Jüdisches Leben heuteWenn der Kühlschrank auf Shabbat steht

Fern von Stereotypen beschreibt die 25-jährige Influencerin Tanya Raab ihr Leben – und welche Gesprächsthemen ihr als Jüdin auf die Nerven gehen.

 Glaube ist für die liberale Jüdin Tanya Yael Raab ein wichtiger Teil ihrer Identität. Ihre Botschaft: Religiöses Leben ist eben so vielfältig wie das Leben selbst. In ihrem mutigen, ermutigenden, progressiven und lesenswerten Buch Shalom zusammen. Warum wir falsche Vorstellungen von jüdischem Leben haben und das gemeinsam ändern sollten teilt die 25-Jährige ihre ganz persönliche Auslegung des jüdischen Lebens. Warum sie Tattoos trägt, zum Beispiel. Oder warum sich Queerness, Feminismus und Judentum nicht ausschließen. Sie möchte Klischees brechen, darum zeigt sie sich auf Instagram immer wieder mit Gebetsschal (Tallit), den traditionell nur Männer tragen. Selbstbewusst trägt sie ihre Kippa in Regenbogenfarben. Die Autorin bezeichnet sich als religiös, aber in einer sehr freien Form. Mit ihrem Buch möchte sie das weitverbreitete Vorurteil aus der Welt schaffen, dass jüdischer Glaube alt, starr oder verstaubt sei. Wie mit einem Staubwedel wirbelt sie Klischees und Stereotypen auf und räumt pointiert und kurzweilig mit falschen Vorstellungen über jüdisches Leben auf. Lohnenswert ist die Lektüre des sensibel geschriebenen Sachbuchs für alle, die sich für jüdisches Leben im Hier und Jetzt interessieren und gleichzeitig Einblicke in neue, unkonventionelle und manchmal auch polarisierende Sichtweisen erhalten möchten. Geboren in der Ukraine, kam Tanya Raab 2003 mit ihrer Familie nach Frankfurt an der Oder. Religiös ist sie nicht aufgewachsenen. Eine Reise nach Israel wurde für sie zum Wendepunkt. Sie sei dadurch zu „einer wahrlich stolzen Jüdin“ geworden, erzählt sie. Das Gebet musste sie erst in ihren Alltag integrieren. Inzwischen ist es für sie ein wichtiger Begleiter in ihrem Leben: „Manchmal möchte ich laut beten und mich beim Beten viel bewegen. Manchmal möchte ich aber auch nur still sitzen und leise im Kopf vor mich hin beten. Manchmal lege ich mir meinen Gebetsschal um, manchmal nicht“, schreibt sie. „Beten sollte kein Zwang und keine Last sein, es sollte von Herzen kommen.“

Frei von der Leber weg erzählt die Aktivistin und Influencerin von ihren Erfahrungen – positiven wie negativen. Etwa von einem Gespräch, in dem ihr Gegenüber nur über Auschwitz reden möchte („Vor allem in Deutschland werden jüdische Menschen wohl immer mit dem Holocaust assoziiert werden“, stellt sie traurig fest). Als Jüdin ständig mit solchen Fragen konfrontiert zu werden, nervt sie ebenso, wie immer darüber Auskunft geben zu müssen, wie ihre Familie denn die Schoa überlebt habe, oder sich für die Politik der israelischen Regierung rechtfertigen zu müssen. Besonders nachdenklich werden ihre Worte, wenn es um Antisemitismus geht und damit auch um die Sicherheit ihrer Familie. Auch sie spürt den Hass, der seit dem 7. Oktober 2023 mit dem Terrorangriff der Hamas und dem Krieg im Nahen Osten massiv zunimmt. In den Schilderungen der angehenden Lehrerin über ihren Alltag ist zu spüren, wie sie den Menschen trotz allem zugewandt ist, ihnen ihre Kultur, ihre Religion vermitteln möchte. Raab ist Mutter einer Tochter, ihr gibt sie bewusst ein Verständnis für jüdische Glaubenstraditionen weiter. Manchmal auch ganz spielerisch wie beim Lichterfest Chanukka mit einem Leuchter – Chanukia genannt – aus Plüsch. Mithilfe von Klettverschlüssen kann das Kind jeden Tag selbst eine eigene Stoffkerze „anzünden“. Aber sie erzählt auch von eher unbekannten jüdischen Feiertagen, wie Tu biSchevat („Neujahrsfest der Bäume“), für viele ein guter Anlass, das eigene Umweltbewusstsein zu reflektieren.

Anekdoten aus ihrem Alltag teilt Raab ebenfalls gerne – zum Beispiel von ihrem Kühlschrank. Dieser verfügt über eine Funktion, mit der am Schabbat das Licht dauerhaft brennt. „Der Shabbat ist so wichtig, dass er jede Woche stattfindet“, schreibt sie über den wichtigsten jüdischen Feiertag. Dieser ist für die junge Frau mehr als nur ein Tag, an dem sie nicht arbeiten soll oder muss. Vielmehr steht er für ein Innehalten und Sich-Bewusstmachen, was im Lauf der Woche alles geleistet wurde. Jeder Mensch brauche eine solche Ruhephase, so Raab: „Pausen und Erholung sind mehr als nur eine Option, sie sind vielmehr ein gottgewolltes Grundrecht für jeden Einzelnen von uns.“ In ihrer Familie hat sie einen besonderen Weg gefunden, die Bedeutung des Tages auch für atheistische Familienmitglieder zu etwas Besonderem zu machen: „Seit nun schon etwa vier Jahren backe ich zusammen mit meiner Familie jeden Freitagabend eine große Pizza.“ Gegessen wird diese zusammen mit Traubensaft für die Tochter und koscherem Rotwein für die Erwachsenen. Shalom zusammen!

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