Vom Großen und Ganzen – Folge 3Gefühlte Spaltung

Der Soziologe Steffen Mau über „Polarisierungsunternehmer“ und Zusammenhalt in der Krise.

Das Land ist so gespalten wie nie zuvor.“ Diesen Satz hört man immer häufiger auch in Bezug auf die deutsche Gesellschaft. Und er entspricht ja durchaus unserem Alltagsgefühl: Egal ob Klimaschutz, Migrationspolitik oder die Frage nach einem geeigneten Umgang mit Rechtsextremismus – sachliche Gespräche scheinen immer schwieriger, zu festgefahren stehen sich die Positionen gegenüber.

Aber stimmt das tatsächlich? Der Soziologe Steffen Mau lehnt die sogenannte Polarisierungsthese ab und spricht stattdessen von gefühlter Spaltung. Er erforscht die Stimmung in Deutschland und kann zeigen, dass die Bevölkerung in vielen Streitfragen geeinter ist, als man denkt. „Wir haben gefragt, was die Menschen glauben, wie viele Prozent für Klimaschutz oder eine Reduzierung des Bürgergelds sind und was ihre eigene Meinung zu den Themen ist. Und da gibt es eine riesige Diskrepanz zwischen der gefühlten Polarisierung und der tatsächlichen Verteilung“, erklärt Mau im Podcast Vom Großen und Ganzen. Die öffentliche Debatte sei von „Triggerpunkten“ bestimmt, emotionalen Reizthemen, die tatsächliche Probleme wie soziale Ungerechtigkeit oder marode Infrastruktur überlagerten. Grund für die Verschiebung unserer Aufmerksamkeit sei eine psychologische Asymmetrie, wonach Menschen auf negative Emotionen stärker reagieren als auf positive. „Wenn ich Ihnen Ihr Gehalt um 10 Prozent kürze, dann ärgern Sie sich nächstes Jahr noch. Wenn ich es um 10 Prozent steigere, haben Sie das in vier Wochen eingepreist“, so Mau im Gespräch mit Achim Budde, dem Direktor der Katholischen Akademie in Bayern.

Also alles nur halb so schlimm? Zieht die Gesellschaft im Ernstfall am selben Strang? Der Soziologe warnt: Die gefühlte Polarisierung drohe, mit der Zeit real zu werden, zumal „Polarisierungsunternehmer“ die Entwicklung gezielt verstärken würden, während staatliche Institutionen mit Schadensbegrenzung in einer krisengebeutelten Zeit beschäftigt seien.

Um der wachsenden Entfremdung entgegenzuwirken, brauche es neben handlungsfähigen Strukturen „ein gesellschaftliches Projekt, also eine Idee, in welche Richtung wir uns eigentlich verändern wollen“. Als konkrete Maßnahme schlägt Mau etwa die Einführung einer „dritten Kammer“ neben Bundestag und Bundesrat mit gelosten Mitgliedern vor. Eine solche „Regulierungsebene oberhalb der wettbewerblich organisierten Parteienpolitik“ langfristig bindende Ziele wie den Klimaschutz formulieren, die somit den destruktiven Mechanismen des Triggerns und der Erregung entzogen würden. Obwohl in der DDR areligiös aufgewachsen, misst Mau auch den Kirchen eine wichtige Vermittlungsfunktion zu: „Sie stellen Zusammenhänge her, in denen die Leute mit ihren Problemen nicht so allein gelassen werden. Selbst wenn sie inhaltlich nicht mehr vollständig übereinstimmen, haben sie einen Ort, wo sie sich spiegeln können.“

Obwohl in der DDR areligiös aufgewachsen, misst Mau auch den Kirchen eine wichtige Vermittlungsfunktion zu: „Sie stellen Zusammenhänge her, in denen die Leute mit ihren Problemen nicht so allein gelassen werden. Selbst wenn sie inhaltlich nicht mehr vollständig übereinstimmen, haben sie einen Ort, wo sie sich spiegeln können.“

 

VOM GROSSEN UND GANZEN, Folge 3 mit Steffen Mau finden Sie auf www.cig.de/podcast und in den Apps.

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