Was Sie über die Fachkraft-Kind-Relation wissen müssenEine Erzieherin - wie viele Kinder?

Diese Rubrik informiert Sie über wichtige Ereignisse und wissenswerte Neuerungen rund um Bildungs- und Berufspolitik und die pädagogische Arbeit.

Worum es geht

Sie wussten es vermutlich längst, weil Ihre Erfahrungen in der Praxis entsprechend sind: Gute Erziehungs- und Bildungsarbeit ist nur dann möglich, wenn die Fachkraft- Kind-Relation günstig ist. Jetzt haben zwei Wissenschaftlerinnen der Alice Salomon Hochschule in Berlin, Prof. Dr. Susanne Viernickel und Stefanie Schwarz, die Expertise „Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung"1 über die Rahmenbedingungen der Strukturqualität in Kindertageseinrichtungen veröffentlicht, die zu einem alarmierenden Ergebnis kommt: „Es ist davon auszugehen, dass die in den Einrichtungen tatsächlich existierenden Fachkraft-Kind- Relationen in vielen Fällen unter den gesetzlich festgelegten Personalschlüsseln und unter den rechnerischen Fachkraft-Betreuungsplatz- Relationen liegen." Da in den meisten deutschen Kitas zu wenige Erzieherinnen zu viele Kinder betreuen (müssen), sei es sehr fraglich, ob die in den Bildungsprogrammen „ehrgeizig formulierten Ansprüche an die frühkindliche Bildung in Kindertageseinrichtungen" überhaupt erfüllt werden können, warnen die beiden Wissenschaftlerinnen in ihrer Expertise.

Ziel der Autorinnen war es, wissenschaftliche Informationen zur Verfügung zu stellen, auf deren Grundlage eine Fachkraft-Kind-Relation (zum Begriff s. S. 22) bestimmt werden kann, die sich an pädagogischen Zielsetzungen orientiert. Dazu nahmen sich die Autorinnen unter anderem sämtliche Bildungsund Orientierungspläne der 16 Bundesländer vor und klopften die dort formulierten Qualitätsziele für die pädagogische Arbeit auf Gemeinsamkeiten ab. Sie fanden insgesamt 138 Tätigkeitsmerkmale, die im bundesweiten Konsens als die Qualität pädagogischer Arbeit bestimmend angesehen werden - von „Systematisches Beobachten jedes Kindes" über „Vorlesen/Erzählen möglichst täglich anbieten" bis hin zu „regelmäßige Reflexion der Arbeit im Team". Es lohnt sich, diese 138 Tätigkeiten einmal genau in den Blick zu nehmen, welche ja nur die sind, die quasi für alle pädagogischen Fachkräfte in Deutschland gelten - ob eine Erzieherin in einer Dorf-Kita in der Uckermark arbeitet oder in einem Großstadtkindergarten in Köln. Hinzu kommen weitere Aufgaben, die speziell im jeweiligen Bildungsplan ihres Landes formuliert sind. Ganz zu schweigen von den - für die meisten Einrichtungen - neu einzurichtenden Krippenbereichen, welche die Kita-Teams noch zusätzlich vor weitere konzeptionelle und pädagogische Herausforderungen stellen. Das alles macht einmal mehr deutlich: Die Tätigkeit einer Erzieherin ist höchst anspruchsvoll - und dass sie sich so herausfordernd gestaltet, ist bildungspolitisch gewollt. Im krassen Gegensatz dazu stehen allerdings die Bedingungen, unter denen sie ihre herausfordernde Arbeit kompetent verrichten soll.

