Hirten, nicht HerrscherPapst Franziskus über die Gestalt des Bischofs

Papst Franziskus hat sich vielfach zum Bischofsamt geäußert. Diego Fares, Dozent für Philosophie in San Miguel (Argentinien) und Redaktionsmitglied der Jesuitenzeitschrift „La Civiltà Cattolica“ (Rom), gibt einen Überblick über das Amtsverständnis des Papstes und die damit verbundenen Aufgaben und Ansprüche.

Als Papst Franziskus am 18. Mai dieses Jahres die 68. Generalversammlung der italienischen Bischofskonferenz eröffnete, bat er die Bischöfe, nicht „Piloten“, sondern wahre „Hirten“ zu sein1. Mehrfach appellierte der Papst daran, als Bischof nach der Art eines Hirten, nicht nach der Art eines Fürsten zu wirken, womit er jene Bildsprache verwendete, die ihm schon eigen war, als er noch seine frühere Diözese leitete.

Im Jahr 2006 gab er den spanischen Bischöfen Exerzitien und sprach in der einleitenden Meditation zum Magnificat davon, „wir sollten uns als Mitarbeiter, nicht als Herrscher fühlen, als demütige Diener wie unsere Herrin, die Jungfrau Maria, nicht als Fürsten“. Zum Abschluss der Exerzitien betonte er - in der Betrachtung über „den Herrn, wie er uns neugestaltet“ -, dass „sich die Menschen einen Hirten wünschten, nicht einen (ital. raffinato, span. exquisito), der dadurch hervorsticht, dass er sich in den Feinheiten der neuesten Moden verliert“2.

Diese Option für den Hirten meint nicht allein die Bischöfe, sondern betrifft jeden „missionarischen Jünger“ in seinem jeweiligen Stand und gemäß seiner Lebenslage. Im Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ (EG) bekräftigt der Papst:

„Es ist klar, dass Jesus Christus uns nicht als Fürsten will, die abfällig herabschauen, sondern als Männer und Frauen des Volkes. Das ist nicht die Meinung eines Papstes, noch eine pastorale Option unter möglichen anderen. Es sind so klare, direkte und überzeugende Weisungen des Wortes Gottes, dass sie keiner Interpretation bedürfen, die ihnen nur ihre mahnende Kraft nehmen würden. Leben wir sie ,sine glossa‘ - ohne Kommentare.“ (EG 271)

Wird die bildhafte Gegenüberstellung von den „Hirten“ und den „Fürsten“, die manche Medien als Vorwurf an Bischöfe und Priester aufgefasst haben, richtig verstanden, dann verrät sie keineswegs Abschätzigkeit; es geht um etwas viel Tieferes. Sie verweist uns auf eine geistliche Unterscheidung mit Blick auf einen epochalen Wandel und ist - noch viel deutlicher - die Einladung, darauf zu achten, dass sich kein Bischof, kein Priester die Freude daran rauben lasse, Hirte zu sein3:

„Auf diese Weise erfahren wir die missionarische Freude, das Leben mit dem Volk zu teilen, das Gott treu ist, und versuchen zugleich, das Feuer im Herzen der Welt zu entzünden.“ (EG 271)

Bischöfe, die über ihr Volk wachen

Im Titel des „Bischofs“ - episkopos im Griechischen - wird ein besonderes Charisma zum Ausdruck gebracht, zu dem der damalige Kardinal Bergoglio in der Synode des Jahres 2001 seine Überlegungen unter dem Titel „Der Bischof, Diener des Evangeliums Jesu Christi für die Hoffnung der Welt“ anstellte. Dieses Charisma, das auch eine eigene Sendung des Bischofs darstellt, besteht darin „zu wachen“. Es lohnt sich, den Text im Gesamtzusammenhang zu lesen:

„Der Bischof ist derjenige, der wacht; er hält an der Hoffnung fest, indem er für sein Volk wacht (1 Petr 5,2). Eine geistliche Haltung legt die Betonung darauf, das Volk in einer Art ,Zusammenschau‘ zu über-wachen; es gehört zu den Aufgaben des Bischofs, aufmerksam zu sein für das, was die Herde zusammenhält. Eine andere geistliche Haltung akzentuiert das Wachehalten dessen, der auf Gefahren aufmerksam ist. Beide Haltungen haben mit dem Kern der bischöflichen Sendung zu tun und beziehen all ihre Kraft aus der Einstellung, die ich für die wesentlichste halte, nämlich die des Wachens.

Eine der am meisten bestechenden Veranschaulichungen dieser Haltung ist die des Exodus, wo von Jahwe gesagt wird, er habe in der Nacht des Pascha über sein Volk gewacht; deswegen heißt sie ,eine Nacht des Wachens‘ (Ex 12,42). Unterstreichen will ich die besondere Tiefe des Wachens im Vergleich zu einem allgemeineren Überwachen oder zu einem näher konkretisierten Wachehalten. Das Überwachen bezieht sich eher auf die Wahrung der Lehre und der Sitten, wohingegen Wachen eher meint, dafür Sorge zu tragen, dass Salz und Licht in den Herzen ist. Wachehalten bedeutet das Auf-der-Hut-sein gegenüber der drohenden Gefahr, wachen dagegen besagt, mit Geduld jene Prozesse zu ertragen, durch die der Herr das Heil seines Volkes voranbringt. Um Wache zu halten, genügt es, wach, schlau, schnell zu sein. Für das Wachen sind zusätzlich die Sanftheit, die Geduld und die Beständigkeit der erprobten Liebe vonnöten. Überwachen und Wachehalten verraten uns etwas von einer notwendigen Kontrolle. Das Wachen dagegen lässt uns an Hoffnung denken, an die Hoffnung des barmherzigen Vaters, der wachend zuschaut, wie sich die Herzen seiner Söhne entwickeln. Das Wachen zeigt und festigt die parrhesia des Bischofs, der von Hoffnung zeugt, ,ohne das Kreuz Christi abzuwerten‘.

