Chancen und Aufgaben der internationalen Ministrantenwallfahrt nach RomMeilenstein im Ministrantendienst

Was ist es, das tausende von jungen Menschen nach Rom pilgern lässt? Welche Aufgaben ergeben sich daraus für die Begleitung der Ministrant/-innen? So vielschichtig die Ursachen bei jedem einzelnen Ministranten und jeder einzelnen Ministrantin auch sein mögen, gibt es Gemeinsamkeiten. Dieser Beitrag geht auf Spurensuche nach diesen und beantwortet die Frage, welche Konsequenzen sich daraus für die Begleitung der jungen Menschen auf der Romwallfahrt ergeben.

Die Begeisterung

„Mit der Romwallfahrt 2010 hat alles angefangen: Ich war als Minis trantin das erste Mal dabei und sofort total begeistert von der Atmosphäre, der Gemeinschaft und der Selbstverständlichkeit des gemeinsamen Glaubens. Letztendlich hat das dazu geführt, dass ich heute als Jugendreferentin im Dekanat arbeite.“ Mit leuchtenden Augen erzählt so eine Kollegin aus dem Jugendreferat. Weitere Stationen haben sie geprägt und dazu geführt, dass sie selbst heute in der kirchlichen Jugendarbeit engagiert ist – die Verbandserfahrungen in der KLJB, Weltjugendtage und immer wieder überzeugende Menschen an entscheidenden Lebenssituationen. Und dennoch: Die besondere Begeisterung angesichts der Romwallfahrt ist greifbar, wenn sie erzählt. Diese Erfahrung ist keine Einzelerfahrung: Für viele Ministrantinnen und Ministranten sind die gemeinsamen Wallfahrten in die ewige Stadt ein entscheidender Meilenstein im eigenen Leben: Oft höre ich in den zwei Jahren vor der Wallfahrt, dass Ministrant/-innen auf jeden Fall noch solange bei den Minis dabei bleiben, bis sie mit nach Rom durften. Für viele ist die Wallfahrt dann aber gerade auch nicht der Abschluss ihrer Ministrantenzeit: Sie übernehmen ein neues Amt, neue Aufgaben und lassen sich noch tiefer ein auf die Gemeinschaft und den Dienst als Ministrant/-innen.

Die Fakten: Romwallfahrt 2018

Was ist „die Romwallfahrt“ überhaupt? Im August 2018 waren weit mehr als 65.000 pilgernde Minis trant/-innen aus der ganzen Welt in Rom versammelt. Allein aus Deutschland haben sich etwa 55.000 junge Menschen mit ihren Begleitpersonen auf den Weg gemacht. Jede Diözese hat dabei ein ganz eigenes Profil der Wallfahrt: Mainz reist mit einem Sonderzug an, Freiburg hat ein ganzes Wallfahrtszentrum im Gianicolo untergebracht, Münster zeltet auf einem großen Campingplatz. Während der Wallfahrtswoche sind die jungen Pilger/-innen mit ihren Gemeindegruppen unterwegs, treffen sich zu gemeinsamen diözesanen Gottesdiensten und Aktionen. Zusammen kommen alle Pilger/-innen aus den verschiedenen Diözesen und Ländern auf dem Petersplatz, wenn Papst Franziskus zum gemeinsamen Abendgebet einlädt. Rund 90.000 Menschen sollen sich am Dienstagnachmittag der italienischen Polizei zufolge dort versammelt haben.
Das sind ungeheure Zahlen, die mich jedes Mal aufs Neue über verschiedene Dimensionen erstaunen lassen: Natürlich wird auch für die Romwallfahrt geworben – aber auf kaum eine andere Veranstaltung in unserer kirchlichen Jugendarbeit fiebern die jungen Menschen so hin, dass sich die Teilnehmer/-innenplätze beinahe von alleine füllen. Andererseits stehen diese ungeheuren Zahlen auch für einen ungeheuren Berg an Arbeit: diese Reise zu organisieren, die Massen zu koordinieren und dennoch jede/n einzelne/n Pilger/-in persönlich seelsorgerlich zu begleiten. Was haupt- und ehrenamtliche Kolleginnen und Kollegen hier auf allen Ebenen unserer Kirche leisten, ist wirklich ungeheuerlich!
Was ist es genau, das junge Menschen so fasziniert und begeistert?

