Klosterheilkunde - ein Schatz, der noch zu heben ist

Ein Gespräch mit dem Prior des Europaklosters Gut Aich P. Dr. Johannes Pausch OSB

In Ihrem Klosterladen gibt es ganz vielfältige Produkte. Was ist bei all dem das Wesentliche an dem, was Sie machen und anbieten?

Dass sich da Produkte aus dem Klostergarten finden, ist kein Zufall. Klostergärten sind so alt wie die Klöster selber und haben ihre Basis in benediktinischer Spiritualität. Spirituelle Lebensbegleitung und die Kenntnis von Heilkräutern und Heilmethoden verbindet sich mit Weitergabe des Wissens zu Themen der Gesundheit. Das nenne ich Klosterheilkunde. Unser Hildegardzentrum – ein Ambulatorium, also eine Praxis für Physiotherapie und Psychotherapie, basiert auf einem Bild vom Menschen: Das Haus, in dem ich wohne, ist der Körper; dieses Haus, in dem ich mich aufhalte, trägt zu meiner Gesundheit bei. Klosterheilkunde fördert eine präventive Einstellung: aktiv für sein eigenes Heilwerden und zur eigenen Gesundung alles zu tun. Unser Konzept steht auf fünf Säulen: Natur und Heilkräuter, Leibarbeit und Bewegung, Beratung und gemeinsames Lernen, Therapie und Behandlung, Lebensraum und Wohnen.
Wir intensivieren auch die Kontakte mit Klöstern in den ehemaligen österreichischen Kronländern, Kroatien, Slowenien, Slowakei, Ungarn. Schätze liegen auch dort: nicht nur Rohstoffe, also Kräuter und Mineralien, sondern auch Wissen.

Sie greifen damit auf traditionelles Wissen zurück. Wie offen ist dieser Ansatz für gegenwärtige Probleme?

Die Tradition zu kennen ist wichtig. Aber es geht nicht nur um das Durch-forsten alter Archivbestände. Hildegard von Bingen selbst war offen: Sie hat einen Großteil ihres Wissens aus ihrer Intuition, aber auch aus der spanisch-arabischen Heilkunde oder keltisch-mythischen Tradition geschöpft, die sie aktuellen Nöten der Menschen angepasst hat. Klosterheilkunde ist auch heute offen. Der Mensch heute ist anders als der Mensch vor 100 Jahren oder zu Zeiten Hildegards im Mittelalter. Computerkrankheiten, Wohlstandsverwahr-losung, Burnout, Stress hat es damals nicht gegeben. Ich kann alte Bausteine verwenden, aber ich muss sie für heute neu ordnen, damit sie wirksam werden.

Spiritualität – wäre das der Kern der Klosterheilkunde?

Ja, denn wer nur Archivrezepte und Heilpflanzenkombinationen vermittelt, denkt im Grunde physikalisch-mechanistisch. Benediktinische Spiritualität ist die Verbindung von vier Beziehungs-ebenen: zu sich selber, zu anderen, zu den Dingen, zu Gott. Es geht nicht darum, sich eine Tablette „einzuwerfen“. Es geht um Beziehung. Die moderne Erforschung der Wirkungsweise medikamentöser Therapien unterstützt diese Sicht. Wenn der Arzt dem Patienten die Hand auf den Arm legt, ihn berührt und ermuntert, wenn die Krankenschwester sich ihm liebevoll und aufmerksam zuwendet, ist der Heilungserfolg nachgewiesenermaßen höher. Heilung ist immer auch Beziehungsgeschehen.

Sie sagen sogar: „Jede Pflanze hat eine spirituelle, das heißt: ganzheitliche Bedeutung.“ Geht es denn auch da um „Beziehung“?

Nehmen Sie eine der beliebtesten Pflanzen, das Gänseblümchen. Gibt es eine Beziehung zum Gänseblümchen? Natürlich! Achten Sie einmal auf Kinder: Kinder strahlen Gänseblümchen an, intuitiv. Ein Vater erzählte mir kürzlich von seiner Tochter, die einen Unfall aus nächster Nähe auf der Autobahn erlebt hatte und einen Schock erlitt. Sie hätte das aber gut verarbeitet und sei „fast wieder normal“. „Wieso nur ‚fast’?“, fragte ich ihn. Darauf er: „Stellen Sie sich vor, sie holt sich Gänseblümchen und isst sie.“ Ich erklärte ihm: „Was Ihre Tochter da tut, ist nicht ‚fast normal’ oder ein Relikt des Schocks, sondern richtig normal. Sie hat intuitiv gespürt, dass ihr das hilft. Ein Gänseblümchen, auch ‚kleine Sonne’ genannt, symbolisiert die kindliche Integrität – und vermag auch dieses Gefühl der Unversehrtheit wieder zurückzubringen.“
Das Verhältnis zu der Pflanze, die für mich wichtig ist, wird zur Ressource für die Wiederherstellung der Balance von Leib und Seele. Dazu gehört chemisches Wissen – auch Wissen ist ja Beziehung – aber nicht nur. Auch hinter der Erfahrung, die über viele Gene-rationen weitergegeben wird: dass in bestimmten Situationen etwas hilfreich sein kann, steht Vertrauen, Beziehung also. Für mich ist klar: Im Beziehungs-geschehen geschieht Heilung.