Neben das Bild von Jahwe, der über den großen Auszug seines Bundesvolkes wacht, tritt ein weiteres, vielleicht gewöhnlicheres, aber ebenfalls starkes Bild, nämlich das des heiligen Josef. Bis in den Schlaf hinein wacht er über das Kind und seine Mutter. Aus diesem tiefsinnigen Wachen des Josef stammt die schweigsame Zusammenschau, die in der Lage ist, für seine kleine Herde mit armseligen Mitteln zu sorgen. Und ebenso entspringt daraus der wachsame, prüfende Blick, mit dem Josef alle Gefahren meiden konnte, die das Kind bedrohten.“4

Der schlafende heilige Josef, dem Papst Franziskus seine Notizblätter anvertraut, damit dieser sie im Traum anschaue, ist das Bild des Bischofs, jenes Hirten, der über sein Volk wacht.

Bischöfe, die sich herabbeugen und integrierend wirken

„Nach unten“ und „zu allen“: Mit diesen zwei einfachen Bewegungen, die den Hirten, nicht den Fürsten, auszeichnen, hat sich Franziskus direkt nach seiner Wahl zum Papst in die große Tradition der Kirche und des Zweiten Vatikanischen Konzils gestellt und dadurch eine neue geistliche Dynamik im gläubigen Gottesvolk hervorgerufen.

Das Konzil sagt uns, dass, so wie Christus „sich entäußert hat“ und gesandt worden ist, „den Armen eine frohe Botschaft zu bringen“, auch die Kirche gerufen ist, den gleichen Weg zu gehen; daher „umgibt sie alle mit ihrer Liebe, die von menschlicher Schwachheit angefochten sind, ja in den Armen und Leidenden erkennt sie das Bild dessen, der sie gegründet hat und selbst ein Armer und Leidender war“ (Lumen gentium [LG] 8).

Als Papst Franziskus den Kopf neigte, um den Segen seines Volkes zu empfangen, und immer dann, wenn er in das Papamobil steigt und über den weiten Platz fährt oder wenn er die Orte an den Grenzen als Ziel seiner Besuche auswählt, dann lassen seine Gesten uns erfahren - und nicht bloß sehen -, wie ein Bischof inmitten seines Volkes sein kann. Es entsteht ein Bild, das nicht bloß die übrigen Bischöfe oder Päpste wieder auf die Plätze zurückbeordern will, sondern das beachtet und aufgenommen werden möchte mit der Haltung von „Freundschaft und Nähe“ desjenigen, der „die Harmonie des Geistes in der Verschiedenheit der Charismen“ zu entdecken vermag. Eben darum bat Papst Franziskus „seine Presbyter“ - die Kardinäle - zwei Tage nach seiner Wahl5.

Über seine Gesten hinaus drückt auch seine Lehre dieses Herabbeugen und das Sich-einschließen aus, eine Haltung, die der spirituellen Weltlichkeit diametral entgegensteht. All das ist nicht sein eigener geistreicher Einfall, sondern das, was bereits das Konzil in einfacher Sprache verlangt hat: „So ist die Kirche, auch wenn sie zur Erfüllung ihrer Sendung menschlicher Mittel bedarf, nicht gegründet, um irdische Herrlichkeit zu suchen, sondern um Demut und Selbstverleugnung auch durch ihr Beispiel auszubreiten.“ (LG 8)

So sehr es zutrifft, dass die öffentliche Meinung und die Medien ein strenges Urteil fällen, sobald sie fürstenähnliches Verhalten vonseiten eines Prälaten wahrnehmen, so wahr ist es auch, dass es große Sympathie für jeglichen Hirten gibt - sei er Priester oder Bischof -, der sich niederbeugt und alle in Liebe umfängt. Das Volk Gottes fühlt dann, dass es Christus ist, der durch seine Hirten selbst den Hirtendienst tut. Bereits Augustinus hat das in Worte gefasst:

„Fern sei uns der Gedanke, dass jetzt die guten Hirten fehlen würden! Fern sei, dass sie uns fehlten, fern sei es, von seiner [Gottes] Barmherzigkeit zu meinen, dass er sie uns nicht hervorbringe und sie einsetze! Wenn es nämlich gute Schafe gibt, gibt es auch gute Hirten, denn aus dem Kreis der guten Schafe stammen auch die guten Hirten. Alle guten Hirten aber wirken in diesem einen und sind eins. Mögen sie die Herde weiden; Christus ist es, der sie [durch sie] weidet. Denn die Freunde des Bräutigams lassen nicht ihre eigene Stimme erklingen, sondern freuen sich daran, die Stimme des Bräutigams selbst zu hören.“6

Seine Ansprache an die Mitglieder der Bischofskongregation abschließend fragte Papst Franziskus im Jahr 2014:

„Wo können wir solche Männer finden [kerygmatische und betende Bischöfe; Bischöfe, die Hirten sind]? Das ist nicht einfach. Gibt es sie? Wie soll man sie auswählen? […] Ich bin sicher, dass es sie gibt, denn der Herr verlässt seine Kirche nicht. Vielleicht sind wir nicht genug auf den Äckern unterwegs, um sie zu suchen. Vielleicht brauchen wir die Ermahnung Samuels: ,Wir wollen uns nicht zum Mahl hinsetzen, bevor er hergekommen ist‘ (vgl. 1 Sam 16,11). Ich möchte, dass diese Kongregation aus dieser heiligen Unruhe lebt.“7

Bischöfe, die sich auf das Wesentliche konzentrieren

Welche Eigenschaften soll ein Bischof haben, von dem der Papst meint, dass der Herr ihn heute in den Dienst nimmt, um sein Volk zu heiligen, zu lehren und als Hirte zu leiten? Franziskus hat sie den Bischöfen der Italienischen Bischofskonferenz ins Gedächtnis gerufen. Die Spiritualität eines Bischofs bestehe darin, zum Wesentlichen zurückzukehren, zur persönlichen Beziehung mit Jesus Christus, der sagt: „Folge mir nach!“, und der uns zu „Hirten einer Kirche [macht], die vor allem die Gemeinschaft des Auferstandenen ist“8. Ähnliches hatte der Papst schon einige Monate zuvor in der Versammlung der Bischofskongregation geäußert:

„Unter jenen, die Jesus nachfolgen, müssen die Zeugen des Auferstandenen ausgewählt werden. Von hier kommt das wesentliche Kriterium, um das Profil der Bischöfe zu beschreiben, die wir haben wollen“9.

