Einfach LebenEin neuer Blick aufs Leben

Jeden Monat, seit April 2006, gibt P. Anselm, in diesem Heft Impulse für „einfaches Leben“. Und regt dabei immer eigene Antworten der Leserinnen und Leser an, ermuntert sie, „einfach leben“ produktiv weiterzudenken. „Einfach leben - Was verstehen Sie selber darunter? Was erhoffen Sie sich davon? Wie könnte die Idee zum Segen werden, für Gesellschaft und Kirche, vielleicht sogar für eine bessere Welt“?

Das haben wir Freunde des „einfach leben-Briefs“ gefragt. Die nachfolgenden Antworten sind ein Dank an P. Anselm aus Anlass seines 75. Geburtstags. Es sind inhaltlich ganz vielfältige Resonanzen auf sein Kern-Anliegen. Der Blick richtet sich auf Alltag und Glauben, auf individuellen Lebensstil und Gesellschaftliches. Es geht um die Kultur der Seele, um die Beziehung zur Natur, um uns selbst und um die anderen. Eigentlich um das ganze Leben. Dass das Humor einschließt, zeigt nicht zuletzt der Blick des Karikaturisten.

Rudolf Walter, Herausgeber von einfach leben

Auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, möchten wir fragen: Wie setzen Sie einfach leben ganz konkret im Alltag um? Herzlich laden wir Sie ein, Ihre Erfahrungen mit anderen zu teilen. Schreiben Sie uns Ihre Meinung über die Kommentarfunktion am Ende des Artikels.

Alltag und Lebensstil

Wo immer möglich

Im Einfachen - tun, was notwendig ist; verzichten, worauf man verzichten kann; entschleunigen, wo möglich – steckt gelingendes Leben und Glück. Im Hier und Jetzt.

(Reinhold Messner, Autor, Extrembergsteiger, ehem. Mitglied des Europäischen Parlaments)

Einfach: leben

Wie kann man einfach leben? Zunächst kommen mir bestimmte Bilder in den Sinn: Ein Blick nach oben, mitten im alltäglichen Stress, innehalten, wahrnehmen. Der Himmel! Das Vogelgezwitscher! Das Lächeln eines Menschen! Oder: Zusammensein mit einer guten Freundin, ohne viele Worte. Zusammen schweigen. Oder: Ein voller Mittagstisch umgeben von Kindern und Enkeln und Freunden und Familie und Wahlverwandten. Erzählen, Schmecken, Lachen, Teilen.

Manchmal heißt „einfach leben“ aber auch: komplizierte und schwierige Dinge nicht zu scheuen. Sich „einfach“ auf das Leben einzulassen, wie es ist. Das erfordert sehr viel Mut. Sich wirklich in einen anderen Menschen hineindenken. Der nicht so denkt wie ich. Jesus im Nächsten sehen. Zuhören. Vielleicht der altmodischen Großtante. Oder dem Nachbarn, der gegen Windräder ist. Einfach: leben.

Sich auf die Seite der Armen und Marginalisierten stellen, auch wenn man täglich sieht, wie wenig man selbst ausrichten kann und wie vielschichtig die Folgen jeder einzelnen Entscheidung sein können. Einfach: leben.

Sich unbequemen Wahrheiten aussetzen, und das eigene Handeln überdenken. Täglich umkehren, wie Jesus sagt. Schritte tun, um Gottes Schöpfung zu bewahren und unser aller Leben auf diesem Planeten weiter zu ermöglichen, auch wenn es noch so komplex und im Einzelnen wirkungslos erscheint. Einfach: leben.

Beten. Auch wenn so viele Bitten scheinbar unerhört geblieben sind, auch wenn meine Zeit nicht auszureichen scheint, auch wenn ich oft mehr mit Gott streite als ihn zu preisen. Einfach: leben.

Sich den eigenen Abgründen stellen. Verwundungen anschauen, sich jemandem anvertrauen, Heilung zulassen, Vergebung wagen. Es ist so schwer, aber es ist einfach: leben.