Die Gemeinschaft erleben: Wir sind viele!

In der Schlange an der Gelateria, in den Katakomben und nicht zuletzt in der Metro, überall ist es das gleiche Bild: junge Menschen mit einem bunten Schlauchtuch um Hand, Stirn oder Rucksack gebunden. Sie sind fröhlich, manchmal erschöpft, oft singend, gehen aufeinander zu. Wer Rom auch zu anderen Zeiten kennt, weiß: Rom verändert sich, wenn die Ministrant/-innen da sind.
Während junge Menschen in unseren Kirchengemeinden oft nur wenige sind und sich als Ministrantinnen und Ministranten in ihrem Freundeskreis als Exoten erfahren, erleben sie hier plötzlich ein ganz anderes Bild von Kirche: Wir sind viele, es ist völlig okay, vielmehr absolut richtig, sich diesem Christus in den Dienst zu stellen.
Denn auch wenn die Jugendarbeit von, für und mit Ministrant/-innen nach wie vor attraktiv für Kinder und Jugendliche ist, so gehen auch an ihnen die sinkenden Kirchenmitgliedszahlen und der demographische Wandel nicht spurlos vorbei: Oft klagen Minis in meinen Gruppenleiterschulungen, dass sie in ihrer Gemeinde „nur noch halb so viele Minis wie früher sind“. Diese wenigen sollen (und wollen) nach wie vor die gleichen Aufgaben und Dienste übernehmen, wie es ihre Vorgänger getan haben. In den Gottesdiensten sind die Ministrant/-innen oft die einzigen jungen Menschen, die in der Kirche sind. Ihre Freunde (sofern sie nicht neben ihnen ministrieren) sind währenddessen beim Fußballspiel, beim Familienbrunch oder schlafen schlichtweg aus. Da ist es nicht immer einfach, zum eigenen Engagement bei den Minis zu stehen.
Während der Romwallfahrt ist das etwas ganz anderes: Alle jungen Menschen, die man dort trifft, stehen ebenfalls Sonntagmorgen auf, um in die Kirche zu gehen. Man schämt sich nicht dafür, ganz im Gegenteil – wer schon zehn Jahre oder gar länger dabei ist, wird hier bewundert. Freundschaften, die während dieser Pilgerfahrt geschlossen werden, müssen sich nicht immer um den eigenen Glauben drehen – aber sie können es selbstverständlich im Gegensatz zu vielen Freundschaften zu Hause. Und so wird Kirche für die jungen Menschen plötzlich auch als authentische Communio erlebt: Sie sind als eine Gemeinschaft unterwegs, die ganz selbstverständlich die Sorgen, Freuden und den gemeinsamen Glauben an Jesus Christus teilt.

Die eigene Diözese als Ortskirche und Heimat

Während unsere deutschen Bistümer in der Heimat oft eine Größe sind, die für die jungen Menschen sehr weit weg ist, wird sie während einer Romwallfahrt als Ortskirche 17 wahrgenommen: Viele Bistümer werden von ihren Bischöfen und/ oder Weihbischöfen begleitet. Die Möglichkeit, mit dem eigenen Bischof, der extra „nur für uns“ gekommen ist, einen Gottesdienst zu feiern, zum Eis eingeladen zu sein oder ihm auch nur durch Zufall auf der Piazza Navona zu begegnen und das Pilgertuch zu tauschen, ist für viele Ministrant/-innen ein Highlight der Wallfahrt. In der Begegnung mit anderen Pilger/-innen festzustellen, sie gehören ebenfalls „zu uns“, gibt unseren „Diözesen“ Gesichter. Sich so als Bistum, als Gemeinschaft, als Ortskirche und als Heimat zu erleben, ist ein großer Mehrwert und oftmals eine neue Erfahrung für die Ministrant/-innen.
Gleichzeitig gelingt aber auch die Begegnung zwischen den verschiedenen Diözesen: Stadtkinder begegnen Landkindern, Regensburger Bayrisch begegnet Frankfurter Gebabbel, erfahrene Romfahrer begegnen Romfrischlingen – und die Begegnung gelingt. Weil klar ist, dass alle eine gemeinsame Basis haben.