Von einem Bischof, der „Zeuge“ ist, verlangt der Papst zwei Eigenschaften: zum einen, dass er „alles, was mit Jesus geschehen ist, vergegenwärtigen“ kann; und zum anderen, dass er „kein isolierter Zeuge [ist], sondern gemeinsam mit der Kirche.“10 Gegenüber der Versammlung der Italienischen Bischofskonferenz hob der Papst ausdrücklich die „Zugehörigkeit zur Kirche“ hervor; sie zeichne die „Hirten einer Kirche [aus], die Leib des Herrn ist“11.

Um diese Charakteristika besser zu erfassen, richten wir unseren Blick auf Franziskus selbst. Das aber nicht deswegen, weil alle Bischöfe dem Papst in „seinem Stil“ ähneln müssten. Im Gegenteil, er bevorzugt die Verschiedenheit der Charismen:

„Es gibt keinen ,Standardhirten‘ für alle Kirchen. Christus kennt die Besonderheit des Hirten, den jede Kirche verlangt, um auf ihre Bedürfnisse zu antworten und ihr zu helfen, die in ihr steckenden Möglichkeiten zu verwirklichen. Unsere Herausforderung besteht darin, die Sichtweise Christi anzunehmen und dabei die Besonderheit der Teilkirchen zu berücksichtigen.“12

Den auferstandenen Christus gegenwärtig zu machen - das verlangt, dass jeder in seiner einzigartigen und nicht austauschbaren Gegenwart an seinem Platz steht und, indem er der bleibt, der er ist, das Wesentliche treu bewahrt, um so das Zeugnis seines eigenen Lebens mit dem der anderen Zeugen in Einklang zu bringen.

Um das Wesentliche zu thematisieren, kann es von Bedeutung sein, aus einem Abstand von zwei Jahren zurückzuschauen, in welchen Zusammenhängen Franziskus zuerst über den „Bischof“ gesprochen hat. Bei seinem ersten Segen Urbi et Orbi hat er viermal „den Bischof“ erwähnt: Bezogen auf das Konklave hat er gesagt, es sei dessen Aufgabe gewesen, „Rom einen Bischof zu geben“. Er dankte der Diözesangemeinschaft von Rom, die „nun ihren Bischof [hat]“, für den Empfang. Er bat darum, „ein Gebet [zu] sprechen für unseren emeritierten Bischof Benedikt XVI.“. Er kleidete seine eigene Sendung in Worte, die einen Weg bezeichnen: „Und jetzt beginnen wir diesen Weg - Bischof und Volk“, und ersuchte die Anwesenden um „das Gebet des Volkes, das um den Segen für seinen Bischof bittet.“13

Nochmals hat der Papst die Gestalt des Bischofs in seiner Homilie während der Messe mit den Kardinälen erwähnt, in der er alle Hirten als „Jünger des gekreuzigten Christus“ beschrieb:

„Wenn wir ohne das Kreuz gehen, wenn wir ohne das Kreuz aufbauen und Christus ohne Kreuz bekennen, sind wir nicht Jünger des Herrn: Wir sind weltlich, wir sind Bischöfe, Priester, Kardinäle, Päpste, aber nicht Jünger des Herrn.“14

Ähnlich drückt es die Konzilskonstitution über die Kirche aus: „Die Kirche ,schreitet zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes auf ihrem Pilgerweg dahin‘ und verkündet das Kreuz und den Tod des Herrn, bis er wiederkommt (vgl. 1 Kor 11,26)“ (LG 8; vgl. auch LG 3, 5, 42).

Ebenso auffällig war die Art und Weise, in der Papst Franziskus während der Audienz für die Kardinäle die Gestalt Benedikts XVI. beschrieb:

„Das Petrusamt, das er mit völliger Hingabe gelebt hat, hatte in ihm einen weisen und demütigen Ausleger, der den Blick immer auf Christus, auf den auferstandenen Christus richtete, der in der Eucharistie gegenwärtig und lebendig ist.“15

Sich niederbeugen, integrieren, sich konzentrieren - drei Bewegungen um den gekreuzigten und auferstandenen Herrn, mit denen der Papst die Bischöfe dazu einlädt, ihre Rolle auszurichten und als Hirten des Gottesvolkes erkennbar zu werden.

Ein Bischof im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils: Gesalbt, um zu salben

In der ersten Chrisam-Messe, die er als Bischof von Rom gefeiert hat, betrachtete Franziskus die Hirten in der sie auszeichnenden Grundspannung: Sie sind gesalbt, um das Volk Gottes zu salben, dem sie dienen. Das Konzil nämlich hält fest: „Jenes Amt aber, das der Herr den Hirten seines Volkes übertragen hat, ist ein wahres Dienen, weshalb es in der Heiligen Schrift bezeichnenderweise mit dem Wort ,Diakonia‘, d. h. Dienst, benannt wird“ (LG 24). „Den guten Priester erkennt man daran, wie sein Volk gesalbt wird; das ist ein deutliches Beweismittel.“16 In diesem Sein für das Volk konzentriert sich ganz und gar der Geist jenes Zweiten Vatikanischen Konzils, von dem der Papst nicht sagt, „dass man es [erst noch] mit Leben erfüllen müsse“, sondern „dass er es erlebe“ zusammen mit allen Bischöfen, Priestern und Laien, die sich daran freuen, als missionarische Jünger mit ihm zur Sendung aufzubrechen17.

