Taufe und KirchenzugehörigkeitÜberlegungen in ökumenischer Absicht

Taufbrunnen
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Abstract / DOI

Taufe und Kirchenzugehörigkeit. Nach einigen Überlegungen zum gegenwärtigen "Sitz im Leben" der Taufe in Kirche und Gesellschaft wird ein lebensbezogenes Verständnis der Taufe entwickelt. Es knüpft an die Vorstellung von der Taufe als Initiation in den Prozess oder Weg des Glaubens an. Schließlich münden diese Überlegungen in das Konzept der Taufe als gemeinschaftliches Geschehen, in dem das Glaubensleben nicht nur Sache des Einzelnen, sondern aller Gläubigen, d.h. der Weltkirche ist.

Baptism and Church Affiliation. After some observations on the current "place in life" of baptism in church and society, a life-related understanding of baptism is developed. It follows on from the idea of baptism as an initiation into the process or path of faith. Finally, these thoughts lead to the concept of baptism as a communal event in which the life of faith is not only a matter for the individual, but for all believers, i.e. the universal church.

«Stellen Sie sich vor, Sie wären eine Pastorin oder ein Priester und eine erwachsene, gerne auch junge Person kommt zu Ihnen und möchte sich taufen lassen. Sie führen mit ihr ein Taufgespräch, und dabei kommt heraus: Diese Person möchte ausschließlich in Ihrer Gemeinde getauft werden und empfindet auch nur hier ihre Zugehörigkeit zum Christentum. Eine Taufe in einer anderen Gemeinde könnte sie sich nur schwer vorstellen, und auf gar keinen Fall würde sie sich in einer anderen christlichen Konfession taufen lassen wollen, auch wenn es die einzige Möglichkeit wäre. Was würden Sie tun? Würden Sie diese Person taufen wollen?» Mit dieser Frage kann man – nach einer Weile des Schweigens in Irritation über die ungewöhnliche Fragestellung – äußerst lebhafte Diskussionen in Jugend- und Erwachsenenkatechese erzeugen. Dabei ist sie letztlich nur die perspektivische Umkehrung der ökumenisch bekannten Frage nach der Anerkennung der Taufe anderer Kirchen, zugespitzt auf den Zusammenhang von Taufe und Kirchenzugehörigkeit. Es wäre interessant gewesen, Erfahrungen dieser Diskussionen in einer Langzeitstudie aufzuzeichnen, was ich natürlich nicht gemacht habe. Aber man kann sich vorstellen, was dabei herauskäme: Der Zusammenhang von Taufe und Kirchenzugehörigkeit ist in den jüngsten drei Jahrzehnten zunehmend weniger im Blickfeld der Taufbegehrenden – seien es Erwachsene, Jugendliche oder Eltern, die ihre Kinder zur Taufe bringen wollen. Bis vor kurzem war es sogar so, dass gegenläufig zum Trend der Kirchenaustritte die Taufe – vor allem die Säuglingstaufe! – eine ungewöhnliche Beständigkeit aufwies.1 Die jüngste Kirchenmitgliedschaftsumfrage der EKD aus dem Jahr 2012, publiziert 2014,2 verzeichnet allerdings schon einen leichten Rückgang der Taufbereitschaft, der sich inzwischen verstetigt, wenn nicht sogar gesteigert haben wird. Interessant ist die Entwicklung der Präferenzen des Taufalters: Wiewohl ja die Säuglingstaufe in der landeskirchlich-evangelischen Kirche (wie in der katholischen und orthodoxen auch) traditionell die Regelform der Taufe ist, so ist es wie in allen christlichen Kirchen natürlich auch möglich, später getauft zu werden. In den 1950er Jahren muss es sogar vor allem unter protestantischen akademischen Theologen eine Bevorzugung des sog. «Taufaufschubs» gegeben haben, eine Folge des Einflusses der Tauftheologie von Karl Barth, der bekanntlich dafür plädierte.3 Die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen der EKD zeigen jedoch, dass die Attraktivität der Erwachsenentaufe ab 1972 zurückgeht. Matthias Kreplin schreibt in seiner Analyse der Zahlen: «Während 1972 noch 37 % für die Erwachsenentaufe votierten, gaben 2002 nur noch 4 % (West) und 2 % (Ost) der Kirchenmitglieder der Erwachsenentaufe den Vorzug.»4 Allerdings fährt er fort mit der Beobachtung, dass 2012 immerhin 19 % der Befragten in Westdeutschland und 22 % in Ostdeutschland ein Taufalter ihrer Kinder abwarten wollten, in dem «das Kind selbst entscheiden kann».5 Trotzdem und wiederum immerhin sprechen sich 2012 noch 89 Prozent der Befragten für eine Taufe «eines kleinen Kindes» aus.

