„Abi-Couture“ – Predigt in einem Abiturgottesdienst

Bei Abiturgottesdiensten lohnt es sich das Motto der Schülerinnen und Schüler aufzugreifen. Dieser Predigt liegt das Motto "Abi-Couture - Vom Hugo zum Boss" zugunde.

Vorbemerkung: Jeder Abitur-Jahrgang wählt sich heute ein Abitur-Motto, über dessen tieferen Sinn sich als Außenstehender meisten streiten ließe. Umso mehr reizt es, diese Abi-Mottos im Abitur-Gottesdienst aufzugreifen und ihnen so eine ganz neue Wendung zu geben. Das Motto, das diesem Abiturgottesdienst zugrunde liegt, war „Abi-Couture – Vom Hugo zum Boss“.

So manche Abi-Couture können wir heute an Ihnen, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, bewundern.
Schicke Kleider, gediegene Anzüge. Manche vielleicht ja wirklich von Hugo und auch Boss.
Das ganze Programm festlicher und vielleicht auch cooler Garderobe.
Es gilt etwas zu feiern: Ihr Abitur. Aber Sie werden nicht nur „weggegangen“ (eben „ab-itur“). Sondern Sie erhalten nach so vielen Jahren Schule Ihr „Reifezeugnis“. So vieles ist möglich. So viele Wege sind offen.
Auch modisch sind diese Wege sehr offen – unsere Modenschau gab da einen kleinen Einblick in die zukünftige Modewelt – zwischen Kapuzenjacke und Nadelstreifen in allen Spielarten.
Manchmal ist die Vielfalt der Wege vielleicht auch ein bisschen einschüchternd in der Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen, und in der ersten Begegnung mit verschlossenen Türen und nötigen Umwegen. Aber insgesamt: Ein richtig gutes und in manchen Augenblicken sogar grandioses Gefühl. So ist es jedenfalls mir ergangen, als ich Abiturient war – und so ergeht es wahrscheinlich auch Ihnen. 113 Mal – so unterschiedlich, wie Sie alle sind, aber 113 Mal ganz intensiv.

„Abi-Couture – vom Hugo zum Boss“. So lautet Ihr Abi-Motto.
Nun lebt ein Abiturmotto von einem guten Gag – umso mehr hat es den Vorbereitungskreis für diesen Gottesdienst gereizt, dieses Motto ernst zu nehmen. Was kann dieses Motto Ihnen an diesem Punkt des Lebens mit auf den Weg geben? Was kann es heißen, als frisch gebackener Abiturient – und als Abiturientin ebenso – „vom Hugo zum Boss“ unterwegs zu sein?
Ich merke: Man kann dieses Motto sehr verschieden lesen.
Man kann es verstehen als Aufatmen von Schülern, die die Schule endlich hinter sich haben und eben nicht mehr die „Hugos“ ihrer Lehrer sind. Man kann es auf diese Weise lesen als letztlich harsche Kritik an der Schule. Endlich frei! Aber: Diese Lesart passt nicht wirklich zu dem, was ich vom Geist Ihrer Schule mitbekomme, zu dem, was ich von Ihnen und Ihren Mitschülerinnen und Mitschülern, Ihren Lehrinnen und Lehrern dazu kenne.

Man kann dieses Abi-Motto als ganz schön arrogant verstehen: Schnöselige Abiturienten eines Vorzeige-Gymnasiums erheben ihren Anspruch auf einen Platz in der ersten Reihe des Lebens, bevor sie jenseits der Schule ihre Fähigkeiten unter Beweis gestellt haben. Nun, ob das als Lesart völlig daneben liegt oder wie viele Körnchen Wahrheit darin liegen – das können nur Sie selbst wissen.
Die Lesung aus dem Neuen Testament, aus dem Markus­evangelium, ist natürlich ein wunderbarer „Gegentext“ zu dieser Lesart. Die Jünger Jesu tun das, was wir ständig tun – sei es ausgesprochen oder unausgesprochen. Sie messen sich miteinander, vergleichen sich, testen aus, wer der Tollste ist. Jesus gibt ihnen – und uns als denen, die sein Wort hören, gleich dazu – eine klare Ansage: hinten anstellen. „Wenn jemand will der Erste sein, der soll der Letzte sein von allen und aller Diener.“ Hugo sein – und eben nicht Boss? Ist das nur die „Sklavenethik“ des Christentums, die Friedrich Nietzsche bereits im 19. Jahrhundert karikierte?
Wie können die Sätze Jesu nicht einfach ein Stopp-Schild sein, sondern als Weg-Weisung an einer der großen Weggabelungen des Lebens dienen – denn das ja ist der Punkt auf dem Lebensweg, an dem Sie stehen?!

