Hoffnung auf bessere Zeiten – Pieter Bruegel der Ältere, Die Volkszählung zu Bethlehem (Bildpredigt)

Hoffnung auf bessere Zeiten – Pieter Bruegel der Ältere, Die Volkszählung zu Bethlehem (Bildpredigt)
© Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique, Brüssel

Kinder lieben Wimmelbilder und Erwachsene ebenso. Sie können Stunden damit zubringen, alle Einzelheiten zu erforschen, und immer wieder sehen sie neue Personen und Situationen. Es ist die reine Freude am Suchen und Finden, an immer neuen Entdeckungen. Natürlich hatten meine Kinder auch ein Winter-Wimmelbuch voller spielender Kinder, eingemummelter Passanten, mit Schneemännern und Schneeballschlachten, einem Vogelhäuschen mit pickenden Meisen, eben mit allem, was zu einem richtigen Winter gehört.

Ein solches Winter-Wimmelbild hat Pieter Bruegel 1566 gemalt. Er war vielleicht sogar der Erfinder der Wimmelbilder. Seinen Namen und das Entstehungsjahr hat er selbst rechts unten in das Bild gesetzt, als sei es in einen Stein geschlagen. Wir dürfen davon ausgehen, dass es den Erwachsenen damals nicht anders erging als den Kindern heute. Die Augen suchen das Bild ab, so viele Einzelheiten, so viele einzelne Geschichten und so unterschiedliche Personen. Überall gibt es etwas zu entdecken.

Irgendwie scheint sich alles in der linken unteren Ecke des Bildes zu konzentrieren. Mit den beiden Kindern schauen wir dem Mann zu, der ein Schwein schlachtet. Eine Frau fängt das Blut auf, daraus entsteht Blutpudding, die Speise der Armen. Und wenn eines der beiden Kinder eine Schweinsblase aufbläst, dann ist damit zum einen ein Hinweis auf die Verwendung beim Schlachten gegeben – wie das bereitliegende Beil, mit dem der Körper geöffnet wird, und das Stroh, mit dem die Borsten versengt werden –, aber zugleich ist damit auch ein Hinweis auf die Hilfsbedürftigkeit der Menschen der Zeit gegeben.

Lange Jahre hat man Bruegel als den Bauernmaler gesehen, der mit Detailfreude das Leben im Brabant des 16. Jahrhunderts schildert, fröhlich und unbekümmert, bisweilen auch sehr deftig und schonungslos. Erst spät hat man begonnen, die Figuren und Szenen zu deuten, die versteckten Botschaften, aber auch die beabsichtigten Widersprüche aufzudecken. Auf den ersten Blick gleicht das Gemälde den beliebten Monatsbildern, und das Schlachten des Schweines weist dieses Bild in den Monat Dezember. Bei genauer Betrachtung zeigt es sich, dass es nicht irgendein Tag im Dezember ist und auch nicht irgendein beliebiges Jahr. Das gilt im Übrigen auch schon für das Entstehungsjahr des Bildes.

Die Winterbilder Bruegels gehören in die sogenannte „Kleine Eiszeit“, damit ist eine Kälteperiode bezeichnet, die von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis ins 19. Jahrhundert reichte und sich durch lange und sehr kalte Winter auszeichnete, die von schweren Überschwemmungen und Dürren begleitet waren. In den rund 45 Jahren seines Lebens hat Bruegel 23 extrem eisige Winter erlebt, wobei der von 1564/65 als besonders einschneidend gilt. Die Chroniken berichten von Vögeln, die tot vom Himmel fielen. Menschen verloren Ohren, Hände und Füße, einige erfroren auch unterwegs. Besonders betroffen waren die Armen, ihre Zahl wuchs sprunghaft an. Die Armentafeln konnten all die Personen nicht mehr fassen. Hinzu kam eine Lebensmittelknappheit im ganzen Land sowie ein Mangel an Holz und Holzkohle. Diese Not findet auch in dem Bild ihren Niederschlag. Ein Mann lädt einen gefällten Baum auf, die Sträucher am Ufer sind abgeschlagen worden, Menschen sammeln sich am Feuer. 

Und zugleich macht sich auch ein ungehemmtes Wintervergnügen breit. Kinder toben im Schnee, sie rutschen auf dem Eis herum, ein Mann füllt Bier oder Wein ab. Beides ist möglich und beides wurde auch angeboten. Die Berichte der Zeit erzählen davon, wie Zuckerwaren und Würstchen sowie Branntwein verkauft wurden. 