Das ist es, lieber P. Anselm, was Sie in den vielen Jahren Ihres Wirkens geschafft haben zu vermitteln: Wagt das Schwerste und Komplizierteste, nämlich einfach zu leben! Denn wir haben den besten Beistand. Der Geist Gottes flüstert uns in jedem Augenblick die wahrste Wahrheit zu, die alles einfach und lebendig macht: Du bist geliebt.

(Katrin Göring-Eckardt, Kovorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, 2009 bis September 2013 Präses der Synode der EKD)

Jeden Tag. Ohne Blaupause

„Einfach leben“ heißt für mich, das eigene Leben zu wagen, für das es keine Blaupause gibt. Als Christin habe die Gewissheit, von Gottes bedingungsloser Liebe durchdrungen und gehalten zu sein. Nichts, was das menschliche Leben betrifft, ist der Bibel fremd. Und Jesus Christus hat es vor über 2000 Jahren vorgemacht, einfach zu leben, indem er, getragen von Gott, dem Leben vertraute und Konventionen durchbrach. Das macht mir heute Mut, mich jeden Tag neu zu bemühen, ganz und gar aufmerksam da zu sein, um dadurch innere Freiheit und Frieden zu erfahren.

(Christine Radtke-Schramm, Malerin)

Was mir immer hilft

Mein Geist neigt zum Grübeln. Begegnung schenkt Weite und lässt aufatmen. Das und alles, was Leben reich und groß sein lässt, seinen Glanz unbeschwert zum Leuchten bringt verbinde ich mit der Vision „einfach leben“. Gefühle von tänzerischer Leichtigkeit, von Freude und Freiheit steigen auf. Verwirklichung für alle wird ersehnt. Hin zu diesem positiven Lebensgefühl helfen mir immer wieder: Ordnung, Klarheit und Dankbarkeit. Aber auch: Hoffnung, Mut zu Neuem und Freude an Überraschungen.

(Mechthild Finster, Lehrerin)

Immer neu üben

Ich darf einfach sein, das ist das Urcredo der jüdisch-christlichen Spur. „Du bist gesegnet!“ Vor allem Tun. Das heißt konkret: Weniger konsumieren. Prioritäten setzen. Einen anderen Umgang mit der Zeit finden, langsamer sein, sich Zeit zu gönnen, nicht mehr auf allen Hochzeiten tanzen müssen, mehr das Kleine auskosten, nicht immer Schlag auf Schlag etwas Neues haben müssen, Zufriedenheit und Dankbarkeit leben. Was heute latent oder offen in der Luft liegt, suggeriert das Gegenteil: die Jagd nach immer Neuem und immer mehr, - ein hochgradiges Suchtmuster. Darum braucht es Momente, das Wesentliche immer wieder zu vergegenwärtigen und immer neu in die Übung zu kommen. Ich spüre, dass die Sehnsucht danach wächst, übrigens häufiger bei Frauen. Bei Männern muss schon massiver Leidensdruck da sein, bis sie sich in diese Richtung aufmachen.

(Pierre Stutz, Theologe, Autor, spiritueller Begleiter)

Zweifeln und Vertrauen

Es ist gar nicht so einfach. Morgens kaufe ich eine Bio-Gurke, und dann kommt sie doch nicht aus Nachbars Garten sondern aus Spanien. Nachmittags nehme ich mir vor, verständnisvoller zu sein, und dann wählt jeder fünfte die AFD, und ich will nur noch bis vier zählen.

Gott versteckt sich an manchen Tagen hinterm Zaun und beim Meditieren geht mir die Puste aus.