So komme ich zu einer dritten Lesart Ihres Abi-Mottos:
Ich beginne mit einem kleinen Umweg. Wenn Sie 8.169 km Luftlinie von hier mit Kurs Süd-Süd-Ost fliegen, dann kommen Sie in Okahandja an, einer großen Stadt in Namibia im Südwesten Afrikas.
Wenn Sie dann in die frühere Location, wie die Townships, die früheren Wohnghettos der Schwarzen in der Apartheid-Zeit, in Namibia heißen, fahren und zu der Secondary High School gehen, werden Sie dort in der Aula als große Inschrift die Schulhymne sehen. Jeden Morgen wird sie von allen Schülern gemeinsam gesungen. Dort stehen im Refrain die bemerkenswerten Worte „Weʼre the leaders of tomorrow“. In einem Land, in dem bis vor ca. 30 Jahren die strikte Rassentrennung der Apartheid der südafrikanischen Besatzer geherrscht hat, und in dem heute kaum einer eine wirkliche berufliche Perspektive hat, singen diese Schüler jeden Morgen vor Schulbeginn diesen Satz. Und solche Sätze prägen das Bewusstsein: Wir werden Verantwortung tragen – an dem Platz, an dem wir stehen, mit den Aufgaben, diese uns anvertraut werden. Und wir werden immer weitere Lernschritte machen, dieser Verantwortung gerecht zu werden.

Auch Sie werden Verantwortung tragen – vielleicht als Boss und vielleicht ganz anders. Diese Verantwortung sich anzuziehen – das ist eine ganz besondere Abi-Couture. Wie diese Verantwortung Ihnen stehen wird?
Das kann als Chefärztin im Aachener Klinikum sein – aber eben auch als Krankenpfleger. Das kann als Architekt sein, der zu seinen Aufträgen nach Dubai fliegt – aber eben auch als technische Zeichnerin.
Jesus spielt das Spiel unserer Gesellschaft, wer der Tollere, Bessere, Schnellere ist, nicht mit. Er stellt seine Jünger, ganz altmodisch gesprochen, in den Dienst füreinander. Er stellt uns in die Verantwortung für diese Gesellschaft und unsere Welt. An dem Platz, an dem wir stehen.

„Wenn jemand will der Erste sein, der soll der Letzte sein von allen und aller Diener.“ Jesus sagt das zu seinen Jüngern – sozusagen zu der Elite seiner großen Zahl von Anhängern.
Mit dem evangelischen Theologen Wolfgang Huber, der einmal Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland war, gesprochen: Jesus will seine Jünger nicht als Funktions-Elite, sondern als „Verantwortungselite“. Als Menschen, die dadurch hervorstechen, dass sie Verantwortung übernehmen.

Wenn die Sätze Jesu vom Ersten und vom Letzten, vom Diener-Sein für alle, heute in Ihrem Abitur-Gottesdienst Evangelium, also Gute Nachricht sind, dann sind sie das, weil das Gottes Zuspruch für Ihr Leben und Gottes Anspruch an Ihr Leben ist: dass Sie Verantwortung übernehmen – so verschieden Sie 113 Abiturientinnen und Abiturienten sind, so verschieden Ihre Ausbildungs-, Studien- und Berufswege sein werden – und Ihr Kleidungsstil dazu.
Dass Sie – ganz Abi-Couture – sich diese Verantwortung anziehen und damit die Bedeutung, die jede und jeder Einzelne von Ihnen hat, Wirklichkeit werden lassen – das wünsche ich Ihnen. In Gottes Namen. Amen.

