Christliche Patientenvorsorge und Advance Care PlanningEine Beziehung mit Spannungen

Abstract / DOI

Tensions between Advance Care Planning and a Christian View on Patient Care. The document «Christliche Patientenverfügung durch Vorsorgevollmachten, Betreuungsverfügung, Patientenverfügung und Behandlungswünsche» was published as an updated reprint in 2018 by the churches in Germany. The reason of the reprint were on the one hand experiences with the former living wills/advance directives/decisions and on the other hand new terms laid down in law. Almost simultaneously Advance Care Planning, an upcoming process from the US that enables individuals to make plans about their future health care, was established in Germany through legal regulation. At present, and funded by health insurances, it remains valid only in fully inpatient care and disability facilities, but has an exceeding right. Because the churches are providers of numerous facilities like these, the relationship of the Christian living will and the process of Advance Care Planning need to be analyzed. Beside similarities there are also differences, which lead to tensions.

Im Herbst 2018 erschien in Deutschland die von den Kirchen herausgegebene Handreichung Christliche Patientenvorsorge durch Vorsorgevollmachten, Betreuungsverfügung, Patientenverfügung und Behandlungswünsche1 (CPV) in einer aktualisierten Neuauflage. Sie trat an die Stelle der gleichnamigen Ausgabe von 2011 und hatte auch schon ein Vorgängerdokument Christliche Patientenverfügung mit Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung (1999).2 Bereits der veränderte Titel zeigt, dass sich die Perspektive in den Jahren gewandelt hat. Unmittelbar hat dies mit gesetzlichen Veränderungen zu tun, die auf Erfahrungen im Umgang mit Patientenverfügungen fußten. 2009 hat der Gesetzgeber im Bürgerlichen Gesetzbuch neu den § 1901a «Patientenverfügung» eingefügt, der die bindende Wirkung der Patientenverfügung für das Handeln des Arztes hervorhebt. Der Bundesgerichtshof hat 2016 noch weiter präzisiert, wie Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten zu verfassen seien. Von daher soll in einem ersten Punkt auf die Veränderung eingegangen und auf Unterschiede zu anderen Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten hingewiesen werden.

Daneben und in Abgrenzung gegenüber den bisherigen Patientenverfügungen hat sich eine spezifische Form der Vorsorge auch, aber nicht nur für das Lebensende entwickelt. Aus den USA kommend trägt es den Namen Advance Care Planning (ACP), und wird von der Deutschen interprofessionellen Vereinigung mit «Behandlung im Voraus Planen»3 wiedergegeben. Auch hier spielt die Gesetzgebung eine wichtige Rolle. Seit Dezember 2015 ist die Möglichkeit gegeben, diese Form der Behandlungsplanung (im Folgenden ACP/BVP) durchzuführen. Die Krankenkassen sind gehalten, den vollstationären Pflege- und Behinderteneinrichtungen unter bestimmten Voraussetzungen die damit verbundenen Kosten zu erstatten (§ 132g Sozialgesetzbuch V). Das Modell ist darauf angelegt, umfassender als in Pflege- und Behinderteneinrichtungen angewandt zu werden. Eine Beschäftigung mit ACP/BVP ist angezeigt, da die Kirchen wichtige Träger solcher Einrichtungen sind. Zugleich ist das Verhältnis zur Christlichen Patientenvorsorge und darin besonders der Patientenverfügung mit dem Konzept von ACP/BVP näher zu beleuchten.

Das Konzept «Behandlung im Voraus Planen» macht auf Schwierigkeiten im Umgang mit Patientenverfügungen aufmerksam, enthält aber seinerseits Implikationen, die es ethisch zu diskutieren gilt, wie bereits an einigen Stellen im kirchlichen und theologisch-ethischen Kontext geschehen. Diese Debatte soll hier aufgenommen werden.