In den einfachen Sätzen der ersten Ansprachen von Papst Franziskus pulsieren der Beziehungscharakter und die Dynamik dessen, was mit der Salbung gemeint ist. Bischof und Gottesvolk legen gemeinsam einen Weg zurück, von dem gilt:

„Die Gesamtheit der Gläubigen, welche die Salbung von dem Heiligen haben (vgl. 1 Joh 2,20.27), kann im Glauben nicht irren. Und diese ihre besondere Eigenschaft macht sie durch den übernatürlichen Glaubenssinn des ganzen Volkes dann kund, wenn sie ,von den Bischöfen bis zu den letzten gläubigen Laien‘ ihre allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten äußert.“ (LG 12)

Der gemeinsam zurückgelegte Weg ist, der ursprünglichen Bedeutung des griechischen Wortes gemäß, „synodos“, „Synode“, und in diesen Aussagen atmet der synodale Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils:

„Seit den ersten Jahrhunderten der Kirche wurden die Bischöfe […] gedrängt, ihre Kräfte und ihren Willen zu vereinen, um sowohl das gemeinsame Wohl wie auch das Wohl der einzelnen Kirchen zu fördern. Aus diesem Grund wurden Synoden […] und schließlich Plenarkonzilien abgehalten […]. Diese Heilige Ökumenische Synode wünscht, daß die ehrwürdigen Einrichtungen der Synoden und Konzilien mit neuer Kraft aufblühen“ (CD 36).

Den Einklang zwischen Papst Franziskus und Papst Benedikt XVI. belegen beispielsweise die Worte, die Benedikt im Jahr 2009 an die argentinischen Bischöfe richtete, als er über „das heilige Öl der priesterlichen Salbung“ sprach, das den Hirten wie Christus „inmitten seines Volkes“ stehen lasse. In diesem Zusammenhang erinnerte Papst Benedikt die Bischöfe und Priester daran, dass sich jeder von ihnen „unter seinen Gläubigen stets verhalten müsse wie der Diener (vgl. LG 27)“, ohne nach Ehrentiteln zu streben, sondern vielmehr „liebevoll und barmherzig“ für das Gottesvolk Sorge zu tragen18. Eben diese Gestalt des Bischofs, die Papst Benedikt den argentinischen Bischöfen vor Augen gehalten hat, bringt Papst Franziskus nun allen Bischöfen nahe, um sie in diesem Augenblick der Geschichte vollständig mit Leben zu erfüllen.

Die Gestalt des Bischofs als Hirte

Es ist möglich, die Gestalt des Bischofs, wie Papst Franziskus ihn sieht, ganz und gar in einem „pastoralen“ Bild zusammenzufassen: im Bild des „Hirten mit dem Geruch der Schafe“. Aber wir sollten es nicht bloß als irgendeinen originellen Ausdruck verwenden, sondern eben als ein Bild, das in der Lage ist, die übrigen Motive in sich zu vereinigen, die der Papst uns vor Augen führt. Die Gestalt des Hirten mit dem Geruch der Schafe und mit dem Lächeln des Vaters19 führt in anziehender Weise viele andere Motive mit sich, um eine Gesamtkonstellation, gleichsam einen „Sternenkranz um den Hirten herum“ zu bilden.

Inwiefern ist diese pastorale Perspektive der Schlüssel zur Gestalt des Bischofs? Im Jahr 2009 sagte Bergoglio:

„Für die Bischofsversammlung von Aparecida steht die ,Pastoral‘ nicht im Gegensatz zur ,Lehre‘, sondern schließt diese ein. Eine solche Pastoral ist nicht einmal eine bloß ,zufällige praktische Anwendung der Theologie‘, ganz im Gegenteil: Die Offenbarung selbst - und demnach die gesamte Theologie - ist pastoral, insofern sie Wort des Heils ist, Wort Gottes für das Leben der Welt. Dazu sagt Crispino Valenziano: ,Es geht nicht darum, eine Pastoral mit der Lehre in Einklang zu bringen, sondern darum, von der Lehre eben nicht das pastorale Siegel zu entfernen, das ihr ursprünglich und konstitutiv zugehört. Der ‚Gang durch die Anthropologie‘, der in der Theologie zweifellos und entschlossen durchgeführt werden muss, verläuft parallel zu einer ‚pastoralen‘ Lehre: Wir Menschen empfangen die Offenbarung und das Heil, indem wir wahrnehmen, wie Gott unser Menschsein kennt und als Hirte jedem seiner Schafe entgegenkommt‘.“20

Bergoglio fährt fort:

„Diese Auffassung, die Lehre und Pastoral zusammensieht und der Grund dafür war, die Bezeichnung ,Konstitution‘ für ein Dokument, das eine beständig bleibende Lehre formuliert, nicht nur der dogmatischen, Lumen gentium, sondern auch der pastoralen, Gaudium et Spes, zuzuweisen, zeigt sich sehr deutlich im Dekret über die Priesterausbildung. Diesem zufolge ist es wichtig, Seelenhirten auszubilden, Hirten also, die gemeinsam mit dem einzigen Guten und Schönen Hirten - schön, weil er durch Anziehung wirkt, nicht durch Druck - ,seine Schafe weiden‘ (vgl. Joh 21,15-17).“21 - Tatsächlich „ist das Bild des Guten Hirten das analogatum princeps der gesamten Ausbildung. Wenn das Zweite Vatikanische Konzil und die Bischofsversammlung von Aparecida von der Pastoral als dem höchsten Ziel sprechen, meinen sie ‚Pastoral‘ im eminenten Sinn, das heißt nicht insofern sie sich von anderen Gesichtspunkten der Ausbildung unterscheidet, sondern insofern sie diese alle einschließt. Und letzteres tut sie in der Liebe des Guten Hirten, da die Liebe die prägende ,Form aller Tugenden‘ ist, wie der heilige Thomas von Aquin im Anschluss an den heiligen Ambrosius unterstreicht.“22

Wenn Papst Franziskus von der dreifachen Sendung der Kirche und der Bischöfe spricht, greift er Gedanken von Benedikt XVI. auf, der das dreifache Amt (munus) des Hirten durch neue Akzente präzisiert hat:

„Das Wesen der Kirche drückt sich in einem dreifachen Auftrag aus: Verkündigung von Gottes Wort (kerygma-martyria), Feier der Sakramente (leiturgia), Dienst der Liebe (diakonia). Es sind Aufgaben, die sich gegenseitig bedingen und sich nicht voneinander trennen lassen.“23

Bemerkenswert ist, dass Papst Benedikt XVI. den Ausdruck kerygma-martyria verwendet, wenn er vom bischöflichen Lehramt spricht, eben jenen Ausdruck, der Franziskus’ Hinweis auf „kerygmatische“ Bischöfe zugrunde liegt, die Zeugen des Auferstandenen sein sollen.

