Wie lieblich ist der Maien (EG 501) – Lieder predigen

Ist der Mai lieblich? Jeder Mai ist anders. Er kann mit sommerlichen Tagen glänzen. Der Wonnemonat kann aber mit den Eisheiligen auch den Winter zurückbringen. Jeder Mai ist anders. Wie er wird, haben wir nicht in der Hand. Dem Wetter sind wir ausgeliefert. Das passt nicht recht zu dem Selbstverständnis, das wir gern von uns pflegen. Ich meine die Idee, dass man alles im Griff hat.

Es steht nicht alles in unserer Hand. Schon das Wetter kann uns trotz all der wohlentwickelten Technologien einen Strich durch unsere Rechnung machen. Und dies nicht nur im launischen April. Die Grenzen unserer Kontroll- und Einflussmöglichkeiten führt uns das Wetter in jeder Jahreszeit vor Augen. Es mahnt ausgerechnet uns mit unserer manchmal weltweiten Vernetzung daran, wie klein doch im Grunde der menschliche Wirkungs- und Wirksamkeitskreis ist.

Unsere Wirkungskreise, die Kreise unserer Wirksamkeit unterscheiden sich. Wenige sind von imponierender Reichweite, viele werden als zu beschränkt empfunden. Unsere Wirkungskreise, die Kreise unserer Wirksamkeit, sie verändern sich zudem im Lauf des Lebens. Letztlich bleiben sie alle klein. Das mag zu unserem Selbstbild passen oder nicht. Der menschliche Spielraum bleibt trotz aller erstaunlichen Möglichkeiten begrenzt. Allerdings: Wir leben nicht mehr - wie der Dichter der Zeilen „Wie lieblich ist der Maien aus lauter Gottes Güt', des sich die Menschen freuen, weil alles grünt und blüht“ - im 16./17. Jahrhundert. Unsere Lieder klingen anders. Oft weniger getragen. Und sicher am 1. Mai, am Tag der Arbeit, auch mitreißender. Vielleicht blicken wir gerade, weil unsere Lieder so anders klingen, mit Neugier auf die Lieder von früher. Was hatten die Menschen damals zu sagen, kann man fragen. Und: Haben sie vielleicht uns noch etwas zu sagen?

Was hat das Lied vom lieblichen Mai zu bieten, sein Autor uns zu sagen? Wer überhaupt ist der Autor? Der ist Martin Behm, der 1557 in Lauban bei Görlitz, heute Luban, geboren wurde und dort 1622 starb. Er hat nicht sein gesamtes Leben in Schlesien verbracht. In wirtschaftlich schwieriger Zeit nahm ihn ein Verwandter mit nach Wien. Von dort zog es den jungen Mann an die Universitäten Heidelberg und Straßburg. Er hatte damals nicht viel Geld und musste sich als Hauslehrer oder Gehilfe eines wohlhabenden Studierenden sein Brot verdienen. Aber er war wissbegierig. Er wollte da etwas lernen, wo man nahe am Puls der Zeit war. Das war damals besonders Straßburg. Dort war mit dem Professor Johannes Sturm ein frischer Wind in die akademische Erziehung eingezogen.

Sturm hat sich um den jungen Schlesier gekümmert, hat ihm vielleicht auch etwas von seiner Begeisterung für die Pädagogik mitgegeben. Jedenfalls wurde Behm später in Lauban zuerst nicht - wie es seiner Ausbildung entsprochen hätte - als Pfarrer, sondern als Lehrer eingestellt. Die wirtschaftlichen Verhältnisse werden ihm keine Wahl gelassen haben. Sein Vater war gestorben. Die Mutter hatte ihn zurück nach Lauban gerufen. Der 23-Jährige war ihrem Ruf gefolgt. Er beugte sich den Notwendigkeiten.

Martin Behm hat bald den Beruf ausüben können, für den er sich ausgebildet hatte. Er ist Pfarrer geworden, hat in der Kirche seiner Heimatstadt Karriere gemacht und erlangte mit seinen Veröffentlichungen über Lauban hinaus einen beachtlichen Bekanntheitsgrad.

Lehrend ist er zeitlebens tätig geblieben. Die Liebe zum Lehren merkt man - finde ich - auch seinem Maienlied an. Mir ist, als antworte er gerade zu Beginn auf Warum-Fragen, die Kinder gern stellen. Er gibt nämlich Gründe für das an, was er beobachtet. So ist der Mai nicht einfach nur lieblich. Der Mai ist lieblich, weil Gott gütig ist. Kann sein, Behm braucht das Wort „Güt“, weil es sich auf „blüht“ in der nächsten Zeile reimt. Aber vielleicht war es auch umgekehrt. Vielleicht brauchte er das Wort „blüht“, weil es sich auf „Güt“ reimt.