Die EKD-Umfrage wendet sich an Kirchenmitglieder. Sie unterscheidet zwischen mehreren Graden der Verbundenheit mit der Kirche und verzeichnet bezüglich der Taufbereitschaft gerade unter den «gar nicht Verbundenen» einen sichtbaren Rückgang der Taufbereitschaft seit 2012.6 Vor allem die jungen kirchenaffinen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren möchten jetzt zu 20 Prozent ihre Kinder nicht mehr taufen lassen, die nicht oder kaum mit der Kirche Verbundenen sogar zu 50 Prozent. Es sind diese Zahlen, die erwarten lassen, dass die Kinder-Taufbereitschaft in der Gegenwart im Vergleich zu ihrer fast trotzig wirkenden Beständigkeit bis 2012 nun doch zurückgehen wird.

Diese relative Beständigkeit der Kindertaufe – sie wird auch in anderen Kirchen mit Säuglings- bzw. Kindertaufe zu beobachten sein – spielt eine nicht geringe Rolle im ökumenischen Dialog mit den Kirchen, die eine Gläubigentaufe praktizieren. Der inzwischen durchaus zu beobachtende Rückgang der Kindertaufe trägt möglicherweise mit dazu bei, dass ökumenische Konzepte, die die beiden Taufformen für komplementär bzw. als nicht-kirchentrennende Vielfalt zu betrachten vorschlagen, gegenwärtig den Trend bilden. Das beginnt 1982 mit dem Lima-Dokument des ÖRK,7 zieht sich bis in den mennonitisch-katholisch-lutherischen Dialog 20178 fort und findet sich mindestens in der großen Richtung auch im jüngsten Dialog zwischen Baptisten und Lutheranern in Deutschland.9 Allerdings konnten sich die meisten baptistischen Kirchen noch nicht für eine gleichwertige Anerkennung der Taufformen entscheiden.

Aber ein Rückgang kirchlicher Kindertaufen bedeutet noch nicht, dass es keine Taufen mehr geben wird, denn diese Aussage betrifft zunächst einmal nur die Kirchenmitglieder der evangelischen Kirche. Hier wurden zwar auch Konfessionslose befragt und ihnen eine Taufbereitschaft von 20-10 Prozent bescheinigt, jedoch ist diese Gruppe statistisch weit weniger klar zu greifen. Interessant ist jedoch, dass sich in der deutschen Gesellschaft Alternativformen zur Taufe entwickeln, und zwar sowohl innerhalb wie außerhalb der Kirche.10 Vor allem Letzteres weist darauf hin, dass Taufe eben nicht (mehr?) vornehmlich mit Kirchenzugehörigkeit verbunden wird und dass ein Rückgang an Kirchenmitgliedern noch nicht Rückgang von Taufwilligkeit bedeuten muss - wenn man die alternativen Formen denn als Taufe bezeichnen will. Eine ähnliche Entwicklung beobachten wir ja auch im Bereich der Trauungen sowie der Bestattungen.

Wie nun ließen sich die kirchenunabhängigen Intentionen von Taufwilligen beschreiben? Die protestantische Theologie stellt grundsätzlich einen Schwenk von einer christologisch(-kirchlich?)en Verankerung der Taufe zu einer schöpfungstheologischen hin fest.11 Das verbindet sich vor allem mit den alternativen Taufformen und einer lebensweltlichen Grundlegung.

