Die Wochensprüche im Juli 2022

3. Juli 2022

3. Sonntag nach Trinitatis

Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.
Lukas 19,10

Manchmal suche ich etwas. Ich weiß genau, wo es sein müsste. Aber wenn ich dann anfange zu suchen, schichte ich Papiere von der einen auf die andere Seite des Schreibtischs, öffne Schubladen, schaue da und dort nach und finde nichts. Manchmal finde ich auch etwas und freue mich dann. Etwas Verloren-Geglaubtes wiederzufinden ist eine helle Freude.
Warum ist Gott eigentlich auf die Welt gekommen? Eine alte Frage, die immer wieder nach einer Antwort sucht. Er hätte es doch auch gut dort im Himmel haben können. Gut aufgehoben und geborgen. Nicht belästigt von schmerzhaften Erfahrungen: Gefangen genommen. Verraten. Verspottet. Verhöhnt und verlacht. Am Ende am Kreuz gestorben. Das hätte er sich doch alles auch ersparen und bequemer machen können. Oder?
Aber was, wenn genau das sein Wesen ist? Wenn genau das Gott auszeichnet? Sich aufzumachen, sich durchzuwühlen und zu suchen – was verloren ist. Man könnte auch sagen: Wer verloren ist.
Oder viel einfacher: um mich zu suchen.
In der Weihnachtszeit wird oft gesungen: „Nichts, nichts hat dich getrieben als das geliebte Lieben.“ Das scheint der innere Motor Gottes zu sein. Von Liebe bewegt, macht er sich auf von himmlischen Höhen in alle Abgründe, die es gibt. Warum das Ganze?
Um mich zu finden.

10. Juli 2022

4. Sonntag nach Trinitatis

Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.
Galater 6,2

„Christentum, das nicht zur Tat wird, hat keinen Wert.“ So soll Gustav Werner mal gesagt haben. Er hat in Reutlingen die Bruderhausdiakonie gegründet und damit umgesetzt, was ihm am Glauben wichtig wird. Zum Glauben gehört das Tun. Der Wochenspruch erinnert an diese Seite des Glaubens.
Aber auf eine besondere Weise. Der Satz könnte die Antwort auf die Frage sein: „Wie soll ich als Christ leben?“ und verweist auf das Verhalten Jesu. Er ist durch Galiläa gezogen und hat anderen Raum und Zeit gegeben. Sie gefragt, was sie nötig haben, und die in die Mitte gestellt, die am Rand waren oder schon aussortiert. Die in das Reich Gottes geholt, die andere in die Gottesferne verbannt hatten. In der Frage: „Was kann ich für dich tun?“ blitzt auf, wie Jesus Menschen begegnet. Hilfe will er geben, die der andere nötig hat. Ihn nicht mit etwas überfrachten, was er gar nicht braucht. Hören, erst mal hören, was da gesprochen wird, und dann sich einfühlen. Die Perspektive wechseln und sehen, was der andere benötigt. So weit geht es ja vielleicht noch. Aber die Last des anderen tragen? Wie geht das? Beim Blick auf die Menschen lässt sich ja erahnen oder wissen, welche Lasten sie tragen: Die eine trauert um ihren Mann, der zwar alt und lebenssatt gestorben ist, aber sie trotzdem einsam zurücklässt in einem Alltag, den sie kaum meistert. Der andere hat seine Familie zurückgelassen, ist aufgebrochen in ein fremdes Land, dessen Sprache er nicht spricht und wo er sich nur mühevoll zurechtfindet. Nicht jeder will ihn hier haben. Kinder haben ihre Eltern verlassen, weil sie vor dem Krieg geflohen sind, und versuchen, sich hier einzufinden, während ihnen fast täglich das Herz zerreißt. Wie deren Last tragen?
Christus trägt meine Last. Greift mir unter die Arme. Stärkt mich, richtet mich auf, indem er sich selbst gibt. Das kann ich wohl nicht.
Aber hinsehen kann ich. Einem die Hand reichen, wenn er Hilfe braucht beim Aufstehen. Jemandem Raum und Zeit geben, damit er aufatmen kann in seiner Trauer. Jemandem eine Jacke reichen, wenn er friert. Damit nehme ich ihm seine Last nicht ab, aber für einen Augenblick blitzt das auf, was Jesus hier gemacht hat. Das Reich Gottes greift Raum und der nächste Schritt wird leichter.