Das Leben ist nichts für Bürokraten. Nichts bleibt, wie es ist. Der Zweifel feiert täglich Auferstehung. Je weniger ich ihn fürchte, desto weniger Macht hat er über mich. Ich lerne, ihn zu lieben. Er hält mich wach. Er bringt mich zum Denken. Ich brauche ihn, um mich nicht von jenen verführen lassen, die einfache Antworten versprechen. Das kann anstrengend sein – wenn da nicht das Vertrauen wäre, das freundlich an meiner Seite bleibt. „Ich bin da“, verspricht es. Das ist wiederum ein sehr einfacher Satz. Ich höre ihn, ich sage ihn, morgens und abends. Im Zweifel sogar öfter.

(Susanne Niemeyer, Autorin, Bloggerin, Kolumnistin)

So beginnt Weltveränderung

Alle Revolutionen beginnen an einem Küchentisch. Menschen fangen an, anders zu reden und zu beten, zu singen und einzukaufen, zu lachen und zu danken. Und plötzlich machen das viele, und das verändert die Welt. Wenn wir einfacher leben, müssen wir weniger arbeiten und haben mehr Zeit für andere und für die wesentlichen Dinge: lächeln und beten, singen und Beziehungen pflegen, nachdenken und mit dem Herzen zuhören und sprechen und tatkräftig helfen, wo Hilfe gebraucht wird. Das klingt einfach, braucht aber Übung und Pater Anselm Grün erinnert uns immer wieder daran. Dafür schätze ich ihn und dafür möchte ich ihm an seinem Geburtstag herzlich danken.

(Sylvia Wetzel, buddhistische Meditatonslehrerin, Autorin)

Kultur der Seele

Bei sich anfangen

Warum scheint „einfach leben“ so schwer? Dabei könnte es doch so leicht sein: im Getriebe des Vielfältigen ist ohnehin nicht alles erreichbar, nicht alles ist zu besitzen, nicht alles ist von Bedeutung – weshalb sich dann immer wieder an die unzählige Vielfalt so vielfältig binden, dass man selbst jegliche Einheit in sich und bei sich aufgibt? Ist es nicht leichter und daher auch weiser, einfach bei sich selbst zu sein und ein-fach sein Leben zu leben in großer Ruhe und Gelassenheit für Andere und für sich, ohne allen Verwirrungen und Verirrungen nachzuhetzen, die dieses Leben schwer machen? „Einfach leben“ aber ist nicht schwer. Es beginnt beim einfachen Selbst und endet beim einfachen Selbst. Schwer ist „einfach leben“ nur für den, der nicht bei sich beginnt und folglich nicht bei sich endet. Dem aber setzt der Tod ein Ende und lehrt ihn damit, was auf schwerem Grabstein einst stehen wird: „Es hätte alles so leicht sein können.“

(Bernhard Uhde, Prof. Dr. Dr., Religionsphilosoph, Religionswissenschaftler, Leiter des Instituts für Interreligiöse Studien, Freiburg)

Reise nach Innen

Es ist einfach glücklich zu sein, schwer ist es nur einfach zu sein.

Wenn wir Menschen wissen was wir wirklich brauchen, dann verbrauchen wir auch weniger.

Es gibt wohl kaum eine klimafreundlichere Art, die Welt zu entdecken, als die Reise nach Innen.

Lieber Anselm Grün, danke für Ihre alltagstaugliche Spiritualität.

(Eckart von Hirschhausen, Arzt, Gründer der Stiftung HUMOR HILFT HEILEN, Scientists for Future)

Lebenslange Ausrichtung

Wenn ich weiß, was oder wer der eigentliche Mittelpunkt, der Sinn, das Maß, die Liebe in meinem Leben ist, dann bedeutet „einfach leben“ den lebenslangen Auftrag, mich immer wieder neu auf diese Mitte hin auszurichten – und gleichzeitig die Gelassenheit, anzunehmen, dass ich mich selbst davon auch immer wieder ablenken lasse.

Wenn es uns gelänge, durchlässiger zu werden für das Leben selbst und damit auch für DEN, DER uns dieses Leben schenkt und uns in jedem Augenblick neu begegnen will, würden wir vermutlich etwas angstfreier und lebendiger sein.

