Die Wochensprüche im Dezember 2021

2. Advent

5. Dezember 2021

Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.
Lukas 21,28

Von der alten Schule war er, der würdige Doktor. Humanistisch gebildet und bibelfest. Immer einen treffenden Spruch auf den Lippen. Nicht selten auf Latein. So umfänglich wie sein Wissen so auch sein Grundstück am Berghang gelegen. Und dort trug sich Folgendes zu: Gemeinsam mit Freunden hatten wir bereits eine strapaziöse Wanderung hinter uns. Die Abenddämmerung ließ uns nicht mehr viel Zeit, den Heimweg zu finden. Aber die Lichter der Stadt, jenseits des Flusses, rückten näher. Einer meinte, wir sollten abkürzen. Und so stolperten wir mehr als wir liefen querfeldein. Plötzlich vor uns ein Grundstück. Scheinbar verlassen. Die hohen Mauern wurden nur durch ein halb verrostetes schmiedeeisernes Tor unterbrochen.
Wir durchquerten es. Mein Freund wollte es unbedingt fotografieren. In der untergehenden Sonne. Deshalb zog er die Flügel zusammen. Sie hingen schwer in den Angeln. Plötzlich ein Scheppern. Das Tor war zu und ließ sich nicht mehr öffnen. Wir waren eingesperrt auf unbekanntem Terrain. Zurück ging es nicht mehr. Also weiter talwärts. Bis an steile Felsen heran, die vom Fluss her aufragten. Der Versuch seitwärts, Richtung der Felder, einen Ausgang zu finden, scheiterte. Mit einem Mal sahen wir, wie in der Dunkelheit auf der anderen Seite ein Licht flackerte. Einer kam mit der Laterne in unsere Richtung gelaufen. Dem tasteten wir uns angestrengt entgegen. Wie gut ist es, ein Licht zu haben. Der Advent lehrt es uns neu. Und wie wunderbar, wenn dieses Licht sich mit einer Hoffnung verbindet.
Der Engel mit der Laterne nahte in Gestalt des alten Doktors. Er lotste uns zu einer kleinen Seitentür hinter der Brombeerhecke. Etwas zerkratzt im Gesicht und mit zerrissener Hose, bei mir jedenfalls, traten wir vor unseren Retter. Er hebelte an der Pforte herum und öffnete sie. Wie begossene Pudel standen wir da. Doch er schaute verschmitzt und sprach: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ Diesen Spruch werde ich niemals vergessen.

3. Advent

12. Dezember 2021

Bereitet dem Herrn den Weg; denn siehe, der Herr kommt gewaltig.
Jesaja 40,3.10

Wir sind Wegbereiter, behaupte ich. Für unsere Kinder und Enkel. Für die betagten Eltern und Großeltern. Für Mitmenschen, die uns anvertraut sind, beispielsweise in der Ausbildung. Wegbereiter machen genau das Gegenteil von dem, worum es im Brettspiel namens „Malefiz“ geht. Dort besteht die Aufgabe darin, seine Pimpel möglichst schnell und raffiniert ins Ziel zu bringen. Dabei müssen Barrikadensteine weggenommen werden. Diese legt man daraufhin möglichst wirkungsvoll seinem Mitspieler in den Weg. Damit sie ihn hindern, aber für einen selbst der Weg frei ist. Ein Spiel, das nebenbei ziemlich ungeschminkt AlltagsSituationen abbildet.
Als Wegbereiter jedoch schaue ich nicht nur auf mich. Ich blicke auf andere. Jetzt, knapp zwei Wochen vorm Christfest, fordert uns der Prophet auf, Wegbereiter für das Kommen des Herrn zu sein. Wenn er allerdings gewaltig kommt, wie es heißt, wird er sich doch den Weg bahnen.
Worum soll es uns gehen? Im Grunde genommen da­rum, dass wir exakt das Gegenteil vom Sinn und Ziel des erwähnten Spiels umsetzen. Nämlich die Stolpersteine entfernen. Bedeutet, dass wir es uns dieser Tage und darüber hinaus nicht schwer, sondern leicht machen. Nicht Forderungen an andere und an uns stellen, was alles sein muss, ein perfektes Weihnachten zu zelebrieren. Wo es an nichts fehlen soll. Wo fast auf Knopfdruck Friede auf Erden, und wenn schon nicht auf Erden, so doch wenigstens im Wohnzimmer, eingeschaltet wird.
Wir wissen, dass es so nicht klappt. Weil es damit anfängt, dass wir uns oft selbst im Wege stehen. Darum lasst uns aufräumen im Herzen. Damit wir weder uns noch andere überfordern. Damit Platz wird für das gewaltige Kommen Gottes. Es wird anders sein, als wir uns vorstellen. Gewaltig still. Gewaltig berührend. Uns überwältigend. Wenn wir uns auf die Liebe einlassen. Sie will die Steine im Weg überwinden und hilft uns, Überwinder zu sein. Weil wir Gottes Kinder sind.