Lebensweltliches Verständnis von Taufe

Interessant an den o.g. Zahlen ist zunächst einmal die bis 2012 andauernde Beständigkeit der Taufwilligkeit in Bezug auf die Säuglingstaufe. Sie korrespondiert mit einem massiven Anstieg der Zustimmung der Befragten zu der These, mit der Taufe werde ein Kind unter Gottes Schutz gestellt: Meinten das 1982 noch 66 Prozent der Befragten, so waren es 2012 81 Prozent der Kirchenmitglieder und sogar 31 Prozent der Konfessionslosen. 77 Prozent der Kirchenmitglieder befürworteten 2012 das Verständnis, mit der Taufe werde der Beginn eines Lebensweges gefeiert. Während das eine leichte Erhöhung gegenüber den Voruntersuchungen darstellt, weisen die 35 Prozent der Konfessionslosen, die dies befürworten, einen fast 50prozentigen Rückgang dieser These in dieser Gruppe auf. Feier und Reflexion des Lebensweges scheint also (noch? wieder?) ein Motiv für den Wunsch nach Sakramentsempfang unter Kirchenmitgliedern zu sein. Gleichzeitig jedoch ist die Aufnahme in die «Gemeinschaft der Gläubigen» und Zugehörigkeit «zur Kirche» ein relativ konstant bleibender Faktor im Taufverständnis (90-80 Prozent), wobei unklar ist, ob dies auch ein ebenso starkes Motiv für das Taufbegehren der Eltern ist. Man weiß also durchaus, dass Taufe und Kirchenzugehörigkeit eigentlich etwas miteinander zu tun haben, jedoch scheint das abnehmend wichtig im Vergleich zu der Erwartung, dass mit der Taufe «ein Kind unter Gottes Schutz gestellt» wird.12

Hier scheint mir ein Kern des Taufbegehrens zu liegen. In den Anfangsjahren nach der Jahrtausendwende wurde ich mehrmals in evangelische Kirchenkreise in Ostdeutschland eingeladen, um gemeinsam mit den Pfarrern und Pfarrerinnen über ein neues Phänomen in ihren Gemeinden nachzudenken: Vermehrt wollten Eltern ihre sehr kleinen Kinder zur Taufe bringen, obwohl sie selbst weder Kirchenglieder noch christlich sozialisiert waren. Offenbar zeigte sich ihnen gerade jetzt ein lebensstärkendes Element im Taufritus, das die Säuglingstaufe in besonderer Weise freilegt. Man kann das auch theologisch umschreiben und sagen: Gerade die Säuglingstaufe lässt sich als eine Dramatisierung der Überwindung des Todes verstehen, die wir biblisch als «Herrschaftswechsel» bezeichnen. Sie trifft damit auf ein Bedürfnis, das jungen Eltern gerade in kurzem zeitlichem Abstand zur Geburt noch unter der Haut liegen mag. Denn gerade im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes werden doch Lebensbedrohung und Lebensentstehung unmittelbar ineinander erfahren. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die gesamte Taufgemeinde noch in den rudimentären Elementen von Tauchsymbolik in unseren Säuglingstaufen diese furchterregende Nähe von Leben und Tod nacherlebt. Dieses Nacherleben leitet sich ab in die Sorge, ob das kleine Kind die plötzliche Berührung mit dem Taufwasser nicht ungebührlich verängstigen könnte und es wird spürbar in der merkwürdigen Aufregung, die ganze Tauffamilien während der Taufe erfassen kann. Vielleicht wird hier die Nähe des Todes bei der Geburt erinnert, vielleicht wird in dieser erinnerten Erfahrung gespürt, dass Trennung und Verletzung notwendig zum Leben dazugehören und vielleicht wird all dies aufgehoben in dem Motiv, mit der Taufe das Kind unter Gottes Schutz zu stellen. Der Taufgottesdienst wird zu einem intensiven Lob- und Dankgottesdienst – für, wenn sie beteiligt ist, die ganze Gemeinde.

