Ein Jahr Ukraine-KriegBrückenbauer gesucht

Isabel Barragán
Isabel Barragán, freie Journalistin© privat

Wie hältst du's mit der Religion? Die Frage ist für orthodoxe Christen vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs besonders heikel. Kyrill I. ist mit dem russischen Präsidenten eng verbunden. In seinen Predigten verteidigt der russische Patriarch seit Monaten den Einmarsch der russischen Truppen und klassifiziert sie als Märtyrer. So versprach er russischen Soldaten die Vergebung all ihrer Sünden, wenn sie im Krieg ihr Leben opfern. Zu Wladimir Putins 70. Geburtstag bezeichnete er den Präsidenten als einen „dem Vaterland selbstlos ergebenen“ Führer, den Gott mit Macht ausgestattet habe, um seinem Volk zu dienen. Kyrill I. legitimiert damit den russischen Angriffskrieg nicht nur. Er provoziert damit auch eine weitere Spaltung.

In der Ukraine war die Situation bereits vor dem russischen Angriff kompliziert. Seit 1990 gab es in der Ukraine eine eigene Ukrainisch-Orthodoxe Kirche, die bis 2022 zum Moskauer Patriarchat gehörte. Drei Monate nach dem Angriff sagte sie sich von Moskau los. Kritiker werfen der Kirche vor, Russland immer noch nahezustehen, da sie sich in ihrer Erklärung nicht ausdrücklich als autokephal – und damit als eigenständig – bezeichnete. Daneben besteht seit 2019 die unabhängige Orthodoxe Kirche der Ukraine, die – gegen russische Proteste – vom Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel anerkannt wurde.

Im März 2023 könnte sich die Lage weiter verschärfen: Dem ukrainischen Parlament liegt ein Gesetzesentwurf vor, der ein Verbot von russisch-gelenkten Glaubensgemeinschaften vorsieht. Die Verabschiedung des Gesetzes gilt als wahrscheinlich. Der Kreml kritisierte den Vorstoß bereits als Verstoß gegen die Religionsfreiheit. Die selbstpropagierte Märtyrerrolle Russlands könnte eine solche Entscheidung weiter befeuern.

Orthodoxe Kirchen in Russland und der Ukraine sind inzwischen so tief verstrickt, dass sie zwischen den politischen Fronten kaum noch vermitteln können. Umso wichtiger ist es nun, dass westliche Kirchen sich von jener polarisierenden Kriegsrhetorik nicht vereinnahmen lassen.

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