(Katharina Schridde, evangelische Benediktinerin, Pfarrerin, Autorin)

Auf die Seele achten

"Einfach leben" kann nicht nur bedeuten, ein einfaches, bescheidenes Leben führen, sondern auch: dass es gilt, das Leben als primäres Gut zu achten und es nicht selbstbezogenen oder gesellschaftlichen Zwecken unterzuordnen. Eben: Achte einfach dein Leben, das dir gegeben ist.

Dieses Verständnis hat mit der Vorstellung zu tun, dass der Mensch eine Seele hat. Sie ist ihm wie das Leben gegeben. Der Mensch kann sie nicht machen. Er kann nur Sorge zu ihr tragen. Der moderne Mensch versteht sich vielfach anders. Er ist überzeugt, sich selbst gestalten und optimieren zu können. Wenn nicht mehr von einer Seele gesprochen wird, sondern von einem «Selbst», dann hat das etwas Konstruiertes. Der Mensch versteht sich immer mehr als ein Macher, auch als ein Konstrukteur von sich selbst. Aber trifft dies zu? Enthält nicht die Vorstellung einer Seele eine tiefere Wahrheit, die dem Erleben des Lebens näherkommt und zu einer humaneren Lebensgestaltung beitragen kann?

"Einfach leben" fordert zur Frage auf, was ich nicht nur selbstbezogen will, sondern was mein Leben und meine Seele brauchen und auch was das Leben und die Seelen anderer Menschen brauchen-, um sich zu entfalten. Das deckt sich nicht mit egozentrischen Wünschen und verwehrt mir, das Leben als bloße Bioaktie zu verstehen, die es mit möglichst großem eigenem Gewinn einzusetzen gilt.

(Prof. Daniel Hell, Psychiater und Therapeut)

Suche nach Sinn. Statt Flucht in die Sinne

Im „einfachen Leben“ sehe ich sehr gute Voraussetzungen dafür, dass Leben lieben zu lernen. Und zwar bedingungslos. Dann sehe ich im einfachen Leben die Voraussetzung für innere Freiheit. Im einfachen Leben verbirgt sich also die Kunst, bedingungslose Liebe und Freiheit völlig losgelöst von den materiellen Glücksboten unserer Konsumgesellschaft zu erfahren. Dabei geht es um „Glück mit weniger“ oder aber auch um die Suche nach dem Sinn, statt der Flucht in die Sinne.

(Bodo Janssen, Unternehmer)

Freiheit und Maß

Einfaches Leben, das hat für mich zu allererst mit Freiheit zu tun. Der höchste Grad innerer Freiheit, die ein Mensch auch heute erreichen kann, ist Souveränität im Umgang mit den Möglichkeiten unserer Zeit. Souveränität heißt: etwas nutzen. Aber auch: loslassen können. Frei ist, wer sich selbst Grenzen setzen kann, in dem, was er will und leisten kann, aber auch in all den anderen Dingen des Lebens.

Zentral ist für mich: zu Selbstbegrenzungen zu kommen. Christlich gesprochen: Die Tugend des Maßes. Das ist die größte ethische Herausforderung unserer Zeit. Wir erleben heute – Stichwort: Klimawandel und die Folgen - die Konfrontation mit den Grenzen der Entwicklungsmöglichkeiten unserer modernen Zivilisation. Wir leben einerseits in einer Zeit der Entgrenzungen der Möglichkeiten. Aber jeder Einsichtige spürt: eine Kultur hat nur Zukunft, wenn sie auch die Kraft der Selbstbegrenzung hat.

