Der Monatsspruch im Dezember 2022

Jesaja 11,6 (E)

Der Wolf findet Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Junge leitet sie. 

Jesaja 11,6 (E)

Zwei Löwinnen und ein Löwe hätten es auch noch geschafft. Am Vortag seien bereits zwei junge Löwen, ein Jaguar und ein Panther herausgebracht worden. So vermeldeten die Nachrichtenagenturen im April dieses Jahres die Rettungsaktion einiger Tiere aus einem Zoo nördlich von Charkiw. Unter den Berichten über die aktuelle militärische Lage, zwischen strategischen Erwägungen mit ihren politischen Konsequenzen und den Kommentaren der erfahrenen Beobachter mit Insiderinformationen fand diese Meldung Eingang in die Zeitungen: Der Beschuss durch russische Artillerie hatte Käfige zerstört. Sicherheit und Versorgung konnten nicht mehr gewährleistet werden. An anderen Orten in der Ukraine starben Tierpfleger beim Versuch, mit dem, was sie erübrigen konnten, die ihnen anvertrauten Geschöpfe zu versorgen. Für Mensch und Tier ist Krieg – und nicht nur der König der Tiere ist auf Rettung angewiesen. Löwe und Kalb weiden zusammen, Leopard (so die zoologisch angemessenere Übersetzung) und Böcklein liegen beieinander, der Wolf findet Schutz beim Lamm.
Unter den Berichten über die aktuelle militärische Lage, zwischen strategischen Erwägungen mit ihren politischen Konsequenzen und dem Kommentar des erfahrenen Beobachters mit Insiderinformationen fand die Beschreibung dieser tierischen Idylle Eingang in das Buch des Propheten Jesaja: Keine Käfige halten die Tiere zu ihrer eigenen und der Menschen Sicherheit auseinander. Kein Tier muss mit seinem Leben die Versorgung der anderen sichern. Im Gegenteil: Jedes Verb drückt ihre Verbundenheit aus. Die Bibel in gerechter Sprache überträgt die Wortbedeutung im Hebräischen noch deutlicher: Der Wolf kommt als Flüchtling beim Lamm unter. Und kein besonders fürsorglicher oder umsichtiger Hirte lässt sie sicher wohnen (vgl. Ps 23; Mi 5,3; Hes 34,23ff), sondern ein kleiner Junge genügt, um sie zu hüten.
Der Prophet, der dem royalen Hof zu Jerusalem nahestand, wenn er nicht selbst Mitglied des Königshauses war, nimmt für seine Vision vom Friedensreich nicht nur den idealen Herrscher in den Blick (Jes 11,1–5). Er beschreibt mit wenigen Worten auch die Konsequenzen dieser Herrschaft für die ganze Schöpfung.
Wie Jesajas Worte wohl auf diejenigen gewirkt haben, die die Reliefs aus den Palästen Assurs kannten? Seit hundert Jahren schmückten assyrische Könige schon ihre Flure mit lebensgroßer Kunst von militärischen Erfolgen und ihrem Vergnügen. Wer in den Thronsaal geführt wurde, dem demonstrierten sie so ihre Macht.
Aber dieser Löwe wird nicht in einem Käfig gehalten, um im Schaukampf in einer Arena von königlichen Pfeilen niedergestreckt zu werden. Dieser Löwe wird auch nicht auf freiem Feld hoch zu Ross erlegt und tut mit hängender Zunge seinen letzten Atemzug. Der Löwe, den Jesaja beschreibt, hat sich niedergelassen, um mit dem Kalb zu weiden – ganz ohne Gebrüll (vgl. Am 3,4–8).
Dieser Leopard wird nicht an einer Leine als Huldigungsgeschenk aus fernen Ländern vor den Thron des Herrschers geführt. Der Leopard, den Jesaja beschreibt, hat sich bei den Böcken gelagert, so, wie fürsorgliche Hirten ihre Tiere lagern lassen (vgl. Ps 23,2; Hes 34,15).

Wie Jesajas Worte wohl auf diejenigen gewirkt haben, denen es nur zu vertraut war, dass ihr Vieh (vgl. 1. Sam 17,34) oder ihre eigene Sicherheit auf Reisen durch Wolf, Leopard und Löwe (vgl. 1. Kön 13,24; Jer 5,6; Hos 13,7f) bedroht war? Das war ihr Alltag. Auch die Redewendungen der Bibel zeigen es: Von Löwen, Leoparden oder Wölfen geht Gefahr aus: Löwen, die liegen, lauern und können jeden Moment aufspringen (vgl. Gen 49,9.27), oder?
Mit seiner Vision vom Friedensreich fordert der Prophet die Vorstellungskraft seiner Mitmenschen heraus!

Vielleicht ist genau das die Herausforderung auch für uns – am Ende dieses Kalenderjahres und zum Beginn des neuen Kirchenjahres: Unsere Hoffnung auf endgültigen Frieden umfasst mehr als die Verständigung zwischen Menschen. Noch übersteigt ihre konkrete Erfüllung unser Vorstellungsvermögen. Liegt aber nicht darin die bleibende Kraft? Shalom – für alles Leben!

 

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