Menschen und BücherMein Vorbild: Anselm von Canterbury

Als ich 1964 ins Kloster eintrat, habe ich mir den hl. Anselm von Canterbury (1034–1109) als Klosternamen ausgesucht. Seither habe ich mich immer wieder mit ihm beschäftigt und er ist mir in vielerlei Hinsicht Vorbild geblieben.

Mein Vorbild: Anselm von Canterbury
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Leben und Handeln

Anselm ist ein europäischer Mensch, in Italien geboren, in Frankreich war er Abt und schließlich in England Erzbischof von Canterbury. Schon früh geht er auf Wanderschaft, zuerst nach Burgund, später zieht es ihn ins Benediktinerkloster Bec. Dort war er zunächst Schüler, trat mit 27 Jahren ins Kloster ein, wurde nach drei Jahren zum Prior und als 45-Jähriger dann zum Abt. Durch seinen früheren Lehrer Lanfranc, der seit 1070 Erzbischof von Canterbury war, hatte Anselm Kontakte nach England. Dort war er bald hochgeschätzt, so dass er mit 60 Jahren zum Nachfolger von Lanfranc gewählt wurde. In England wurde er in die politischen Auseinandersetzungen zwischen dem Papst und dem englischen König hineingezogen. Dreimal musste er für einige Zeit in die Verbannung, bis er schließlich ein paar Jahre vor seinem Tod endgültig Frieden schließen konnte zwischen Papst und König. Das war das äußere Tun. Wichtiger ist mir der Geist Anselms.

Drei geistige Aspekte

Einmal ist mir Anselms Verständnis von Theologie bedeutsam, insbesondere sein Grundsatz: fides quaerens intellectum = der Glaube sucht nach Einsicht. „Intellectus“ kommt von „intus legere“, nach innen lesen, mit dem Herzen lesen und das innere Wesen der Dinge lesen. Anselm versucht, Vernunft und Glauben miteinander zu verbinden. Für ihn ist der Glaube das Erste, aber dieser Glaube braucht auch rationale Gründe. Wir dürfen nicht gegen unsere Vernunft irgendetwas glauben. Der Glaube übersteigt die Vernunft, aber er ist nicht gegen die Vernunft. Zum zweiten: Anselm entfaltet seine Theologie aus dem Gebet heraus. So beginnt er seine Schrift „Proslogion“, in der er den sogenannten ontologischen Gottesbeweis entwickelt, mit den Worten: „Auf denn, Erdenkind, flieh ein wenig deine Arbeit, verbirg dich eine Weile vor deinen lärmenden Gedanken! Wirf jetzt die lastenden Sorgen ab und stelle die mühevollen Zerstreuungen zurück! Mach dich ein Weilchen frei für Gott und ruhe ein wenig in ihm!“ Der dritte Aspekt leitet auch mich selber beim Schreiben. Anselm schreibt seine theologischen Abhandlungen immer auf Anfragen von Freunden. Er antwortet also mit seinen Schriften auf die Fragen von Menschen. Manche Theologen entwickeln ihre Theologie in ihrem „elfenbeinernen Turm“, getrennt von den Menschen. Doch wahre Theologie ist immer Dialog mit den Menschen, der Versuch, auf ihre Fragen zu antworten. Zuerst kommt also die Frage und dann erst die Antwort.

Friedliche Liebenswürdigkeit

Dem hl. Edmar, einem Schüler von Anselm, verdanken wir die erste Lebensbeschreibung Anselms. Er nennt ihn den liebenswürdigsten Menschen seiner Zeit. Obwohl er in viele kirchliche und politische Auseinandersetzungen hineingezogen wurde, hat er diese Liebenswürdigkeit immer behalten. Das war auch der Grund, warum er immer wieder bei Konflikten gebeten wurde, Frieden zu stiften. So ist Anselm von Canterbury für mich nicht nur ein Vorbild, sondern eine Herausforderung, durch Gebet und durch Schreiben zu dem inneren Frieden zu gelangen, den dieser Heilige offensichtlich ausgestrahlt hat.

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