Jubilate, Kantate, Rogate – und die Predigtkultur

Mich hat der Beitrag von Pfarrerin Martina Servatius im April-Heft der PASTORALBLÄTTER für den Sonntag Jubilate regelrecht begeistert. Wie ich oft - ja sogar meist - sehr zufrieden bis begeistert bin von Predigten oder Predigtteilen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

„Eine protestantische Predigt, das ist in den meisten Fällen, ‚als spräche ein Materialprüfer vom TÜV über den Heiligen Gral', wie Botho Strauß es einmal formuliert hat." So hat es Peter Kauffmann in dem als Buchtipp ausführlich am Ende der Mai-Nummer beschriebenen und empfohlenen Buch „Evangelische Predigtkultur. Zur Erneuerung der Kanzelrede" angemerkt.

Nein, eben das spüre ich so vielen Beiträgen von Autorinnen und Autoren der PASTORALBLÄTTER ab: Sie sind „begeistert", ihr Herz schlägt für Gottesdienst und Predigt, auch für ihre Kirche, die es ihnen manchmal nicht gerade leicht macht.

Die PASTORALBLÄTTER sind von einem großen Einbruch oder Wegbruch von Abonnentinnen und Abonnenten im letzten Jahrzehnt verschont geblieben. Und doch machen wir uns als Verantwortliche Woche für Woche Gedanken, wie wir die Leserinnen und Leser noch besser erreichen, noch besser in ihrer Praxis unterstützen können. Wie wir vielleicht auch neue Leserinnen und Leser gewinnen können.

Mein Hauptargument in allen Diskussionen, die sich vor allem mit der leichten Zugänglichkeit vieler x-beliebiger Predigten im Internet beschäftigen, weniger mit der Konkurrenz aus dem Print-Bereich, war und ist sozusagen die „zuverlässige Qualität".

Im Zweifel kann ich erst am Freitag dazukommen, mich auf die Predigt am Sonntag vorzubereiten. Unter „Zuverlässigkeit" verstehe ich, dass ich mich dann immer noch darauf verlassen kann, dass eine Kollegin, ein Kollege, eine Schwester, ein Bruder sich ausführlich Gedanken gemacht und einen profilierten Vorschlag mit Gebeten und Liedern etc. in den PASTORALBLÄTTERN veröffentlicht hat.

Nicht immer werde ich theologisch exakt mit dem Geschriebenen übereinstimmen. Aber selbst wenn es „ganz quer" zur eigenen Überzeugung daherkommt, kann ich mich immer noch darauf beziehen, das Gelesene als Gelesenes zitieren und meine eigene Überzeugung daran profilieren.

Es ist keine Schande, zu sagen: „Eine meiner Amtsschwestern/einer meiner Amtsbrüder hat vor Wochen zu diesem Bibeltext seine Erfahrungen aufgeschrieben …" Und unsere Gottesdienstbesucherinnen und -besucher sind nicht unglücklich darüber, dass ihre Pfarrerin/ihr Pfarrer auch andere Meinungen hört, Bücher oder theologische Zeitschriften liest. Sie kennen das aus der eigenen beruflichen Erfahrung: Hören und Lesen ist eine wichtige Fortbildung und Weiterentwicklung.

Seit ich die Schriftleitung der PASTORALBLÄTTER Ende 1999 übernommen habe, sind in der EKD von 14.347 Gemeindepfarrstellen knapp 2.000 weggefallen (2009 = 12.514). Damit auch Wesentliches an Selbstverständlichkeiten. Zum Beispiel die Selbstverständlichkeit, dass die eigene Kirchengemeinde meine Fortbildung - literarisch oder auf Tagungen - finanziert. Denn auch bei den Finanzen gibt es den beschriebenen Wegbruch.

Ich bin zuversichtlich, was die Zukunft der ältesten praktisch-theologischen Zeitschrift in deutscher Sprache, der PASTORALBLÄTTER, betrifft. Ich bin zuversichtlich, weil wir uns auf Qualität und Nähe eingeschworen haben. Und ebenso auf Authentizität und Profil. Und weil wir mit Kreuz und Herder gute Verlage hinter uns haben, auch wenn die Ökumene derzeit eher auf Sparflamme brennt.

Ich bin insbesondere zuversichtlich, wenn es in den Mai geht. Da bricht nun alles auf und nichts mehr hält den Aufbruch zurück, mögen die Eisheiligen es noch so klirren lassen.

Jubilate, Kantate, Rogate - das war und ist für mich ein Fest an Gottesdiensten.

Aus diesem Grund habe ich nicht im Mai konfirmiert wie viele andere, sondern an Lätare und Judika. Ich wollte mir und den mir anvertrauten Gemeinden diese Feste nicht nehmen lassen: Jubelt, singt, betet - und dann versteht ihr die Begeisterung, die rund um die Erde Menschen mit Tänzen, Liedern, Schweigen, Gebeten, Einmischungen „feiern". Das muss nicht „dirigiert" geschehen. Das muss nicht geplant sein. Da muss nicht jeder Schritt und jeder Ton sitzen. Spüren muss ich, dass die Menschen, die mich eingeladen haben, „echt" sind.

Ich habe meinen Konfirmandinnen und Konfirmanden vor Jahren diese Gedanken auf den Weg gegeben, die zwischenzeitlich auch in einigen meiner Bücher abgedruckt sind:

„Es liegt an dir, welche Spuren du hinterlässt.
Es liegt an dir, ob Menschen in deiner Nähe
Angst bekommen oder aufatmen.
Es liegt an dir, ob deine vielen Gaben nur dir
oder der Gemeinschaft zugutekommen.
Es liegt an dir, ob Menschen ihren Wert entdecken
oder an sich zweifeln.
Es liegt an dir.
Du bist eine Möglichkeit Gottes.
Mach dich nicht selbst klein, das ist feige.
Mach andere nicht klein, das ist schlimm.
Du musst ‚Die letzte Stufe' nicht gehen.
Jesus Christus ist sie gegangen.
Dietrich Bonhoeffer. Martin Luther King.
Mahatma Gandhi. Mutter Teresa und einige mehr.
Aber deinen Weg solltest du gehen.
Nicht stehen bleiben, feige
oder schon in jungen Jahren müde.
Nicht überheblich und kalt.
Es zählt nicht, ob du besser oder schlechter,
mutiger oder ängstlicher, größer oder kleiner bist.
Am Ende zählt, ob du echt gewesen bist.
Ob du echt ein Mensch gewesen bist,
ein Kind Gottes, ein Geschenk für die Welt.
Du bist eine Möglichkeit Gottes. Nütze sie."

Im Mai, wenn nichts mehr den Aufbruch hindert, darf man Wünsche haben. Ich wünsche mir, dass Sie spüren, welch provokative und begeisternde Kraft in Ihrer „Echtheit" steckt. Die hat Ihnen Gott gegeben. Und er wollte was mit Ihnen, an diesem Ort, mit exakt Ihnen, und für viele andere. Sie müssen nicht Ihrem „Geheimnis" auf die Spur kommen wollen. Das raubt Kräfte. Sie müssen nur „echt" die oder der sein, an diesem Ort, mit diesen Gaben, auf Zeit. Und dann ist es gut.

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