Die internationale Gemeinschaft der Kirche

Nicht nur über die innerdeutschen Unterschiede gelingt diese Begegnung, sondern auch international: Wir sind viele über Ländergrenzen hinweg. Allein, dass Teilnehmer aus Russland, den USA und der Ukraine miteinander auf einer Wallfahrt mit dem Motto „Suche Frieden und jage ihm nach!“ teilgenommen haben, gibt soviel Hoffnung für unsere Welt. Für manche Teilnehmer/-innen, die regelmäßig bei Romwallfahrten und den Weltjugendtagen dabei sind, ergeben sich sogar freudige Wiedersehen mit alten Bekannten: Die internationale kirchliche Gemeinschaft ist dann nicht mehr nur eine theoretische, schöne Idee – sie bekommt bekannte, freudige Gesichter.
Wenn aus der ganzen Stadt Pilgerinnen und Pilger Richtung Petersdom strömen und dort (teilweise stundenlang) anstehen müssen, wird das ganz greifbar: Natürlich wird hier auch mal gedrängelt, und natürlich gibt es angesichts der sengenden Hitze und der nicht enden wollenden Wartezeit auch mal murrende Töne. Aber alles in allem bleibt die Stimmung gut: Man kommt mit den Gruppen hinter oder vor einem ins Gespräch: Hey, wer seid ihr denn? Wo kommt ihr her? Und immer wieder stimmt eine Gruppe ein Lied an – und die Umstehenden stimmen mit ein.

Der eigenen Berufung auf der Spur

Die Sicherheit dieser Gemeinschaft wiederum gibt den Nährbo den für das Mehr einer Wallfahrt: Was bedeutet es für mich, für mein Leben, wenn ich mich Jesus in den Dienst stelle? Was ist meine Berufung? Wie werde ich zur Friedenssucherin? Was ist meine Aufgabe in unserer Kirche und in unserer Gesellschaft? Mehr oder weniger intensiv stellen sich die jungen Menschen diesen Fragen während der Wallfahrtswoche – aber mit Sicherheit wird sie jede/n einmal berühren.
Es liegt auf der Hand, dass solche (seelsorglichen) Gespräche mit jungen Menschen in Rom, mit einem Gelato in der Hand, raus aus dem Alltag leichter gelingen als Zuhause. Die Atmosphäre der Wallfahrt, die Selbstverständlichkeit und Allgegenwärtigkeit des gelebten Glaubens senken die Hemmschwelle über den eigenen Glauben und seine Konsequenzen ins Gespräch zu kommen. Gesprächsimpulse gibt es während der Wallfahrt zuhauf: die Stadt Rom selbst, mit ihren unzähligen Kirchen, Ordensleuten, die selbstverständlich überall auf den Straßen zu sehen sind, die Veranstaltungen der Wallfahrt, Predigten, Andachten …

