Begegnungen. Luise Reddemann im GesprächGlücklichsein - wie geht das?

Wir hatten uns am Kölner Hauptbahnhof in der DB-Lounge verabredetet, weil Luise Reddemann zwischen zwei Zügen gerade ein Zeitfenster hatte, groß genug, um einen Blick auf das Glück zu werfen. Dass mein Zug Verspätung hatte, war nicht eingeplant. Zum Glück hatte sie gewartet.

Luise Reddemann
Prof. Dr. Luise Reddemann, Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin und Honorarprofessorin für Psychotraumatologie an der Universität Klagenfurt© Marijan Murat

Rudolf Walter: Ist Glück immer eine Momentaufnahme?
Luise Reddemann: Das ist die westliche Philosophie von Glück. Mir ist die Auffassung der östlichen Denker sympathischer: Wenn man achtsam, mitfühlend, freundlich ist und Freude empfindet, so dass es zur Haltung wird, dann kann man in jedem Moment glücklich sein. Ich bin übrigens nicht dafür, dass man das Glück ins Jenseits verlegt. Glück findet hier statt, in diesem Leben. Allerdings ist der größte Denkfehler: dass die meisten Leute glauben, sie wären glücklich, wenn sie etwas Bestimmtes hätten.

Leben Sie selber danach?
Ich versuche es. Ich habe kein großes Interesse am Habenmüssen. Übernachten nicht auch Sie lieber in einem komfortablen Hotel als in einer Absteige? Da ist meine Devise: „Haben, als hätte man nicht“. Ich freue mich dran, aber ich muss das nicht haben. Das macht frei.

Macht Glück frei?
Umgekehrt: Freiheit macht glücklich. Es ist wie mit der Dankbarkeit. Nicht der Glückliche ist dankbar, sondern Dankbarkeit macht glücklich. Wenn ich frei bin und offen für das Leben, wie es nun mal ist … Auch wenn die Bahn sich mal verspätet. Damit habe ich mich abgefunden.

Die Freude lassen Sie sich davon nicht rauben?
Nein. Sich freuen, dankbar sein und sich unabhängig machen von allem Haben, das ist das Ziel, zu dem wir uns zumindest hinbewegen sollten, auch wenn wir es nicht auf Dauer erreichen.

Wenn man auf sein eigenes Leben schaut, ist es doch gar nicht so einfach, in der intensiven Freude zu sein?
Das würde ich nicht sagen. Freude ist eine gehobene Emotion. Aber – so sagen die Forscher – gehobene Emotionen sind flüchtig. Wir sollten also achtsam mit ihnen umgehen und sie auskosten. Wir müssen lernen, bei der Freude zu verweilen. Und dazu braucht man Achtsamkeit. Wir merken oft sehr viel besser, wenn wir traurig oder verzweifelt sind. Das macht uns auch wach und schützt unser Überleben. Es gibt eine Theorie von amerikanischen Forscherinnen, die sagen: Wir brauchen die gehobenen Emotionen, um kreativ zu sein. Dann fallen uns die besseren Problemlösungen ein. Gibt es also etwas wie „Glücksarbeit“? Man kann sich zumindest um sein Glück aktiv kümmern, indem man sich ganz bewusst auf die positiven Erfahrungen konzentriert. Das heißt nicht: „Du musst positiv denken, dann bist du erfolgreich. Und du bist selber schuld, wenn es dir schlecht geht.“ Aber man kann sich ein bisschen bemühen ums Glück: Darüber nachdenken, was einen denn schon glücklich gemacht hat. Alles wahrnehmen, aber bewusst eben auch die Freude mitkriegen: Bei der Freude zu verweilen, das ist nicht anstrengend.

Man kann das ja auch imaginieren, die intensive Freude, die man in seinem Leben mal erfahren hat, wieder zurückholen.
Man muss da gar nicht so weit zurückgehen. Die Gegenwart ist wichtig: Ich selber freue mich über vieles. Es gibt so viele Kleinigkeiten, die schön sind. Wenn die Sonne scheint zum Beispiel, aber nicht nur dann. So wie Mascha Kaleko in einem Gedicht: „Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehen / und dass es regnet, hagelt, friert und schneit. / Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit, / wenn Heckenrosen und Holunder blühen.“ Das ist eines meiner Lieblingsgedichte. „Schwerer werden, leichter sein“, das war das Motto von Paul Celan, der wirklich kein leichtes Leben hatte. Es gibt Menschen, die halten gläubig daran fest, dass das Leben schrecklich ist. Das glaube ich nicht. Aber man darf auch diese Menschen nicht voreilig beurteilen, wenn man selber diese schlimmen Sachen nicht erlebt hat.

