Sie sind Kinderyoga-Pionierin. Was genau bedeutet das? Wie sind Sie zum Kinderyoga gekommen?
Sibylle Schöppel (SSch): Ich wurde als zweites von sieben Kindern in Graz geboren und entdeckte schon sehr früh meine Liebe zur Arbeit mit Kindern. Nach meiner Ausbildung zur Kindergartenpädagogin betreute ich Kinder während eines Meditationsyoga-Seminars – diese Erfahrung war der Beginn meiner Yoga-Leidenschaft. Inspiriert von den „Yogis“ probierte ich im „stillen Kämmerchen“ erste Übungen aus und erkannte schnell ihre tiefgreifende Wirkung. Einen solchen inneren Frieden hatte ich zuvor noch nie empfunden – das war der Startschuss für meinen Yoga-Lebensweg. Ich absolvierte später eine Kinderyoga-Ausbildung in New York und lebte mehrere Jahre in Mexiko, wo ich die Praxis mit Kindern weiterentwickelte und viele wertvolle Erfahrungen sammelte. Zurück in Österreich setzte ich mir zum Ziel, Kinderyoga zu verbreiten und für möglichst viele Menschen erlebbar zu machen. So begann ich, in Kindergärten, Schulen und sozialen Projekten zu unterrichten, organisierte den ersten österreichischen Kinderyoga-Kongress und entwickelte eigenes Kinderyoga-Material. Seit 2007 gebe ich meinen Wissens- und Erfahrungsschatz aus über 20 Jahren Kinderyoga-Praxis in Aus- und Weiterbildungen mit großer Freude an Pädagog:innen, Eltern und Interessierte weiter. Yoga ist für mich Berufung, Herzensarbeit und ein Lebensweg – und diese Berufung begann ich schon sehr früh zu leben, zu einer Zeit, in der Kinderyoga noch kaum bekannt war. Das – und mein bisheriger „Kinderyoga-Weg“ – haben dazu geführt, dass ich heute im deutschsprachigen Raum zu den Kinderyoga-Pionieren zähle.
Was spricht dafür, Kinder bereits früh mit Yoga in Kontakt zu bringen?
SSch: Ich bin überzeugt: Je früher Kinder mit Yoga in Berührung kommen, desto nachhaltiger wirkt es – vor allem, wenn es regelmäßig praktiziert wird. Schon kleine Kinderyoga-Elemente, die immer wieder in den Alltag einfließen, können viel bewirken. Kinder nehmen schon sehr früh ganz intuitiv Yogahaltungen ein – wie den herabschauenden Hund oder die Kobra. Diese natürliche Bewegungs- und Experimentierfreude ist der ideale Ausgangspunkt, um sie spielerisch an Yoga heranzuführen. Kinderyoga unterstützt alle Bereiche der kindlichen Entwicklung – körperlich, geistig und emotional. Es fördert Beweglichkeit, Konzentration, Achtsamkeit und stärkt das Selbstvertrauen – um nur einige der vielen, inzwischen wissenschaftlich belegten Wirkungen von Kinderyoga zu nennen.
Welche drei Übungen können pädagogische Fachkräfte in der Kita ganz einfach mit den Kindern umsetzen?
Baumkrone, Äste und Vogelnest
Die Kinder verwandeln sich in einen Baum. Zuerst spüren sie ihre Wurzeln im Boden, während die Arme (Äste) im Wind hin und her schwingen. Dabei sprechen sie: „Als Baum steh ich da, verwurzelt und stark, ich wiege meine Äste im Wind hin und her, hin und her.“ Je nach Alter können die Kinder auch ihr Gleichgewicht trainieren: Sehr junge Kinder stellen beide Beine fest auf den Boden, ältere winkeln ein Bein an und legen den Fuß auf Knöchel, Unterschenkel oder Oberschenkel – das stärkt Konzentration, Balance und Körpergefühl. Für das Spiel gibt es drei Kommandos:
- „Äste“ – Arme seitlich ausstrecken,
- „Baumkrone“ – Hände über dem Kopf zur Spitze formen,
- „Vogelnest“ – Hände vor dem Bauch ineinander legen.