1. Christliche Patientenvorsorge – Ein Entwicklungsprozess

Wer die jetzige Ausgabe der Christlichen Patientenvorsorge (CPV) mit dem Text von 2011 und vor allem mit der Christlichen Patientenverfügung von 1999/22003 vergleicht, wird unschwer zwei Veränderungen sofort bemerken. Die erste betrifft die Überschrift und die zweite den Umfang, der im Lauf der Jahre immer mehr anwuchs. Vor zwanzig Jahren stand die grundsätzliche Frage im Vordergrund, ob es sinnvoll und angebracht sei, eine Patientenverfügung zu verfassen. Die Sorge vor medizinischen Maßnahmen, die nicht mehr einem therapeutischen Ziel dienen, sondern nur zu einer Lebensverlängerung führen, stand im Vordergrund. Damit verbunden war die Erfahrung, dass in der Gesellschaft zwar einerseits der Tod medial in vielfältiger Weise präsent war, er aber andererseits tabuisiert wurde, d.h. im persönlichen Bereich nur selten zur Sprache gebracht wurde.

Allerdings gab es in der katholischen Tradition seit Pius XII. eine ganze Reihe von Äußerungen zum Themenfeld Euthanasie, die es zu berücksichtigen galt,4 wenn man sich als Kirche den ethischen Herausforderungen am Lebensende stellen und sie auch in einen größeren theologischen und pastoralen Rahmen einbetten wollte. Der erste unterscheidende Punkt in den gemeinsamen Texten ist der christlich geprägte Zugang zu Sterben und Tod. Das mag trivial klingen, aber manche Kritik übersieht den Ausgangspunkt und beschäftigt sich nur mit den Schlussfolgerungen, wie sie sich auf den ersten Blick darstellen, ohne die dazwischenliegenden Textpassagen und Möglichkeiten für ergänzende Bemerkungen zur Kenntnis zu nehmen. Zu diesen theologisch-ethischen Grundaussagen gehört die Zuversicht auf die bleibende Gegenwart Christi auch im Sterben und Tod, verbunden mit der Hoffnung auf ein Leben bei Gott nach dem Tod aufgrund des Sterbens, des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. In der Christlichen Patientenverfügung (1999) wird u.a. darauf hingewiesen, dass das Leben nicht frei verfügbar ist. Aus christlicher Perspektive sind Leben und Menschenwürde geschützt. «Ohne solche Anerkennung der Würde und des Lebensrechtes jedes Menschen wäre kein Zusammenleben der Menschen möglich.»5 Von daher nimmt die Christliche Patientenverfügung auch die Unterscheidung von «aktiver Sterbehilfe» und «passiver Sterbehilfe» auf,6 gibt Anstöße zum Nachdenken und weist auf die Möglichkeit zur seelsorglichen Begleitung hin. Die Christliche Patientenverfügung, die auf die letzte Lebensphase fokussiert ist, hat weiterhin ein Formular zur Vorsorgevollmacht in Gesundheitsfragen und zur Betreuungsverfügung. Auch von Umfang und Format (DIN A 5, 32 Seiten) unterscheidet sie sich von der Christlichen Patientenvorsorge 2018 (DIN A 4, 36 Seiten), die den Schwerpunkt jetzt umfassender auf die Vorsorgevollmachten7 legt und in der die Patientenverfügung nur ein Teil des Gesamtpakets der Vorsorge ist. Mehrere Gründe waren für diese Verschiebung von Bedeutung. Zu nennen sind wie erwähnt neue gesetzliche Bestimmungen wie das am 1.9.2009 in Kraft getretene «Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts», die neben der Patientenverfügung ausdrücklich auch die Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Behandlungswünsche anführen.8 Zur weiteren Präzisierung der Vorsorgevollmacht hat die aktualisierte Neuauflage diese weiter spezifiziert (wie Gesundheits- und Aufenthaltsangelegenheiten, Totensorge einschl. Organspende und Generalvollmacht). Sie weist darauf hin, dass wir «über unser eigenes Leben nicht grenzenlos verfügen [können]. Genauso wenig haben wir das Recht, über den Wert eines anderen menschlichen Lebens zu entscheiden.» (CPV 12) Dieser Aspekt, dass Selbstbestimmung (Autonomie) nicht völlige Unabhängigkeit (Autarkie) ist, wird auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass an «die Abhängigkeit von der eigenen Leiblichkeit, von der Fürsorge anderer Menschen und von Gottes Wirken» (CPV ١٣) erinnert wird. Selbstbestimmung und Fürsorge gehören zusammen und können besonders in der letzten Lebensphase des Menschen nicht voneinander getrennt werden. Dieser theologisch-anthropologische Rahmen hat Folgerungen für die «Reichweite von Patientenverfügung und Behandlungswünschen.» Das Gesetz von 2009 sieht nur eine Beschränkung der Reichweite vor, dass das Töten auf Verlangen vom Patienten nicht gefordert werden kann, ansonsten werden Krankheiten, bei denen voraussichtlich der Tod in kurzer Zeit absehbar ist, nicht weiter von Krankheiten unterschieden, bei denen der Todeszeitpunkt aus medizinischer Sicht nicht absehbar ist. Die Christliche Patientenvorsorge geht hier vor allem auf das sogenannte Wachkoma und Demenzkranke ein. Beim sogenannten Wachkoma, heute medizinisch meist als Syndrom reaktionsloser Wachheit bezeichnet, wird hervorgehoben, dass die davon betroffenen Menschen keine Sterbenden sind.9 Es besteht auch Übereinstimmung, dass bei einer auftretenden Zweiterkrankung diese nicht behandelt werden muss. Dennoch ist zwischen den Kirchen kontrovers, wie eine Vorausverfügung in einem solchen Fall auszusehen hat. Deshalb wird bei den Behandlungswünschen innerhalb der Patientenverfügung dieses Thema nicht in Form des Ankreuzens einer entsprechenden Bestimmung kenntlich gemacht. Allerdings ist es möglich, im Raum für «ergänzende Verfügungen» die eigene Auffassung kenntlich zu machen. Dabei werden alternativ zwei Vorschläge unterbreitet. Der eine zielt darauf, dass der «Tod in absehbarer Zeit eintritt bzw. eine akute Zweiterkrankung hinzukommt» (CPV 26), der andere lässt – gesetzeskonform – die Begrenzung auf den absehbaren Todeszeitpunkt weg.