Geld allein macht nicht glücklich. Aber eine bestimmte Grundsicherung der Lebensmöglichkeiten sollte man haben.
Das sicher. Aber das hat nicht nur eine materielle, sondern auch eine psychologische Seite. Ich glaube, wenn Kinder wirklich Liebe erfahren und wenn dann dazu einigermaßen für die äußere Sicherheit gesorgt ist, dann werden sie für das Glück bereit. Aber wer erfährt das schon? Das fängt damit an, wie man bei uns auf die Welt kommt: im Operationssaal statt in einer natürlichen Umgebung. Das geht weiter mit ständiger Trennung, obwohl wir dafür gemacht sind, ständig Hautkontakt zu haben. Wenn wir nicht in diesen Erfahrungen wurzeln können, suchen wir nach Ersatzbefriedigungen. Glücksfähigkeit hängt psychologisch mit positiver Bindungserfahrung zusammen.

Ist es auch Glück, ein Ziel zu erreichen? Sich für etwas anzustrengen? Eine gute Note, ein Berg, den man bestiegen hat…
Mich persönlich macht Leistung an sich oder Erfolg bestenfalls zufrieden, nicht glücklich, auch nicht das Schwitzen beim Bergsteigen. Etwas anderes ist es, wenn ich dann oben stehe und die Schönheit der Welt von oben bestaune.

Glück und Zufriedenheit hängen aber doch auch zusammen?
Natürlich, aber im Glück ist viel mehr Strahlen und Freude. Da könnte man fliegen, singen, tanzen, vor lauter Freude Purzelbäume schlagen. Im Geist zumindest. Jeder nach seiner Veranlagung und nach seiner persönlichen Lebenssituation.

Was halten Sie denn von Glücksratgebern? Kann man Glück lernen?
Es gibt Glück auch als Kontrasterfahrung und nicht als Dauererfahrung. Und es als Abstraktum lehren, das geht auch nicht. Csikszentmihalyi hat gesagt: „Es gibt sieben Milliarden Formen von Glück.“ So viele, wie es Menschen gibt. Jeder hat seine eigene Weise, glücklich zu sein. Daher sind auch Ratgeberbücher zum Thema Glück problematisch.

Man kann ja keine Glückspillen verabreichen, die alle gleichermaßen stimulieren. Aber wie steht es mit Schokolade?
Als Glückspille ist Schokolade überschätzt. Ich bin groß geworden zu einer Zeit, als das noch ein seltener Genuss war. Das erste Stück Schokolade war ein besonderes Erlebnis: ein Glück. Heutzutage kann man mich mit Schokolade nicht mehr glücklich machen. Unsere Glücksfähigkeit hat etwas zu tun mit einer hormonellen Fähigkeit im Gehirn, die sich einstellt, wenn wir glücklich sind. Man kann dem Gehirn Substanzen zuführen, mit denen wir uns glücklich fühlen. Viele Menschen nehmen Serotonin-Aufnahmehemmer, Prozac zum Beispiel, das ja auch als Glückspille bezeichnet wird und das im Gehirn etwas anregt, was einen Leichtigkeit und Lebenslust spüren lässt, jedoch nicht dauerhaft.

Womit kann man Sie glücklich machen?
Ich glaube nicht, dass mich jemand glücklich „machen“ kann. Glück kommt nicht von außen, sondern von innen. Natürlich gibt es hilfreiche Hinweise: Sei achtsam. Sei dankbar. Genieße die Dinge des Lebens. Nimm dir Zeit für Gemeinschaft. Pflege Freundschaften. Such dir Musik, die dir gefällt. Aber vielleicht braucht jemand all das gar nicht und ist am glücklichsten, wenn er allein ist und sich verbunden fühlt. Und wenn man jemandem begegnet, der glücklich ist, steckt das an. Alle Emotionen stecken an.

Wenn einer lächelt, lächelt der andere zurück, wie Sie jetzt.
Genau. Ich finde es hilfreich, sich klarzumachen, dass wir ausgestattet sind mit diesen Fähigkeiten. Wir müssen uns doch gar nicht so anstrengen. Wir können doch lachen, wir können uns freuen.

Warum tun wir’s dann nicht? Weil wir zu viel mit uns herumschleppen, das ständig in uns tobt … … das man aber nicht so einfach abwerfen kann wie Hans im Glück, der ja bei näherem Hinsehen auch nichts abwirft, er ist ja ein Tauschkünstler. Der will ja immer was anderes.
Am Schluss nicht mehr. Da ist er alles los und der glücklichste Mensch der Welt. Ganz frei wird er erst durchs Loslassen des Habenwollens. Mit Sehnsucht fängt es ja bei uns allen an. Da muss ein sinnlicher Reiz befriedigt werden: Schokolade, schönes Aussehen, die Sonne, die scheint, und so weiter. Glück ist auch – aber nicht nur – etwas Sinnliches. Aber es muss dabei nicht bleiben. Ich kann auch durch Verbundenheit, die Erfahrung vom Einssein, tiefes Glück erleben, im Hier und Jetzt. Im Sein. Wie sagt Mascha Kaleko: „Ich freu mich. Das ist des Lebens Sinn.“ Ich freue mich auch darüber, dass ich mich freue. Deswegen kann ich trotzdem wahrnehmen, was um mich herum los ist … Was macht eigentlich Ihr Zug?

Ich nehme den nächsten. Vielleicht erwische ich ihn ja noch. Einem Zug darf man ja hinterherrennen. Beim Glück sollte man es wohl besser nicht tun.

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