Wie einfach? Wie einfach!

Natürlich gibt es die auch: die Leute, die mit dem schweren Geländewagen zum Ökowinzer fahren, die mit dem Manufactum-Spaten für 500 Euro, „Flugrost inklusive“, zum einfachen Leben zurückkehren und – der neueste Schrei in der Schicki-Micki-Gesellschaft – „einfach mal ein Butterbrot“ essen. Und man kann sich auch mokieren über all die Rucksacktouristen, die „einfach leben auf Zeit“ spielen und teure Flüge in unterentwickelte Regionen unserer Erde buchen, selbstverständlich mit Rückflugticket.

Aber ist „einfach leben“ nur ein modischer Trend? So wie Volksmusiksendungen und Landlustprodukte oder Kochsendungen im Fernsehen boomen, obwohl Fastfood, zersiedelte Dörfer und Diskokultur die Wirklichkeit bestimmen? Ist die Rede vom „einfach leben“ nur ein kitschiges Abziehbild von etwas, was es längst nicht mehr gibt?

Immerhin: Allensbach hat vor einigen Jahren eine Umfrage gemacht, nach der die Mehrheit der Befragten sich wünscht, das Leben sollte etwas einfacher sein oder werden.

Unsere Welt ist heute schwieriger, komplizierter, schneller, verdichteter, unübersichtlicher. Wir sind reicher geworden. Wachstum, Leistung, Konsum heißen die Schlagworte. Aber der Überfluss wirft auch Schatten. Ständige Steigerungsraten, permanente Anforderung, Beschleunigung aller Abläufe – das hat seinen Preis. Burnout ist die Krankheit unserer Tage.

Das Unbehagen wächst – und das Gefühl, dass da etwas „falsch läuft“ in unserem eigenen Leben und der Welt insgesamt. Das zeigt sich in der Klimafrage und angesichts des Flüchtlingsdramas. Es wächst das Gefühl, dass „einfacher leben“ ein Schlüssel für Veränderung in die richtige Richtung sein könnte.

„Einfach leben“ ist ja nicht Armut. Armut ist Dürre, Verhinderung. Leben ist Differenzierung, Entfaltung, Blühen. „Einfach leben“ meint etwas Positives: Lebensqualität, Lebenskunst, Lebenslust.

„Einfach leben“ betrifft Einzelne, aber nicht nur. Es ist nicht nur etwas für Aussteiger, die aus der Gesellschaft flüchten und nach einer Karriere in der Investmentbank (und mit einer hohen Abfindung) auf einer Alp Kühe hüten und selber Käse machen. Es meint eine neue Sicht auf das gelebte Leben, einen Lebensstil der Bewusstheit. Aber nicht als allgemeingültige Generalformel. Von ganz unterschiedlichen Perspektiven, Erfahrungen und Möglichkeiten muss die Rede sein. „Einfach“ leben, das kann ja zweifach betont werden: Einfach leben. Und: Einfach leben.

Henri David Thoreau (1817-1892), der amerikanische Vordenker und Prophet des einfachen Lebens (Autor von „Walden oder das Leben in den Wäldern“), hat es einmal so ausgedrückt „Nah am Knochen schmeckt das Leben am süßesten.“

Einfach leben meint: Was ist wesentlich? Was stellt mich wirklich zufrieden? Und worauf kann ich verzichten? Leben klärt sich, wenn nicht der Zweck, die Nützlichkeit im Zentrum steht, sondern der Sinn. „Nicht was wir anhaben, sondern was wir tun, vielmehr was wir sind – darauf kommt es an!“ (Thoreau).

Und einfach leben meint: Selber leben. Sich nicht zum Sklaven anderer Zwecke machen und nicht zur Arbeitsmaschine werden. Sein ureigenes, gesundes Maß finden. Genießen. Sich Zeit lassen und Luft zum Atmen. Merken, wie viel auch ohne unser Zutun passiert. Freude suchen. Selbstvergessen, aber auch achtsam auf sich selber sein. Naturnah leben. Wieder Thoreau: „Es ist wahr, ich habe der Sonne nie sonderlich beim Aufgehen geholfen, doch war allein schon meine Anwesenheit bei diesem Ereignis von allerhöchster Wichtigkeit.“

Einfachheit ist übrigens nicht Askese bei Brot und Wasser. Der Zürcher Literat Carl Seelig besuchte den Dichter Robert Walser regelmäßig in der appenzellischen Pflegeanstalt Herisau, um mit ihm zu wandern. Einmal war ein Ausflug nach Rapperswil geplant. Da meinte Walser nur: „Weshalb Forellen in Rapperswil essen, wenn wir im Appenzellerland Speck haben können?“

Ja, warum eigentlich? Zufriedenheit vereinfacht das Leben. Einfach leben ist vielleicht nicht immer leicht. Aber es macht manches leichter.

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