Neu aufgenommen wurde in der aktualisierten Neuauflage von 2018 gegenüber dem Text von 2011 ein Abschnitt über die Demenz,10 ohne dass hier aber entsprechende Textbausteine für die «ergänzenden Verfügungen» gemacht wurden. Im Text heißt es bei dieser zum Tode führenden Krankheit: «Jeder Mensch muss also für sich selbst die Frage beantworten, ob er überhaupt und in welchem Zustand der Demenz er eine Therapie begrenzen oder auf sie verzichten will.» (CPV 16) Zum Vergleich soll zumindest darauf aufmerksam gemacht werden, dass andere Patientenverfügungen wie die des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz für das sogenannte Wachkoma und die Demenzerkrankung im Formular einen entsprechenden Text mit Ankreuzmöglichkeit haben.11 Allerdings – und darauf weist die Bundesärztekammer zu Recht hin, unterscheiden sich in der Ausführlichkeit nicht nur die Formulare, sondern es ist darüber hinaus sinnvoll, die in den Vorsorgevollmachten benannte(n) Vertrauensperson(en) in den Prozess der Entscheidungsfindung mit einzubinden. Hier gilt es unter anderem zu thematisieren, dass ein «mögliche(r) Konflikt zwischen in gesunden Tagen geäußerten Vorstellungen einerseits und Wünschen in einer aktuellen Behandlungssituation andererseits»12 besteht. Weiter wird geraten – wie auch in dem Text der Kirchen und des Bayerischen Justizministeriums –, religiöse Überzeugungen und persönliche Wertvorstellungen in der Patientenverfügung und den daran Beteiligten (z.B. Ärzte, Bevollmächtige) zu formulieren. Eine Auffassung, die vor Jahren schon Bernhard Fraling in die moraltheologische Diskussion eingebracht und die Eberhard Schockenhoff aufgenommen hat, soll hier zustimmend zitiert werden. Im Blick auf die künstliche Ernährung bei den Wachkomapatienten kommt Fraling zu dem Ergebnis: «Wenn man sich fragt, soll das sein, eine künstliche Ernährung und eine Rundumpflege über Jahre hinaus – steht dieser Aufwand zum Ziel in einem angemessenen Verhältnis? Mir fällt es schwer, das zu bejahen und als Behandlung ganz allgemein zu fordern […]. Ich würde für mich einen solchen Aufwand nicht wünschen.»13 Mir scheint ein solcher Hinweis von der Einstellung her sinnvoller zu sein, als immer neuere, detailliertere Anweisungen anzugeben. Das Formular des Bayerischen Justizministeriums (2017) hat zu dieser Frage nur einen Punkt zum Ankreuzen, während das Formular der Stiftung Warentest (2019) dies in sechs Punkten differenziert.