(Alois Glück, Politiker, war Landtagspräsident im Bayerischen Landtag und Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken)

Unverwechselbare Melodie

Es gibt keine endgültige Einfachheit, kein vollkommenes Glück. Es kommt auf die Richtung an. Entscheidend ist die Bewegung, die zugeht auf Einfachheit und Glück. Ich habe das während meines Lebens als Christ auch mit dem Glauben erlebt: Er ist immer einfacher geworden. Am Anfang habe ich die vielen Außenseiten des Glaubens gesehen: Gottesdienst, Abendmahl, Konfirmation, Lieder, Gebete, biblische Geschichten, Rituale, Treffen, Feste, Institutionen, Hilfswerke, Organisationen, Spenden. Später, als Theologiestudent und Pfarrer all die philosophischen Hintergründe, die Lehre vom Opfertod Christi, von der Sündhaftigkeit des erlösungsbedürftigen Menschen, von der Dreieinigkeit, von den Konfessionen, dem Amtsverständnis, und was nicht noch alles.

Vieles davon ist in den Hintergrund gerückt. Geblieben ist eine zu Herzen gehende, unverwechselbare Melodie. Es ist das Lied von der Stärke der Liebe, von der Macht der Machtlosigkeit, von der Menschlichkeit Gottes. Das ist es, was uns verbindet, bei aller Verschiedenheit. (aus Tiki Küstenmachers Text „simplify your church“ – geschrieben zum Geburtstag von Anselm Grün, den wir in der Februarausgabe veröffentlichen werden.)

(Tiki Küstenmacher, Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern im Ehrenamt, seit 1993 freiberuflicher Autor und Karikaturist)

Dankbarkeit hilft

Leben wird einfacher, wenn wir achtsam die vielen kleinen und größeren Dinge des Alltags, die uns vom Leben geschenkt werden und die keinesfalls selbstverständlich sind, bewusst wahrnehmen, statt sie für selbstverständlich zu halten. Kleine Momente der Freude und des Glücks können durch Dankbarkeit an Tiefe gewinnen. Dankbarkeit wird so ein hilfreiches Mittel gegen Mangelorientierung– nicht indem man beschönigt, sondern indem man genau hinsieht und das Leben als Ganzes mit freudigen neben den schwierigen Momenten sieht. Dann kann, zum Beispiel, deutlich werden, dass es einem gut tut, Menschen, die einem ein freundliches Lächeln schenken, dankbar zu sein und vielleicht sogar zurück zu lächeln. Es wird uns auch Gutes von vielen Menschen und nichtmenschlichen Wesen gegeben. Das zu erfassen, kann das Leben reicher und wertvoller machen und das Herz öffnen und weiten. Vom Denken des ausschließlichen Mangels wegzukommen und Fülle als positives Gut zu entdecken, eröffnet eine neue Sicht auf andere und auf das Leben. Wir können nicht ohne andere und anderes existieren, und sich das wiederum bewusst zu machen, kann zur Quelle von Freude und liebevollen Gefühlen werden.

(Luise Reddemann, Dr. med., Professorin und Psychotherapeutin, Traumaforscherin)

Von der Natur lernen

Hingabe und Anstrengung

Schon als Jugendliche war mir Konsumismus fremd, dieses Zudecken des Lebens durch die Dinge. Wonach ich mich sehnte: intensives, pures, unverstelltes Leben - nah an der Natur. Wasser, Weite, Freiheit: Mit dem Segelboot zwischen den 40.000 Inseln der Stockholmer Schären zu kreuzen, im Windschatten einer Insel zu ankern, irgendwo einen Schlafplatz zu finden. Unabgelenkt, ganz im Jetzt. Mit Widerständen der Elemente umgehen und etwas erfahren, was man als essentiell erlebt. Es ist elementar, in der Bewegung den eigenen Körper spüren, in der Anstrengung sich selber kennenzulernen, bei sich zu sein, einfach sein.

Hingabe an Musik ist auf einer anderen, geistig-emotionalen Ebene ähnlich: die Ohren für Neues öffnen, genau hören, konzentriert und intensiv üben, Kompliziertes und fremde Klänge – auch über Umwege und Widerstände – verstehen und sich aneignen. Anstrengend! Aber auch diese Anstrengung ist Intensität, Leben, Freude. „Einfach leben“ ist auch die Erfahrung, dass etwas Komplexes, Schwieriges zum Gelingen kommt und in einer wesentlichen Aussage erfahrbar, hörbar, ja spürbar – lebendig wird.

