San Romero de América

Schon lange verehrt das Volk in El Salvador den ehemaligen Erzbischof Oscar Arnulfo Romero, der 1980 einem Mordanschlag zum Opfer fiel. Sein heiligmäßiger Ruf blieb nicht auf das kleine zentralamerikanische Land beschränkt, sondern hat sich rasch in Lateinamerika und weit darüber hinaus verbreitet.

Als San Romero de América ("Heiliger Romero von Amerika") besang Pedro Casaldáliga, der Altbischof der brasilianischen Prälatur São Félix do Araguaia, seinen Amtsbruder in einem Gedicht: "Lateinamerika hat dich schon zur Glorie Berninis erhoben / in der Schaum-Aureole seiner Meere, / im alten Altarbild der wachsamen Anden, / im erzürnten Himmel aller seiner Wälder, / im Lied aller seiner Wege, / im neuen Kreuzweg aller seiner Gefängnisse, / aller seiner Schützengräben, / aller seiner Altäre ...". Am Westportal der anglikanischen Westminster Abbey in London steht die steinerne Statue des Erzbischofs Romero, in ökumenischer Eintracht mit Maximilian Kolbe, Dietrich Bonhoeffer und anderen christlichen Zeugen des 20. Jahrhunderts.

Dauerhafte Verehrung bildet bei Selig- und Heiligsprechungen ein wichtiges Merkmal für die kirchliche Anerkennung. Zusammen mit anderen Kriterien wird es in einem gründlichen Verfahren unter die Lupe genommen, zuerst in der Heimatdiözese, dann in der römischen Kongregation für die Heiligsprechungsprozesse. Zehn Jahre nach dem Tod Romeros setzte die Diözese San Salvador den Seligsprechungsprozess in Gang. Seit 1996 ist das Verfahren in der Kongregation in Rom anhängig. Zwar verlief die Causa Romero nicht "subito", sondern stockend, aber es stehen nur noch die letzten Schritte aus. Viele warteten über zwei Jahrzehnte ungeduldig auf den Abschluss des Verfahrens, doch außerhalb und innerhalb der Kirche hätten einige es lieber verhindert oder versanden lassen. Weihbischof Gregorio Rosa Chávez jedenfalls drängt auf baldige Seligsprechung.

Schauen wir auf die Person Oscar A. Romero. Warum musste er sein Leben lassen, und wie wurde er zum Zeugen für Glaube und Gerechtigkeit? Seine Biografie spiegelt im Mikrokosmos seines kleinen Landes den Perspektivenwechsel wider, den die Kirche Lateinamerikas nach dem Konzil vollzog. Dieser Wandel lässt sich an den kontinentalen Synoden von Medellín (1968) bis Aparecida (2007) ablesen, auf denen die Bischöfe im Blick auf die soziale Situation programmatisch eine "vorrangige Option für die Armen" formulierten, übrigens ganz im Einklang mit den Theologen. Das Wirken des Erzbischofs Romero zeigt die dramatische Wucht, die eine solche Option im polarisierten Kontext Lateinamerikas annehmen konnte, ja musste.

Seine Laufbahn war Romero nicht in die Wiege gelegt. 1917 im Osten des Landes in die einfachen Verhältnisse einer achtköpfigen Familie hineingeboren, ging er nach handwerklicher und schulischer Ausbildung als 20-jähriger ins Priesterseminar, wurde aber schon nach einem Semester zum Studium an die Päpstliche Jesuiten-Universität Gregoriana geschickt. Mitten im Krieg 1942 in Rom zum Priester geweiht, wurde er in seinem Heimatland Pfarrer, Bischofssekretär, Rektor des Priesterseminars, Sekretär der Bischofskonferenz seines Landes.

Mit der Ernennung zum Weihbischof im Jahr 1970 begann eine bischöfliche Laufbahn, die ihn über die Diözese Santiago de María nach San Salvador führte, wo er 1977 überraschend zum Erzbischof ernannt wurde. Schon im Jahr seines Amtsantritts stand der als konservativ geltende Oberhirte nicht nur vor gesellschaftlichen Konflikten, sondern sah sich auch mit politischen Morden an Campesinos und am Armenpriester Rutilio Grande SJ konfrontiert. Solche Gewalt öffnete dem neuen Erzbischof die Augen für das leidende Volk (pueblo) und markierte einen spirituellen Wendepunkt. Glaube und Gerechtigkeit fanden stärker zueinander. Seine prophetische Stimme prägte mehr und mehr die langen Predigten, die über das Radio landesweit zu hören waren, einschließlich der Liste der Getöteten und der Menschenrechtsverletzungen. Selbst auf den Radiosender wurden Anschläge verübt, um ihn zum Schweigen zu bringen. In einer Predigt sagte er 1979: "Ich freue mich, dass unsere Kirche genau wegen ihrer Option für die Armen verfolgt wird; dafür, dass sie versucht, sich im Interesse der Armen zu inkarnieren."

Schon lange stand er auf der Liste der Todesschwadronen: Am 24. März 1980 verstummte seine Stimme, als er während der Messe, zur Gabenbereitung, vor den Augen der Gläubigen am Altar erschossen wurde. Die Ermordung Romeros, in die staatliche und militärische Stellen verstrickt waren, wurde gerichtlich nie vollständig aufgeklärt, trotz der Erkenntnisse der Wahrheitskommission. Eine Generalamnestie verhinderte weitere Aufklärung; nur in den USA wurde einer der Mittäter in einem Zivilprozess schuldig gesprochen. Geschürt vom Ost-West-Konflikt, entluden sich Spannungen in einem Bürgerkrieg mit vielen Toten, dem erst ein Friedensabkommen 1992 ein Ende setzte.

Erzbischof Romeros Stimme, die zur Stimme der Stimmlosen und zur Stimme gegen die Gewalt geworden war, konnte nicht ausgeschaltet werden. Mit seinem prophetischen Wort stellte er sich an die Seite der Armen. Papst Johannes Paul II. besuchte wiederholt sein Grab und bekräftige seine Pastoral, Papst Benedikt XVI. würdigte ihn als einen "großen Zeugen des Glaubens". Dieser Märtyrer des Glaubens und der Gerechtigkeit steht stellvertretend für die vielen Opfer der Kirchen- und Christenverfolgungen, die auf allen Kontinenten bis heute andauern und Laien, Priester, Ordensleute oder Bischöfe treffen. Es schmerzt, dass ausgerechnet Lateinamerika mit einer mehrheitlich katholischen Bevölkerung so viele Opfer der Gewalt und Verfolgung zu beklagen hat. Umso mehr wächst nun die Hoffnung, da ein Papst aus Lateinamerika die Sache der Armen weltkirchlich zur Chefsache gemacht hat. Die Zeit ist gekommen: Jetzt kann Papst Franziskus den salvadorianischen Erzbischof seligsprechen und damit den Ruf des Volkes erhören.

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