Patristische ExegeseWas vom Brot übrigbleibt

Stell dich dem Schwierigen in den biblischen Texten! Wie die Brotvermehrung auch gelesen werden kann.

Es ist klar“, so lesen wir in einer Predigt des Augustinus, „dass die fünf Brote als die fünf Bücher Mose zu verstehen sind.“ Dieser Satz lässt aufhorchen. Denn sind wir es nicht gewohnt, die Erzählung von den fünf Broten und den zwei Fischen (Joh 6,1–15) schlicht als Wunder zu lesen? Oder manchmal auch ein wenig sozialromantisch, wenn sie in der Katechese dafür herangezogen wird, die Wichtigkeit und den Mehrwert des Teilens und des aufeinander Achtens in Erinnerung zu rufen? Nicht so bei Augustinus, wie überhaupt in der frühen christlichen Literatur.

Augustinus versteht diese Stelle als ein Lehrstück für die christliche Verkündigung. Auf Gegenwart und Zukunft hin gelesen betrifft seine Auslegung auch heute noch – vielleicht sogar mehr denn je – Theologinnen und Theologen und alle, die in der Pastoral tätig sind. Insofern ist der Griff in die Fundgrube der Patristik auch hier lohnenswert, ganz entgegen dem ihr manchmal zugeschriebenen Image eines verstaubten Antiquariats. Denn ein Großteil der uns überlieferten Werke aus patristischer Zeit sind Predigten und Kommentare zur Heiligen Schrift. Und auch in anderen Textgattungen wie etwa Briefen, theologischen Traktaten und Selbstzeugnissen steht die Auslegung der Bibel im Zentrum. Bis weit ins Mittelalter hinein war „Theologie“ gleichbedeutend mit „Schriftauslegung“: Der Theologe ist demnach der, der die Heilige Schrift verstehen und erläutern kann.

Der Kirchenlehrer Augustinus (gest. 430) ist einer der Großen, aus dessen Feder uns zahlreiche Schriftauslegungen überliefert sind. Durch ihn werden wir oft aus einem rein ethisch-moralischen Verständnis vieler Schriftstellen gewissermaßen zurückgeholt in die Theologie. Seiner Identifizierung der fünf Brote mit der Tora, den fünf Büchern Mose, folgt dann auch eine tiefere Auslegung dieser Symbolik: Laut Evangelientext sind die Brote nicht aus Weizen, sondern aus Gerste gebacken. Gerste galt als besonders sperriges und hartschaliges Getreide, dessen Kern sich aber als reichhaltig und nahrhaft erwies, sobald die Schale gebrochen war. „Und Jesus ließ die Brote brechen, durch das Brechen sind sie vermehrt worden“, heißt es weiter bei Augustinus. Jesus legt also den Kern der hebräischen Heiligen Schrift – des christlichen Alten Testaments – durch seine Person und seine Verkündigung offen. Ja, er erweist sich selbst als ihr Verständnisschlüssel, indem er die harte Schale des Gesetzes bricht. Auf diese Weise bringen die fünf Bücher Mose durch Jesus zahlreiche weitere Bücher hervor, womit Augustinus die Bücher des Neuen Testamentes meint, die den Menschen den Sinngehalt der Schrift erläutern. Denn erst in Christus wird die Wahrheit des Alten Testamentes offenkundig, so die zentrale Glaubensaussage.

Die zwei Fische symbolisieren „jene zwei erhabenen Personen im Alten Testament, die zur Heiligung und Leitung des Volkes (Israel) gesalbt wurden: den Priester und den König“, welche wiederum ihre Erfüllung in der einen Person Jesus Christus erfahren. Die Jünger ziehen aus, um die Speisen zu verteilen, das heißt im Bild des Augustinus, um die Menschenmenge in dem von Jesus geoffenbarten Glauben zu unterweisen. Alle Reste, die übrigbleiben, sammeln sie im Anschluss auf Geheiß Jesu wieder ein, sodass damit die symbolische Zahl von zwölf Körben voll wird – ein Hinweis auf den mit der Verkündigung beauftragten Zwölferkreis der Apostel.

Hier setzt das augustinische Lehrstück an: „Was aber sind jene Überbleibsel als eben das, was das Volk nicht essen konnte… was die Menge nicht fassen kann?“ Solange Jesus selbst lehrt, ist den Jüngern das bloße Verteilen dieser geistlichen Nahrung aufgetragen. Nun, wo die Speisung der Menge vorüber ist, erhalten sie eine Aufgabe, die sich – auf der Grundlage dieses Evangeliums – auch heutigen Theologinnen und Theologen stellt: Nehmt euch dessen an, was schwer zu fassen ist! Weicht dem nicht aus! Sammelt es ein! Thematisiert es! Hinter die Lehre Jesu zurückzutreten, sie zu den Menschen zu bringen und sie sättigend wirken zu lassen, ist nicht (mehr) genug. Bleibende Aufgabe der Verkündigung ist es, die Reste nicht zu vernachlässigen, sich mit dem Schwierigen zu befassen, sich ihm auszusetzen.

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