Atemlos durch das Leben?

Valentin hatte sich noch lustig gemacht: „Tag und Nacht geöffnet – das Siegestor in München“. Heute ist das nicht nur zum Lachen. „24/7“ ist das Kürzel unserer Zeit. Erst sah man es nur in Amerika an Geschäften oder bei Dienstleistungsanbietern, jetzt immer öfter auch bei uns. Das Versprechen: 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche zur Verfügung zu stehen. Tag und Nacht. Also immer.

Klar: Von Notdiensten, von der Feuerwehr, der Polizei haben wir immer schon erwartet, dass sie erreichbar und einsatzbereit sind. Denn es kann immer etwas passieren. Aber das sind Ausnahmen, Notsituationen. Die Ausnahme, das Extrem, ist heute zur Regel geworden und Alltag. „Immer zu Diensten“, das ist der Service der modernen Konsumangebote. Und wir sind nicht nur seine Nutzer, sondern und seine Dienstboten. Es ist einerseits wunderbar bequem, dass Maschinen keinen Feierabend brauchen und keinen Urlaub. Aber es geht nicht nur um Maschinen. Es geht um uns.

Seit das Internet aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken ist, sind wir alle in Mitleidenschaft gezogen. „Hochverfügbarkeit“ nennt man das in der Marketingsprache. Tag und Nacht, natürliche Rhythmen sind seit langem vom Tempo der Welt überrollt. Die digitale Welt aber hat ein Netz von permanenter Allgegenwärtigkeit über unseren Alltag gelegt.

Atemlosigkeit gehört zum modernen Lebensgefühl. „Atemlos durch die Nacht“, gesungen von Helene Fischer, ist einer der erfolgreichsten Popsongs der letzten Jahre. Das Versprechen heißt: neue Eindrücke, Intensität. Immer, und am besten sofort. Alles ist machbar: Vor kurzem war im Internet die Werbung einer amerikanischen Zeitarbeitsfirma, die Arbeitskräfte rund um den Globus und rund um die Uhr anbietet: „Wenn dein Mittagessen aus einem Kaffee besteht,… wenn Schlafentzug die Droge deine Wahl ist. Dann bist du vielleicht ein „Macher“. In den Videos für diese Kampagne greifen die smarten jungen Models auch noch auf dem Klo und beim Sex zum Handy.

Pause ist das Gegenteil von permanenter Atemlosigkeit. Anapausis, das griechische Wort meint: Aufatmen. Luft schöpfen. Leben spüren. Sich Zeit nehmen. Den eigenen Rhythmus finden. Pausen sind ein sinnvolles „Dazwischen“: Zwischen Arbeit und freier Zeit. Zwischen Beruf und Familie. Zwischen Produzieren und Genießen. Zwischen Tun und Lassen. Zwischen Spiel und Anstrengung. Zwischen Planen und Tanzen. Leben, das einem Rhythmus folgt, hat mehr Charme. Und ist gesünder. „Leben ist Tanzen“, sagt Snoopy. Und Leben ist Musik. Mit Dissonanzen, Harmonien – und Pausen.

Auszeit – ein missverständliches Wort: als wäre man nur dann „in“ der Zeit, wenn man sich Zwecken anderer und vorgegebenen Pflichten unterwirft. Zeit ist immer Lebenszeit, meine Lebenszeit. Und ich bin mir am nächsten, wenn ich nicht entfremdet, nicht verkauft, nicht verzweckt bin. Wenn ich innehalte und zu mir komme. Pausen sind auch keine verlorene oder gar nutzlose Zeit: Tue weniger, erreiche mehr, das ist die Philosophie der Pause. Arbeitspsychologen sagen sogar, dass man Spitzenleistungen nur mit Pausen erreicht und die Fehlerquote mindert, wenn man nicht permanent durchpowert. Zeiten für Bewegung, für einen kurzen Plausch mit Mitmenschen, für den mittäglichen Kurzschlaf, für Meditation, für Entspannungsrituale, für einen Spaziergang in der Natur machen kreativer, konzentrierter. Da kann das Gehirn Informationen verarbeiten, einordnen, neue Zusammenhänge herstellen, schöpferisch werden.

Pausen sind im Übrigen so vielfältig wie das Leben selber – die Sprache selber sagt es: Atempausen helfen leben, Denkpausen führen weiter. Pinkelpausen sind natürlich. Und auch Zwangspausen gibt es, die uns freier machen.

Ja, sogar das Vergnügen braucht seine Pausen, um wirklich zur Freude, zum Glück zu werden: Nietzsche macht sich über eine bestimmte Sorte von Vergnügungsreisenden lustig: „Sie steigen wie Tiere den Berg hinauf, dumm und schwitzend; man hatte ihnen zu sagen vergessen, dass es unterwegs schöne Aussichten gebe.“ Zum Glück gibt es Pausen. Immer wieder. Ist das nicht die schönste aller Aussichten?

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