(Asa Akerberg, schwedische Cellistin, Mitglied im „ensemble recherche“ mit dem Schwerpunkt neuer Musik)

Einfach gehen

Meine Gedanken sitzen fest. Nichts geschieht, nichts bewegt sich. Überzeugungen sitzen fest, Bilder und Vorstellungen, Urteile und Vorurteile (wo ich doch meine, keine zu haben…). Und, nebenbei bemerkt: Auch mein Besitz hält mich fest. Was tun? Aufstehen! Die Tür öffnen. Hinaustreten. Losziehen. Gehen. Frei gehen, unbeschwert, mit möglichst wenig Gepäck. Immer wieder. Einfach gehen. Einfach leben. Und nichts sitzt mehr fest.

(Lorenz Marti, Publizist, Buch-Autor und begeisterter Wanderer)

Die Blüte des Lotus

Wachstum wird meist quantitativ definiert: als Mehr, Höher, Schneller. Wir wissen aber aus allen Kulturen: „Weniger ist mehr“. Unsere Sinne, unsere Aufmerksamkeitspotentiale sind begrenzt. Wenn wir sie überreizen, können wir nichts mehr genau wahrnehmen. Fülle heißt nicht „viel“. Qualität, auch Lebensqualität gibt es nur in der Reduktion. Das Wesentliche wird in der Besonderheit sichtbar. Der Spargel wird als etwas Besonderes wahrgenommen, weil er nur begrenzt, zu einer bestimmten Zeit, verfügbar ist. Wer fastet, erlebt den Genuss des Geschmacks neu. Wer Enthaltsamkeit übt, kann auch die Lust intensiver erfahren. Sinnesschulung ist daher nicht gegen den Körper gerichtet, sondern Schulung der Aufmerksamkeit auf die Qualität sinnlichen Erlebens. In asiatischen Kulturen gilt die Idee, dass das Geistige kein Gegensatz zum Körperlichen ist, sondern seine Blüte. Am besten ausgedrückt ist das im Bild der Lotosblüte. Der Lotos gedeiht nur im Schlamm und ist doch Symbol des Spirituellen schlechthin. Er wächst an seinem Stiel einen Meter über die Wasseroberfläche hinaus und entfaltet dort seine makellose Blüte. In ihr sitzt der Buddha. Einfachheit, Qualität, das ist die Blüte der Evolution.

(Prof. Michael von Brück, ev. Theologe, Religionswissenschaftler, Yoga- und Zenlehrer)

Von Tieren lernen

Sie leben einfach. Und ich seit gut drei Jahren mit ihnen. Gemeint sind die beiden Poitou-Esel Freddy und Fridolin. Sie haben die Kraft der Co-Therapeuten. In Begegnungen mit ihnen erfahren Menschen: Absolute Präsenz, totale Vorbehaltlosigkeit, echte Zuwendung, überzeugende Authentizität, ja tiefe Lebendigkeit.

Während ich mein Leben gestalte, sind sie immer sie selbst: Ganz und gar Esel. Sie müssen es nicht werden. Wie sehr ich von ihnen lerne!

(Dr. Rainer Hagencord, Biologe, Theologe, Gründer und Leiter des Instituts für Theologische Zoologie, Münster)

Ich und die anderen

Klar und eindeutig im Miteinander

Einfach leben heißt für mich: eindeutig leben. Wenn ich mich in Beziehungen klar ausdrücke, ist es leichter und unkomplizierter. Wenn ich die Verantwortung für mein Handeln selbst übernehme, brauche ich weniger Regeln. Wenn ich das Einfache im Naheliegenden sehe, weiß ich, was dem Menschen nahe ist. Erkenne ich es jedoch nicht, werden das Miteinander und die Regeln komplizierter. Einfach leben kann dann Neuwerden heißen.

