Sie sind eine Fachkraft für Gesellschaftsspiele. Was genau bedeutet das? Wieso gerade Gesellschaftsspiele?
Markus Böttcher (MBö): Eine Fachkraft für Gesellschaftsspiele lernt zuerst viele theoretische und praktische Elemente zum Thema „Einsatz von Brett- und Kartenspielen“. Sie kann dann zielgerichtet für Kitas, Schulen, Familien und Senior:innen Spielkonzepte anbieten, die auf deren Bedürfnisse zugeschnitten sind. Die Ausbildung zur Fachkraft für Gesellschaftsspiele erfolgt über die Brettspielakademie.
Gesellschaftsspiele sind ein altes Kulturgut, das leider im Rahmen der Bildung immer noch zu wenig Beachtung erhält, obwohl solche Spiele Fähigkeiten in vielen Bereichen wie Kommunikation und Sprache, Mathematik sowie sozial-emotionale Kompetenzen schulen. Spielende Menschen erlernen und trainieren beim Spielen z. B. Selbstwirksamkeit, Selbstorganisation und Impulskontrolle. Gleichzeitig begünstigen Gesellschaftsspiele den direkten und aktiven Austausch mit Spielpartner:innen und wirken aktiv gegen Vereinsamung.
Was macht Gesellschaftsspiele für Kinder so besonders? Wieso ist es wichtig, mit ihnen solche Spiele zu spielen?
MBö: Kinder sind gleich nach der Geburt ausgiebig damit beschäftigt, spielerisch ihre Umwelt zu erkunden: vom eigenen Körper zu Gegenständen, über Spielzeug, Freund:innen bis zum Sport. Gesellschaftsspiele sind der Weg, auf dem Kinder immer wieder Neues entdecken und besonders sich selbst sowie ihre Fähigkeiten schulen und erweitern können. Sie erforschen dabei in einer sicheren Umwelt, ähnlich einem sicheren Hafen, wie sie Einfluss auf eine Handlungsabfolge nehmen können. Sie stärken dabei ihr Selbstwertgefühl und testen sich spielerisch aus, wobei sie auch mal im Spiel böse und unfair sein können. Gleichzeitig sollen sie sich an klare Regeln halten. So lernen sie dabei, was es bedeutet, in einer Gruppe zusammenzuarbeiten. Genau dies fördert die oben genannten sozial-emotionalen Kompetenzen. Darüber hinaus bereiten sie sich damit auf ein besseres Standing in der Welt der Erwachsenen vor. Gesellschaftsspiele bringen Kinder dazu, aus ihrer eigenen Motivation heraus, sich auf Neues einzulassen, Spielregeln zu erlernen und ihre Kompetenzen freiwillig zu fördern. Je früher wir Kinder auf das Leben durch den Einsatz von Gesellschaftsspielen vorbereiten, desto besser sind sie auf Schule und berufliche Herausforderungen vorbereitet.
Welche Tipps würden Sie pädagogischen Fachkräften geben, die in der Kita mit den Kindern Gesellschaftsspiele spielen möchten?
MBö: Der gelingende Einsatz von Gesellschaftsspielen geschieht mit Organisieren und Planen durch Sie als pädagogische Fachkraft. Bereits beim Einkauf sollten Sie auf Einfachheit, geringe Materialfülle und eine ansprechende Optik achten. Ein wichtiges Element dabei, ist sich klarzumachen, dass Gesellschaftsspiele nicht sofort selbsterklärend sind, weshalb Sie diese den Kindern nicht allein überlassen sollten. Daher ist es wichtig, dass immer ein:e Erwachsene:r als Spielleitung unterstützend mit dabei ist, um auch im Spielen unerfahrene Kinder langsam an Gesellschaftsspiele heranzuführen.
Stellen Sie sicher, dass der Spielraum ein sicherer Erfahrungsraum ist und bleibt, ohne die Gefahr einer emotionalen Überforderung oder Angreifbarkeit durch Mitspielende, z. B. durch Auslachen. Nicht die Masse an Spielen ist notwendig, um erfolgreich zu sein. Ein einzelnes Spiel in größerer Stückzahl für mehrere Gruppen kann mehr bewirken als ein überquellender Schrank mit Spielen, die niemand nutzt. Zum Ende mein persönlicher Lieblingstipp: „Das Wichtigste am Spielen ist der Spaß dabei.“ Dazu passt folgendes Zitat des neuseeländischen Spieltheoretikers Brian Sutton-Smith (Grußworte zur Eröffnung des Deutschen SPIELEmuseums in Chemnitz, 1995):
„Menschen, die spielen, gehören zu den glücklichsten in unserer Welt. Spiel ist das Gegenteil von Langeweile haben oder ängstlich und bedrückt sein. [Menschen,] die spielen [gehören] zu den geistig gesündesten [Menschen, denn] für einen kurzen Augenblick sind wir alle unsterblich. […] Dass es tatsächlich ein Leben jenseits dessen gibt, was wir normalerweise führen. Dieses phantasievollere [sic] Leben ist modellhaft dargestellt in Spielen. In Spielen des Zufalls, in Spielen der Strategie und in Spielen der Fähigkeiten und der Fertigkeiten.“
Mein Name ist Markus Böttcher.
Ich bin gelernter Diplom-Sozialpädagoge, Grund- und Hauptschullehrkraft mit erstem Staatsexamen, Spielleiter und gelernte Fachkraft für Gesellschaftsspiele.
Ich leite Seminare für Kitas, Schulen und Erwachsenengruppen zum Thema „Durch Spielen … spielerisch lernen“.
Deshalb spiele ich heute noch gern Gesellschaftsspiele: Weil ich dabei ständig mit neuen Herausforderungen und Unwegsamkeit konfrontiert werde. Es geht beim Spielen um das Aushalten des Verlierens, aber auch um den „süßen Geschmack“ des Gewinnens. Dabei sehe ich das Gesellschaftsspiel als ein interaktives Medium, das beim Spielen alle Sinne herausfordert und etliche Kompetenzen schult.
Mein Lieblingsspiel ist u. a. das Kartenstichspiel „Der Große Dalmuti“ (Amigo 1996). Das Besondere an diesem Spiel ist, dass je nach Erfolg oder Misserfolg (wenn ich z. B. nicht rechtzeitig alle meine Karten loswerde) ich in meiner Rangfolge entweder als König, als Straßenvolk oder als Müllsammler dastehe. Diese Rangfolge kann sich jedoch von Runde zu Runde urplötzlich ändern – zur Schadenfreude der Mitspielenden.
Am liebsten spiele ich an diesen Orten: Für mich ist ein gelungener Spielort dort, wo ich mit anderen Spieler:innen neue sowie alte Spiele ausprobieren und genießen kann: zu Hause, bei Freund:innen oder in meiner selbst geschaffenen Spielgruppe („Projekt Spiel“) im Veranstaltungszentrum „Die Pumpe“ in der Kieler Innenstadt.
Als Kind habe ich diese Spiele besonders gern gespielt: Rollenspiele. Erst mit Adventurefiguren, dann mit eigener Verkleidung und später mit sog. Pen-&-Paper-Rollenspielen, bei dem man seinen eigenen Charakter auf Papier erschafft und mit seinen Mitspielenden verwunschene Ruinen, Verliese oder auch Science-Fiction-Welten erkundet.
Mein letztes Brettspiel, das ich gespielt habe, war: „Dungeon Designer“ (Pegasus 2024), bei dem die Person gewinnt, die das beste Monsterverlies baut.
Die Fragen stellte Rebecca Hönninger.