Der Einzelne in einer Klostergemeinschaft

Sie gehören der gleichen Generation an, die in den 68er Jahren den Aufbruch auch in die Klöster trug. Der eine wurde Abt der Gemeinschaft, der andere Cellerar – und berühmtester Mönch des Klosters. Einordnung in eine Gemeinschaft und Individualität, das geht zusammen.

Anselm Grün: Der Einzelne in einer Klostergemeinschaft
Gemeinsam das gleiche Ziel verfolgen – der Weg der Mönche© Vier-Türme-Verlag / Andrea Göppel

Möglichst gut. Und möglichst miteinander

„Herr Abt, gibt es im Kloster auch Demokratie?“ Diese Frage von Journalisten hörte ich gerne, denn sie gab mir Gelegenheit, ein wichtiges Anliegen auf den Punkt zu bringen. Meist antwortete ich etwa so: „Nein, von Demokratie im Kloster halte ich nichts!“ Verwunderung, ungläubiges Staunen bei meinem Gegenüber. Ich fügte dann lächelnd und erläuternd hinzu: „Mit dem gängigen Politikstil, wie er in Berlin oder Washington oder Paris üblich ist, will ich jedenfalls nichts zu tun haben; damit hätten wir unser Kloster schon längst ruiniert.“ Der gängige Politikstil ist auch in Demokratien häufig – natürlich mit lobenswerten Ausnahmen – von Machtpoker geprägt. Und Machtpoker ist der Tod einer Gemeinschaft. Wenn ein Kloster gut funktionieren soll, lautet die entscheidende Frage: „Wie machen wir’s möglichst gut und möglichst miteinander?“

Die Stärkung des Wir

Wir haben in Münsterschwarzach eine große Gemeinschaft mit vielen verschiedenen Arbeitsbereichen und vielen internationalen Verbindungen. Deshalb heißt die entscheidende Frage nicht, wie der Abt das alles regeln kann, sondern wie es gelingt, dass jeder seine Kräfte und Fähigkeiten zum Wohl des Ganzen einbringt. Manchmal habe ich mit einem Schuss Selbstironie gesagt: „Zum Glück kann ich die vielen Aktivitäten bei uns nicht alle überschauen und kontrollieren. So haben die Einzelnen viel Freiheit in der Gestaltung ihrer Arbeitsbereiche.“ Obwohl es mir selber nicht an neuen Ideen mangelte, kam doch ein großer Teil der neuen Impulse aus der Kompetenz und Kreativität meiner Mitbrüder. Entscheidend ist, dass sich einzelne Arbeitsbereiche nicht zu selbständigen „Königreichen“ entwickeln, wie das in der Klostersprache heißt, denn diese Gefahr besteht immer und schon der heilige Benedikt hat davor gewarnt. Wichtig ist die Stärkung des Wir, das Interesse, einen Beitrag für das Ganze zu leisten und nicht in erster Linie für die eigene Profilierung zu sorgen.

Kommunikation und Rückhalt

Lebendige Kommunikation in verschiedenen Gruppen und auf verschiedenen Ebenen innerhalb der Gemeinschaft ist dazu eine unbedingte Voraussetzung und auch die Entwicklung einer gewissen Kultur der Auseinandersetzung, damit nicht problematische Themen unter den Teppich gekehrt werden oder sich zu Dauerbrennern auswachsen. Und schließlich profitiert jeder für seinen Arbeitsbereich auch von der enormen Infrastruktur unseres Klosters, also von der Solidarität der anderen Brüder, die am Gesamt der Klostergemeinschaft mitbauen und so einen Rahmen schaffen, in dem viel freie Entfaltung des Einzelnen möglich ist. Davon profitierte auch unser Pater Anselm Grün. Weit hin bekannt sind vor allem die Weite seines Geistes und sein weites Hinausgehen in die Welt, rund um den Globus. Gleichzeitig war er aber zu Hause fest verwurzelt mit seinem Amt als Cellerar. Und hier ging es oft um sehr Alltägliches: Gespräche mit unseren Handwerkern, Schlichten von Unstimmigkeiten in Arbeitsbereichen, Ärger mit Firmen, die keine gute Arbeit geliefert haben usw. Und er war in der Gemeinschaft akzeptiert, weil er nicht den Star gespielt, sondern einen einfachen Lebensstil gepflegt hat und sich mit jedem Mitbruder auch über Alltägliches und „Unwichtiges“ unterhalten konnte. Gleichzeitig profitierte er aber auch von der Gemeinschaft. Ohne diesen konkreten Rückhalt und ohne die vorhandene Infrastruktur, an der viele beständig mitbauten, wäre auch für Pater Anselm vieles nicht möglich gewesen. Das betont er auch selber immer wieder.

Sich gegenseitg in Liebe dienen

Eine Gemeinschaft lebt aber nicht nur von eindrucksvollen Persönlichkeiten und besonderen Begabungen. Es gibt bei uns Mitbrüder, die noch im hohen Alter bereit sind, täglich die Tische zu decken oder regelmäßig Papierkörbe und Mülleimer im Haus zu leeren oder dafür zu sorgen, dass die gemeinsamen Räume immer gut durchlüftet sind. Jeder noch so kleine Dienst in der Gemeinschaft, den auch manch alter oder kranker Mitbruder noch gerne leistet, verdient Wertschätzung, dieselbe Wertschätzung wie die weithin bekannten Aktivitäten von Pater Anselm. Von all diesen Beiträgen leben wir. Ihr friedliches Zusammenspiel ist unsere Kraft. Der heilige Benedikt betont immer wieder, dass die Brüder sich gegenseitig dienen sollen und dass sie einander in Liebe dienen sollen. Dieses alltägliche Miteinander und Füreinander ist damit auch der Test auf unser Beten und auf die Echtheit unserer Liturgie. Zeigt sich im Alltag etwas vom Geist der gemeinschaftlich gefeierten Eucharistie und vom Geist der Fußwaschung, der engstens damit verknüpft ist? Wir müssen auf diesem Feld noch viel lernen, aber wir sind auf dem Weg, weil wir wissen, dass nur das friedliche und wertschätzende Zusammenspiel aller Kräfte und Charismen die nötigen Ressourcen bereitstellt, um in heutiger Zeit Zukunft zu gestalten. Das gilt für ein Kloster, das gilt auch für unsere Kirche und unsere Gesellschaft: „möglichst gut und möglichst miteinander.“ Das wäre eine zukunftsträchtige Spielart von Demokratie: dass alle Macht, alle Kraft und Kreativität aus einem guten Miteinander entspringt.   

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