Wenn Benedikt auf das Leitungsamt schaut, bestimmt er es näher durch den Begriff der diakonia, des Liebesdienstes, den auch Franziskus an die erste Stelle setzt24. Dieser Aspekt der diakonia ist nicht weniger wichtig als die anderen beiden Aufgaben. Dazu schreibt Papst Benedikt: „Der Liebesdienst (caritas) ist für die Kirche nicht eine Art Wohlfahrtsaktivität, die man auch anderen überlassen könnte, sondern er gehört zu ihrem Wesen, ist unverzichtbarer Wesensausdruck ihrer selbst.“25 Die geistliche Unterscheidung mit Blick auf seine zu verfassenden Enzykliken führte Benedikt zu der Überzeugung, dass er zur Welt über die Liebe (caritas) sprechen müsse. Und der Liebe eigen ist jener „Geruch der Schafe“.

Hirten mit dem Geruch der Schafe und dem Lächeln eines Vaters

Papst Franziskus hat kein Problem damit, gegenüber einer Welt wie der unsrigen, die zunehmend weniger „Gespür für die Sünde“26 hat, von den „Sünden der Hirten“ zu sprechen, sich selbst und die Kurie einschließend. Gleichwohl entstammt, um genau hinzuschauen, seine am meisten bezeichnende Aussage über die Hirten, mit der er das Herz aller berührt hat, nicht dem Feld der „Ethik“, die mit dem Geschmack der Verpflichtung daherkommt, sondern dem Bereich des „Ästhetischen“, das unwiderstehlich anziehend wirkt. Sein berühmter Satz lautete: Ich will „Hirten mit dem Geruch der Schafe“ - und „dem Lächeln eines Vaters“, wie er in seiner Ansprache am Gründonnerstag hinzufügte. Dies ist die Gestalt des Bischofs, wie sie Franziskus am Herzen liegt. Und sie gilt in derselben Weise für die Priester, für die Kardinäle und den Papst selbst. Es geht ihm um Hirten, die sich nicht bloß mit der Wolle ihrer Schafe kleiden wollen, sondern „leidenschaftlich darauf aus sind“, ihnen zu dienen27.

Wir können festhalten, dass hier weniger von einer Gestalt als vielmehr von einem Geruch des Bischofs die Rede ist, einem Geruch, der - wie jeder starke Duft - deutlich eine Vielzahl von Bildern hervorruft. Das herausragende Bild jedoch, das „‚sine glossa‘ erfasst“ (EG 271), das „gewittert“ werden soll, ist zweifelsohne dasjenige eines Hirten, der die Schafe weidet und nicht sich selbst.

Zusammen mit dem Bild des „Hirten, an dem der Geruch der Schafe haftet“, kommt auf uns das Gleichnis vom Guten Hirten zu, das wir schon so oft gehört und doch so wenig verinnerlicht haben. Es trifft uns wie ein frischer Luftzug, der uns aus ideologischen und der Routine verhafteten Fantastereien aufwachen und uns mit neuem Eifer aufbrechen lässt, der vom Evangelium herkommt. Der Hirte wird vom Geruch der Schafe dann durchtränkt, wenn er inmitten seines Volkes ist. Ausgeschlossen ist, einen solchen Geruch im Labor herzustellen. Ein Hirte wird auch nicht dadurch infiziert, wenn er bei seinem Volk ist, um es zu weiden; vielmehr handelt es sich um jenen Geruch, der auch ihm als Schaf zu eigen ist und ihn daran erinnert, dass auch er aus demselben Volk herausgerufen worden ist, dem er jetzt als Hirte dient.

„Der Geruch der Schafe“: Dieses Schlagwort fasst in sich zusammen, was Jorge Mario Bergoglio meint, wenn er von der Salbung28, vom Wachen und Behüten sowie von der geistlichen Unterscheidung spricht, die darauf achtet, die Herde mit einer gesunden Lehre zu nähren und sie gegen Feinde zu verteidigen, also gegen die Wölfe, die sich in einen Schafspelz kleiden, ihren „Wolfsgeruch“ jedoch nicht verbergen können. Auf diese Weise ermöglicht ein geistliches Verständnis des Geruchsinnes dem Bischof, die Versuchung zu einer spirituellen Weltlichkeit mit ihren verfeinerten Duftstoffen aufzudecken und zurückzuweisen; es bietet ihm die Möglichkeit einer „geruchsbasierten“ geistlichen Unterscheidung, um seine Zugehörigkeit zu der Herde zu bewahren, aus der er genommen ist, und von den Schafen erkannt zu werden als derjenige, der sie nicht ins Verderben führt.

Bischöfe, die mit ihrem Volk beten

Im Denken von Papst Franziskus sind das persönliche und das liturgische Gebet des Hirten - genauso wenig wie die Salbung - keine Mittel, um die eigene Person mit Duft zu umhüllen, sondern etwas, das „sich ausbreitet und an die Ränder gelangt“, vergleichbar dem Öl, das von Aarons Bart herabfließt und sich bis zum Saum seines Mantels verteilt29.