Allerdings sieht Bruegel diesem Treiben nicht unkritisch zu, an einigen Stellen verdreht er die Ordnung, zumindest wie sie zu seiner Zeit verstanden wurde. Ein Mädchen wirft einen Jungen zu Boden und schlägt auf ihn ein. Zwei Jugendliche räumen sich eine Bahn zum Schlittschuhlaufen frei, während gleichzeitig eine Frau an derselben Stelle den Schnee wieder verteilt, damit niemand ausrutscht. Ein Pilgerpaar wandert über den zugefrorenen See, wobei die Frau das Schwert hält, während der Mann das Kind trägt. Ein Leprakranker steht mit der Rassel in der Tür seiner Hütte, die inmitten des Ortes steht und nicht wie üblich am Rande. Die Widersprüchlichkeiten lassen sich kaum auflösen, sie zeigen die Doppelbödigkeit dieser Welt. Was wie ein heiterer Wintertag aussieht, zeigt die Menschen, wie sie versuchen, mit der Not ihres Lebens zurechtzukommen und manchmal daraus auch noch Kapital zu schlagen.

Brabant, eines der reichsten Länder Europas, leidet unter den Missernten, dem Rückgang des Handels und politischen wie religiösen Spannungen. Von den ausbleibenden Reformen enttäuscht, werden immer mehr Menschen evangelisch, die Herrschenden bekämpfen mit aller Gewalt den neuen Glauben. Es kommt zu Verhaftungen und auch zu Hinrichtungen. Nach allem, was wir wissen, war Pieter Bruegel auf Ausgleich und Verständigung aus. Das lässt sich mit aller Vorsicht aus seinen Bildern herauslesen. Seine Auftraggeber waren einflussreiche Katholiken gewesen, aber wie der Künstler die Themen behandelt, zeigt eine gewisse Zurückhaltung.

Bruegel verlegt die Weihnachtsgeschichte in das heimische Brabant. Maria und Josef sind erst auf den zweiten Blick erkennbar. Der Ehemann wird durch die Säge als Zimmermann ausgewiesen und seine Frau, die werdende Mutter, durch das weite blaue Gewand, das an die Schutzmantelmadonna erinnert. Maria gleicht all den anderen Bauersfrauen aus Flandern, und käme sie nicht auf einem Esel geritten und hätte sie dazu nicht noch den Ochsen zur Seite, sie würde nicht weiter auffallen. Josef zeigt mit der Hand zum Gasthaus, wo sich die Menschen drängeln, um ihre Steuern abzuliefern. Volkszählung bedeutet Steuerabgabe, zur Zeit Jesu wie auch in den Tagen Bruegels. Dicht drängen sich die Leute vor dem Wirtshaus „Zum grünen Kranz“, in dem das Steuerbüro untergebracht ist. Zuvor zählen sie noch einmal ihr Geld, schieben die Münzen in der Hand oder auf einem Hocker hin und her. Mit dem Namen wird auch der der abgegebene Betrag in das Steuerbuch eingetragen. Eine bunte Mischung von Personen hat sich dort eingefunden, Adlige und Bauern, Wohlhabende und einfache Leute. Ein deutscher Landsknecht ist zu erkennen und ein sogenannter „Ägypter“, sein gestreifter Mantel weist ihn als solcher aus. Es ist ein Roma, zur Zeit Bruegels galten sie als Orientalen, was an die Volkszählung zur Zeit Jesu denken lassen sollte. Der Doppeladler am Gasthaus ist das Habsburger Wappen, im Auftrag des Kaisers Karls V. wird das Volk gezählt und die Steuer eingezogen. Allerdings ist das eine falsche Fährte, 1566 regiert der spanische König Philipp II. Brabant. Seine Statthalterin Margarethe von Parma hat sich mehrfach von dem reichen Bankier Jan Vleminck Geld leihen müssen, um ihre Soldaten zu bezahlen. Im Jahr 1566 hat dieser dann das Recht zur Steuererhebung erhalten, es ist dies seine erste Volkszählung und Steuerschätzung. Die Verbindung zur Volkszählung in Bethlehem durch Quirinius stellt sich da beinahe von selbst her.

