Schwierige Elterngespräche professionell führenGemeinsam fürs Kind

Gemeinsam fürs Kind
© Harald Neumann, Freiburg

Leon (2;5) wirkt seit einigen Tagen sehr unruhig und unzufrieden, aber auch erschöpft und müde. Ein solches Verhalten kennen die Erzieherinnen von ihm nicht und schenken ihm daher vermehrt ihre Aufmerksamkeit. Aus Äußerungen des Jungen wird deutlich, dass seine Eltern zurzeit im Umgang miteinander oft laut sind und Leon abends deshalb nicht schlafen kann.
Seine Bezugserzieherin möchte mit den Eltern darüber sprechen. Dieses Gespräch könnte eines von jenen werden, die wir oft als „schwierige Gespräche“ bezeichnen. Schwierig, weil es heikle Themen offenlegen könnte wie z. B. Streit zwischen den Eltern, Trennungsabsichten oder gar häusliche Gewalt.
Schwierig, weil pädagogisch strittige Themen oft ein gewisses Konfliktpotenzial bergen. Schwierig außerdem, weil es für die Erzieherin nicht leicht ist, die eigenen Wertvorstellungen zurückzustellen, weil es Ideen von „richtig“ und „falsch“ geben könnte. Erschwerend kommt überdies hinzu, dass das Kita- Team die Eltern auch in anderen Kontexten als eher konfrontativ und wenig kooperativ erlebt hat. Schwierige Themen können bei Eltern schnell auf Ablehnung stoßen und sie in eine Verteidigungshaltung drängen; oft hören sie mehr den Vorwurf als die gute Absicht heraus. Wie können solche Themen dennoch einen Platz finden im gemeinsamen Gespräch? Und zwar so, dass alle Beteiligten das Gefühl haben, mehr vom jeweils anderen verstanden und eine hilfreiche und umsetzbare Lösung gefunden zu haben? Um diese Frage zu beantworten, ist es sinnvoll, zunächst zu erörtern, welches Wissen über gelungene Beratungsgespräche existiert.

Auf Lösungssuche

Zwischen 1996 und 1998 untersuchten Duncan, Hubble und Miller (1998), welche Faktoren in Beratung und Therapie wirken. Hierzu befragten sie Menschen, die entweder zu diesem Zeitpunkt in Beratung und Therapie waren oder in ihrem Leben einmal gewesen waren. Die Erkenntnisse ihrer Befragung können auch von pädagogischen Fachkräften genutzt werden (auch wenn es sich bei deren Gesprächen mit Eltern nicht um Therapiegespräche handelt), um einen „Fahrplan“ für schwierige Elterngespräche zu entwickeln.
Die Untersuchung ergab, dass 40 % des Beratungserfolges einer Therapie durch Faktoren bestimmt werden, die in der Persönlichkeit und im Umfeld des Klienten liegen. Dazu zählen einer seits seine individuellen Stärken (z. B. Beharrlichkeit, analytisches Denken, eine klare Sprache), seine angeborenen Entwicklungsmöglichkeiten (z. B. Neugierde, die Fähigkeit, Bindungen einzugehen oder Emotionen wahrzunehmen) sowie seine Fähigkeit, sich Hilfe bei anderen zu suchen und zunutze zu machen. Andererseits gehören auch glückliche Umstände oder Zufälle dazu, die sich außerhalb der Beratung ereignen und die der Klient als Gelegenheit zur Veränderung nutzen kann. Solche Umstände können sein, dass der arbeitslose Vater wieder eine Anstellung findet, dass die schwere Erkrankung eines Familienmitgliedes sich zum Besseren wendet oder dass das Kind einen neuen Freund gefunden hat. Hierauf hat der Berater keinen Einfluss, jedoch können solche Geschehnisse die Situationen der Familie und der einzelnen Familienmitglieder positiv verändern.