Diese starke erfahrungsbezogene Wirksamkeit der Säuglingstaufe – man wird davon ausgehen können, dass sie in allen säuglingstaufenden Kirchen vergleichbar erfahren wird – scheint aber in der allmählichen Auflösung begriffen – in der allmählichen Auflösung, in der die Säuglingstaufe zur Kindertaufe wird. Die Umfrage von 2012 zeigt, dass inzwischen 35 Prozent der Kinder zwischen dem vollendeten 1. und dem 14. Lebensjahr getauft werden. Bedenkt man, dass 7 bis 8 Prozent davon im Zusammenhang der Konfirmation getauft werden, ist Matthias Kreplin in seiner Vermutung, dass es sich bei den übrigen «vor allem um Kindergarten- und Grundschulkinder» handelte, sicher zuzustimmen.13 Wahrscheinlich wird sich auch bei diesen Taufen kleiner Kinder ein Teil der erwähnten Geburtserfahrungen reaktivieren lassen. In den Worten von Matthias Kreplin: «Dies bedeutet aber nicht, dass die Erfahrungen der Geburt nicht mehr präsent sind. Vielmehr blicken Eltern auch aus größerem zeitlichem Abstand anlässlich der Taufe zurück auf die Geburt, weil dort paradigmatisch die Gefährdung und Verwundbarkeit des Lebens erlebt wurden, die sich häufig in mancherlei Situationen im jungen Leben danach zeigten. Deshalb widerspricht diese Lösung der Verbindung von Tauftermin und Geburt nicht den Ergebnissen der [… Kirchenumfragen], die eine steigende Zustimmung zur Aussage ‹Mit der Taufe wird der Beginn des Lebensweges gefeiert› aufweisen, die zuletzt [2012] bei 77 Prozent lag.»14

Aber sie treten jetzt deutlich neben einen inzwischen schon neu gewachsenen weiteren Lebenszusammenhang: den der Familie. Taufe wird verstanden als – durchaus von Gott begleitetes – Hineinwachsen in das Leben der Familie. Diese schöpfungstheologisch fassbare Tendenz zeigt eine Loslösung vom Verständnis der Taufe als Initiation in die Gemeinde, in die Kirche, christologisch: in die Christusbeziehung. Trinitarisch ist es die erste göttliche Person, die hier angesprochen wird: in einer Bitte um Gottes Schutz für das zu taufende Kind, gleichzeitig verbunden mit Lob und Dank für die Erfüllung dieser Bitte.15 Das Ritual des Herrschaftswechsels vom Tod zum Leben jedoch lässt eine christologische Profilierung zu und versteht die Taufe als Anteilgabe an der Auferstehungswirklichkeit Christi – ein Leben in der Auferstehung also.

Diese Beobachtungen regen zu genauerem theologischen Nachdenken über den Zusammenhang von Taufe als Weg und Kirchenzugehörigkeit an, zu dem ich in den folgenden zwei Abschnitten einladen möchte.

Taufe als Weg: Initiation

1982 verabschiedete der Ökumenische Rat der Kirchen auf seiner Vollversammlung in Lima die in der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung entstandene Konvergenz-Erklärung zu «Taufe, Eucharistie und Amt» (Lima-Erklärung). Es handelt sich dabei um eine multilaterales Dialogdokument, an dem die Mitgliedskirchen der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung – also auch die römisch-katholische Kirche und die meisten orthodoxen Kirchen sowie Vertreter von Kirchen der Reformation – mitgewirkt haben. Eine Konvergenzerklärung meint, dass es viele gemeinsame Überzeugungen zum Thema gibt, an denen in Richtung Einheitserklärung weiterzuarbeiten erfolgversprechend scheint. Einer der Dreh- und Angelpunkte des Taufdokumentes ist der Gedanke, die Taufe sei «nicht nur auf eine augenblickliche Erfahrung bezogen, sondern auf ein lebenslängliches Hineinwachsen in Christus.»16 Dieses Modell von Taufe als einem Initiationsgeschehen, das einen u.U. lebenslangen Prozess des Glaubens einleitet, ist seitdem aus ökumenischen Dialogen zum Thema Taufe nicht mehr wegzudenken. Es findet sich in Andeutung schon im Ökumenismusdekret des 2. Vatikanums: «… die Taufe (ist) nur ein Anfang und Ausgangspunkt, da sie in ihrem ganzen Wesen nach hinzielt auf die Erlangung der Fülle des Lebens in Christus.»17 Der römisch-katholische/pfingstlerische Dialog «Wie man Christ wird»18 arbeitete das Initiationsmotiv 1998-2006 in Bibel, Patristik und mittelalterlicher Theologie ausführlich heraus und besonders einflussreich brachte es der baptistische amerikanische Theologe Paul Fiddes 200219 in die ökumenische Diskussion hinein. Mit diesem prozessualen Modell wird deutlich, dass es bei der Taufe nicht um einen momentanen Akt geht – egal, an welcher Stelle des Prozesses des Hineinwachsens in den Glauben dieser durch sie markiert wird. Diese Einsicht korrespondiert mit dem eingangs geschilderten lebensweltlichen Erfahrungsmomenten des Taufaktes.

