Wem es die Sprache verschlägt, der gerät bei den Dichtern in gute Gesellschaft. Wem christlich die Worte fehlen (und kirchlich erst recht), der tut gut daran, mit Christine Lavant (1915–1973) ins Gespräch zu kommen. Zu Recht wurde sie als die letzte christliche Lyrikerin von Rang bezeichnet, ist doch ihr dichterisches Werk ein einmaliges Sprach- und Glaubenslabor. Biblische und kirchliche Bilderwelten sind darin ebenso präsent wie eine erdnahe Naturmystik von geradezu ökologischer Brisanz.
Und immer diese besondere Mischung von Empörung und Bejahung des Irdischen, von Gottesschrei und Liebeskraft. „Geschöpf aus Trauer und Einsamkeit / versäume nichts sprich mit gespaltener Zunge / hinauf zum Vater und und hinab ins Herz / der wilden Erde“ – so beginnt ein Gedicht mit dem Titel Selbstzuspruch. Wie gut, dass nach der vierbändigen Werkausgabe nun dieses Selbstporträt im Spiegel Nächststehender vorliegt: Ich bin maßlos in allem (Wallstein Verlag, Göttingen 2023). „Sie hat sehr gern gelebt“, attestiert ihr die Nichte im Rückblick, und das trotz ärmster Verhältnisse und vieler Krankheiten von Anfang an. „Kunst wie meine ist verstümmeltes Leben, eine Sünde wider den Geist, unverzeihbar. Das Leben ist so heilig, vielleicht wissen Gesunde das nicht. Ich weiß es ganz“, schrieb Lavant im Alter von 47 Jahren.
Da liegt die große Liebe ihres Lebens bereits hinter ihr. Ein Jahr lang hielt die leidenschaftliche Verbindung zu dem verheirateten Maler Werner Berg der Realität stand, drei weitere Jahre verzweifelten Ringens folgten. Es waren allesamt Jahre größter poetischer Kreativität – etwa 1800 Gedichte entstehen. Viele von ihnen sind in dem bewegenden Briefwechsel Über fallenden Sternen (Wallstein, 2024) zu finden. Das oft gebrauchte „du“, das als verrätselt empfunden werden kann, ist eindeutig als der Geliebte entzifferbar. Als ihre unmögliche Liebe schmerzhaft endet, erscheinen mitten im Verstummen Gedichtbände wie Die Bettlerschale. Alles wird ins Gebet genommen. „Das war mein Leben, Gott, vergiß das nicht! / Ich werde niemals wieder eines haben – / du kannst’s verzögern, dass sie mich begraben / und daß mein Herz an diesem Kummer bricht; / doch seither bin und bleib ich eine Leiche…“ Mit den Schlusszeilen: „Gott, sag das nicht nach, / sag keins der lauen Worte deiner Frommen! / Ich will ja nicht in ihren Himmel kommen! / Nur einmal noch – bevor sie mich begraben – / laß mich im Traum ein Fünklein Liebe haben.“
Lies unsere Zeichen ist ein bibliophiler Prachtband, der auf jeder Seite ein Gedicht Lavants und ein Bild Bergs nebeneinanderstellt und beides ganz für sich sprechen lässt. Welche Dialoge im Lesen und Schauen dabei entstehen! Wie viele Porträts seiner geliebten Christl mit den aufgeschreckten Augen! Wie kraftvoll die lyrischen Bilder, die Rhythmen und Reime! Kluge Texteinheiten des kundigen Herausgebers, Enkel von Werner Berg, erschließen historische und biografische Zusammenhänge. Ein wunderbarer Band auch zum Verschenken (zusammen am besten mit Jenny Erpenbecks wunderbarer Annäherung Über Christine Lavant, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023).