Ein Interview mit Prof. Dr. Ute Stoltenberg, Sozialwissenschaftlerin und Expertin für Bildungskonzepte für eine nachhaltige EntwicklungDie Welt von morgen mitgestalten

Kinder, die wissen, dass der Wald die Luft reinigt und aus dem Boden unsere Nahrung kommt, wissen schon Wesentliches über ihre Umwelt und was zum Leben notwendig ist. Im Alltag der Kita gibt es viele Gelegenheiten, Kinder an der Gestaltung der eigenen Zukunft zu beteiligen. Umdenken und handeln für ein zukunftsfähiges Leben ist notwendig und braucht jeden.

,kindergarten heute‘: Frau Prof. Dr. Stoltenberg, Sie engagieren sich für Bildungsvorhaben im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung in Kitas und Kindergärten. Was genau verstehen Sie darunter und welche Ziele verfolgen Sie mit diesem Konzept?

Prof. Dr. Ute Stoltenberg: Wir wissen, dass wir hinsichtlich unseres Naturverbrauchs umdenken müssen, wenn künftige Generationen auch noch die Chance auf ein gutes Leben haben sollen. Wir wissen auch, dass die Ressourcen unter den jetzt lebenden Menschen hier und anderswo ungleich verteilt sind. Und uns ist zunehmend deutlich, dass unser Leben in vielfältigen Wirkungszusammenhängen zu dem von Menschen in anderen Teilen der Welt steht. Für ein zukunftsfähig gestaltetes Leben und Wirtschaften gibt es allerdings kein fertiges Konzept; es ist eine Aufgabe. Und um dafür gerüstet zu sein, brauchen wir Aufmerksamkeit für komplexe Lebenszusammenhänge, Wissen um Wirkungen unseres Handelns, Sensibilität für das Zusammenleben verschiedener Kulturen und Kompetenzen, um kreativ und engagiert neue Wege in dem Umgang mit natürlichen Lebensgrundlagen und im Zusammenleben in dieser einen Welt zu finden. Bildung für eine nachhaltige Entwicklung will dazu Hilfestellung geben. Entsprechend ist Bildung für eine nachhaltige Entwicklung auch nicht nur etwas für Kinder oder Jugendliche. Aber Kinder und Jugendliche sind Teil der Gesellschaft und man kann ihnen ermöglichen, sich von Anfang an mit sich und der Welt so auseinanderzusetzen, dass sie Lust haben, sich an der Gestaltung der eigenen Zukunft zu beteiligen. Kinder haben ein Recht darauf, die Gelegenheit zu erhalten, solche Werthaltungen ausbilden und reflektieren zu können, die zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen können. In Kindergärten können die Fenster für eine lebenswerte Zukunft geöffnet werden:

  • durch eine Kultur des Umgangs miteinander, die Empathie für andere Menschen, Neugier auf ihre Sichtweisen und Interesse an ihren Erfahrungen und ihrem Wissen fördert und zugleich das einzelne Kind ermutigt, eigene Sichtweisen auszubilden und zu vertreten: Partizipation als ein wichtiges Prinzip einer Bildung für eine nachhaltige Entwicklung heißt hier nicht nur „Einübung demokratischen Verhaltens“, sondern ernst nehmen der jeweiligen Sichtweisen, gemeinsames Aushandeln und transparentes Entscheiden;
  • durch eine Kultur des Umgangs mit der Natur und den Dingen: die Wertschätzung für Dinge, in denen „Natur“ und menschliche Arbeit, Kreativität und kulturell spezifische Sichtweisen stecken, kann man fördern, indem man diese benennt, erlebbar und bewusst macht, sie gemeinsam mit allen in der Kita Beteiligten am Leben hält - durch Nutzen, Pflege, Reparatur;
  • durch Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit zentralen Themenfeldern einer nachhaltigen Entwicklung - wie Wasser, biologische Vielfalt, Ernährung, Mobilität, Boden, Energie oder kulturelle Vielfalt - in Projekten, gemeinsam mit Akteuren des regionalen Umfelds, aber auch in ernsthaften Situationen des Alltagslebens;
  • durch die selbstverständliche Einbeziehung des Eine-Welt- Gedankens: Kinder haben heute die Chance, sich frühzeitig damit auseinanderzusetzen, dass Erwachsene und Kinder sowohl in der Nachbarschaft als auch in anderen Teilen der Welt anders leben. Erfahrungen in Bildungsprozessen sollten über den eigenen familiären und regionalen Rahmen hinausweisen. Das trägt dazu bei, dass sich die bei Kindern vorhandenen Gefühle für Gerechtigkeit und Solidarität ausbilden und der Umgang mit Vielfalt als selbstverständlicher Bestandteil des Zusammenlebens wirksam gelebt wird.

Viele Einrichtungen haben mittlerweile feste Waldtage eingeführt oder das Außengelände als vielfältigen Natur- und Erfahrungsraum konzipiert. Was kann und muss Ihrer Meinung nach darüber hinaus im Hinblick auf Nachhaltigkeit in den Einrichtungen ganz konkret geschehen?

Um das am Beispiel Wald zu erklären: Waldtage oder Naturerfahrungen im engeren Umfeld können das Ziel verfolgen, für natürliche Lebensgrundlagen zu sensibilisieren und Natur in ihrer Wirkung auf Menschen erfahrbar zu machen. Dabei aber bleibt die Natur in der Regel das Gegenüber, das man bewundert, über das man staunt, das man schützen muss. Es gerät jedoch nicht in den Blick, dass Natur nicht nur schön, erholsam, abwechslungsreich und für Kinder auch abenteuerlich ist, sondern dass wir täglich von und durch die Natur leben. Und dieses muss in unser Bewusstsein gelangen, wenn wir Gegenwart und Zukunft verantwortlich mitgestalten wollen. So wäre es wichtig, den Kindern Gelegenheit zu geben, die Produkte und Leistungen der Natur zu erkennen und wertzuschätzen. Das kann geschehen, indem man Kindern ermöglicht, hinter die Dinge zu schauen. Holz gibt es nicht ohne den Wald, Nahrung nicht ohne den Boden, in unserer Kleidung „stecken“ Pflanzen. Hierbei Gestaltungsmöglichkeiten aufzeigen heißt, rücksichtsvoll mit den natürlichen Lebensgrundlagen umgehen, weniger davon verbrauchen, sie intensiver und länger nutzen.

Menschen haben in den unterschiedlichen Teilen der Welt ein großes Wissen zu der Frage gesammelt, wie man langfristig gut mit der Natur leben kann. Dieses kulturelle Wissen ist ein großer Schatz. Deshalb gehört zu einer Bildung für eine nachhaltige Entwicklung auch der Respekt vor anderen Kulturen und ein Eintreten für sie.

Wenn Kitas sich dafür entscheiden, Bildung für nachhaltige Entwicklung als Ziel in ihre Konzeption aufzunehmen und weiterzuentwickeln, welche Vorgehensweise empfehlen Sie den Fachkräften?

Bildung für eine nachhaltige Entwicklung ist ein Konzept, das Partizipation auch unter den Erwachsenen einer Kita erfordert, das neue Arbeitsweisen einbezieht - wie zum Beispiel auch eine verstärkte Kooperation mit dem regionalen Umfeld. Nicht zuletzt ist die Einrichtung selbst im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung umzugestalten - hinsichtlich des alltäglichen Wirtschaftens, der Ernährung und Essenssituation, des Wasser- und Energieverbrauchs aber auch der Kommunikations- und Kooperationsformen oder der Gestaltung der Tagesstruktur. Denn Bildungsprozesse für eine nachhaltige Entwicklung finden auch „nebenbei“, eben im Alltag statt. Für die eine Kita kann es richtig sein, über einzelne Projekte zu Themen einer nachhaltigen Entwicklung zu beginnen, für andere über strukturelle Veränderungsprozesse. Es ist hilfreich, wenn sich eine Kita ein Programm gibt, eine Vision: Was wollen wir langfristig erreichen, wie wollen wir langfristig arbeiten? Auf dieser Grundlage kann gemeinsam entschieden werden, womit man beginnen möchte. Und man kann dabei auch das Programm überprüfen und ggf. noch verbessern. Die einzelnen Projekte, die man sich vornimmt (z.B. im nächsten halben Jahr die Frage des Spielzeugs unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten und die Frage der Ernährung - auch gemeinsam mit den Eltern - klären), sollte man transparent diskutieren und sich auch fachlichen Rat und Unterstützung dazu holen. Ein solcher Prozess wird dann nicht als Überforderung empfunden, wenn alle an der Entwicklung des Plans und dessen Weiterentwicklung beteiligt sind.

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