Das in der Nähe stehende Steinhaus mit dem Treppengiebel ist mittlerweile eindeutig als sein Wohnhaus identifiziert worden. Im Mittelalter galt die Zahlung des Tributs als Zeichen christlicher Hingabe. In der Devotio Moderna, einer Frömmigkeitsbewegung, die auch noch im 16. Jahrhundert stark nachwirkte, war sie „ein Modell für den Glauben, den Christen ihrem König Christus in Gefühlen, Worten und Werken erweisen“. Der Kartäusermönch Ludolf von Sachsen mahnte im 14. Jahrhundert: „Bedenke hier, dass der Herr sich deinetwegen bei einer Volkszählung auf Erden einschreiben ließ, damit auch dein Name im Himmel eingeschrieben sei.“ Die Zahlung der Steuer wird zum Modell für die Demut Christi und sein Opfer am Kreuz. Eingestanden, diese Deutung überrascht, im Übrigen nicht nur für jene Zeit, aber sie entspricht der Botschaft des Bildes.

Jan Vleminck wird mit gutem Grund als Auftraggeber vermutet, Anlass ist seine erste Steuererhebung, die er in Brabant durchgeführt hat, und sie geschah im Jahre 1566. Es ist dies das Meditationsbild für einen reichen und wohl auch gläubigen Bankier. Auffallend sind die vielen Holzräder in dem Bild, nicht zufällig steht in der Mitte des Gemäldes ein einzelnes verlorenes Rad. Es wird zum Symbol des Schicksals, des Vergehens und Neuentstehens, des Aufblühens und Untergehens, des Erfolges und des Niederganges, des unsteten Treibens, welches das gesamte Bild bestimmt, aber auch für das Land Brabant, das zwischen Wohlstand und drohendem Niedergang steht. Unruhig ist das Leben, eine unstete Pilgerreise, in der sich oft genug die Verhältnisse umkehren. Vielleicht hat Bruegel bei dem Rad in der Bildmitte auch an eine Bitte von Jehan Regniers (1432) gedacht: „Beten wir zu Gott, der uns beschützt, und dass Fortuna ihr Rad anhält, das uns so in die Irre leitet.“

Zeichen einer verkehrten Welt hat Bruegel reichlich in seinem Bild versteckt, und fast könnte man auch Josef und Maria übersehen, die da still und beinahe gleichmütig durch das Bild schreiten. Der Blick der werdenden Mutter ist in sich versunken, sie trägt in sich den künftigen Heiland. Unsere Augen ruhen inmitten des Wirrwarrs dieses Bildes auf dieser kleinen Szene. So unscheinbar hat es begonnen – Weihnachten in Bethlehem, in Brabant, bei uns. Das Wunder dieser Nacht erfüllt die Welt. Von Bruegel wurde gesagt, dass er altmodisch und modern male und dass gerade darin seine Aktualität und seine Überzeitlichkeit läge. Dass seine Bilder eschatologisch sind, also über diese Zeit auf das Kommen des Reiches Gottes hinweisen, ist an anderer Stelle (Bauernhochzeit, 1566/68) festgestellt worden. Oben links geht über dem Ort der Volkszählung die Sonne unter. Die Abendsonne bestimmt die Szenerie. Ein paar Steinhäuser sind zu erkennen und eine Kirche, die kahlen Äste mit dem roten Feuerball lassen das Ganze unwirklich erscheinen. Aber so kündigt sich die neue Wirklichkeit an, die Gott herbeiführen wird. Am nächsten Tag ist das Kind geboren, ist Gott auf diese Welt gekommen. Es besteht Hoffnung, Hoffnung auf bessere Zeiten – Gott hat sich auf den Weg gemacht.

Nachbemerkung: Jörg Zink hat in seinem Buch „Geburt im Schnee“ (Eschbach 1989) einen Zusammenhang zwischen diesem Bild und der Steuerschätzung durch Philipp II. gezogen, der Unterdrückung und Ausbeutung der Niederlande durch die Spanier. Dass sich Bruegel der Rebellion anschloss, kann nicht als gesichert gelten. Auch ist die Volkszählung vermutlich keine Kritik an der Steuererhebung. Der Gedanke ist, gerade mit Blick auf die politischen und religiösen Umstände der Zeit, verlockend. Mich hat Zinks Buch damals sehr beeindruckt und in meiner Sicht auf Bruegels Winterbilder auch lange Zeit sehr bestimmt. Die Resultate der Forschung gerade der letzten Zeit haben ein anderes Bild gezeigt. Ich folge weitgehend Tine Luk Meganck und Sabine van Sprang und ihrer Kommission von Historikern und Kunstgeschichtlern, siehe Bruegels Winterlandschaften (Berlin 2018), aber auch die Rowohlt-Monographie von Anabella B. C. Weismann (Reinbek 2015). Auch ein Zusammenhang mit dem Bild Bruegels Kindermord von Bethlehem, in der gerne eine scharfe Kritik an Herzog Alba gesehen wird, ist nicht unbedingt zwingend.

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