Ablauf des Gottesdienstes:
Lied zu Beginn: Zeige uns den Weg
Liturgische Eröffnung
Begrüßung:
113.
113 Schülerinnen und Schüler.
113 Persönlichkeiten.
113 Gedankenströme.
113 Meinungen.
113 Sichtweisen.
113 Schicksale.
113 Zukunftspläne.
113 in einer Gemeinschaft, in einer Stufe, in der Q 2.
113 als ein Wir.

Wenn all dies zusammentrifft, aufeinanderstößt, sich begegnet, dann scheint eine Einheit schier unmöglich. Zu viele Disparitäten. Zu viele eigene Welten. Zu wenig Gleichheit?
Einheit muss nicht Gleichheit bedeuten! Viel eher sollte man doch das Potenzial jeder der 113 Menschen, Personen, Seelen nutzen und etwas schaffen, indem vielleicht nicht jeder gleich wichtig scheint und dennoch zum Zusammenhalt beiträgt. Nicht nur beiträgt, sondern auch von großer Bedeutung ist.
So wie die kleinste Schraube in einem Schiff von gigantischer Größe, hat jeder seinen Platz.

„Geschichte von der kleinen Schraube“

Und so war es uns zur Aufgabe, neben dem Lernen in der Schule, zu lernen:
Wer bin ich?
Wo stehe ich?
Wie füge ich uns alle zusammen?
Ein Prozess, der sich über die letzten drei Jahre erstreckte. Drei Jahre, in denen es nicht immer leicht oder sichtbar war, was wir sind. Wir sind 113, wir sind eins. So wurden wir:
Von vielen – zu einem.
Von Unterschieden – zu Gemeinsamkeiten.
Von Farben – zu bunt.
Von Fremden – zu Freunden.
Vom Hugo – zum Boss.
Damit begrüßen wir Sie, im Namen aller Abiturienten, zu unserem Gottesdienst.
Auf einen Tag des Wiedersehens und des Abschiedes.
Einen Tag der Revue, des Hier und Jetzt und der Zukunft.

Gebet
Lied: Lobe den Herren

Modenschau mit Musik
Typen (Models) für den Laufsteg:
Boss (Anzug, Krawatte, Sonnenbrille, Smartphone oder entsprechend weiblich)
Alternativer (Linksautonom – Lederjacke, Chucks, kaputte Jeans, bunte Perücke)
Hipster (Zieht sich auf dem Laufsteg mehrmals um bzw. kleidet sich neu ein)
Nerd (Karohemd, große Brille, Laptop, Hasenzähne)
Vater oder Mutter (mit Baby Björn bzw. Tragesack mit Puppe als Baby drin)
Ballermanntyp (Spaßtyp – Bermuda, Unterhemd, Flasche mit alkoholischem Getränk, Strohhut)

Evangelium: Markus 9,33–35
Predigt

Fürbitten:
Wir bitten für alle, die uns geholfen haben, das gemeinsame Ziel Abitur zu erreichen.
Wir bitten, dass wir auf unserem weiteren Lebensweg Mut und Kraft für die richtigen Entscheidungen haben.
Wir bitten, dass wir auch in Zukunft trotz getrennter Wege und weiter Entfernung stets mit guten Freunden in Kontakt bleiben.
Wir bitten für unsere Familien, die von den Veränderungen in unserem Leben mitbetroffen sind und sich mit neuen Situationen auseinandersetzen müssen.
Wir bitten für eine glückliche und erfolgreiche Zukunft, in der unsere Wünsche, Träume und Hoffnungen in Erfüllung gehen.

Vater unser
Lied: Möge die Straße
Segensgebet
Orgel zum Auszug

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