Auf zwei Kritikpunkte an der aktualisierten Neuauflage, wie sie von dem Juristen Carsten Schütz und dem Mediziner Thomas Sitte14 vorgebracht werden, möchte ich noch eingehen. Die beiden Autoren vermissen im Text eine Auseinandersetzung mit dem Verbot zur geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung. Die Aussage im Text, dass «Tötung auf Verlangen […] die gezielte Tötung eines Menschen» sei, die «in Deutschland gesetzlich verboten und […] strafrechtlich verfolgt» (CPV 9) werde, sei nicht ausreichend. Die Kirchen haben sich an anderer Stelle verschiedentlich zu dieser Frage geäußert,15 und die entsprechende gesetzliche Regelung (6.11.2015) begrüßt. Die Haltung der Kirchen zu diesem Punkt ist eindeutig und muss nicht im Rahmen eines Formulars der Patientenvorsorge erneut diskutiert werden.

Wenn in dem Aufsatz kritisiert wird, dass die CPV für die Situation des sogenannten Wachkomas nicht gilt, so ist dies in dieser Form präzisierungsbedürftig. Richtig ist, dass dies im Formular nicht durch «Ankreuzen» möglich ist. Ausführlich wird aber in der CPV (26-28) dargelegt, wie die Auffassungen zum Wachkoma sind und Textvorschläge unterbreitet, die im Formular im «Raum für ergänzende Verfügungen» (CPV Formular Patientenverfügung und Behandlungswünsche S.7) eingebracht werden können.

Die grundsätzliche Kritik an den Patientenverfügungen insgesamt hat zu einer neuen Form der «Gesundheitlichen Versorgungsplanung» geführt.

2. Advance Care Planning (ACP) – Behandlung im Voraus Planen (BVP)

Die «Deutschsprachige interprofessionelle Vereinigung Behandlung im Voraus Planen Advance Care Planning»16 formuliert deshalb als ihren Ausgangspunkt: «Medizinische Behandlung sollte patienten-zentriert, also konsequent am Willen des Patienten orientiert sein – auch dann, wenn Patienten sich nicht äußern können. […] Das hierfür schon vor 50 Jahren entwickelte Instrument der Patientenverfügung ist bisher ein stumpfes Schwert,» mit «oft nichtssagenden» Festlegungen und der Folge: «Menschen, die lebensbedrohlich erkranken, werden zu Objekten der dem Ziel der Lebensverlängerung um nahezu jeden Preis verpflichteten Akutmedizin, ohne dass bekannt wäre, ob diese Menschen dem zugestimmt – oder aber es vorgezogen hätten, mit palliativer Begleitung sterben zu dürfen.» ACP/BVP «ist ein neues Konzept, eine gänzlich neue Herangehensweise an Patientenverfügungen.» Ziel ist es, «dass Menschen so behandelt werden, wie sie das möchten – auch wenn sie sich nicht mehr selbst äußern können.» Dazu dienen mehrere Gespräche von 1–2 Stunden mit «spezifisch qualifizierte(n) nicht-ärztliche(n) ACP-Gesprächsbegleiter(n).» Zur Veränderung hin zu einer stärkeren Patientenzentrierung im Sinne der «geäußerten und dokumentierten Wünsche» ist «nichts weniger als ein kultureller Wandel erforderlich.»

Diese Gesprächsangebote können nach dem derzeitigen gesetzlichen Rahmen in Deutschland von 2015 (§ 132g Sozialgesetzbuch V Gesundheitliche Vorausplanung für die letzte Lebensphase) in vollstationären Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen gemacht und entsprechend über die gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden.17 In einer Broschüre des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands werden folgende Kernelemente des ACP-Prozesses und ihrer Instrumente benannt: «Aufsuchendes Gesprächsangebot, Qualifizierte Gesprächsbegleitung, Professionelle Dokumentation auf regional einheitlichen Formularen, Archivierung, Zugriff und Transfer von Vorausverfügungen durch Dritte, Beachtung und Verfolgung von Vorausverfügungen durch Dritte, Installierung eines Prozesses der kontinuierlichen Qualitätssicherung.»18 Als Instrumente zur Verwirklichung der Kernelemente werden genannt: Für die qualifizierte Gesprächsbegleitung «Gesprächsbegleiterin bzw. Gesprächsbegleiter & Hausarztzertifizierung»; bei der professionellen Dokumentation geht es um die Entwicklung von «Formularstandards […]: z.B. Patientenverfügung, ‹Vertreterverfügung›, Notfallbogen»; für die Archivierung und den Zugriff auf Vorausverfügungen ist der «Informations- und Dokumentationsfluss im ‹Netzwerk› von Krankenhaus, Rettungsdienst, Pflegeheim etc.»19 zu regeln.