Deshalb ist das Gebet des Hirten, das der Papst meint, immer mit Gesichtern angefüllt. Selbst „unsere Müdigkeit […] ist wie der Weihrauch, der still zum Himmel aufsteigt, […] geradewegs zum Herzen des Vaters“30, und lässt, um ein Bild aufzugreifen, das Franziskus in der letzten Chrisam-Messe verwendet hat, die Priester die liebevolle Berührung durch Gott spüren.

Die Gestalt des Bischofs, der betet, wird sichtbar, indem er sich, gegründet in Christus als seiner Mitte, dem Dienst an seinem Volk hingibt31. Daraus ergeben sich Anzeichen dafür, wie es um seine Hinwendung zu Gott, seine Heiligkeit und sein persönliches Beten bestellt ist: „Dieselbe hypomone, die [der Bischof] bei der Verkündigung des Wortes Gottes haben muss, muss er in seinem Gebet haben.“32

Diese Spiritualität entspringt dem konkreten Wirken in der Seelsorge, das Johannes Paul II. den Hirten eindringlich in seinem Schreiben „Pastores dabo vobis“ empfohlen hat33. Bereits zwölf Jahre zuvor hatte er davon in einer Homilie über „Die heutige Spiritualität eines Diözesanpriesters“ gesprochen, in der er den Priestern den „pastoralen Grund ihres Daseins“ ins Gedächtnis rief:

„Ein Priester [und umso mehr ein Bischof], dem eine wie auch immer geartete Einbindung in eine kirchliche Gemeinschaft fehlte, könnte gewiss nicht als gelungenes Modell für ein Leben im Dienst der Kirche gelten, da ein solches Leben seinem Wesen nach im konkreten Zusammenhang zwischenmenschlicher Beziehungen der Gemeinde selbst verwurzelt ist“34.

Im Schreiben „Pastores dabo vobis“ verweist Johannes Paul II. im Sinne einer beispielhaften Gestalt auf den heiligen Bischof Karl Borromäus, der die Spiritualität der Geistlichen Übungen des heiligen Ignatius hochschätzte. Diese Übungen (Exerzitien) legen den Hirten nahe, Kontemplation und Aktion, Betrachtung und Tätigkeit in der Weise zu vereinen, wie es der heilige Peter Faber gemeint hat: „Wer Gott auf geistliche Weise in guten Werken sucht, findet ihn danach besser im Gebet, als wenn er sich der guten Werke enthalten hätte“35. Den Personen, die im tätigen Leben stehen, empfahl der Heilige: Es wird „im allgemeinen besser sein, deine Gebete zu Schatzkammern für gute Werke zu machen, als umgekehrt […]“36. Damit soll gesagt sein, auf das zu schauen, was zu tun ist und welche Personen darauf warten, dass ich zu ihnen in Beziehung trete, und im Gebet um die erforderliche Gnade zu bitten, dass ich meine Aufgaben so erfülle, wie der Herr es will.

Auch der heilige Karl Borromäus hielt fest:

„Erkennt, Brüder, dass allen Männern der Kirche nichts in solcher Weise notwendig ist wie das innere Gebet, das allen unseren Handlungen vorausgeht, sie begleitet und ihnen folgt: ,Ich will dir singen‘, sagt der Prophet, ,und erkennen‘ (vgl. Ps 100,1). Spendest du die Sakramente, lieber Bruder, so bedenke, was du tust. Feierst du die Messe, so bedenke, was du darbringst. Singst du im Chor, bedenke, mit wem du sprichst und was du sagst. Leitest du die Seelen, so bedenke, mit wessen Blut sie reingewaschen sind, und, ,alles, was ihr tut, geschehe in Liebe‘ (1 Kor 16,14).“37

Aus diesem Grunde ist die Transzendenz, von der Papst Franziskus immer spricht, eine zweifache: einerseits im Gebet auf Gott und seine Heiligen hin, andererseits zum Nächsten, zum Volk Gottes. So führte er gegenüber den mexikanischen Bischöfen aus:

„Vergesst das Gebet nicht! Es ist das ,Verhandeln‘ der Bischöfe mit Gott zugunsten ihres eigenen Volkes. Vergesst das nicht! Und die zweite Transzendenz: die Nähe zum eigenen Volk.“38

Der Geruch der Schafe ist also nicht allein der Geruch der Schafe auf Erden, sondern auch derjenigen, die sich bereits auf den Weiden des Himmels befinden: Es handelt sich um den wohligen Duft der heiligen Schafe, der dadurch zugänglich wird, dass man sich ihnen in vertrauter Weise durch das Gebet und die Lektüre ihrer Vita zuwendet. Für die Gestalt des Bischofs ist der Papst der Auffassung, dass das Beispiel der Heiligen - und besonders jener, die ihren Völkern das Evangelium nahegebracht haben - wesentlich ist. Die Heiligen, die der Papst gemäß der sogenannten „Methode der Gleichwertigkeit“ kanonisiert, „sind Gestalten, die eine kraftvolle Evangelisierung verwirklicht haben und im Einklang mit der Spiritualität und der Theologie des Apostolischen Schreibens Evangelii gaudium stehen. Und darum habe ich sie ausgewählt.“39 Das sind Frauen und Männer, die von ihrem Volk mit großer Liebe verehrt werden, Menschen, die sich inkulturiert haben, um das Evangelium zu inkulturieren.

Dieser Wunsch, das Evangelium zu inkulturieren, übt auf das Gebet des Bischofs, der evangelisieren und Hirte sein will, einen mächtigen Einfluss aus. Jorge Mario Bergoglio war immer ein Bischof, der gemeinsam mit seinem Volk zu den Heiligen betete, und von Kindheit an der Volksfrömmigkeit zugeneigt. Das verdankte er seiner Großmutter Rosa, die ihm „die Geschichten der Heiligen erzählte“ und ihn „mit zu den Prozessionen nahm“40.

