Warum Nietzsche? Und warum ausgerechnet heute? Natürlich, da ist sein 125. Todestag in diesem Jahr. Doch neben diesem äußeren Anlass gibt es auch ein inhaltliches Argument, sich mit dem religionskritischen Philosophen zu beschäftigen – und das ist das Entscheidende. Friedrich Nietzsche (1844–1900) hat grundsätzliche Anfragen formuliert, die nicht nur seine eigene Zeit betreffen.
Sich dieser intellektuellen Herausforderung zu stellen, ist die beste Schule für die Ausbildung eines erwachsenen Glaubens. Schließlich nimmt das Christentum zu Recht für sich in Anspruch, auch der Vernunft standzuhalten. Fides quaerens intellectum – wir haben einen „Glauben, der nach Verstehen sucht“, heißt das in der Tradition.
Auch Christiane Tietz, Professorin für Systematische Theologie und Kirchenpräsidentin von Hessen und Nassau, ist überzeugt: „Wer heute öffentlich für das Christentum eintritt, muss sich mit seinen radikalsten Kritikern auseinandersetzen.“ Und Nietzsche gehört in jedem Fall in diese Kategorie, neben klassischerweise Feuerbach, Marx und Freud.
In ihrem Buch zeichnet die Theologin nach, wie einschneidende Erfahrungen bei Nietzsche die Zweifel am Glauben wachsen ließen. Dazu gehört vor allem der frühe Tod des Vaters – und dessen pietistische Deutung in der Familie („Gott schickt das Leid“). Tietz belegt mit vielen Beispielen: Trotz seiner zunehmenden Distanz zum Christentum, die schließlich zu dessen völliger Ablehnung führte, arbeitete sich Nietzsche zeitlebens am Glauben ab. „Er wurde das Christentum nie los“, so Tietz.
Die Autorin macht deutlich: In Vielem muss man als Christin, als Christ dem Religionskritiker klar widersprechen, unter anderem seiner Verachtung von Nächstenliebe und Moral. In anderen Punkten verweist Tietz darauf, wie die Theologie Nietzsches Vorhaltungen aufgegriffen und integriert hat – und heute anders etwa über die Theodizee-Frage spricht. Und zuletzt zeigt sie auf, wo der Philosoph bleibende wunde Punkte anspricht, etwa die Gefahr eines weltflüchtigen Glaubens. So ist dieses Buch eine lesenswerte Einladung, mit Nietzsche den eigenen Glauben immer wieder neu zu durchdenken.