Erst die Positionen einzeln üben, dann die Kommandos durcheinander geben.
Berg, Sandhaufen und Vulkan
Alle stehen im Kreis in der Berg-Position (aufrecht stehen und die Arme über dem Kopf ausstrecken). Wieder gibt es drei Kommandos:
- „Sandhaufen“ – schnell in die Hocke gehen,
- „Vulkan“ – kraftvoll nach oben springen,
- „Berg“ – wieder aufstehen und die eigene Stabilität spüren.
Die Kommandos auch hier durcheinander geben. Dieses Bewegungsspiel unterstützt die Kinder dabei, sich zwischendurch auszupowern und fördert zugleich Reaktionsvermögen sowie Körperspannung. Danach fällt es ihnen meist deutlich leichter, sich wieder zu fokussieren und zu konzentrieren.
Große Sonnenatmung
Die große Sonnenatmung lässt sich im Sitzen oder Stehen ausführen. Sie ist eine Kombination aus Streckungs- und Atemübung und lässt sich jederzeit mit den Kindern praktizieren: Beim Einatmen strecken wir uns „hinauf zur Sonne, welch wunderbare Wonne“. Beim Ausatmen senken wir die Arme seitlich und „hüllen uns ein mit der Sonnenkraft, die alles schafft.“ Diese einfache Kinderyoga-Übung unterstützt Kinder darin, sich selbst zu spüren, ihre Gefühle zu regulieren und durch die positive Affirmation der Sonnenkraft innere Stärke und Zuversicht zu entwickeln.
VARIANTE: Beim Einatmen die Arme weit nach oben strecken und einen großen Kreis („Sonnenball“) über dem Kopf formen, die Handflächen zueinander drehen. Der Abstand zwischen den Händen kann dabei je nach Größe des gedachten Sonnenballs variieren. Beim Ausatmen die Hände vor dem Herzen zusammenführen.
Mein Name ist Sibylle Schöppel.
Ich leite das zertifizierte Bildungsinstitut Projog und arbeite als Ausbildnerin und Yoga-Lehrerin für Kinder, Jugendliche und Erwachsene (http://www.kinderyogaexpertin.at).
Das kann ich besonders gut: Kinderyoga lebendig und erlebbar machen – für Groß und Klein. Ich liebe es, kreativ zu sein und Menschen mit meiner Begeisterung für Yoga anzustecken.
Deshalb biete ich Kinderyoga an: Weil es mir ein Herzensanliegen ist, Kindern die wunderbaren Wirkungen des Yoga erfahrbar zu machen – spielerisch, kindgerecht und mit ganz viel Freude.
Meine Lieblingsübungen ist: Ich habe eigentlich keine Lieblingsübung – das hängt ganz von meiner Stimmung und davon ab, was ich gerade brauche. Manchmal tut mir ein ruhiger Flow gut, manchmal ein motivierender, kraftvoller. Aber ganz besonders liebe ich Pranayama, die Atemübungen – sie bringen mich sehr schnell in meine Mitte.
Solche Momente schätze ich an meiner Arbeit: Da gäbe es viel zu erzählen – aber zwei Momente berühren mich immer ganz besonders: Wenn ich in die Augen der Kinder sehe und spüre, dass sie ganz bei sich, in ihrem Körper, angekommen sind. Und wenn unsere Ausbildungsabsolvent:innen erzählen, wie viel sie nicht nur für ihre pädagogische Arbeit, sondern auch persönlich aus der Ausbildung mitnehmen konnten – das erfüllt mich jedes Mal mit großer Freude und Dankbarkeit.
Wenn ich nicht gerade Yoga betreibe, bin ich: Mama aus ganzem Herzen, kreiere gerne gesunde Rezepte, bin kreativ, vernetze mich, liebe Frauen- und Mantrenkreise und genieße die Natur.
Die Fragen stellte Rebecca Hönninger.