Das Bild der Transzendenz im Gebet auf Gott hin, das der Papst den Bischöfen ans Herz legt, hat viel gemein mit der Art und Weise, in der gerade das gläubige Volk zu Gott betet und ihn anbetet. Der Papst wünscht sich Bischöfe, die zusammen mit ihrem Volk beten, Bischöfe, deren Gebet nach Spiritualität und Mystik des Volkes duftet.

Bischöfe, die „nach Christus riechen“

Das Bild des Hirten mit dem Geruch der Schafe ist ein Sinnbild; es gehört zu jenen, die Romano Guardini als „Elementarbilder“ von großer Wirkmacht bezeichnete41. Auch wenn es so oft zitiert und verwendet worden ist, dass es zu einem Gemeinplatz zu werden droht, kann es zu einer weiteren Überlegung Anlass geben. Es handelt sich lediglich um eine Skizze, die einlädt, in die theologische, anthropologische und ontologische Tiefe der Sprache von Papst Franziskus hinabzusteigen.

Zuallererst muss man den rechten Wert der Metaphern erkennen, die der Papst gebraucht. Manche Menschen verstehen seine Sprache nicht; sie scheint ihnen ungehobelt, einem Papst nicht angemessen, gar ohne theologischen Gehalt. Das ist tatsächlich eigenartig und gibt zu denken: Das Volk „versteht ihn“, während einige Gebildete „ihn verachten“. Manche sind der Auffassung, die Absicht, die Herzen der Menschen zu berühren, sei nichts als „Populismus“. Ist das so? Keineswegs. Der Glaube, der einleuchtet, ist nicht allein Sache der Gelehrten. Es gibt eine „Erleuchtung“, die der Heilige Geist schenkt, und dieses Geschenk gilt den Kleinen. Diese macht es weiser als die Klugen unserer Welt (vgl. Mt 11, 25-27; 1 Joh 2,26 f.). Die Metaphern des Papstes sind für das wertzuschätzen, was sie sind, nämlich Bilder, die im Gewoge der Worte unserer Tage wie der Pfiff des Hirten sind, den seine Schafe bestens kennen und von dem sie sich führen lassen. Die Sprache von Papst Franziskus ist nicht bloß „originell“ - eben die eines „Latinos“ -, sondern, weil sie rein ist, auch wahr und deshalb wohltuend für das Herz. Man darf von ihr behaupten, was Aristoteles sagte, dass nämlich derjenige besonders große Einsicht in die Dinge habe, dessen Metaphorik treffend sei42.

Wenn wir die Gestalt des Hirten mit dem Geruch der Schafe auf der Hintergrundfolie der göttlichen Dreifaltigkeit betrachten und ähnlich freimütig wie die Kirchenväter, etwa der heilige Augustinus, versuchen, den jeweiligen Personen der Trinität Eigenschaften zuzuteilen, die ihnen in spezieller Weise zukommen, dann ist der Geruch der Schafe der Person Jesu Christi eigen. Es ist Geruch nach Christus, nach Menschwerdung und Passion, nach Binden und Blut; es ist der Schweiß dessen, der mit seinen Jüngern unterwegs ist und sich von Menschenmassen umgeben sieht; es ist der Geruch von Füßen, der zur Fußwaschung gehört, und der Binden des Lazarus, der nach drei Tagen im Grab schon unangenehm riecht; es ist auch der Duft einer Frau, beispielsweise der Maria, der das Haus erfüllt; das Aroma der Lilien auf dem Feld und des Seewindes, gegen den Petrus auf Jesu Weisung hin anrudert.

Johannes Paul II. hat bestätigt:

„Die christologische Dimension des Hirtenamtes, wenn man sie in ihrer Tiefgründigkeit betrachtet, führt hin zum Verständnis des trinitarischen Fundamentes des Amtes selbst. Das Leben Christi ist trinitarisch. Er ist der ewige und eingeborene Sohn des Vaters und der mit dem Heiligen Geist Gesalbte, der in die Welt gesandt worden ist; er ist der, welcher zusammen mit dem Vater der Kirche den Heiligen Geist sendet. Diese trinitarische Dimension, die in der ganzen Seins- und Handlungsweise Christi offenbar wird, formt auch das Sein und Handeln des Bischofs. Mit Recht hatten also die Synodenväter den ausdrücklichen Wunsch, Leben und Dienstamt des Bischofs im Licht der in der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils enthaltenen trinitarischen Ekklesiologie zu veranschaulichen.“43

Dieses Nach-Christus-Riechen wirft ein Licht auf die Anthropologie von Papst Franziskus und erinnert uns an seine Entscheidung, immer vom Schönen auszugehen, noch vor dem Wahren und Guten. Das hängt für ihn mit einer geistlichen Unterscheidung zusammen, die in den Blick nimmt, wessen die Ohren der Schafe unserer Tage bedürfen - jene Ohren, die der Diskussion um dogmatische Definitionen und der nicht umsetzbaren moralischen Ratschläge überdrüssig sind.

Zusammen mit dem Schönen, dem pulchrum, tritt auch das Gute ein, und daraufhin verlangt jeder auch von Herzen nach der Wahrheit. So sieht die Pädagogik des Hirten aus. Philosophisch ausgedrückt hat der Geruch der Schafe tatsächlich mit dem pulchrum zu tun, einem pulchrum im Sinne Jesu Christi, wo sich die Schönheit und die Herrlichkeit unter ihrem Gegenteil zu erkennen geben. Letzteres soll freilich nicht mit Übertreibung behauptet werden, da für den Hirten der Geruch der Schafe ja nicht etwas Abscheuliches ist.

Wenn wir das Ganze jetzt politisch wenden und uns die vier Prinzipien von Franziskus ins Gedächtnis rufen, könnten wir das die Metapher vom Geruch der Schafe mit jenem Prinzip in Verbindung bringen, demzufolge das Ganze über seinen Teilen steht. Der Geruch der Schafe ist „Duft der Salbung“, die auf die Gesamtheit des gläubigen Gottesvolkes verweist, das „heilig“ und „in credendo unfehlbar“ ist (EG 119). Wenn irgendetwas typisch ist für einen starken Geruch, dann dass er stechend ist und mich entweder anwidert, etwa bei verdorbenen Lebensmitteln, oder dass ich von ihm hingerissen bin, so bei einem betörenden Parfum.