Auch das ist für Sie vermutlich nichts Neues. Wann immer Erzieherinnen offiziell nach der Einschätzung ihrer Arbeitsbedingungen gefragt werden, lautet die einhellige Antwort: Die Personalausstattung ist zu niedrig, deshalb sind die Belastungen zu hoch. Dabei - auch das zeigen die Umfragen immer wieder - sind Erzieherinnen hoch engagiert und stehen hinter ihrem Auftrag und Beruf. Doch neben der pädagogischen Arbeit mit den Kindern fallen noch viele weitere Aufgaben an, die Zeit kosten (Zusammenarbeit mit den Eltern, mit der Grundschule, im Team). Doch die gesetzlich festgeschriebenen Personalschlüssel berücksichtigen nur zum Teil, dass neben der direkten pädagogischen Arbeit mit den Kindern viele Aufgaben geleistet werden müssen, die zusätzliche Zeitkontingente erfordern. Werden diese Zeiten nicht unabhängig von den Zeiten für die direkte Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsarbeit zur Verfügung gestellt, so „geht die Wahrnehmung dieser Aufgaben zwingend mit einer Reduktion der von den Kindern erlebten Fachkraft- Kind-Relation einher", heißt es in der Expertise, - sprich: auf Kosten der mit den Kindern verbrachten Zeit. Auch Ausfallzeiten durch Urlaubsansprüche sowie Krankheit oder Fortbildungen beeinflussen die reale, von den Kindern erlebte Fachkraft-Kind-Relation. Die beiden Autorinnen der Expertise stellen aber eindeutig fest: Je günstiger die Fachkraft-Kind-Relation ist, desto positiver fallen pädagogische Interaktionen, bildungsanregende Impulse und Aktivitäten sowie räumlich-materiale Arrangements aus. Dies alles ist um so bedeutsamer, je jünger die Kinder sind. Im Krippenbereich geht ohne günstige Fachkraft-Kind-Relation sozusagen gar nichts in Sachen Bildung, Erziehung und Betreuung. Viernickel und Schwarz fanden Forschungsergebnisse, die „Hinweise auf Schwellenwerte" geben, wie sie es vorsichtig formulieren, ab denen „die pädagogische Prozessqualität und das Verhalten und Wohlbefinden von Kindern negativ beeinflusst wird": Diese liegen bei Gruppen mit unter 3-jährigen Kindern bei einem Verhältnis von 1:3 bis 1:4, bei Gruppen mit 3- bis 6-jährigen Kindern bei ca. 1:8 und bei Gruppen mit 5- bis 6-jährigen Kindern bei 1:10.

(Selbstverständlich hängt die Qualität pädagogischer Arbeit nicht nur von der Frage ab, wie viele Erzieherinnen für wie viele Kinder zuständig sind. Auch die Ausbildung und Qualifikation der pädagogischen Fachkräfte, die Gruppengröße und die Bezahlung des Fachpersonals sind sehr wichtige Strukturmerkmale, welche die direkte pädagogische Arbeit mit den Kindern und deren Entwicklung entscheidend beeinflussen. Und die politisch regulierbar sind, wofür eine solche Untersuchung Anlass sein sollte!)

Was es für Sie bedeutet

In deutschen Kitas gibt es zu wenig Personal, um die in den Bildungsplänen formulierten Ziele umzusetzen: Mit dieser Hauptaussage der Expertise warnen die Auftraggeber der Studie - der Paritätische Gesamtverband, das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) e.V. und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) - vor einem Bildungs- und Erziehungsnotstand. Sie fordern Bund, Länder und Kommunen zu einer gemeinsamen „Qualitätsoffensive in den Kitas" auf. Auch die Fragen der Qualifizierung und Bezahlung pädagogischer Fachkräfte dürften nicht länger ausgeklammert werden. Hier ist die Bildungs- und Sozialpolitik gefordert, hinter der aber letztlich wir alle stehen: Jede einzelne Erzieherin kann Einfluss nehmen und sich dafür einsetzen, dass die Rahmbedingungen verbessert werden - das hat der Kita-Streik diesen Sommer gezeigt. Dafür aber brauchen Sie Argumente. Die Expertise liefert Ihnen diese Argumente für eine Verbesserung der Strukturqualität. Die Auftraggeber der Expertise haben sich anlässlich ihrer Veröffentlichung dafür schon mal medienwirksam ins Zeug gelegt. Was nützen die Bildungspläne, wenn die Rahmenbedingungen in den Kitas nicht verbessert werden, gibt etwa Cord Wellhausender, stellvertretender Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes, zu bedenken und kritisiert das Auseinanderklaffen von Wunsch (Bildungspläne) und Wirklichkeit (Rahmenbedingungen in den Kitas vor Ort): „Wem das notwendige Werkzeug fehlt, der kann auch mit der besten Gebrauchsanleitung nichts anfangen." Und Norbert Hocke, GEW-Vorstandschef im Bereich Jugendhilfe und Sozialarbeit, ergänzt: „Wir brauchen bundesweit deutlich mehr Erzieherinnen, um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden. Selbst die engagierteste Erzieherin kann bei dem derzeit geltenden Personalschlüssel die aus den Bildungsplänen resultierenden 138 Einzelanforderungen nicht abdecken."