Die pastorale Aufgabe: ermöglichen und begleiten

Auffällig bei jeder Beschäftigung mit der Romwallfahrt ist, dass der mit Abstand größte Pilger/-innenanteil aus Deutschland stammt. Das hat verschiedene Ursachen: traditionelle, finanzielle – aber auch pastorale. Und gerade die pastoralen Ursachen machen mich unglaublich dankbar für unsere deutsche Ministrantenpastoral: Neben der liturgischen Begleitung der Ministrant/-innen werden die jungen Menschen bei uns immer auch pastoral begleitet und gefördert. Das ist nicht selbstverständlich, schaut man auf die vielen anderen liturgischen Dienste, die eine liturgische Ausbildung sowie eine Beauftragung für ihren Dienst erhalten, dann aber meist nicht mehr weiter begleitet werden. Ministrantenpastoral bedeutet immer auch einen Dienst an den jungen Menschen, sie in ihrer Gemeinschaft zu begleiten: Gruppenstunden, Freizeiten und Zeltlager zu fördern. Aufgrund dieser guten pastoralen Begleitung der Ministrant/-innen kann die Romwallfahrt hier nahtlos anknüpfen: Hauptamtliche Begleitungsstrukturen sind gelegt und die Gemeinschaftserfahrung der Minis beginnt nicht mit der Abfahrt in Richtung Italien, sondern kann auf die in der Gemeinde gewachsenen Beziehungen aufbauen und diese weiter vertiefen.
Um diese Ministrantenpastoral zu stärken, ergeben sich daher im Rahmen einer Romwallfahrt die folgenden Aufgaben:

  • Ermöglichen: Um all diese wertvollen, Wachstum fördernden Erfahrungen zu ermöglichen, müssen manchmal auch Aufgaben erledigt werden, die auf den ersten Blick nicht klassisch pastoral sind: Reiserecht, Datenschutz, Notfall- und Krisenmanagement und mehr: Sie dienen einem größeren Ganzen.
  • Geistliche Impulse: Die Auswahl der Impulse, Predigtgedanken muss besonders sorgfältig geschehen: Sie fallen hier in der Regel auf besonders fruchtbaren Boden
  • Seelsorgliche Begleitung: Wenn Jugendliche über Gott, ihren Glauben, ihr Leben sprechen wollen, brauchen sie kompetente Gesprächspartner – und dann müssen wir da sein: als authentische Glaubenszeugen, die vom Grund unserer Hoffnung sprechen können, die ehrlich mit unseren Zweifeln umgehen können, aber genauso ehrlich vom Vertrauen und der Liebe zu Jesus.
  • Gemeinschaft stärken: Oftmals gelingt über eine Romwallfahrt, was zu Hause unmöglich scheint: Minis aus benachbarten Ortschaften oder Stadtteilen sind gemeinsam unterwegs und werden zu einer Gemeinschaft, innerhalb derer sich Freundschaften bilden. Solche gewachsenen Vernetzungen müssen zu Hause gepflegt werden.
  • Entscheidung begleiten: Der Meilenstein Romwallfahrt hat verschiedene Konsequenzen für das Leben der Ministrant/-innen: sie beenden ihren Dienst, sie engagieren sich stärker, sie treffen davon geprägt eine Berufsentscheidung. Diese Entscheidungen und Konsequenzen müssen gut begleitet werden.
  • Übergang in den Alltag gestalten: Wenn die Wallfahrt vorbei ist, wenn die Pilger/-innen wieder zu Hause in der Gemeinde angekommen sind und nicht mehr mit 70.000 anderen Minis auf dem Petersplatz stehen, sondern zu zweit am Sonntag ministrieren – dann brauchen die jungen Christen alle notwendige Unterstützung und Raum, um die Erfahrung aus der Romwoche in ihren Alltag zu übertragen. Denn das ist das Entscheidende, an dem sich der „Erfolg“ einer Wallfahrt misst: Hat sie den jungen Menschen geholfen, ihr Leben und ihren Glauben besser zusammenzubringen?

In der internationalen Romwallfahrt der Ministrant/-innen stecken eine Vielzahl an Aufgaben und teilweise echte Herausforderungen für die Gemeinden und das pastorale Personal. Angesichts des enormen Potenzials für unsere junge Kirche lohnt es sich, diese Aufgaben anzunehmen. Die Romwallfahrt prägt und stärkt dabei nicht nur die jungen Menschen, sondern hinterlässt ebenso wertvolle Spuren in uns, die wir sie begleiten. Und so stellt sich für uns alle die logische Frage: Wann geht’s das nächste Mal wieder zur Romwallfahrt?

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