Lob der SchöpfungDer Sonnengesang des Franziskus

Der wunderbare Sonnengesang gehört zur klassischen italienischen Literatur. Franz von Assisi hat ihn wenige Jahre vor seinem Tod gedichtet, als er schon sehr krank war und kaum mehr etwas sehen konnte. Bis heute entfaltet er seine Wirkung. Der Titel der Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus machte 2015 diesen Titel zum Programm einer notwendigen globalen Hinwendung zur Schöpfung, zu einem Umdenken aus Sorge um das gemeinsame Haus der Erde.

Der Sonnengesang des Franziskus
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Höchster, allmächtiger, guter Herr,
dein ist das Lob, die Herrlichkeit und Ehre und jeglicher Segen. Dir allein, Höchster, gebühren sie
und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen.

Gelobt seist du, mein Herr,
mit allen deinen Geschöpfen,
besonders dem Herrn Bruder Sonne
der uns den Tag schenkt und durch den du uns leuchtest. Und schön ist er und strahlend mit großem Glanz:
von dir, Höchster, ein Sinnbild.

Gelobt seist du, mein Herr,
für Schwester Mond und die Sterne.
Am Himmel hast du sie geformt,
klar und kostbar und schön.

Gelobt seist du, mein Herr,
für Bruder Wind,
für Luft und Wolken und heiteres und jegliches Wetter,
durch das du deine Geschöpfe am Leben erhältst.

Gelobt seist du, mein Herr,
für Schwester Wasser.
Sehr nützlich ist sie
und demütig und kostbar und keusch.

Gelobt seist du, mein Herr,
für Bruder Feuer,
durch den du die Nacht erhellst.
Und schön ist er und fröhlich und kraftvoll und stark.

Gelobt seist du, mein Herr,
für unsere Schwester Mutter Erde,
die uns erhält und lenkt und vielfältige Früchte hervorbringt,
mit bunten Blumen und Kräutern.

Gelobt seist du, mein Herr,
für jene, die verzeihen um deiner Liebe willen,
und Krankheit ertragen und Not.
Selig, die ausharren in Frieden,
denn du, Höchster, wirst sie einst krönen.

Gelobt seist du, mein Herr,
für unsere Schwester, den leiblichen Tod;
kein lebender Mensch kann ihm entrinnen.
Wehe jenen, die in tödlicher Sünde sterben.
Selig, die erfinden wird in deinem heiligsten Willen,
denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun.

Lobet und preiset meinen Herrn
und dankt und dient ihm mit großer Demut.

Franz von Assisi (1182–1226)
übersetzt von Leonhard Lehmann

Der wunderbare Sonnengesang gehört zur klassischen italienischen Literatur. Franz von Assisi hat ihn wenige Jahre vor seinem Tod gedichtet, als er schon sehr krank war und kaum mehr etwas sehen konnte. Bis heute entfaltet er seine Wirkung. Der Titel der Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus machte 2015 diesen Titel zum Programm einer notwendigen globalen Hinwendung zur Schöpfung, zu einem Umdenken aus Sorge um das gemeinsame Haus der Erde.

Ich spüre in diesem Sonnengesang die große Zärtlichkeit, mit der Franziskus der Schöpfung begegnet. Gottes Lob drückt sich konkret aus: durch eine zärtliche Beziehung zu Sonne, Mond und Sternen, Erde, Feuer und Wasser. Alle Geschöpfe nennt Franziskus Bruder und Schwester. Dabei geht er natürlich von den italienischen Worten aus. Da ist die Sonne männlich und der Mond weiblich. Alle Geschöpfe sind für Franziskus Geschwister, die auf gleicher Ebene stehen. So fühlt sich Franziskus mit den Geschöpfen der Welt verbunden. Er spürt eine innere Verwandtschaft mit dem ganzen Kosmos. Und er nimmt in den Geschöpfen den Schöpfer wahr, der sie aus Liebe geschaffen und mit seiner Liebe durchdrungen hat. Wenn ich dieses schöne Gedicht  lese, dann spüre ich in mir schon eine innere Verwandlung. Da kann ich die Natur als vertraute Schwester oder Mutter erleben. In dieser Vertrautheit kann ich mit der Schöpfung nur zärtlich und achtsam umgehen. Von der Schöpfung her schaut Franziskus in der vorletzten Strophe auf die Menschen. Historiker vermuten, diese Strophe habe Franziskus hinzugefügt, als es einen Konflikt der Gläubigen mit dem Bischof von Assisi gab. Die Schönheit und der Friede der Schöpfung gehen verloren, wenn die Menschen gegeneinander kämpfen. Versöhnung und Frieden werden nur möglich, indem die Menschen einander vergeben.

In der letzten Strophe, die Franziskus erst kurz vor seinem Tod hinzugefügt hat, bittet er darum, den Tod gut zu sterben. Er nennt den Tod seinen Bruder, der ihn über die Schwelle zu Gott führen wird. Der Tod mahnt uns, jetzt gottgemäß zu leben. Dann wird er uns nicht schaden. Franziskus hat sich – wie sein Biograph Celano berichtet – den Sonnengesang von einigen Brüdern vorsingen lassen, als er selber sterbend auf seiner Matte lag. Er war von dem tiefen Glauben durchdrungen: Der Gott, der die Schönheit des Kosmos geschaffen hat, wird für mich im Tod die unbeschreibliche Schönheit der Ewigkeit aufstrahlen lassen.

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