17. Juli 2022

5. Sonntag nach Trinitatis

Aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es.
Epheser 2,8

„Dann lohnt sich mein Glaube ja gar nicht“, sagt eine Frau, die gerne in den Gottesdienst kommt und sich in vielen Bereichen in der Gemeinde engagiert. Sie sagt den Satz im Austausch über eine Predigt. Dort hat der Pfarrer gesagt, dass sich durch das Handeln und Engagieren Gottes Zuneigung nicht verdienen lässt. Die Erkenntnis, gar nichts dafür tun zu können, schockiert die Frau und stellt ihr bisheriges Handeln in Frage. Sie hat immer gedacht, dass ihr Engagement sich auszahlen müsste. Nicht in barer Münze, aber doch in der Sicherheit, vor Gott Gefallen zu finden. Was ich tue, muss sich doch lohnen. „Glaube lohnt sich nicht“, hat auch Eberhard Jüngel behauptet. Der 2021 verstorbene Theologe hat damit pointiert formuliert, dass sich im Sinne unserer Gesellschaftsform der Glaube nicht lohnt. Es gibt keine finanzielle Anerkennung, er entspricht nicht den Werten der Welt und Gott belohnt ihn auch nicht, in dem Sinne: „Ich tue etwas, damit mich Gott belohnt.“ Gnade lässt sich eben nicht verdienen. Wer begnadigt wird, bekommt etwas, was er gerade nicht verdient. Nach geltendem Recht hätten die Männer die Steine auf die Ehebrecherin werfen dürfen, die sie vor Jesus gezerrt hatten. Was Jesus zu ihnen sagt und dann bewirkt, ist Gnade. Gegen geltendes Recht und entgegen dessen, was ich verdient habe, werde ich freigesprochen. Aus Gnade durch Glauben. Eine tiefe Erkenntnis, die letztlich Martin Luther im Innersten bewegt und zu dem geführt hat, was wir Reformation nennen. Allein aus Gnade. Allein aus Glaube.
Im Gespräch hat die Frau irgendwann begriffen, dass es ja ein viel größeres Geschenk ist, dass wir aus Gnade und nicht durch unser Tun von Gott geliebt sind. Bevor ich überhaupt etwas tun kann, bin ich Gottes geliebtes Geschöpf. Deshalb muss ich nichts mehr aus mir machen, weil ich ja schon jemand bin. Mehr geht nicht.