Die Rolle der Eltern

Ein beratendes Gespräch kann also nur dann erfolgreich sein, wenn es sich auf die persönlichen Fähigkeiten, Ansichten, Gefühle und Erfahrungen des Klienten ausrichtet. Auch hat der Klient (in unserem Fall die Eltern) eigene Gedanken, Überzeugungen und Gefühle in Bezug auf das vorliegende Problem und somit auch eigene Ansichten zu dessen Entstehung und dem besten Lösungsweg. Eine gute Beratung orientiert sich an diesem persönlichen Lösungsansatz, denn alle Maßnahmen oder Interventionen des Beraters (also der Erzieherin) haben dann die meiste Aussicht auf Erfolg, wenn sie mit dem Lösungsansatz des Klienten im Einklang stehen. Die Erzieherin muss erkennen und akzeptieren, dass den Eltern die Hauptrolle in dem angestrebten Änderungsprozess vorbehalten ist. Dies wird auch im Ansatz der „Neuen Autorität“ nach Omer (2012) deutlich: Eine der Voraussetzungen, unter denen hier Beratung stattfindet, ist die Überzeugung, dass es unmöglich ist, das Verhalten eines anderen Menschen zu ändern. Stattdessen kann die beratende Person lediglich die eigene Haltung, das eigene Verhalten und die eigene Wortwahl dem Gegenüber anpassen, und zwar auf freundliche und zugewandte Weise. Die Erzieherin ist in ihrem Wunsch, die aktuell belastende Situation von Leon zu verbessern, darauf angewiesen, dass die Eltern verstehen und nachempfinden können, dass eine Veränderung nötig ist. Und dass sie bereit sind, diese auch zu vollziehen. Das gelingt i. d. R. nicht, wenn die Erzieherin versucht, die Eltern zu überreden, mit Argumenten zu überzeugen oder ihnen gar ein schlechtes Gewissen zu machen. Vielmehr liegt es in der Kunst der Erzieherin, die Eltern dazu zu motivieren, an sich selbst und ihre Veränderungsfähigkeit zu glauben. Dies kann ihr bspw. gelingen, indem sie die Eltern an ein bereits bewältigtes Problem erinnert: „Wissen Sie noch, wie Leon nie essen wollte, was Sie ihm von daheim mitgegeben haben? Und wie gut Sie dieses Problem selbst gelöst haben, indem Sie ihn miteinbeziehen und mit ihm gemeinsam morgens die Brotdose füllen?“
Indem die Erzieherin interessiert nachfragt und aufmerksam zuhört, signalisiert sie den Eltern, dass sie auf deren Sichtweise Wert legt und sie verstehen möchte (auch wenn diese Sichtweise evtl. ihren eigenen Wertvorstellungen widerspricht): Was hat zu der aktuellen Situation beigetragen? Welche Ausnahmen gibt es und worauf beruhen diese? Inwieweit nehmen das Verhalten und die Worte der Eltern (sowohl positiven als auch negativen) Einfluss auf die Situation des Kindes? Nur so ist es möglich, in einen guten und vertrauensvollen Kontakt zu kommen und gemeinsam Lösungsideen zu erarbeiten.
Dabei haben die Lösungsideen, die Menschen entwickeln, etwas mit dem zu tun, was sie in ihren Herkunftsfamilien gelernt haben, welche Entscheidungen sie in ihrem Erwachsenenleben getroffen haben, welche Stressbewältigungsstrategien sie sich angeeignet haben, wie sie mit Schuldzuweisungen umzugehen gelernt haben. Dabei ist für die Erzieherin immer zentral, nicht als „Expertin“ die Situation oder das Verhalten der Eltern zu bewerten, sondern auf die möglichen Auswirkungen hinzuweisen, die eine be stimmte Lösungsidee für das Kind hat. Fast keine Eltern handeln aus böser Absicht (genauso wenig wie die pädagogischen Fachkräfte dies tun), sondern weil sie bisher noch keine andere Idee hatten, wie sie dem Problem im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten begegnen können.

Gut beraten

Ein weiteres Ergebnis der Untersuchungen von Duncan, Hubble und Miller (1998) ist, dass Beziehungsfaktoren rund 30 % des Beratungserfolgs ausmachen. Jede Intervention, die hilfreich sein soll, bedarf daher eines Klimas der Empathie, der Herzlichkeit und des Vertrauens. Die Erzieherin sollte eine Atmosphäre schaffen, die ihren Gesprächspartnern signalisiert: Ihr seid willkommen! Im Gespräch ist es wichtig, dass sie den Lösungsideen der Eltern mit innerer Akzeptanz begegnet, denn deren Verhalten ist nichts anderes als die für sie momentan am sinnvollsten erscheinende Lösung für ein Problem, mit dem sie umgehen müssen. Mit dieser Art der Wertschätzung ermöglicht die Erzieherin ein gemeinsames Bündnis für das Kind, eine Allianz gegen das Problem, nicht gegeneinander.
Die restlichen 30 % der wirksamen Faktoren in Beratung und Therapie sind zu je gleichen Teilen Techniken und Methoden, die die beratende Person anwendet, sowie Hoffnungen und Erwartungen, die ein Klient in den Beratungsprozess mit einbringt.

Erfolgreiche Wirkfaktoren

Natürlich lässt sich an pädagogische Fachkräfte nicht der Anspruch erheben, solche Beratungskonzepte in derselben Professionalität anzuwenden wie ausgebildete Berater und Therapeuten. Dennoch ist es wichtig und nützlich, solche Konzepte zu kennen und weitestmöglich anzuwenden – denn in Elterngesprächen, gerade in solchen, die schwierige Themen beinhalten, nehmen Erzieherinnen eine beratende Rolle ein und müssen oft Konflikten vorbeugen und deeskalierend auftreten.
Neben den bisher erläuterten Wirkfaktoren in einem erfolgreichen Beratungsprozess gibt es weitere wichtige Aspekte, die es zu beachten gilt:

Den Puls fühlen
Die Erzieherin sollte nicht nur während solcher Elterngespräche, sondern auch im alltäglichen Umgang mit den Eltern sich selbst und ihrem Gegenüber „den Puls fühlen“ (Omer 2012), also präsent und wachsam sein für die jeweilige Stimmungslage. So nimmt sie Spannungen oder andere Warnsignale sensibler wahr und kann direkt darauf reagieren.