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Begriffserklärung

In Anlehnung an die Ausführungen der Bertelsmann Stiftung (2008)* wird in der Expertise „Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung" die Unterscheidung zwischen Personalschlüssel und Fachkraft-Kind-Relation gewählt.
Der Personalschlüssel beschreibt einen Anstellungsschlüssel und bezeichnet die bezahlte Arbeitszeit der pädagogischen Fachkräfte im Verhältnis zu den gebuchten Betreuungszeiten der Kinder, bezogen auf den Zeitraum eines Jahres und unter Annahme einer Vollzeitbeschäftigung.
Die Fachkraft-Kind-Relation gibt an, für wie viele Kinder jeweils eine pädagogische Fach kraft durchschnittlich zur Verfügung steht. Sie bezieht sich auf den berechneten Anteil der Jahresarbeitszeit (Jahresarbeitszeit abzüglich der Ausfallzeiten für Urlaub, Krankheit, Fortbildungen etc.), der Erzieherinnen für die unmittelbare Arbeit mit den Kindern zur Verfügung steht (vgl. Viernickel/Schwarz, 2009, S.7f.).

*Bock-Famulla, K. (2008): Länderreport frühkindliche Bildungssysteme 2008. Transparenz schaffen - Governance stärken. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung, S. 148f.

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Welche Fragen offen bleiben

Benötigt wird zunächst einmal eine einheitliche Berechnungsgrundlage für die FachkraftKindRelation. Je nachdem, welche wissenschaftliche Untersuchung oder Gesetzesgrundlage man gerade vor sich hat, kann derzeit darunter etwas höchst Unterschiedliches verstanden werden. Hinzu kommt, dass in den KitaGesetzen der Länder bei der Berechnung der Personalschlüssel Zeiten für Urlaub, Krankheit oder Fortbildung sowie Verfügungszeiten in der Regel nicht ausgewiesen werden. Auch so wichtige Dimensionen wie das Alter der Kinder, die Betreuungsdauer oder besondere Förderbedarfe werden zu selten berücksichtigt. Dieser Zustand erschwert Zusammenfassungen, Vergleiche und Analysen und führt dazu, dass die strukturellen Rahmenbedingungen, speziell die FachkraftKindRelation, in Deutschland schwer zu durchschauen sind. Um aber eine zielführende und für alle Beteiligten befriedigende Lösung zu erreichen, ist es unbedingt erforderlich, dass für jedes einzelne Bundesland genau hingesehen wird, ob die strukturellen Rahmenbedingungen im rechten, also „machbaren" Verhältnis zu den Anforderungen des jeweiligen Bildungsprogramms stehen. Denn zaubern können Erzieherinnen nun mal (noch) nicht. Bei der Umsetzung Ihres Bildungsauftrages sind Sie darauf angewiesen, dass Ihnen angemessene Zeitkontingente für die mittelbare pädagogische Arbeit, also Verfügungszeiten zugesprochen werden, die Ihnen per Kindergartengesetz verordnet werden und die im rechten Maß stehen zu den Anforderungen des jeweiligen Bildungsprogramms. Hat hier also ein Bundesland besonders ehrgeizige Qualitätsziele vorgegeben, muss es auch die Rahmenbedingungen der pädagogischen Arbeit angemessen ausrichten: Für jedes Kind eine Einzelbeobachtung anzufertigen, braucht eben, neben den vielen anderen Tätigkeiten, seine Zeit.

Damit Kindertageseinrichtungen ihren Bildungsauftrag angemessen umsetzen können, muss zudem die Qualifi zierung der Fachkräfte vorangetrieben, die Forschung intensiviert und ein bundesweiter Dialog angestoßen werden, der letztlich dazu führt, dass sich die 16 Bundesländer auf „konsensfähige Qualitätsziele" einigen. Auch zu diesen Punkten machen die Autorinnen der Expertise abschließend noch detaillierte Vorschläge. Wer es genauer wissen will, fi ndet die Expertise als kostenlosen Download im Internet unter www.derparitaetische. de unter dem Button „Veröffentlichungen".

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