Der Monatsspruch im November 2020

Gott spricht: Sie werden weinend kommen, aber ich will sie trösten und leiten.

Jeremia 31,9

Hoffentlich wird bald alles wieder normal! Dieser Wunsch war in den vergangenen Wochen und Monaten oft zu hören und bei vielen spürbar. Es soll wieder so werden, wie es vorher war. Es war vieles anders als gewohnt. Und wenn es wieder normal wird, wie wird es dann sein? Soll es wieder so weitergehen wie zuvor, oder wird es in irgendeiner Weise ein Neuanfang sein können oder sein müssen?
Sie haben schon nicht mehr geglaubt, dass es noch einmal anders werden könnte. Über mehr als zwei Generationen hinweg herrschte der Ausnahmezustand. Man musste sich mit vielem abfinden und mit vielem zurechtkommen, was völlig ungewohnt war. In einer fremden Umgebung lebten sie als Minderheit. Nach und nach gab es dort so etwas wie ein normales Leben. Man hatte sein Auskommen. Man konnte ja nicht immer nur warten. So gestaltete man sich den Alltag, so gut es ging. Doch innerlich war man zerrissen. Es war etwas zerbrochen. Man hatte geglaubt, es ginge immer so weiter. Hatte darauf vertraut, dass die Katastrophe ausbleiben würde und es Rettung geben würde. Doch die Rettung war ausgeblieben. Das war schmerzhaft und rätselhaft zugleich. Sie fühlten sich als Verlierer. Die Ereignisse waren über sie hinweggerollt. Was einmal war an Selbstbewusstsein und eigener Kultur, das schien verloren. Selbst der Glaube hatte Schaden genommen. Sie verstanden die Welt nicht mehr. Was konnten sie sich noch erhoffen? Krise war angesagt.
Das Wort Krise ist sehr aktuell in diesen Wochen und Monaten. Auch die Menschen in unseren Tagen sehen vieles in Frage gestellt. Wie sicher ist die Welt? Alles schien geregelt und verlässlich. Nicht alles war so, wie man es sich gewünscht hätte, aber man kam allemal gut zurecht. Und dann war doch mit einem Mal so vieles anders. Da und dort gab es ein Erschrecken. Niemand hatte sich klargemacht, wie verflochten unsere Welt ist, kaum jemand ahnte etwas von den Abhängigkeiten, die mit einem Mal hautnah erlebbar waren. Die Welt legte eine Zwangspause ein. Und da man auf so vieles verzichten musste, war da die Frage: Was brauche ich wirklich zum Leben und was brauche ich nicht? Worauf kommt es an? Auch die Kirchen mussten sich fragen und fragen lassen: Was ist unser Auftrag? Wozu sind wir da, wenn nicht einmal Gottesdienste in der vertrauten Weise möglich sind?
Die Krise zur Zeit der Propheten war tiefgreifend und dauerte lange an. In dieser Zeit wurde gründlich nachgedacht. Manches, worauf man verzichten musste, erwies sich als verzichtbar. Man lernte, dass Identität und Selbstsicherheit zwei verschiedene Dinge waren. Man lernte aber auch umgekehrt aus eigener Erfahrung, dass diejenigen, die am Rand stehen, nicht die Verlierer sein müssen. Und die Menschen fanden heraus, dass sich das Wirken und Wollen des Gottes, an den sie glaubten, nicht ausschließlich auf sie und ihre eigenen Belange bezog. Sie begannen zu verstehen, dass ihr Glaube tiefer gründete und weiter reichte, als sie bisher angenommen hatten. Als dann nach und nach das Ende des Ausnahmezustands erkennbar wurde, waren sie nicht mehr dieselben wie zuvor. Es hatte etwas Neues begonnen.
Das ist ein starkes Bild, das der Prophet im Zusammenhang mit dem erwarteten Neubeginn nach der Krise zeichnet. Tränenüberströmt kommen die Menschen bei Gott an. Sie werfen sich ihm in die Arme und finden Trost bei ihm. Wie ein Kind, das sich bei der Mutter den erlebten Kummer schluchzend von der Seele weint. Was sie erlebt haben, was sie durchgemacht haben, was sie zu bewältigen hatten, war eine schmerzvolle Erfahrung. Es sind auch Tränen der Trauer über das, was man zurücklassen musste. Es sind Tränen über die erlebte Härte dessen, was man entbehren musste.
Es gibt ihn also, den Tag danach, wenn alles überstanden ist. An diesem Tag, so erzählt der Prophet Jeremia, wird Gottes Nähe ganz neu erfahrbar sein. Darauf dürfen wir hoffen.

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