BundesregierungGesellschaftspolitische Reformen "on hold"

Vor der Sommerpause ist nach der Sommerpause. In diesem Fall ist es die des Bundestags sowie des Bundeskanzlers und der Minister, die sich nun oder in Kürze in den Urlaub verabschieden. Bei der alljährlichen Sommerpressekonferenz kurz davor versuchte Kanzler Olaf Scholz den Eindruck zu vermitteln, viele wichtige gesellschaftspolitische Vorhaben seien auf einem guten Weg. Dabei stocken etliche Reformen, die nach ursprünglichem Plan längst beschlossen sein sollten.

Kuppel des Reichtags in Berlin
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Da ist etwa das Selbstbestimmungsgesetz. Die Ampel-Koalition will das rund 40 Jahre alte Transsexuellengesetz abschaffen und es durch eine neue Regelung ersetzen. Der Entwurf für das Selbstbestimmungsgesetz sieht eine einheitliche Regelung vor, damit trans- und intergeschlechtliche sowie nicht-binäre Menschen, ihren Geschlechtseintrag und Vornamens ändern lassen können. Dazu reicht es, wenn sie künftig allein vor dem Standesamt erklären. Es geht bei der Reform nicht um geschlechtsangleichende Operationen.

Bereits vor gut einem Jahr stellte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) Eckpunkte vor. Ende April hatten sich Bundesfamilien- und Bundesjustizministerium auf einen gemeinsamen Entwurf geeinigt. Den wollte die Regierung noch vor der Sommerpause auf den Weg bringen. Daraus wurde nichts, weil auf der Zielgeraden Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Bedenken anmeldete. Mit dem Gesetz würde der Staat einen praktisch voraussetzungslosen Identitätswechsel ermöglichen, heißt es aus ihrem Ministerium. Dies könnten sich auch Kriminelle zunutze machen und so ziemlich mühelos untertauchen. Daher liegt dieser Entwurf erst einmal "on hold".

Hingegen ist schon länger klar, dass das Bundesfamilienministerium noch am Entwurf für die Einführung einer Kindergrundsicherung arbeiten muss und das Kabinett daher nicht mehr vor der Sommerpause darüber beraten kann. Bereits zu Jahresbeginn hatte Paus nähere Angaben dazu gemacht und entsprechende Eckpunkte wurden öffentlich. Demnach sollen in der Kindergrundsicherung nach bisherigen Plänen das Kindergeld, der Kinderzuschlag, das Bürgergeld für Kinder sowie Teile des Bildungs- und Teilhabepakets zu einer einheitlichen Leistung zusammengefasst werden.

Auch hier kam ein Stopp. Diesmal von Seiten des Bundesfinanzministers Christian Lindner (FDP), der zwar keine Einwände gegen die Bündelung und Digitalisierung der Leistungen hat. Jedoch will er dafür nicht viel Geld in die Hand nehmen. Inzwischen räumt auch Paus ein, dass sie statt mit zwölf Milliarden Euro mit einer sehr viel kleineren Summe rechnen muss. Auch mit der Digitalisierung gibt es Probleme, die Arbeiten dauerten länger als ursprünglich angekommen, so Paus. An einer Einführung Anfang 2025 hält sie aber fest. Das Kabinett will im August darüber beraten, heißt es.

Nicht vorgesehen waren erhebliche Einschnitte im Haushalt des Familienministeriums, die nun für neuen Wirbel sorgen. Paus will die Einsparungen dadurch erreichen, dass sie Einkommensgrenzen für den Bezug von Elterngeld von 300.000 Euro auf 150.000 zu versteuerndem Jahreseinkommen begrenzt. Die prompte Kritik daran ließ nicht lange auf sich warten.

Parallele Diskussionen zur Abschaffung des Ehegattensplittings, die der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil ins Spiel brachte, erteilte der Bundeskanzler unterdessen eine Absage. Das sehe der Koalitionsvertrag nicht vor, erklärte er in der Sommerpressekonferenz. Vorgesehen ist dort aber, die Abschaffung der Steuerklassen 3 und 5, die in die Steuerklasse 4 überführt werden sollen. Durch ein Faktorverfahren sollen Ehepaare aber weiterhin begünstigt werden. Vor allem viele Grüne bezeichnen diesen Schritt schon als "Anfang für einen kompletten Ausstieg". Bei dieser "Abschaffung light" sei man schon sehr weit, ließ Paus vor kurzem verleiten.

Ebenfalls "on hold" liegt dagegen der Gesetzentwurf zur Aufwertung des Amtes der Missbrauchsbeauftragten Kerstin Claus. Der ursprüngliche Zeitplan sah vor, dass diese Reform vor der Sommerpause innerhalb der Regierung "geeint" sein solle. Auch das ist nicht geschehen. Der Entwurf liege ebenfalls beim Bundesfinanzminister, ist aus gut informiereten Kreisen zu hören. Ihn störe besonders, dass es weiterhin Bundesmittel für den Fonds zu sexuellem Missbrauch geben solle, mit dem für Betroffene vor allem Therapien bezahlt werden sollen, heißt es.

Ein ganz anderes Projekt, das die Ampel sich vorgenommen hatte, liegt ebenfalls auf Eis: die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen. Bei der Abschaffung der Leistungen, die eine Art Entschädigung dafür darstellen, dass bei der Säkularisation 1803 viel Kirchenbesitz verstaatlicht wurde und die jährlich etwa 600 Millionen Euro betragen, gab es seitens der Kirchen gute Gespräche, so ist zu hören. Nun blockieren die Bundesländer, die für die konkrete Ablösung zahlen müssen.

Von Birgit Wilke
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