Wie dem auch sei: Heitere Tage verdanken wir nach Behm der Milde Gottes. Gott ist gütig. Das ist die erste Erkenntnis, die der Lieddichter mitteilt. Und was erfahren wir über die Menschen? Ihr Verhalten wird beobachtet und auf seine Motive untersucht. Die Menschen freuen sich, weil - so Behm - „alles grünt und blüht“. Die Tiere sind ebenfalls vital. Aber ihr Verhalten kann mit Erkenntnisfähigkeit nicht begründet werden. Ihr Tun ist durch die Lust motiviert. Der Vogelgesang allerdings wird als Gotteslob interpretiert. Da kann wieder ein klein bisschen der pädagogisches Zeigefinger hochkommen. Diesmal nicht erklärend, sondern auffordernd. Es ist fast, als würden die gotteslobenden Vögel den Menschen als Vorbilder gezeigt.

Und tatsächlich setzt die zweite Strophe mit einem Gotteslob ein: „Herr, dir sei Lob und Ehr für solche Gaben dein.“ Gott wird die Ehre erwiesen. Dazu führt Behm aus: „Es steht in deinen Händen, dein Macht und Güt ist groß; drum wollst du von uns wenden, Mehltau, Frost, Reif und Schloss.“

Die Akzeptanz der Macht Gottes fällt heute nicht unbedingt leicht. Selber groß können wir sagen. Und setzen Pflanzenschutzmittel gegen Pilzbefall ein oder bauen Gewächshäuser, um der Vegetation ein optimales Klima zu garantieren. In der Tat sind wir der Natur nicht mehr so ausgeliefert wie vor vier Jahrhunderten. Aber: Noch immer ist jeder Mai anders, unvorhersehbar und unserem Einfluss entzogen.

Das alte Mailied bringt unsere Situation letztlich noch angemessen zum Ausdruck. Mit unverfügbaren Faktoren müssen wir noch immer zurechtkommen, also mit wirtschaftlichen Turbulenzen, Naturkatastrophen und persönlichen Erschütterungen. Mit Erkrankungen und Beziehungskrisen.

Es mag eine Banalität sein, die das alte Mailied vermittelt Es ist jedoch eine Banalität, über die wir uns hinwegtäuschen können. Normalerweise ist unser Leben ja planbar, scheint berechenbar wie ein Rentenanspruch. Oft erst wenn Schicksalsschläge unsere Existenz durcheinanderwirbeln, haben wir das banale ABC des Lebens neu zu lernen.

Das alte Mailied macht eine Banalität bewusst und geht doch darüber hinaus. Martin Behm trägt in das banale ABC des Lebens die Lehre von Gottes Güte ein. Gottes Güte kommt hier zum zweiten Mal vor. Diesmal ist sie aus dichterischen Gründen nicht notwendig. Diesmal ist sie theologisch motiviert. Der Pfarrer und Lehrer Martin Behm will uns wohl beibringen, dass Gottes Macht mit Güte verbunden ist.

Daraus folgt das Zweite, was Behm offenbar zeigen möchte: Unsere Ohnmacht wird erträglich, weil einer auf unserer Seite ist, der das, dem wir ausgeliefert sind, so gestalten kann, dass wir nicht verzweifeln müssen. Ob wir uns allerdings trösten lassen von dem, was Behm uns nahbringen möchte, das liegt dann doch auch ein wenig bei uns.

Verzweiflung kann unsere Herzen okkupieren. Deren Macht wird in Behms Mailied nicht unterschätzt. In der dritten Strophe ist die Rede vom Kreuz. Von dem Kreuz, das das eigene Herz trägt. Auch im Wonnemonat Mai erleben wir ja die Erde nicht immer als Paradies. Das scheint für Martin Behm ohne Frage.

Ein Lehrer und ein Pfarrer ist er gewesen. Als solcher bestätigt er nicht einfach, was man ohnehin weiß. Er sagt nicht, dass das Leben einer Hühnerleiter gleicht. Sicher: Als klein und belastet zeigt Behm den menschlichen Wirkungskreis. Aber er präsentiert Linderung: das Wort jenes Gottes nämlich, zu dem Macht und Güte gehören. Dieses Wort beschreibt er in der dritten Strophe als labend und als wegweisend.