Die Wortwahl überdenken
Worte können in jedem Menschen ganz unterschiedliche Gefühlsregungen hervorrufen: Zu- oder Abneigung, Freude oder Trauer, Belustigung oder Scham. Dies hat etwas mit der individuellen Lebensgeschichte zu tun und mit der Lebensgeschichte des Gegenübers. Der eine kann nicht davon ausgehen, dass das Wort „Zuhause“ für den anderen dasselbe bedeutet wie für ihn selbst, dass das Wort „Mutterliebe“ mit den gleichen Idealen verbunden und dass „Konsequenz“ ähnlich besetzt ist wie bei ihm. Man kann der Wirkung dieser Worte nicht entgehen. Deshalb ist es hilfreich, in Gesprächen auf die Wirkung der gewählten Worte beim Gegenüber zu achten und ggf. darauf zu reagieren.

Zuschreibungen vermeiden
Förderlich für Elterngespräche ist auch, vorschnelle Zuschreibungen zu vermeiden. Gerade in den beratenden und helfenden Berufen erfolgt häufig eine pauschale „Diagnose“; so scheint der Gesprächspartner „unbelehrbar“, „widerborstig“ oder „nicht daran interessiert, dass es besser wird“. Geht die Erzieherin in Erwartung genau dieses Verhaltens ins Elterngespräch, ist sie nur eingeschränkt in der Lage, positives Verhalten zu erkennen und Veränderungen sowie Ausnahmen wahrzunehmen.

Die Perspektive wechseln
Besonders hilfreich ist die Erkenntnis, dass es nie nur einen möglichen Lösungsweg gibt. Zeigt eine bestimmte Strategie nicht den gewünschten Erfolg, macht es Sinn, noch einmal ganz neu und unvoreingenommen auf den Sachverhalt zu schauen und sich für eine andere Maßnahme zu entscheiden. So kann die Erzieherin z. B. die Einschätzung anderer, außenstehender Personen einbeziehen und sich von deren Ansichten inspirieren lassen.

Den Machtvorteil ausschalten
Eine grundlegende Aufgabe in schwierigen Gesprächen mit Eltern ist, deren Würde zu wahren. Für pädagogische Fachkräfte ist es bisweilen nicht leicht, ihr Expertenwissen nicht in den Vordergrund zu stellen. Mehrjährige Ausbildungen und Berufserfahrung verstärken sie in ihrem Gefühl der Kompetenz und Autorität, verleihen ihnen einen gehobenen Status und Sicherheit. So kann es passieren, dass Eltern pädagogische Ratschläge „verabreicht“ bekommen. Sie werden eher nicht kooperieren, wenn sie den Eindruck bekommen, auf kein ehrliches Interesse zu stoßen, nicht ernst genommen oder besserwisserisch „von oben herab“ behandelt zu werden. Die Erzieherin tut daher gut daran, ihren Machtvorteil auszuschalten und eine Haltung einzunehmen, die es den Eltern ermöglicht, ihr Gesicht und ihre Selbstachtung zu wahren.

Vorbereitet sein
Es ist sinnlos, aufgebracht, empört, ängstlich oder genervt in ein Elterngespräch zu gehen. Die Erzieherin sollte deshalb sowohl innerlich als auch äußerlich gut vorbereitet sein und trotz evtl. empfundenen Ärgers ihre Ruhe und wertschätzende Haltung wiederfinden, bevor sie die Eltern zum Gespräch empfängt.

Der richtige Rahmen

Für den Alltag in frühpädagogischen Einrichtungen heißt das schlussendlich: Es darf nicht darum gehen, schwierige Themen zu vermeiden. Vielmehr ist es die zentrale Aufgabe einer gelingenden Beratungsarbeit, diesen Themen einen solchen Rahmen zu geben, in dem es möglich ist, über sie zu sprechen – wertschätzend, frei von vorschnellen Ratschlägen, im gemeinsamen Bündnis für das Kind. Im Falle von Leon bedeutet das: Die Bezugserzieherin lädt seine Eltern zum Gespräch ein und geht gut vorbereitet, gefasst und möglichst frei von Vorurteilen in dieses Gespräch. Sie ist aufmerksam für die Stimmung der Eltern und interessiert an deren Schilderungen und Sichtweisen. Sie wählt ihre Worte mit Bedacht und stellt das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt des Gesprächs. Bei der gemeinsamen Entwicklung eines Lösungsweges orientiert sie sich an den Fähigkeiten und Ressourcen der Eltern und motiviert sie dazu, diesen Weg mutig einzuschlagen.
Auf diese Weise werden pädagogische Fachkräfte und Eltern nicht zu Gegnern, sondern zu Bündnispartnern, die sich gemeinsam dem Wohl des Kindes verschrieben haben.

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