Säkular erscheint der Prozess des Hineinwachsens in den Glauben als Prozess des Hineinwachsens in das Leben bzw. die Institution, die dieses lebensweltlich garantiert: die Familie. Auch das gehört zu dem Schwenk in die Schöpfungstheologie im Taufverständnis. Auch innerhalb der Kirchen«mauern» hat sich die Vorstellung von Taufe als einem Familienfest bereits fest eingeprägt. Das wird deutlich an den zunehmenden Tauffeiern außerhalb des Gemeindekontextes – zwar im Kirchengebäude, doch zu einem Zeitpunkt, zu dem die Tauffamilie ihre Gäste einlädt. In Deutschland ist das in der römisch-katholischen wie in der evangelischen Kirche geradezu üblich. Sogar «Haustaufen» im wörtlichen Sinne werden von landeskirchlichen Gemeinden auf der Homepage «angeboten». Sie knüpfen an eine bäuerliche oder auch großbürgerliche Tradition im 18. und 19. Jahrhundert an – man denke an die einschlägige Schilderung in Thomas Manns «Buddenbrocks».20 Heute geschieht dies wahrscheinlich, um kirchenfern gewordenen Taufeltern ein niederschwelliges Angebot zu machen. Die «Amtskirchen» sind freilich skeptisch, schon gegenüber einer Taufe im Kirchengebäude außerhalb des Gemeindegottesdienstes.21 So äußerte sich schon Calvin sehr deutlich: «Sooft jemand getauft werden soll, lässt man ihn bei der Versammlung der Gläubigen gegenwärtig sein und stellt ihn Gott dar, wobei die ganze Kirche wie ein Zeuge ihr Augenmerk auf den Vorgang hat und über den Täufling betet.»22 Und wenn man Dokumente ökumenischer Dialoge über die Taufe der jüngsten 15 Jahre studiert, so wird deutlich, dass zu ihren wesentlichen Einsichten gehört, dass der Taufe eine «ekklesiale Dimension» zu eigen ist. Damit wären wir bei der konstruierten Eingangsfrage dieses Beitrags. Dazu im Folgenden.

