mit den schwerwiegenden Folgen verantwortlich ist.
Diejenigen, die den Holocaust überlebt haben. Die alles verloren haben, die Hunger, Kälte und schlimmste Folter ausgehalten haben. Viktor Frankl ist einer von ihnen. In seinem 1946 veröffentlichten Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ beschreibt er seine Erfahrungen nicht anklagend, sondern mutmachend. Eine Situation könne man rückwirkend nicht ändern, sagt er, doch „die letzte der menschlichen Freiheiten besteht in der Wahl der Einstellung zu den Dingen.“ Dem größten Feind keine Macht geben und dadurch auch in Krisenzeiten seelisch heil bleiben, dafür braucht es ein Gegenüber. Viktor Frankl findet dieses Gegenüber in seinem Gott. Sorge, Angst, Schmerzen und Demütigungen kann der ihm auch nicht nehmen, aber mit Gottes Begleitung sind sie erträglicher. Seiner Meinung nach kann dann Dank noch für das Kleinste ausgesprochen werden, ohne dass das Leid negiert wird.

Ob Schneider bei seiner Komposition auch diese Schwere im Blick hatte? Oder wollte er die Schwere mit diesem schwungvollen Schlager ganz bewusst einfach beiseiteschieben?
Die nächste Strophe legt dies nahe, denn hier werden die unterschiedlichsten Gründe schnell und ohne inneren Zusammenhang aneinandergereiht:

Danke für meine Arbeitsstelle, danke für jedes kleine Glück. Danke für alles Frohe, Helle und für die Musik.

Wer da in der Kirchenbank sitzt und gerade seine Arbeitsstelle verloren hat, dem bleiben diese Worte im Halse stecken. Vielleicht auch denjenigen, denen die Arbeit über den Kopf wächst oder deren Arbeit inhaltlich oder finanziell nicht wertgeschätzt wird. Arbeit ist in unserer Gesellschaft hoch angesehen, denn hierüber definieren sich Anerkennung und Erfolg. Bezahlte Arbeit zu haben bedeutet finanzielle Absicherung, Stillung der Grundbedürfnisse und die Möglichkeit, sich das ein oder andere leisten zu können.
Wir täten gut daran, den Dank für die Arbeitsstelle zu verbinden mit der Fürbitte für all diejenigen, denen genau diese gerade fehlt. Alleine das Wahrnehmen der Sorge und der Unsicherheit kann einen Raum öffnen für die Dinge, die gerade trotz allem funktionieren, kann den Blick schärfen für das „kleine Glück“ und das Leben ein wenig froher und heller machen – und dankenswert.
Die Musik in all ihren Facetten kann dabei sicherlich helfen. Hörend, singend, spielend, tanzend, sich wiegend, mit dem Fuß den Takt schlagend. Einen Takt finden, der in die Freiheit führt, in der Emotionen ihren Ausdruck finden und das innere Gleichgewicht wiederhergestellt werden kann. Musik kann in die Dankbarkeit führen und andersherum kann die Dankbarkeit musikalisch ausgedrückt werden. Für viele Menschen passiert dies über das Singen – für sich alleine oder im Chor, sauber intonierend oder einfach so wie es halt kommt, in der Kirche, in der Natur oder unter der Dusche.
Eine alte Dame, die ihr ganzes Leben lang in Chören gesungen hat, sagte 89-jährig in einem Interview: „Wenn ich nicht mehr singen kann, muss ich sterben.“ Mittlerweile ist sie 92 und mit dem Singen geht es nicht mehr so gut. Mit dem Leben auch nicht. Da ist viel Traurigkeit und viel Sehnsucht nach dem, was einmal war. Müssen wir Menschen auch dafür dankbar sein?

Danke für manche Traurigkeiten, danke für jedes gute Wort. Danke, dass deine Hand mich leiten will an jedem Ort.

Manche Traurigkeiten sind so groß, dass es uns die Sprache verschlägt. Von Dankbarkeit ganz zu schweigen. Vielleicht hinterher, wenn man die Not überwunden hat. Wenn man sagen kann: Es hat sich gelohnt, es hat mich weitergebracht. Aber selbst dann ist es doch eine der Zumutungen des Lebens, auch noch für das Traurige dankbar sein zu sollen.
Die alte Dame, der das Leben ohne die Musik nicht mehr lebenswert erscheint, versucht es dennoch. Nicht immer will es gelingen, doch da gibt es diese Lichtblicke, zum Beispiel auf der Spazierfahrt im Rollstuhl durch den Park mit dem Duft des Frühlings und der Sonne im Gesicht. Dann wird von früher erzählt und aufgezählt, was das Leben geschenkt hat. Anekdoten aus der Kindheit, die Hochzeit, die Geburt der Kinder, die schönen Urlaube, die vielen Freunde. Und dann taucht plötzlich doch ein Lied auf und sie sagt: „Ich hatte ja ein gutes Leben, ich muss eigentlich dankbar sein.“ Sie weiß, dass sie dieses Leben nicht sich selbst verdankt, sondern dass sie begleitet war von Geburt an bis hinein in diese Tage, in denen sie dem Tod entgegensieht. „Danke, Gott, für das gelebte Leben. Danke für dein Wort und deine Hand, die mich allzeit begleitet hat. Danke für deine Liebe, die niemanden ausschließt.“

Danke, dass ich dein Wort verstehe, danke, dass deinen Geist du gibst. Danke, dass in der Fern und Nähe du die Menschen liebst.

Wenn wir es beim dahingeschmetterten Dank belassen, dann macht dieses Lied wenig Sinn. Wenn wir nicht hinter die Zeilen blicken und die Zeiten der Klage und des Schmerzes, vor allem aber die Menschen in schwierigen Situationen mitdenken, dann fehlt etwas Wesentliches. Selbstverständlich muss es erlaubt sein, ganz ohne schlechtes Gewissen der eigenen Freude und Dankbarkeit Ausdruck zu geben. Vielleicht ist es aber eine gute Möglichkeit, diesem Lied im Gottesdienst einige erläuternde Sätze vorauszuschicken oder nachzustellen. Oder neben jeden Dank eine Fürbitte zu stellen. Dann wird es stimmig und der Schlager bleibt nicht einfach nur Schlager, sondern wird um eine neue Dimension erweitert, bekommt Tiefe. Dann können Klage und Dank nebeneinanderstehen und Hoffnung auf eine Dankbarkeit für das Danken ermöglichen.
Danke, dein Heil kennt keine Schranken, danke, ich halt mich fest daran. Danke, ach Herr, ich will dir danken, dass ich danken kann.

Gebet:
Gott, du Grund meiner Freude.
Hab Dank für diesen neuen Tag mit all seinen Möglichkeiten.
Hilf, dass heute gelingen mag, was an Aufgaben vor mir liegt.
Sei bei denen, vor denen der Tag endlos liegt in all seiner Schwere.
Gott, du Grund meiner Freude.
Hab Dank für die Geschenke deiner Schöpfung.
Hilf, dass ich sie erkenne und mich an ihnen erfreue.
Sei bei denen, die blind sind vor Kummer.
Gott, du Grund meiner Freude.
Hab Dank für die Menschen, die mich auf meinem Weg begleiten.
Hilf, dass auch ich ihnen ein liebevoller Begleiter sein kann.
Sei bei denen, die sich nach Liebe und Nähe sehnen.
Gott, du Grund meiner Freude.
Hab Dank, dass du an meiner Seite bist.
Hilf, dass ich dein Wort und deine Liebe erkenne.
Sei bei denen, die dich aus dem Blick verloren haben.

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