Wer alleine diese Hinweise zum Prozess des ACP/BVP auf sich wirken lässt, wird spüren, dass es hier um ein ambitioniertes Vorhaben geht, immer mit dem Ziel, den Willen des Patienten für zukünftige Therapieentscheidungen zu kennen (informed consent) und entsprechend umzusetzen. Als ein Beispiel von den genannten Instrumenten sei auf den Notfallbogen hingewiesen. Hintergrund ist die verschiedentlich geäußerte Erfahrung, dass Patientenverfügungen nicht immer konkret genug und von daher keine Hilfe für die behandelnden Ärzte sind. Hier besteht die Möglichkeit, sich zwischen sechs Möglichkeiten zu entscheiden: «Lebensverlängernde Therapie ohne Einschränkung,» «Lebensverlängernde Therapie, aber mit folgenden Einschränkungen» – hier gibt es vier Wahlmöglichkeiten und als letzte Wahlmöglichkeit «Keine Therapie mit dem Ziel der Lebensverlängerung, auch nicht ambulant.»20 Weitere Formulare gibt es zu «Einstellungen zu Leben, schwerer Krankheit und Sterben,» «Krankenhausbehandlung bei Einwilligungsfähigkeit unklarer Dauer» und «Behandlung bei dauerhafter Einwilligungsunfähigkeit.»21 Allerdings wird von Verantwortlichen der Vereinigung BVP herausgestellt, dass es primär nicht um das Erstellen von Formularen gehe, sondern ein qualifizierter Gesprächsprozess entscheidend sei, um den Patientenwillen zu erkunden.

Zu einer ersten Einordnung dieser gegenüber der Patientenverfügung neuen Vorgehensweise sind einige der Hinweise der Bundesärztekammer hilfreich, die sich mit der «Erstellung vorsorglicher Willensbekundungen» beschäftigen. Während die ACP/BVP von nichtärztlichen Gesprächsbegleitern ausgeht, sieht die Bundesärztekammer hier die Aufgabe der Ärzte, «mit Patienten über die Abfassung einer vorsorglichen Willensbekundung (zu) sprechen.» Anders als bei der ACP/BVP liegt die Initiative hier beim Patienten, auch wenn darauf hingewiesen wird, dass es in bestimmten Fällen aus «Fürsorge für den Patienten» geboten sei, «dass der Arzt die Möglichkeit vorsorglicher Willensbekundungen von sich aus anspricht.»22 Es hängt mit der enormen Beanspruchung der Ärzte zusammen, dass der Raum, mit dem Patienten über seine gesundheitliche Vorsorge zu sprechen, begrenzt ist. Aber es ist wichtig aufgrund der medizinischen Kompetenz, dass die ärztliche Beratung hier im Text ausdrücklich angesprochen wird. «Der Patient wird, wenn er sich ärztlich beraten lässt, die Wirksamkeit seiner Willensbekundungen dadurch erhöhen können, dass er die Situationen, in denen Behandlungsentscheidungen voraussichtlich anfallen, und die in diesen Situationen bestehenden Handlungsoptionen sehr viel konkreter beschreiben und damit das ärztliche Handeln in weit größerem Umfang festlegen kann, als es ohne Beratung der Fall wäre.»23 Dies ist bedeutsam, wenn bereits eine Erkrankung vorliegt, und von daher entsprechende Entscheidungsmöglichkeiten in den Blick kommen. Was den Umgang mit «Mustern für Vorsorgevollmachten, Betreuungsverfügungen und Patientenverfügungen» angeht, wird auf die unterschiedlichen Formate, z.B. im Blick auf die Reichweite und die Behandlungswünsche, hingewiesen. Abgeraten wird von Formularen, in denen «lebensverlängernde Maßnahmen» ohne jede Spezifizierung abgelehnt werden, da sie rechtlich nicht bindend sind. «Ob im Einzelfall ein Formular benutzt wird und welches, sollte der Patient entscheiden, da er am besten einschätzen kann, welches der verschiedenen Formulare seinen eigenen Wertvorstellungen und Behandlungswünschen entspricht.»24 Die als Ausgangspunkt der Vorschläge von ACP/BVP genannten weitgehenden Vorbehalte gegen Patientenverfügungen werden von der Bundesärztekammer nicht aufgenommen, die selbst auf die Muster von Ärztekammern, Justizministerien und Kirchen verweist.