24. Juli 2022

6. Sonntag nach Trinitatis

So spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.
Jesaja 43,1

Der 6. Sonntag nach dem Dreieinigkeitsfest erinnert an die Taufe. Der Wochenspruch eher an Beerdigungen. Wenigstens haben wohl früher oft Konfirmandinnen und Konfirmanden den Wochenspruch als Denkspruch bei ihrer Konfirmation bekommen, und so taucht der Vers dann auf, wenn bei Trauerfällen nach dem Konfirmationsspruch gefragt wird. Zu Tod und Sterben scheint er ja auch zu passen, weil er von Erlösung spricht. Oft erscheint der Tod als eine Erlösung, wenn der Mensch nach langem Leiden, alt und lebenssatt stirbt. Besser wäre es mit ihm nicht mehr geworden und sein Leben hat er gelebt. Da fällt es leicht, über den Wochenspruch nachzudenken und dem Verstorbenen zum einen die Erlösung zu gönnen und zum anderen zu glauben, dass Gott ihn gerufen hat und ihn bei sich birgt.
Der Wochenspruch gehört nicht in die Hitparade der Taufsprüche. Vielleicht müsste man auch sagen, er gehört dort nicht mehr hin. Wenn Eltern heute einen Taufspruch aussuchen, dann geht es dabei oft um Schutz, Bewahrung, weil sie wissen – mit der Geburt und Schwangerschaft im Rücken –, wie gefährdet das Leben von Beginn an ist. Von Erlösung redet da keiner. Auch will man das eigene Kind doch behalten und es nicht einem anderen geben will, selbst wenn der Gott ist. „Du bist mein“ klingt schon sehr besitzergreifend und für manchen auch unheimlich.
Dabei hat es doch etwas Tröstliches. Gott kennt mich beim Namen. Er ruft mich bei meinem Namen.
Manchmal haben Kinder ja Angst im Dunkeln. Sie fürchten sich und bitten darum nach dem Schlafengehen die Tür noch einen Spalt offen zu lassen, damit Licht in ihr Zimmer fällt. Sich nicht allein fühlen im Dunklen, wenn der Schlaf kommt und alles von einem abfällt. Zu wissen, durch das Licht bin ich irgendwie noch mit dem Leben und den anderen verbunden. Zu wissen, da ist einer, der mich mit Namen kennt und ins Leben gerufen hat, das hilft auch, mit dem Dunklen klarzukommen. Kindern hilft das, aber auch den Erwachsenen.

31. Juli 2022

7. Sonntag nach Trinitatis

So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.
Epheser 2,19

Fremd zu sein ist grausam. Wenn die Eltern umziehen und das Kind in die neue Klasse kommt und vom Lehrer freundlich vorgestellt wird – alle Augen auf es gerichtet: „Das ist der Neue.“ Wer mag da nicht hoffen, dass sich der Boden auftut und einen verschlingt? Wenn ich mal eine Nacht in einer fremden Umgebung verbringe und mich orientieren muss – alles andere als einfach. Wie schwer mag es Menschen fallen, die aus Kriegsgebieten zu uns kommen, sich hier einfinden müssen, in Regeln, Abläufe, Sprache? Fremd zu sein ist grausam.
Gast zu sein kann angenehm sein. Das hängt vom Gastgeber ab. Wenn der aufmerksam ist, meine Wünsche wahrnimmt, für Geborgenheit sorgt, dann geht das. Aber auch als Gast kann ich mich unwohl fühlen, weil mir die Umgebung nicht vertraut ist, weil ich vielleicht andere störe in ihren gewohnten Abläufen und ihnen auch zur Last falle.
Als Christ bin ich auch oft fremd in der Welt. Mir sind Werte wichtig, die in der Welt nicht immer etwas zählen. Ich nehme an Veranstaltungen teil oder besuche Gottesdienste, was von anderen oft nur belächelt wird. Und ich weiß, dass ich hier keine bleibende Statt habe. Ich weiß, dass ich nur ein Gast auf Erden bin.
Der Wochenspruch zeigt mir, wohin und zu wem ich gehöre. Ich bin ein Mitbürger der Heiligen. Vermutlich zeigt der Blick ins eigene Leben, dass mein Lebenswandel weit weg von dem eines Heiligen ist. Doch ich werde zu denen gezählt, weil Gott das will. Weil er meine Schwächen und Fehler kennt und trotzdem zu mir sagt: „Du bist mir wichtig.“ Ja viel mehr noch – überspitzt formuliert: „Ich lebe in einer WG mit Gott.“ Was für ein Bild! Der Bibelspruch bleibt eine Spur davor stehen: Ich lebe im Haus mit Gott. Ein Mehrfamilienhaus vielleicht, in dem es unterschiedliche Wohnungen gibt. Eine davon von mir bezogen, eine andere von Gott. Eine interessante Konstellation.
Dabei geht es nicht um die Fragen, wer den Müll rausbringt. Dabei geht es um meine Heimat, um eine Antwort auf die Frage: Wohin gehöre ich? Da gibt der Wochenspruch eine klare Antwort: Mein Platz ist im Haus Gottes.

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