Taufe als kommunales Geschehen

Worum geht es genau bei der Taufe? Handelt es sich um ein Ritual, mit dem der konkrete Täufling empirisch nachvollziehbar in die Christusbeziehung und damit in den Glauben gebracht wird? Hat das einen empirisch nachweisbaren (Sünden)reinigenden Effekt? Das lutherisch-baptistische bayrische Dokument sagt, die Taufe beinhalte «die Annahme als Gotteskind und setzt zugleich den lebenslangen Prozess der Nachfolge frei.»23 Die Theologie spricht von einem Herrschaftswechsel, der hier vollzogen würde. Der traditionelle Topos der Sündenvergebung in Zeiten hoher Kindersterblichkeit war ein wesentlicher Hintergrund für die Säuglingstaufe, denn die Eltern mussten beim Tod eines ungetauften Kindes fürchten, dass es unerlöst bleibe. Dieses Verständnis der Erbsünde hat sich inzwischen verändert, verbunden mit gestärkter Zuversicht in die Heilszusage Gottes. Neu diskutiert im ökumenischen Dialog wird darum auch, ob wir wirklich denken dürfen, Gott werde nur getaufte Christen in den Himmel aufnehmen. In §49 des Berichts über die lutherisch-mennonitisch-römisch-katholischen Gespräche über die Taufe 2012-2017 ist zu lesen: «Keine der Gesprächsparteien will Erlösung nur den Getauften vorbehalten.» Aber es geht vorsichtig weiter: Wegen des «Taufbefehls» in der Bibel könne man davon ausgehen, «dass die Taufe die von Gott gewollte Erlösung verwirklicht. Gott mag andere Möglichkeiten und Wege als die Taufe haben, Säuglingen Erlösung zu bringen, auch wenn die Taufe von gläubigen Katholikinnen und Katholiken und Lutheranerinnen und Lutheranern nach wie vor als der beste Weg für ihre Kinder angesehen wird.»24 Die EKD-Umfrage lässt sogar an diesem letzten Teil des Schlusssatzes zweifeln – es sei denn, «Erlösung» bedeute, unter Gottes Schutz zu stehen. Und eben in diese Richtung zeigen die Überlegungen der Dialoge, die sich mit der Kirchenzugehörigkeit der Taufe beschäftigen.

Der Gedanke, mit der Taufe werde ein lebenslanges Hineinwachsen in den Glauben bzw. in die Christusbeziehung veranschaulicht, stellt die Frage, ob hier eine individuelle oder nicht doch eher eine kommunale Heils- und Erlösungsvorstellung vorliegt. Versteht man Taufe als Hineinwachsen in die Kirche Christi, so gerät damit die Gemeinschaft der Glaubenden als solche als Begleitung des Lebens «in der Nachfolge», wie der o.g. trilaterale Dialog sagt, vor Augen. Taufe und Kirchenzugehörigkeit gehören darum zusammen, weil Taufe als ein Geschehen der gesamten Christusgemeinschaft wahrgenommen werden muss. Nicht nur, weil durch die Taufe der einzelne Täufling Mitglied der Kirche würde, sondern eher noch, weil die Gemeinschaft der Glaubenden mitbeteiligt ist an seinem/ihrem Hineinwachsen in den Glauben. Glaube ist Geschenk des Heiligen Geistes – sehr wohl – jedoch kommt dieses Geschenk empirisch wohl kaum zustande ohne die bereits glaubenden Menschen in der Umwelt des Kindes. Eine diesen Gedanken repräsentierende Funktion haben somit die Taufpaten. In diesem Sinne könnte auch die gegenwärtig beliebte Betonung der Tauf-Familie verstanden werden: Sie hilft dem Täufling beim Hineinwachsen in ein Leben in der Gottesbeziehung, so wie sie sich auch beschenkt fühlt durch das neue Leben in ihrer Mitte. Eltern und Paten wären so gesehen aber eine Kondensation der Gemeinde und als solche eine Art empirischer Reflex auf die Erfahrung der Glaubensentwicklung im christlichen Leben überhaupt. Denn dieses vollzieht sich ja nicht isoliert von anderen Menschen, durch die die Beziehung des jungen Menschen zur christlichen Weltdeutungsperspektive erst wachsen und gedeihen kann. Eltern und Paten (und die Familie) dienen somit auch als Aufforderung an die ganze Gemeinde, sich dieser Aufgabe eines jeden Christenmenschen bewusst zu sein: mitzugehen mit dem Ringen um die Gewissheit der Mitmenschen von Gottes Gegenwart und ihnen in diesem Mitgehen Bruder und Schwester zu sein in dem Prozess, den man Glaubensentwicklung nennen kann – Begleitung zu sein im Hineinwachsen in die Christusperspektive, Ermutigung zum Mitgehen. Wenn man will, kann man Glaubensentwicklung und Erlösungserfahrung hier zusammenwachsen sehen. Erlösung ist nicht etwas, das durch oder nach dem Glauben kommt, sondern etwas, das bereits im Glauben besteht. Darum ist es wichtig, dass der kommunale Aspekt der Taufe deutlich wird im Taufgeschehen. Es wäre die vornehmliche Aufgabe der Gottesdienstgestaltung, diesen Zusammenhang zu verdeutlichen und das Verständnis von Erlösung und Taufe aus der Verengung einer individualistischen Innerlichkeits-Perspektive zu befreien. Der Taufgottesdienst wäre so verstanden eine dramatisierte Heilsgeschichte und als solche ein Gemeindegeschehen. Die traditionelle Verbindung der Übereignung des Täuflings an Christus als Umkehr und Buße wäre etwas, was ihn/sie nicht allein betrifft. Umkehr und Buße werden Getauften immer wieder zugemutet, wenn sie in Erfahrungen von Trennung und Verletzung durch Tod zum Leben kommen müssen, sei es schuldhaft, sei es als Opfer von Gewalt und Katastrophen Leidende. Es wird ihnen zugemutet, aber immer auch in Mitverantwortung der Gemeinde bzw. aller anderen Christenmenschen in der universalen Kirche, die in Aufmerksamkeit auf die Zerbrechlichkeiten des Lebens sich gegenseitig stärken, trösten und ermutigen in der Bitte um die Konkretisierung des Heilswirkens Gottes.