Weiter darf auf die Stellungnahme des Ethikrats im Bistum Trier verwiesen werden. Sie unterstützt die Auffassung der Bundesärztekammer, dass Ärzte die Beratung der Patienten bei vorausplanenden Behandlungssituationen zu übernehmen haben und äußert «erhebliche Zweifel, ob nichtärztliche Gesprächsbegleiter die erforderlichen professionellen ärztlichen Kenntnisse und klinischen Erfahrungen im Rahmen einer Ausbildung und Tätigkeit als Gesprächsbegleiter erwerben können.»25 Zurückhaltung wird angemahnt beim aktiven Gesprächsangebot an Patienten. Gerade bei der Vorausplanung der letzten Lebensphase sei diese angezeigt.26 Solche Gespräche anzuregen, ist besonders die Aufgabe des Hausarztes. Aufgabe der Pflegeeinrichtung wäre es, mit dafür Sorge zu tragen, dass die Patientinnen und Patienten einen Hausarzt haben. Auch sollte darauf geachtet werden, dass das Erstellen einer Patientenverfügung und auch die Gespräche im Rahmen von ACP/BVP freiwillig sind und dem Patienten in der Pflege dadurch kein Nachteil entsteht, wenn er keine Patientenverfügung verfasst.

Selbstverständlich ist mit diesen knappen Hinweisen nicht die Breite der Diskussion um ACP/BVP abgedeckt,27 ebenso wenig das Feld der Patientenverfügung/Patientenvorsorge in einer christlichen Perspektive28, es sind aber doch wichtige Punkte benannt, die vor allem die Spannungsfelder zwischen beiden aufzeigen. Dies ist deshalb angezeigt, weil sich die christlichen Kirchen erneut mit der Christlichen Patientenvorsorge 2018 in die vorausplanende Gestaltung der letzten Lebensphase eines Menschen einbringen und sie zugleich mit ihren caritativen Trägern (Caritas und Diakonie) das Rahmenabkommen zwischen den Krankenkassen und den Wohlfahrtsverbänden unterzeichnet haben. Dieses Rahmenabkommen sieht in den genannten Einrichtungen die Möglichkeit vor, den Prozess von ACP/BVP durchzuführen.29

3. Christliche Patientenvorsorge – Advance Care Planning/ Behandlung im Voraus Planen – im Vergleich

Wenn hier auf einige Unterschiede hingewiesen wird, dann geht es nicht darum, Gemeinsamkeiten zu übersehen. Sie liegen vor allem darin, dass beide Formen eine Beschäftigung mit dem eigenen Sterben und Tod vor allem durch Gespräch und entsprechende Willensbekundung unterstützen und die Benennung eines (oder mehrerer) Bevollmächtigten vorsehen und für richtig halten. Ebenfalls wird auf die Möglichkeit hingewiesen, dass die Teilnahme am ACP/BVP-Prozess freiwillig ist, bzw. nach wie vor die Möglichkeit besteht, auf eine Patientenverfügung zu verzichten, ohne Nachteile in der pflegerischen Betreuung befürchten zu müssen. Ob und inwieweit diese Grundannahmen auf Dauer einem «Faktencheck» standhalten, braucht an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden.