Dieser Geruch ist wahrnehmbar „in der Nähe des Hirten“: in seiner Nähe zu allen, besonders aber zu den Kranken, zu den Ärmsten und Fernstehenden, zu den Ausgeschlossenen und an den Rand Gedrängten. Zwei Prinzipien können nur in solcher Nähe eingelöst werden: dass die Einheit über dem Konflikt steht (einfach deswegen, weil es zum Konflikt gehört, auf Distanz zu gehen und Grenzen zu ziehen), und dass die Wirklichkeit Vorrang hat vor der Idee. Letzteres Prinzip wird nämlich nur dort erfahrbar, wo ich in die Wirklichkeit eintauche, Kontakt zu den Wunden habe und mich vom anderen berühren lasse.

Denken wir an den Schweiß des Hirten, der mit seinen Schafen unterwegs ist - ein Bild übrigens für die Kirche, die herausgeht und damit „Paradigma für alles Wirken der Kirche“ ist (EG 15, 17, 20) -, so stoßen wir auf das Prinzip, demzufolge die Zeit über dem Raum steht, denn man muss den Weg bahnen und dann auch tatsächlich gehen, ohne sich von den Widerständen blockieren zu lassen und ohne die Räume zu besetzen. Mit den Worten von „Evangelii gaudium“: „Der Zeit Vorrang zu geben bedeutet sich damit zu befassen, Prozesse in Gang zu setzen anstatt Räume zu besitzen.“ (EG 223).

Menschen der Gemeinschaft und nicht „Pilotenbischöfe“

Der Papst hält keine Vorlesungen darüber, wie ein Bischof zu sein hat. Wenn er zu den Hirten spricht, dann wird deutlich, wie er sowohl dem Evangelium als auch dem gläubigen Volk sein Ohr leiht (vgl. EG 154). Mit Hilfe seiner Worte und Redepausen, durch sein Beispiel, sein Lächeln und seine Gestik erahnen wir durchaus ein Gesamtbild seiner Überzeugungen: Der Hirte ist ein Mann, der in der Liebe zu Jesus seine Mitte findet und der sein Volk eint, also ein Mann der Gemeinschaft.

Dies war der Kern seiner Ansprache an die italienischen Bischöfe im Mai 2014. Bei dieser Gelegenheit hat Franziskus ein bemerkenswertes Zeichen gesetzt, indem er die Worte von Papst Paul VI. zitierte, mit denen dieser am 14. April 1964 von derselben Italienischen Bischofskonferenz „einen starken und erneuerten Geist der Einheit“ verlangt hatte44, der zur Gemeinschaft im Geist und in den Werken beseelen solle45. Diese Vereinigung ist der Schlüssel dazu, dass die Welt dem Evangelium Glauben schenkt, ebenso auch dazu, dass die Bischöfe „Hirten einer Kirche [sind], die Vorwegnahme und Verheißung des Reiches Gottes ist“, einer Kirche, die auf die Welt zugeht mit einer „Aussagekraft der Gesten“, die von „Wahrheit und Barmherzigkeit“ zeugen46.

Das Bild von „Menschen der Gemeinschaft“, die der Welt Hoffnung geben sollen, ist das letzte, auf das wir hier verweisen, um die Gestalt des Bischofs zu umreißen, die uns derjenige vor Augen führt, der heute Bischof von Rom ist, jener Kirche, die „den Vorsitz in der Liebe führt gegenüber allen Kirchen“47.

Menschen der Gemeinschaft zu sein verlangt, wie der Papst gegenüber den italienischen Bischöfen am 18. Mai dieses Jahres zum Ausdruck gebracht hat, eine besondere „kirchliche Sensibilität“. Die Einheit ist ein Werk des Geistes, der durch Bischöfe nach der Art eines Hirten wirkt, nicht durch „Pilotenbischöfe“, die immer nur auf der Durchreise sind: Wahre Hirten dagegen stärken „die unerlässliche Rolle der Laien, die bereit sind, jene Verantwortung zu übernehmen, die ihnen zukommt“. Ihre kirchliche Sensibilität

„zeigt sich konkret in der Kollegialität und in der Gemeinschaft zwischen den Bischöfen und ihren Priestern, unter den Bischöfen selbst, zwischen den Diözesen, die an Mitteln und Berufungen reich sind, und den anderen, die mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, zwischen den Rändern und dem Zentrum, zwischen den Bischofskonferenzen und ihren Mitgliedern sowie dem Nachfolger des heiligen Petrus“48.

(Aus dem Italienischen übertragen von Johannes Stoffers SJ.)

***

Die Originalfassung („La figura del vescovo in Papa Francesco“) erschien in der Ausgabe vom 13. Juni 2015 der Jesuitenzeitschrift „La Civiltà Cattolica“ 166 (2015) no. 3959, 433-449. Bereits auf Deutsch vorliegende Texte wurden entsprechend zitiert.

Anzeige:  Ethik der Verletzlichkeit von Giovanni Maio

Stimmen der Zeit-Newsletter

Ja, ich möchte den kostenlosen Stimmen der Zeit-Newsletter abonnieren und willige in die Verwendung meiner Kontaktdaten zum Zweck des E-Mail-Marketings durch den Verlag Herder ein. Den Newsletter oder die E-Mail-Werbung kann ich jederzeit abbestellen.
Ich bin einverstanden, dass mein personenbezogenes Nutzungsverhalten in Newsletter und E-Mail-Werbung erfasst und ausgewertet wird, um die Inhalte besser auf meine Interessen auszurichten. Über einen Link in Newsletter oder E-Mail kann ich diese Funktion jederzeit ausschalten.
Weiterführende Informationen finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen.