PakistanEine Flutwelle des Hasses

"Wenn dieses Land im Namen des Glaubens gespalten wird, bricht eine Flutwelle des Hasses von so ungeheurem Ausmaß hereinbrechen, die Generationen verschlingen wird." Das sagte Bhagwat Singh, Mitglied der indischen Unabhängigkeitsbewegung, vor Jahrzehnten über die Spaltung Britisch-Indiens in das mehrheitlich islamische Pakistan und das mehrheitlich hinduistische Indien.

Flagge von Pakistan
© Unsplash

Die Flutwelle des Hasses war in der vergangenen Woche über Bhagwat Singhs Geburtsstadt Jaranwala hereingebrochen. Nach dem Vorwurf der Blasphemie gegen zwei Christen kam es in der Großstadt im Punjab zu einem Pogrom gegen Christen. Mehr als 20 Kirchen – darunter eine katholische – wurden von einem muslimischen Mob niedergebrannt oder verwüstet. Bibeln gingen in Flammen auf, Häuser von Christen und Pastoren zerstört, mindestens tausend Menschen flüchteten.

"Wir Christen leben seit Jaranwala in Angst", sagt Sabir Michael der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Angst erlebt der blinde katholische Menschenrechtsaktivist und Dozent an der Universität von Karatschi am eigenen Leib. In Karatschi hatte er eine Demonstration gegen die Gewalt in Jaranwala organisiert und stand dabei in der ersten Reihe. Anschließend erhielt er an seine Privatadresse sowie an seine Uni-Anschrift Drohbriefe. "In jedem war eine Kugel", sagt Sabir Michael.

Die Gewalt in Jaranwala als Vergeltung für angebliche Blasphemie hatte die rechtsextremistisch-islamistische Partei Tehreek-i-Labbaik Pakistan (TLP) über Lautsprecher von Moscheen provoziert, berichteten englischsprachige Medien in Pakistan.

"Während die Anstifter von Vorfällen wie in Jaranwala – sowohl die Geistlichen, die den Mob aufstacheln und anführen, als auch die Geheimagenten, die in verrauchten Räumen sitzen und das nächste Projekt des Hasses planen – oft ältere sind, sind die Fußsoldaten alle Jugendliche", schrieb Aasim Sajjad Akhtar, Dozent an der Quaid-i-Azam Universität und linker Politiker, in seinem "Oh Jaranwala" betitelten Meinungsstück im pakistanischen Nachrichtenportal "Dawn".

In einer Gesellschaft, die nur sehr wenig Hoffnung auf ein Leben in Würde und Wohlstand biete, seien es "die jungen Menschen aus der Arbeiterklasse und der Lumpenschicht, die sich am leichtesten zum Hass hingezogen fühlen". Politische Gewalt und Gewalt gegen Minderheiten sind in Pakistan Alltag. Terroristen der Taliban oder des Islamischen Staats (IS) verüben immer wieder Selbstmordanschläge. Deren Opfer sind Christen sowie die in Pakistan unterdrückten islamischen Minderheiten der Schiiten und Ahmadi, aber auch moderate sunnitische Muslime.

Dann gibt es die Gewalt der islamischen Fanatiker vor allem gegen Christen, oftmals ausgelöst durch Blasphemie-Vorwürfe. Nahezu verzweifelt hieß es in einer von allen sieben Bischöfen unterzeichneten Erklärung der katholischen Bischofskonferenz zu Jaranwala, Christen hätten "wieder und wieder ihre Treue zu Pakistan bewiesen (...) aber Vorfälle der Niederbrennung von Häusern der Christen wie in Shantinagar, Joseph Colony, Kot Radha Kishan, Yohanabda, an vielen anderen Orten und jetzt Jaranwala zeigen, dass die christliche Gemeinschaft nach Belieben bedroht und eingeschüchtert werden kann".

Die Saat religiöser Intoleranz hatte vor über 40 Jahren General Zia ul Haq gesät. Nach dem Militärputsch im Juli 1977 gegen Premierminister Zulfikar Ali Bhutto rief Zia das Kriegsrecht aus und leitete die Islamisierung des öffentlichen Lebens, der Politik, der Justiz und des Bildungswesens ein. Unter Zia, der im August 1988 unter ungeklärten Umständen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, wurde auch das Blasphemiegesetz erlassen, dass für Beleidigungen des Islam, des Korans und des Propheten Mohammed die Todesstrafe vorsieht.

Heute ist Pakistan fest in der Hand jener Politiker, Militärs und Geheimdienstler, die für ihre politischen Zwecke Religion, das heißt den Islam, mit Nation gleichsetzen. Auf Kosten von Minderheiten halten sie ihre schützende Hand über islamistische Hardliner. Aber es gibt auch die anderen, toleranten muslimischen Pakistaner.

Pakistan steckt in einer massiven politischen und wirtschaftlichen Krise. Im Juli 2023 wurde ein Staatsbankrott abgewendet – durch die Zusage eines drei Milliarden US-Dollar schweren Hilfspakets des Internationalen Währungsfonds (IWF). Laut Experten werden die damit verbundenen IWF-Auflagen wie Ausgabensenkungen und Strukturreformen jedoch die wirtschaftliche Not einfacher Bürger weiter verschärfen. Von denen leiden viele noch immer unter den Folgen der Hochwasserkatastrophe von 2022.

Vor gut einem Jahr wurde zudem der inzwischen verhaftete Premierminister Imran Khan durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Mit der Auflösung des Parlaments wurde jetzt der Weg zu Neuwahlen freigemacht. "Politische Gewalt wie auch Gewalt gegen Minderheiten werden im Laufe des Wahlkampfs zunehmen", befürchtet Sabir Michael.

Pakistans Interimsregierung, hochrangige Richter, die Armeeführung, viele islamische Geistliche und Bürgerrechtler haben die Gewalt von Jaranwala verurteilt. Hunderte mutmaßliche Täter wurden festgenommen. "Aber wie immer bleibt die Frage, ob Gerechtigkeit Wirklichkeit wird", erklärten die Bischöfe "mit Traurigkeit". "Die Erfahrungen der Vergangenheit haben uns gezeigt, dass nichts passiert und alles vergessen wurde."

Ende August feierten an einem Sonntag hunderte Christen mit ihren Priestern Gottesdienste und Andachten vor den Trümmern ihrer Kirchen in Jaranwala. Aus Solidarität, so das pakistanische Nachrichtenportal "The News", waren auch Christen aus anderen Regionen nach Jaranwala gekommen.

Von Michael Lenz
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