Hatten Sie selber eine Art Schlüssel-erlebnis, das Sie auf diesen Weg ge-bracht hat?

Ich war schon im Kloster, hatte auch eine zusätzliche Ausbildung als Psychotherapeut und behandelte damals einen Jungen mit schwerer Neurodermitis. Ich hatte dabei immer mehr das Gefühl, dass alles nichts half, dass der Junge und seine Familie auch über-fordert waren. In meiner Ratlosigkeit ging ich in die Mettener Klosterbibliothek und studierte Folianten, die unter der Rubrik „Medicina“ standen – ein Riesenschatz, der unbeachtet herum-stand – und stieß dabei auf die Be-schreibung einer Symptomatik, die der Neurodermitis glich. Die Mutter wandte dann dieses Rezept an, ein Rezept mit Sauerkrautsaft. Ein Experiment nach dem Motto: Wenn es nicht hilft, so wird es auch nicht schaden. Und siehe da: Nach 14 Tagen heilte die Neurodermitis ab. Ich wusste nicht wie. Ich habe mich dann in die Bücher vertieft, suchte Lehrer in Homöopathie, lernte mit Bachblüten um-zugehen, machte Erfahrungen in Irisdiagnose, hatte ausgezeichnete Lehrer in diesen Feldern. Die Neugier war an-gestachelt.

Noch einmal zur Wirkung der Heilkräuter: Was wissen wir gesichert darüber?

Das ist nicht ganz einfach. Als Antwort wieder nur eine Geschichte: Vor vier Jahren hatte ich selber plötzlich Schmerzen – an den Schultern, den Beinen, ich konnte kaum mehr eine Treppe steigen. Für meine Umgebung war alles klar: Überlastung. Mein Hausarzt, ein klassischer Schulmediziner, vermutete Rheuma und verordnete mir drei Wochen Ruhe. Nach einer Woche dann seine endgültige Diagnose: Hochgradige Borreliose – eine Penizillinkur würde helfen. Ich sah allerdings nach der Penizillingabe aus, als ob ich in die Nesseln gefallen wäre. Eine chemische Alternativbehandlung brachte das gleiche Ergebnis.

Warum kamen Sie da nicht auf Ihre naturheilkundlichen Verfahren?

Ich kam darauf – auf Umwegen. Ich wusste nicht weiter und bat meine fünf „Kräuterfreunde“ um Rat. Innerhalb einer Stunde hatte ich eine Antwort: „Das einzig wirksame Mittel ist die Kardenwurzel.“ Kardenwurzel? Hatte ich noch nie gehört oder gesehen. „Bitte schickt mir ein Bild!“ Als dann die Bilder kamen, kam mir das blanke Entsetzen: Es war die Pflanze, die seit einem Jahr rund um unser Hildegardzentrum gewachsen war und von der ich immer gesagt hatte: „Reißt doch diese grauslige Distel aus!“ Die Kardenwurzelblüte hat in der vollen Blüte eine rote oder rosa Ringform wie die Borrelieninfektionen, die sich nach dem Zeckenbiss ankündigen. Ich habe bei den Karden-wurzeln Abbitte geleistet. Und es hat geholfen: Nach ca. zwei Wochen waren die Schmerzen weg.

Und was hat Ihr Arzt gesagt?

Der sagte nur: „Placebos nützen immer!“ Und dann, bald darauf passierte das: Ein Mann, der vor Schmerzen nicht mehr laufen konnte, kam im Rollstuhl zu mir und fragte nach diesem Mit-tel. Nach vier Wochen rief er mich an: „Hast du Verwendung für einen Roll-stuhl? Ich kann den meinen abgeben.“

Der Durchbruch?

Nein. Mein Triumph hielt nicht lange. Das nächste Mal funktionierte es nicht. Da zeigt sich: Die Wirklichkeit ist nicht mechanistisch. Es gibt viele unter-schiedliche Borrelienstämme und ganz verschiedene Symptomatiken. Aber aus den Anwendungserfahrungen der letzten Jahre lässt sich sagen, dass die Gabe der Kardenwurzel in Kombination mit einer homöopathischen Borrelien-Nosode besonders und nachhaltig wirksam ist. Die Geschichte geht weiter: Die Karden-wurzeln sind alle verschwunden, ob-wohl ich sie um Entschuldigung gebeten habe. Und im letzten Sommer, die Überraschung: Mitten im Zentrum des Kreuzgangs wuchs ein Prachtexemplar der Kardendistel!