(Linda Jarosch, Autorin, freie Bildungsreferentin, Beraterin)

Geteilte Genügsamkeit

Die Überzeugung, dass Einfachheit das Leben bereichert, steht für mich steht im Zusammenhang mit dem Satz Jesu: „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt?“ Wir brauchen nicht den ständigen Konsum, die immer neuesten Produkte. Es geht darum, gut zu leben, statt viel zu haben.

Einfach leben, das heißt nicht nur zu fragen: Was ist genug für mich? Es heißt ganz praktisch auch: teilen. Die Fähigkeit zu teilen ist urmenschlich, genauso wie die Fähigkeit etwas haben zu wollen. Das Stichwort für die Zukunft ist: geteilte Genügsamkeit – einfacher leben, damit auch andere leben könnten. Meine Erfahrung: Geteiltes Leid, geteilte Freude geben unserem Leben eine bessere Qualität.

Überhaupt: Für mich ist Christentum Teilen und Hingabe. Die Fähigkeit zu teilen im ganz praktisch- materiellen Sinn und Eucharistie hängen zusammen. Eucharistie ist Teilen von Brot und Wein – und für Jesus auch der symbolisch-sakramentale Ausdruck seiner Hingabe.

(Martin Maier SJ, Theologe, Publizist, Leiter des Jesuit European Social Centre in Brüssel)

Reine Menschlichkeit

Es geht um kultivierte Armut: Die Vision „einfach leben“ zielt auf eine Kultur, die davon bestimmt ist, immer weniger haben zu wollen, Tag für Tag, Monat für Monat und Jahr für Jahr. Sie setzt auf die reine Menschlichkeit, auf das Vertrauen darauf, dass wir nicht das Wenige reduziert sind, sondern mehr sind als das, was wir haben. Doch „einfach leben“ braucht Visionäre, Menschen, wie Pater Anselm Grün, der wie kein anderer den Geist des Lebens mit der ganzen Strahlkraft der Einfachheit repräsentiert und Mut macht für einen Morgen, der arm wäre, ohne seine Botschaft.

(Ahmad Milad Karimi, Religionsphilosoph, Islamwissenschaftler. Mit A. Grün Autor von „Im Herzen der Spiritualität“)

Erfüllt leben. Fülle leben

Jesus spricht davon, dass wir „Leben in Fülle“ haben sollen. Gott will ein GUTES ERFÜLLTES LEBEN für alle Menschen und wir können mitarbeiten, dass dies Wirklichkeit werde auf unserer Erde.

Tatsächlich ist es ein Geheimnis der Freiheit des Herzens, sich zu entschließen, in unserer Zeit und in unserer Gesellschaft einfach zu leben. Das bedeutet manchmal, nicht verstanden zu werden und einen bestimmten Status zu verlieren. Aber man gewinnt dadurch. Ich habe das Glück, in einem Armenviertel zu leben. Aus Fremdsein ist langsam gewachsene Nachbarschaft geworden und ich darf das Vertrauen der Menschen genießen. Gleichzeitig aber freue ich mich über die vielen Freundinnen und Freunde, die uns aus „besseren“ Teilen der Stadt wie auch aus anderen Ländern besuchen und oft mehrere Tage und Wochen einfachen Lebens bei uns verbringen. So leben in unserem Viertel je für ein Jahr zwei Wohngemeinschaften von jungen deutschen Freiwilligen. Oft habe ich von ihnen bei ihrem Abschied den Kommentar gehört: „Ich werde jetzt mit weniger auskommen“. Sogar nach Jahren lassen mich manche wissen, wie sich die Vision ihres Lebens geändert hat. Denn bewusstes „einfach leben“ regt an: zum Teilen, zur Freude an der Gemeinschaft, zum Gefühl der Verbundenheit und zur Abwehr von Neid, Hass, Eifersucht und Konkurrenzdenken, zum Miteinander, indem man Leid und Schmerz teilt und miteinander Ängste überwindet...