Versteht man den Sinn der Sündenvergebung so als eine umkehrende Hinwendung bzw. Ermöglichung eines Lebens in der Gottesbeziehung, so kann auch die «reinigende» Funktion der Taufe stärker als eine Segenserfahrung wahrgenommen werden: Wenn das eigene Leben – in der Gott-Perspektive wahrgenommen, interpretiert und gestaltet – inmitten seiner Zerbrechlichkeit Gelingendes zeigt, wenn Visionen von Gerechtigkeit Gestalt annehmen, wenn Versöhnung geschieht und Vergebung erfolgt, obwohl all dies doch alles andere als selbstverständlich ist, und wenn dies alles erkennbar wird als Heilswirken Gottes in der Errichtung seines Reiches – dann kann man das auch sich gegenseitig als eine Konsequenz der Taufe als Geschenk der Anteilhabe an der Gegenwart Christi verstehen lehren. Taufkatechese wäre so verstanden stetige Interpretation und Gestaltung des eigenen Lebens in der Gott-Perspektive – eine Aufgabe, die sich im ökumenischen Miteinander besonders eindrücklich erleben lässt.

Die Einsicht der ökumenischen Dialoge, Taufe sei als Anfang eines von Gott zugesprochenen Weges zu verstehen, den Christen und Christinnen im Taufakt wiederum miteinander zu gehen sich versprechen, lebt somit letztlich von der Einsicht in die soziomorphe Gestalt des Glaubens und auch der Taufe. Kontroverstheologische Engführungen in ein Entweder-Oder von persönlichem Bekenntnis und angeblich unbeteiligtem Empfangen der Gabe der Taufe können so als abstrakte Typisierungen entlarvt werden.

Das aber heißt: Wenn es den Kirchen nicht gelingen sollte, dieses kommunale Verständnis der Taufe als gemeinsames Verständnis konfessionsübergreifend zu verstehen und zu vermitteln, wird sich die Verbindung von Taufritus und Kirchenzugehörigkeit mit fortschreitender Pluralisierung und Säkularisierung nicht mehr lange halten. Und damit wären wir bei der theologischen Frage, inwiefern die einzelne Konfession als Repräsentation der universalen Christenheit verstanden werden dürfe – die Frage des Beginns dieses Beitrags.

Dazu sei nun zum Schluss der mennonitische Theologe Fernando Enns zitiert: «Wir werden nicht mennonitisch, lutherisch oder katholisch getauft, sondern im Namen des dreieinigen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, in die eine Kirche, freilich in ihre unterschiedlichen, konkreten und historisch gewachsenen Gestalten.»25 Deutlich wird, dass die Anerkennung der Taufe abhängig ist davon, ob eine Kirche die andere als «unterschiedliche, konkrete und historisch gewachsene Gestalt» der einen Kirche anerkennen kann.

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