Ein Lehrer und ein Pfarrer ist Martin Behm gewesen. Er war kein Besserwisser. Er brauchte wohl selbst als Lebenselixier, was er anderen zeigt. Es ist jedenfalls, als ließe er uns an seiner eigenen Angewiesenheit auf die Güte des mächtigen Gottes teilhaben. In der dritten Strophe wird seine Maihymne nämlich zum Bittgebet.

Hat der etwa vierhundert Jahre alte Text uns noch etwas zu bieten? So habe ich anfangs gefragt. Mit der Erinnerung an die Grenzen unserer Wirksamkeit, mit seinen Trostversuchen, seiner Offenheit ist der Text zweifellos aktuell und auch berührend. Das aber wird er erst recht, wenn er am Schluss unser Potenzial ins Zentrum rückt. Also unsere Arbeit, aber auch unsere Hoffnung, zu bestehen. Vor den Ansprüchen anderer oder den eigenen mit unserem Tun zu bestehen. Für Behm mag primär gezählt haben, vor Gott nicht verwerflich zu sein. Wir wünschen uns vielleicht stärker, vor uns selbst zu bestehen und vor anderen Menschen. Mag sein, dass für Behm wie für uns beides von gleicher Bedeutung ist. Das liegt eben bei jedem Einzelnen.

Wesentlich scheint mir, dass Behm zuletzt daran erinnert, dass wir zwar vielem Unverfügbaren ausgeliefert, aber dennoch wirksam sind. Sein Maienlied schenkt uns am Ende Bilder menschlicher Produktivität, von Schaffensfreude, ja Erfolgssehnsucht. Leistungsfixiert aber kommt dieser Text nicht daher. Die Verherrlichung von eigener Kompetenz und eigenem Engagement taucht nicht einmal am Horizont auf. Die eigene Arbeit wird ernst genommen - ja, aber der Dichter hat sein Lied als Gebet verfasst. Er ist kein Macher. Kein Täter. Ein Beter ist er und als solcher hofft er auf den Erfolg seiner Arbeit. Er schreibt: „Mein Arbeit hilf vollbringen“.

Ob wir noch so beten können, weiß ich nicht. Viele bringen wohl noch immer Gottvertrauen wie Behm auf, einfach weil sie erfuhren, dass ihnen allein aus eigener Kraft nichts gelingt. Anderen ist das nicht möglich. Sie brauchen das Wissen von der eigenen Effektivität, die Freude an den eigenen Resultaten als Lebenselixier. Manche schließlich brennen aus unter der Last der eigenen Ideale. Unser altes Kirchenlied steht zu solchen Idealen im Kontrast. Vielleicht in einem heilsamen Gegensatz.

Es lädt dazu ein, den Gott, dessen Wirkungskreis unseren übersteigt, als Helfer hinzuzubitten. Gott wird als Helfer angerufen, damit mitten im Kreis menschlicher Wirksamkeit und sehr wohl auch dank unserer Kraft die Pflanzen blühen, an denen wir uns freuen. Unsere Arbeit wird durch diesen Helfer nicht entwertet. Sie wird aufgewertet. Gilt sie doch als derart kostbar, dass ihr Gelingen sogar dem Schöpfer ans Herz gelegt wird.

Als Wonnemonat gilt der Mai, der mit dem Tag der Arbeit beginnt und uns zahlreiche Feiertage beschert. Zum Paradies macht er die Erde damit nicht. Hoffnungen lässt er zwar sprießen. Garantien stellt er nicht aus. Jeder Mai ist anders. Er langweilt jedenfalls nicht. Das Vogelgezwitscher im Mai weckt uns oft früher. Neue Gelegenheit bietet der liebliche Mai. Zum Innehalten, zum Wirksamkeit- Wagen. Und zur Hoffnung auf den, dessen Wirkungskreis die unseren weit übersteigt.

Gebet:
Gott, wir sind stolz auf die Kräfte, die uns zur Verfügung stehen. Uns ist möglich, wovon frühere Generationen nicht einmal träumten. Hilf uns, dass wir das Gespür für unsere Grenzen nicht verlieren. Wir bitten dich auch um Unterstützung, damit wir uns nicht überschätzen oder überfordern. Wir bitten dich um Unterstützung, damit wir mit unserer Kraft menschenfreundliche Resultate produzieren. Und die Kraft zur Freude behalten.

Liedvorschläge: 501 (Wie lieblich ist der Maien)
500 (Lobt Gott in allen Landen)
504 (Himmel, Erde, Luft und Meer)

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