Hat denn auch die Verarbeitung einer Pflanze eine spirituelle Qualität?

Unsere Pflanzen wachsen in Gärten oder auf Almen, die noch nie Kunstdünger gesehen haben. Welche Pflanzen sich vertragen und welche nicht, das ist altes Wissen der Klostergärten. Dann: Unsere Pflanzen werden, wenn sie geerntet werden, in die Kapelle getragen und gesegnet. Und wenn wir sie handverlesen verarbeiten, segnen wir sie noch einmal. Ich bin überzeugt: Der Segen wirkt.
Wir wissen doch alle: Wenn ich einen Menschen nicht beachte, wenn ich ihn beschimpfe oder verfluche, dann hat das nicht nur bei Kindern eine Wirkung. Auch wenn ich jemanden liebe-voll und wertschätzend anrede, hat das eine Wirkung. Segen ist positive Energie. Ich habe Kontakt zu tibetischen Mönchsärzten. Wenn die aus Kräutern ihre Pillen drehen, sprechen sie Mantras. Das ist das Gleiche.
Das gute Wort, der gute Gedanke hat immer Wirkung. Das ist keine Magie, sondern Kommunikation. Jede Handlung hat ihre Wirkung und stellt eine Beziehung her.

Kann solches Denken denn heute Allgemeingut werden?

Spirituelles Denken sieht Natur als beseelt und als Teil der großen Schöpfung Gottes nicht mechanistisch. Pflanzen und Steine sind unsere Brüder und Schwestern. Wer Natur so sieht wird heute belächelt. Das ist freilich immer noch besser als die Verfolgung von „Kräuterhexen“ in früheren Zeiten. Als gefährlich angesehen wurden immer jene, die eine Beziehung zwischen Körper, Seele und Geist gesehen oder hergestellt haben. Heute sind unsere Gegner eine einseitig empirische Wissenschaft, die Pharmaindustrie und ihre Gesetzgebungslobby. Eine evidenzbasierte Medizin fordert Wirknachweise in empirischen Studien nach einem ausschließlich mechanistisch orientierten Modell. Das, was wir aufbauen, wird blockiert. Man verbietet bzw. reglementiert den Gebrauch von uralten Heilmitteln durch derart hohe Anforderungen, dass de facto Kräutertinkturen aus Klöstern nicht mehr (nach medizinischen Indikationen) vermarktet wer-den können.

In der Klosterheilkunde geht es aber nicht nur um Tinkturen, auch nicht um Wellnessprodukte. Was ist sie im Kern?

Es geht um Lebenshaltung, um Lebens-einstellung, um bewusstes Leben. Benedikt sagt am Anfang seiner Regel: „Willst du gutes Leben haben?“ Das ist die Kernfrage. Es ist nicht nur ein Heil-kraut, das dem Menschen Kraft gibt zur Heilung. Gesund macht die Rückkehr zu den recht gelebten Beziehungen und zu einem ausgewogenen Lebensrhythmus.

Die Fragen stellte Anton Lichtenauer

Kardenwurzel

Kraftvoller Widerstand 

Volkstümlich genannt: Kardendistel, Weberkarde, Weberdistel, Kardenwurzel. Eigenschaften: reinigend, harn-, galle-, schweißtreibend, entschlackend, verdauungsfördernd, bei rissiger Haut,  Hautunreinheiten,Gicht, Arthritis, Rheuma, Wassersucht, Gelbsucht, wichtiges Mitel bei Borreliose. Pflanzeninhaltsstoffe: Iridoide, Saponine, Kaffeesäurederivate, Glykoside, Kalisalze, Bitterstoffe, Tannin. Hilfreich: Insbesondere zur Stärkung der Widerstandskräfte gegen Störungen an Leib und Seele; gibt Energie gegen bewusste und unbewusste Verletzungen oder Bedrohungen. 

Gänseblümchen

Kleine Sonne

Volkstümlich genannt: Maßliebchen, Tausend-schön, Gänseliese. Eigenschaften: blutreinigend, leberreinigend, schleimlösend, blutungsstillend, krampflösend, heilend bei Blutergüssen, Prellungen, Muskelzer-rungen und Muskelschmerzen. Pflanzeninhaltsstoffe: Triterpensaponine, Gerb-stoffe, Flavonoide, ätherisches Öl, Bitterstoffe. Hilfreich: Insbesondere zur Unterstützung von Heilungsprozessen und auch zur Linderung von seelisch-geistigen Verletzungen.

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