Das neue KabinettOh Gottesformel

Viele Minister im neuen Kabinett haben einen Bezug zu den Kirchen. Über ihre inhaltliche Ausrichtung sagt das allein jedoch wenig aus.

2. Sitzung des 21. Deutschen Bundestages: Bundesminister für Verkehr Patrick Schnieder (m), CDU/CSU, MdB, bei seiner Vereidigung durch Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (r), CDU/CSU, MdB. Wahl und Vereidigung des Bundeskanzlers sowie des Bundeskabinetts
© DBT / Thomas Imo / photothek

Es gehört zum Ritual christlicher Medien, nach Wahlen und Kabinettsberufungen die nun führenden Politiker konfessionell zuzuordnen: Einer von uns! Diese von den anderen. Jener gar nix. Gezählt werden auch die Anrufungen Gottes im Amtseid. Es ist Balsam auf gläubige Seelen, wenn angesichts des Kirchenexodus der Deutschen wenigstens deren staatliche Repräsentanten noch ein „Bekenntnis“ in den Papieren stehen haben und die religiöse Eidesformel über die Lippen bringen. Das Kabinett des katholischen Korporierten Friedrich Merz wartete nun mit reichlich Trost auf, nachdem unter dem konfessionslosen Olaf Scholz fast die Hälfte der Minister auf die Gottesformel verzichtet hatte.

Nicht nur, dass mit Kanzler und Vizekanzler (Lars Klingbeil zu „Bild“: „Ich glaube an Gott […] dass es jemanden gibt, der meinen Weg begleitet und auch manchmal mit steuert“) zwei Gläubige der großen Konfessionen die neue Bundesregierung führen; je drei Viertel der Minister sind Mitglied einer Kirche und bauten bei ihrer Vereidigung auf Gottes Hilfe. Sogar zwei ohne Angabe einer Konfession: Digitalisierungsminister Karsten Wildberger (CDU) und Justizministerin Stefanie Hubig (SPD), die aus einer katholischen Familie stammt. Auch die jüdische Bildungs- und Familienministerin Karin Prien (CDU), die sich als nicht religiös versteht, schwor mit Gottesbezug. Umgekehrt ist Entwicklungshilfeministerin Reem Alabali-Radovan (SPD) zwar chaldäisch-katholischer Konfession, verzichtete aber auf die religiöse Eidesformel. Man sieht: Die Zeiten, in denen Kirchenmitgliedschaft auf Religiosität schließen ließ, sind lange vorbei – wenn es sie je gab.

Laut einer Allensbach-Umfrage für die „Christliche Medieninitiative Pro“ vom Februar glaubt nur die Hälfte der Katholiken, „dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist“, Protestanten noch weniger (44 Prozent). Andererseits teilen 12 Prozent derer ohne (oder mit anderer) Religionszugehörigkeit die zentrale christliche Glaubensaussage. Man hüte sich also, von nomineller Konfession auf Glauben zu schließen und von Konfessionslosigkeit auf Unglauben, von der ethischen Prägung vieler Nichtreligiöser durch christliche Elternhäuser ganz abgesehen. Nur jeder fünfte Konfessionslose ist „überzeugter Atheist“.

Ein laizistisches Profil hat in Merz’ Kabinett nur Umweltminister Carsten Schneider (SPD). Er sympathisierte mit der Initiative „Säkulare in der SPD“ und vermied die Gottesformel. Darin gleich mit den SPD-Schwergewichten Boris Pistorius und Bärbel Bas, die bisher aber eher kirchenfreundlich auftraten: Die Arbeitsministerin ist Schirmherrin des Malteser-Hospizes Sankt Raphael in Duisburg-Huckingen, der Verteidigungsminister wirkte 2023 beim kleinen Ökumenischen Kirchentag in Osnabrück mit und nannte das Kirchenasyl eine wichtige humanitäre Tradition. Indes wird die hohe Katholikenquote der Unions-Ministerriege (CDU: Thorsten Frei, Nina Warken, Patrick Schnieder; CSU: Alexander Dobrindt, Dorothee Bär, Alois Rainer) bei nur zwei Protestanten (Johann Wadephul, Katherina Reiche) getrübt durch den plumpen Angriff ausgerechnet der theologisch vorgebildeten CDU-Bundestagspräsidentin auf politisch-ethische Interventionen der Kirchen. CSU-Chef Markus Söder verstieg sich sogar zu der kaum verhohlenen Drohung, Bayern zahle einige kirchliche Gehälter und die Union unterstütze politisch die Kirchen – „Nicht, dass irgendwann man ganz plötzlich alleine steht!“ Merke: Nicht überall, wo „C“ draufsteht, muss es auch drin sein. Dass die zwei expliziten Bezüge auf die „christliche Sozialethik“ im alten CDU-Grundsatzprogramm von 2007 im neuen von 2024 getilgt sind, passt ins Bild.

Den „Humanistischen Pressedienst“ treiben jedoch ganz andere Sorgen um: Er empörte sich, dass die evangelische Regionalbischöfin Petra Bahr Staatssekretärin im Bildungs- und Familienministerium wird, was „die Verflechtung von Staat und Religion bedenklich vertieft“, und dass mit Wolfram Weimer ein Mann Kulturstaatsminister im Kanzleramt werde, „der Religion als Segen für die Gesellschaft feiert“. Die Trennung von Kirche und Staat als „grundlegendes Prinzip der deutschen Verfassung“ dürfe „nicht missachtet werden“. Man frage sich ja schon, „wann Kardinal Marx zum Staatssekretär im Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt berufen wird“. Dass „75 Prozent aller Minister um Gottes Hilfe bei ihrer Amtsführung gebeten“ hätten, obwohl nicht mal die Hälfte der Deutschen einer Kirche angehörten, lasse „diese Bundesregierung als nicht repräsentativ für unser Land“ erscheinen. Gegen diese Art Negativ-Konfessionalismus, die offenbar eine religiöse Quotierung der Bundesregierung erwartet wie in der Kirchenkonkurrenz der Fünfzigerjahre, muten die unterkomplexen Rechenspiele christlicher Medienmacher geradezu säkularisiert an. Kämpferischer Atheismus ist eben doch von einer quasi-religiösen Inbrunst, die mit obskuren integralistischen Kirchen-Subkulturen gut mithalten kann.

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