Ein zentraler Unterschied zwischen der CPV und der ACP/BVP liegt darin, dass die Kirchen in ihrem Dokument von der Reichweitenbeschränkung ausgehen, die die ACP/BVP ausdrücklich ablehnt.30 Bei der Reichweite geht es darum, ob Behandlungswünsche uneingeschränkt gelten oder auf bestimmte Stadien der Erkrankung, «nämlich auf das Endstadium tödlich verlaufender Krankheiten und auf den Sterbeprozess selbst» (CPV 15) zu begrenzen sind. Da das Gesetz zur Patientenverfügung von 2009 keine Reichweitenbegrenzung benennt, ist sie juristisch nicht notwendig. Dass es hier zwischen der katholischen und evangelischen Kirche bei der Abfassung des Textes der CPV an einem Punkt eine unterschiedliche Meinung gibt, belegen die Hinweise im Text zum Umgang mit dem Syndrom reaktionsloser Wachheit, dem sogenannten Wachkoma, und ist im ersten Punkt bereits angesprochen worden. In der CPV wird die Situation der Demenzkranken relativ ausführlich erörtert, ohne dass Detailregelungen wie beim Formular «Krankenhausbehandlung bei dauerhafter Einwilligungsunfähigkeit» (ACP/BVP) eingebracht werden. Gerade aber an der Vielzahl der Möglichkeiten, die hier im Krankheitsverlauf auftreten können, zeigt es sich, wie schwierig Vorfestlegungen getroffen werden können. Die CPV hat hier bei entstehender Unklarheit, «wenn der vorausverfügte Wille im Gegensatz zu aktuellen Willensäußerungen des Patienten steht,» dafür plädiert, «im Zweifelsfall zugunsten des Lebens (zu) entscheiden.» (CPV 16) In ähnliche Richtung wird auch für Notfallsituationen, in denen der Patientenwille nicht bekannt ist, argumentiert und für Maßnahmen votiert, «die auf die Erhaltung des Lebens gerichtet» (CPV 32) sind. Diese Auffassung findet sich fast gleichlautend in den Hinweisen der Bundesärztekammer.31 Sie drückt eine Haltung aus, die zwar in den Texten von ACP/BVP nicht abgelehnt und als persönliche Meinungsäußerung ihren Platz finden kann, aber als eine Grundhaltung, die um Tod und Sterben, aber auch um die Unverfügbarkeit des Leben weiß, kommt sie nicht zur Sprache. In dem Ringen um Reichweitenbegrenzung – so schwierig die Grenzziehung manchmal sein mag – und im nicht eindeutigen Konfliktfall im Pro für lebenserhaltende Maßnahmen kommt eine zentrale Dimension der Lebensbejahung zum Ausdruck, die die CPV von der ACP/BVP unterscheidet.

Verschiedentlich ist bereits auf die unterschiedliche Form der Gesprächsführung hingewiesen worden: Im Regelfall geht bei den Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten die Initiative vom Betroffenen aus, bei der ACP/BVP wird der Bewohner einer Senioren- oder Behinderteneinrichtung aktiv aufgesucht. Daher ist es angebracht, dass sich die entsprechenden Einrichtungen vor dem Eintritt in den Prozess von ACP/BVP mit den damit zusammenhängenden Herausforderungen auseinandersetzen. Es wird von einem «Kulturwandel» gesprochen. Auf damit verbundene Schwierigkeiten ist bereits hingewiesen worden.32 Der Unterschied liegt u.a. darin, dass die ACP/BVP nicht nur, aber wesentlich auf das detaillierte Ausfüllen der standardisierten Formulare hin fokussiert ist. Der Aspekt der Fürsorge, der in der CPV eng mit der Selbstbestimmung des Patienten verbunden ist, kommt dagegen kaum in den Blick. «Fürsorge muss daher immer die körperbezogenen, psychologischen, sozialen und spirituellen Wünsche und Vorstellungen des Patienten einbeziehen.» (CPV 13) Das schließt ein, dass der Patient vielleicht nicht alle möglichen medizinischen Maßnahmen regeln will, sondern darauf vertraut, dass das Behandlungsteam wie die bevollmächtigte(n) Vertrauensperson(en) das Richtige und für ihn Beste tun. Dass darin eine geistliche Grundhaltung liegen kann, sollte aus christlicher Perspektive nicht vernachlässigt werden. Zu Recht spricht der Ethikrat im Bistum Trier von der «Förderung einer Palliativen Kultur.»33

Die Beziehung von Christlicher Patientenvorsorge und Advance Care Planning / Behandlung im Voraus Planen ist nicht spannungsfrei und an einigen Stellen von deutlichen Unterschieden geprägt. Dieser sollte man sich bewusst sein, wenn in den genannten Einrichtungen in Trägerschaft der Kirchen darum gerungen werden muss, wie die Fürsorge für den Patienten und sein Selbstbestimmungsrecht in Einklang zu bringen sind.

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