4. Advent

19. Dezember 2021

Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe!
Philipper 4,4.5b

Wer oder was macht einem Freude? Ein Spruch sagt: „Die Jungen haben Spaß, die Alten freuen sich.“ Demnach bliebe die Freude dem Ruhestand vorbehalten. Das entspräche der Ansicht Jüngerer, die Alten verstünden keinen Spaß. Es ist deutlich, dass solche Zuordnungen nicht taugen. Wir brauchen Klarheit.
„Freut euch!“, ruft uns Paulus zu. Freude kann man nicht anordnen. Sie steigt auf oder bleibt fern. „Freut euch immerzu!“, gibt er keine Ruhe. Die Wiederholung verleiht dem Ruf Nachdruck.
Kindern braucht man das nicht zweimal zu sagen. Die freuen sich auf Weihnachten und können’s kaum erwarten. Natürlich bietet die Aussicht auf Geschenke einen wesentlichen Grund dafür.
Doch es sind nicht nur die Tüten und Kartons voller Überraschungen. Kinderfreude richtet sich geradewegs auf Geborgenheit aus. Weihnachten ohne Ärger. Ohne Streit. Ohne Tränen. Im Vertrauen darauf, dass alle da sind, Zeit haben und sich verstehen. Dass endlich Oma und Opa kommen. Das ist die Freude, die den Spaß weit übertrifft.
Allerdings fürchten sich auch viel zu viele Kinder und Erwachsene vor den Festtagen.
Weil auf den Seelen ein Schatten liegt.
Weil kaputtging, was eint.
Weil der Tod eine harte Tatsache geschaffen hat.
Einsamkeit, Enttäuschung, Verbitterung ersticken die Freude.
Nicht das teuerste Geschenk ersetzt Beziehungen. Verbindungen, die tragen und stärken. Untereinander wie auch zu Gott.
Der Apostel erlebt das im Gefängnis. Er weiß, dass Christus alle befreit. Die Verbitterten, Enttäuschten, Einsamen. Er, der Inhaftierte, muss mit dem Schlimmsten rechnen. Doch keine Panik, Freude erfüllt ihn. Lässt ihn geborgen sein. Setzt auf die Tatsache: Der Herr ist nahe.
Dieses „nahe“ hat sich mir eingebrannt. Nähe tut gut. Ich spüre, dass mir Menschen nahe sind. Menschen, die gern mit mir Leben teilen. Was für ein Wert!
Ich sehe den Stern über der Krippe leuchten. Ja, der Herr ist nahe. Wie wahr und tröstlich.
Dieser Freude will ich Raum geben.

Christfest

26. Dezember 2021

Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit
Johannes 1,14b

Wenn die Christvespern vorbei sind, wenn der Kirchner alles aufgeräumt, das Licht gelöscht hat, wenn tatsächlich etwas von der stillen Nacht im Kirchenschiff spürbar wird, dann stehe ich allein an der Krippe. Das sind ganz besondere Minuten. Dort, im Altarraum. Durch die hohen Kirchenfenster dringt nur der Schein der Straßenlaternen ins Kirchenschiff. Es entstehen eigenartige Schatten. Der Lichterglanz von den Christbäumen und den vielen Kerzen her, die um jede der zwölf Säulen herum brennen, hatte bereits seine Zeit. Wieder wird ein Jahr vergehen, bis am Heiligen Abend dieser Raum so wie vorhin erstrahlt. Die Feier von Christi Geburt, mit Krippenspiel, Kantorei und Orchester, dem Bläserchor und der Kurrende – das alles hatte jetzt, gegen 23.00 Uhr, seine Zeit. Was bleibt? Das Entscheidene, das Wesentliche, das Verändernde bleibt. Das Wort ward Fleisch. Ich stehe an der Holzkrippe, an der sich die Protagonisten der Weihnachtsgeschichte einfanden: Maria und Josef, Hirten und Könige, der Wirt und, etwas erhöht, der Engel Gabriel. Wieder haben sie uns vor Augen geführt, dass die Herrlichkeit des Herrn so bedürftig und schlicht beginnt. Das Wort der Liebe kommt in Fleisch und Blut zur Welt. Ein Neugeborenes löst die Zeitenwende aus. Ein Winzling. In Windeln gewickelt. Zugedeckt in kalter Nacht. Das Leben fängt gerade erst an. Mit allem, was es braucht, sich entfalten zu können. Sein Leben beginnt mit zerfalteter Stirn, dem Grind auf der zarten Haut, den Windeln, die gewechselt werden müssen. Das Wort ward Fleisch.
Ich stehe am Futtertrog. Aus einfachen Brettern gezimmert. Daneben der Taufleuchter. Die Osterkerze erhellt den Krippenplatz. Entzündet wurde sie von den Pfadfindern, die das Friedenslicht aus Bethlehem brachten. Noch eine tiefe Symbolik. Alles ein großartiges Geschehen. An dem ich teilhabe. Das Wort unfassbarer Liebe will bei mir wohnen. Ich bitte darum, dass mein Herz frei ist.

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