„Wir brauchen ihr Predigen und ihre Beteiligung“

Der Dominikaner Timothy Radcliffe ist mitverantwortlich dafür, dass die Weltsynode als geistliches Geschehen gelingt. Er erklärt, was zu tun ist, wenn der Heilige Geist unsere Zeitvorstellungen sprengt. Die Fragen stellte Stefan Orth.

Mann mit Bibel in der Hand
© Pixabay

Welcher Moment hat Sie im weltweiten synodalen Prozess bisher am meisten bewegt?

Timothy Radcliffe: Ein Moment war, als uns beim Treffen der Weltsynode im vergangenen Oktober eine junge Frau erzählte, dass ihre bisexuelle Schwester Suizid begangen hat, weil sie sich in der Kirche nicht willkommen fühlte. Die ganze Vollversammlung war von tiefem Mitgefühl und Trauer erfüllt. Die meisten von uns spürten in diesem Moment die Notwendigkeit, die Türen der Kirche weit zu öffnen, damit alle willkommen sind. Ich bin auch tief berührt von dem gleichermaßen anhaltenden wie geduldigen Engagement zweier Frauen für das Vorankommen der Synode: der renommierten Erfurter Kirchenrechtlerin Myriam Wijlens und Anna Rowlands, eine großartige Theologin von der Universität Durham. Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Synode ohne sie gearbeitet hätte ... und natürlich ohne den Heiligen Geist!

Wie groß ist die Gefahr, sich mit dem Verweis auf den Heiligen Geist der Lösung konkreter Sachfragen zu verweigern?

Radcliffe: Der Papst hat immer wieder erklärt, dass der Heilige Geist der Protagonist der Synode ist. Ja, der Heilige Geist wirkt langsam, eher organisch und oft unmerklich. Zwischen der Verheißung Gottes an Abraham und Sara, dass sie ein Kind bekommen würden, und der Geburt Isaaks vergingen Jahrzehnte. Am Tag nach der Auferstehung Jesu hat das Römische Reich genauso weitergemacht wie am Tag zuvor, und zwar für weitere dreihundert Jahre! Natürlich warten wir ungeduldig auf Veränderungen. Ich fühle mit den Frauen, die um die Mitgliedschaft in der Kirche ringen! Aber der Versuch, die Initiative zu ergreifen und die Dinge nach unseren eigenen Vorstellungen zu beschleunigen, würde zu Spaltung und Schisma führen. Entweder man glaubt, dass der Heilige Geist in der Kirche am Werk ist, und bleibt dabei. Oder man tut es nicht, und dann hat unser Glaube keine Grundlage.

Inwieweit ist es überhaupt möglich, über Synodalität nachzudenken, ohne auf inhaltliche Fragen zu stoßen? Wo sehen Sie den größten Reformbedarf in der katholischen Kirche?

Radcliffe: Die Stimme der Frauen muss in unseren Kirchen deutlicher zu hören sein. Schon heute wird die Theologie oft von Frauen geschrieben. Aber wir brauchen ihr Predigen und ihre Beteiligung an der Entscheidungsfindung. Wie dies geschehen kann, ist eine der großen Herausforderungen der Synode. Die andere ist, wie die Kirche interkulturell werden kann, um es mit den Worten von Papst Benedikt XVI. zu sagen. Wir im Westen sind versucht, von der Synode zu erwarten, dass sie unsere Anliegen befördert. Aber hören wir zum Beispiel wirklich auf unsere afrikanischen Brüder und Schwestern? Die zukünftige Kirche wird größtenteils aus Afrikanern und Asiaten bestehen. Daran sollten wir uns gewöhnen.

In den Orden gibt es eine lange Tradition der Mitbeteiligung auch an Entscheidungen. Was können sie in die Weltkirche einbringen?

Radcliffe: Ich kann nur für die Dominikaner sprechen. Wir haben eine Regierungsform, die auf die Gemeinschaft setzt. Alle wichtigen Entscheidungen werden durch Abstimmung getroffen. Das setzt eine große gegenseitige Aufmerksamkeit und ein gutes Zuhören voraus, das uns über Parteipolitik hinausführt oder zumindest hinausführen sollte. Der Gegensatz zwischen Konservativen und Progressiven, der für die Politik in Staaten so charakteristisch ist, ist dem Katholizismus zutiefst fremd. Denn auch der Fortschritt bedeutet eine Rückkehr zu den Evangelien und der Tradition auf eine neue und kreative Weise.

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