Chance zum VerzichtMehr Weniger

Die Fastenzeit ist die Einladung, das Loslassen einzuüben. Insbesondere von der Verklärung der Vergangenheit sollten wir uns verabschieden.

Neulich habe ich Turnschuhe weggeworfen. Sie waren sechs Jahre alt. Leicht fiel mir das nicht. Denn ich hatte sie gekauft, als ich wochenlang Tag für Tag zu Fuß in die Strahlenklinik in der Münchner Innenstadt ging, etwa eine Viertelstunde von meiner Kommunität entfernt. Mittlerweile waren sie abgelatscht – und undicht. Mich von ihnen zu trennen hieß: mich von einem Stück Lebensgeschichte zu lösen, das Gott sei Dank gut ausgegangen ist.

Ähnlich geht es mir, wenn ich mich von einem Pullover oder einem zu eng gewordenen Hemd trenne. Oft zögere ich es hinaus. Dabei kann ein gut erhaltenes Kleidungsstück, in den Altkleidercontainer geworfen, noch gute Dienste leisten und anderswo nützen. Inzwischen mache ich es so: Wenn ich ein neues Kleidungsstück kaufe oder bekomme, gebe ich eines weg.

Papst Franziskus hat in seiner legendären Weihnachtsansprache 2014, als er der Kurie (aber nicht nur ihr) einen Gewissensspiegel vorhielt, auch die „Krankheit des Hortens“ erwähnt: „... wenn der Apostel eine existenzielle Leere in seinem Herzen zu füllen sucht, indem er materielle Güter anhäuft, nicht aus Notwendigkeit, sondern nur, um sich sicher zu fühlen. In Wirklichkeit werden wir nichts Materielles mitnehmen können, denn ,das Totenhemd hat keine Taschen‘, und alle unsere irdischen Schätze – auch wenn es Geschenke sind – können niemals jene Leere füllen, im Gegenteil, sie machen sie immer anspruchsvoller und abgründiger ... Die Anhäufung belastet nur und verlangsamt unerbittlich den Weg!“ Franziskus illustrierte das mit einer Geschichte: „Die spanischen Jesuiten beschrieben die Gesellschaft Jesu einst als die ,leichte Kavallerie der Kirche‘. Ich erinnere mich an den Umzug eines jungen Jesuiten. Während er all seine vielen Habseligkeiten – Gepäckstücke, Bücher, Gegenstände und Geschenke – in einen Lastwagen lud, sagte ein alter Jesuit, der ihn beobachtete, mit einem weisen Lächeln zu ihm: ,Das soll also die leichte Kavallerie der Kirche sein?‘“

Ich gebe es zu: Als ich im Juni 2000 von Innsbruck nach München gezogen bin, musste ich einen Kleintransporter mieten. Über das Beispiel, das Papst Franziskus erzählte, bin ich seinerzeit deswegen gestolpert. Und jetzt achte ich darauf, nicht zu viele Bücher zu horten, um mein Zimmer nicht zu einer Privatbibliothek zu machen.

Schwieriger, als sich von Gegenständen zu trennen, ist es mit Erinnerungen: „Früher“ war es doch „so schön“, „so unbeschwert“, „so …“ Das ist Vergangenheits-Verklärung! Auch in der Kirche! Und wie ist das erst mit Gewohnheiten, mit eingespielten Abläufen, mit einem „Stil“? Sich davon zu trennen, fällt oft viel schwerer, als in der Fastenzeit auf Alkohol zu verzichten oder auf Süßigkeiten. Überflüssige Pfunde loszuwerden ist meistens gut. Aber Hand aufs Herz: Die „schlanke Linie“ ist meistens mehr der Eitelkeit geschuldet!

Andere Verzichte fallen bedeutend schwerer: eben Erinnerungen, Liebgewordenes, Vertrautes loszulassen. Viele reden vom „Loslassen“. Aber wer tut es wirklich? Wer versucht denn, wenigstens im Kleinen, Reduktion einzuüben, Tag für Tag? Die Fastenzeit ist eine Einladung dazu – und eine Chance, Jahr für Jahr. Also: ein bisschen „mehr Weniger“. Einen neuen Anlauf ist es jedenfalls wert.

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