“Einfach leben” meint ein GUTES LEBEN – „Sumaj Yachay“ auf Quechua- für alle und jeden einzelnen im Land: der höchste Wert des Bolivianischen Grundgesetzes.

(Sr. Karoline Mayer, Entwicklungshelferin, Gründerin von Hilfswerken in Chile, Peru, Bolivien)

Kompass für Verantwortung

„Einfach Leben“ heißt: Wir sind aufgefordert uns auf das Wesentliche zu besinnen, den Alltagslärm ein wenig auszublenden und uns selbst zu reflektieren. Es meint die Aufforderung, das eigene Leben aktiv zu gestalten und den eigenen Weg, die eigenen Entscheidungen nicht den Umständen oder falschen Führern zu überlassen. Wer einfach lebt, der übernimmt Verantwortung für sich selbst und für die ihm Anvertrauten. Einfach Leben, gerade wenn es auch ein „Leben und Leben lassen“ mit einschließt, wird schließlich zu einem Kompass, der uns hilft, mehr Frieden und Gemeinschaft in Staat, Gesellschaft sowie Einklang in unserem Umgang miteinander und mit der Natur zu erreichen.“

(Walter Kohl, Unternehmer, Publizist, Redner)

Geist der Liebe

Es wäre ein Geschenk für alle: dass man auch Menschen mit schwieriger Biographie und Menschen „am Rand“ der Gesellschaft, psychisch Kranken, Obdachlosen, Haftentlassenen oder Geflüchteten, aus dem Geist der Liebe begegnet. So wie Joachim Wanke die sieben Werke der Barmherzigkeit konkret beschrieben hat:

Einem Menschen sagen:
„Du gehörst dazu.
Ich höre dir zu.
Ich rede gut über dich.
Ich gehe ein Stück mit dir.
Ich teile mit dir.
Ich besuche dich.
Ich bete für dich.“
Es wäre ganz einfach.

(Karl Rottenschlager, Sozialarbeiter, Theologe, Gründer von „Emmaus“ St. Pölten)

Einem ein Licht anzünden

Nur einmal bin ich ihm persönlich begegnet, bei einem Spaziergang im Alten Friedhof in Freiburg. Wir sprachen über Patienten. Gelernt habe ich durch seine Texte (auch im Fernsehen und Internet). Bei meinen Lehrmeistern der Tiefenpsychologie und Verhaltenstherapie, auch bei Paul Watzlawick, da hat mir immer etwas gefehlt: für meine Patienten, und für mich persönlich. Gefunden habe ich es in den Meditationen von Anselm Grün. Sie laden in großer Freiheit ein, zum Blick nach innen und außen, gerade auch in Belastungssituationen. Er zündet einem immer wieder ein Licht an. Setzt Kräfte frei, gibt Zuversicht und Mut, löst Knoten in Begegnungen. Täglich auf dem Weg bleiben, auf den persönlichen Begleit-Engel hören: Dazu bewegt Pater Anselm. Ich wüsste nicht, wem ich in meinem Leben mehr zu verdanken hätte als ihm.

(Dr. Karl-Herbert Mandel, Psychotherapeut im Ruhestand)

Gefüllte Hände

Auf der belebten Geschäftstrasse sitzt er…

ein „Mann von der Straße“, eine kecke rote Mütze über dem bartverdeckten Gesicht, bereit zu lächeln.

Vor ihm stehen 7 kleine, beschriftete Pappbecher:

Rente – Essen – Trinken – Medikamente – Puff – Cola – Pizza

Er will ...einfach leben...

Ich spende bei den Medikamenten. Wir lachen...

Ich … habe Glück gehabt.

Was stünde auf meinen Pappbechern?

Und auf der nassen Straße in Köln kommen mir die Zeilen in den Sinn:

Ausgang und Eingang
Anfang und Ende
Stehen bei dir Gott,
fülle mir die Hände.

(Bärbel Wartenberg-Potter, Theologin, Bischöfin a. D. der Nordelbischen Lutherischen Kirche)

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